Entscheidungsfreiheit bei amisch lebenden Gemeinschaften

vom 06.06.2014, 22:21 Uhr

Ich schaute vor kurzem eine interessante Reportage, über amisch lebende Menschen. Sie sind sehr religiös und glauben fest an Gott. Sie leben in einer Gemeinschaft, ohne Strom und bauen ihre Nahrung selbst an. Sie stellen alles selbst her, dies wird ihnen von klein auf beigebracht. Auch haben sie keinen Sex vor der Ehe, geschweige denn einen Partner. Sie sind sehr naturgebunden.

Mit erreichen ihres sechzehnten Lebensjahres, befinden sie sich in der Phase des Rumspringers und dürfen verreisen. In dem Fall reisten 5 Jugendliche aus Amerika, nach Großbritannien. Dort dürfen sie das moderne Leben kennen lernen. Wenn sie zurück kommen, müssen sie sich entscheiden, ob sie weiterhin amisch leben wollen, oder lieber das moderne Leben bevorzugen.

Ich fand es gut, dass sie selbst entscheiden durften, wo sie leben möchten und da kein Zwang dahinter war.Wie denkt ihr darüber?

» scorpion24 » Beiträge: 207 » Talkpoints: 4,32 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich habe auch schon mehrere Reportage über Amish gesehen. Leider ist es nicht ganz so schön und einfach wie es klingt. Diejenigen, die sich für das moderne Leben entscheiden, stehen nämlich mit nichts auf der Straße. Viele haben nicht mal eine Geburtsurkunde. Auch entspricht ihre Bildung nicht der des öffentlichen Schulsystems. Sie haben keinen offiziellen Abschluss.

Viele gruppieren sich dann doch wieder mit anderen Amish zusammen, weil sie den Zusammenhalt vermissen und Nicht-Amish kein Verständnis für sie haben. In einer Reportage kam ein ehemaliger Amish zu Wort, der mittlerweile eine Dachdeckerfirma hat. Er stellt bevorzugt jugendliche Amish ein, da sie sonst auf dem Arbeitsmarkt keine Chancen hätten. Und Handwerk, besonders das Häuserbauen, können sie ja recht gut, da die Amish ihre Häuser ja gemeinsam selber bauen.

Aber viele hängen erst mal ziemlich in der Luft. Neben den Jobproblemen haben sie auch soziale Schwierigkeiten, weil sie die Anonymität und andere Begleiterscheinungen des modernen Lebens nicht gewohnt sind. Viele gehen dann doch wieder zu ihren Familien zurück. Es gibt nicht nur den einen Tag nach dem Reisen, an dem sie sich entscheiden müssen. Auch später dürfen sie noch zurückkommen. Aber dann lassen sie wiederum die Vorteile des modernen Lebens und die Freunde, die sie gefunden haben, für immer zurück.

Ich finde die Lebensweise der Amish sehr interessant und auch verlockend - mal abgesehen von dem Religiösen. Aber es war sicherlich einfacher, als alle Menschen noch in so einfachen Verhältnissen gelebt haben. Mit der Wahl kommt die Qual. Wenn man weiß, dass es anders sein könnte, fragt man sich immer, ob es nicht besser wäre.

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


scorpion24 hat geschrieben:Ich fand es gut, dass sie selbst entscheiden durften, wo sie leben möchten und da kein Zwang dahinter war.Wie denkt ihr darüber?

Das ist doch höchstens die Illusion einer freien Entscheidung. Da wird jemand sechzehn Jahre lang einer sozialen und religiösen Indoktrination unterzogen, die ihn in keiner Weise auf das Leben außerhalb seines Dorfes vorbereitet, und dann wird er plötzlich genau mit diesem Leben konfrontiert und soll sich entscheiden.

Überlegt dir mal, was du im umgekehrten Fall machen würdest. Du bist an ein Leben mit Technik gewöhnt und hast wahrscheinlich wenig Ahnung von Landwirtschaft und Handwerk in der vorindustriellen Zeit. Wenn du jetzt vor die Wahl gestellt würdest dein gewohntes Leben weiter zu leben oder ein Leben zu wählen, in dem deine Fähigkeiten plötzlich nichts mehr Wert sind, weil sie nicht mehr benötigt werden, in dem du praktisch so hilflos bist wie ein kleines Kind, würdest du dich wirklich dafür entscheiden?

Und "ohne Zwang" würde ich auch nicht unterschreiben. Was ist mit dem sozialen Druck? Den Erwartungen von Familie und Freunden? Wahrscheinlich werden diese Jugendlichen irgendwann mal mitbekommen haben, dass jemand das Dorf verlassen hat, und sie werden auch mitbekommen haben, wie sich das auf die Familie ausgewirkt hat, wie sie behandelt wurde, wie über sie getratscht wurde und so weiter. Steht man dann nicht unter einem gewissen Zwang seiner Familie das nicht anzutun?

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge



Ich habe auch schon das ein oder andere über Amish People gehört, aber mir das persönlich noch nicht angeschaut. Auch wenn ich persönlich gerne mal ein paar Tage mit zelten oder im Wald verbringe, könnte ich mir kaum vorstellen, mein ganzes Leben so mit strengen Regeln zu verbringen.

Ich weigere mich aber, diese Art von Leben und Erziehung als Indoktrination zu beschreiben. Vor mehr als hundert Jahren haben auch wir Europäer so gelebt und fanden das damals als normal. Da gab es keine Alternative. So weit ich gehört habe wird auch keiner gehasst, nur weil er gegangen ist bei den Amish als Jugendlicher. Aber möglicherweise ist das von Dorf zu Dorf unterschiedlich. Ich habe auch gehört, dass einige gegangen sind.

» crazykris1 » Beiträge: 605 » Talkpoints: 37,24 » Auszeichnung für 500 Beiträge



crazykris1 hat geschrieben:Ich weigere mich aber, diese Art von Leben und Erziehung als Indoktrination zu beschreiben.

Unter Indoktrination versteht man die Manipulation von Menschen durch den gesteuerten Zugang zu Informationen. Diese Informationen werden so ausgesucht, dass sie der eigenen Ideologie entsprechen und keine Widersprüche zu dieser Ideologie enthalten.

Fast jede Art der religiösen Erziehung ist eine Indoktrination, weil die Lehren der eigenen Religion an die Kinder weitergegeben werden, nicht aber das, was dazu im direkten Widerspruch steht. Beispiel: Eine monotheistische Religion steht im klaren Widerspruch zu einer polytheistischen Religion, deshalb ist es wichtig bei der Indoktrination in eine monotheistische Religion immer wieder zu betonen, dass es nur einen Gott gibt, bis dieser Glaube fest etabliert ist.

Die religiöse Erziehung findet bei diesem Familien natürlich extrem statt, was schon Grund genug wäre um meine Verwendung des Begriffes zu rechtfertigen. Außerdem hat man hier aber auch noch die Indoktrination in diese Lebensweise, da den Kindern der Zugang zu allem, was der Lebensweise nicht entspricht, bewusst vorenthalten wird. Und Wahlfreiheit oder nicht, das Ziel ist natürlich, dass diese Ideologie übernommen wird. Alles andere wäre ja auch ein völlig unlogisches Verhalten.

Vor mehr als hundert Jahren haben auch wir Europäer so gelebt und fanden das damals als normal.

Ja, und jetzt haben wir 2014 und es ist eben nicht mehr normal so zu leben. Die Menschheit entwickelt sich weiter. Es gibt auch Menschen, die heute ihre Kinder durchprügeln, weil ihnen das ihre Religion erlaubt. Früher war das auch normal, sogar Lehrer durften ihre Schüler schlagen.Aber deshalb findet das heute trotzdem kein vernünftiger Mensch mehr normal.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


crazykris1 hat geschrieben:So weit ich gehört habe wird auch keiner gehasst, nur weil er gegangen ist bei den Amish als Jugendlicher. Aber möglicherweise ist das von Dorf zu Dorf unterschiedlich. Ich habe auch gehört, dass einige gegangen sind.

Da habe ich aber andere Sachen gehört. Ich sah neulich erst eine Dokumentation, in der einige Amish-Jugendliche sich entschieden haben, in der Welt außerhalb der Amish zu leben. Sie hatten mit harten Sanktionen zu rechnen und sogar die engste Familie und alle Freunde haben sich abgewendet und sich geweigert, mit ihnen zu sprechen oder mit ihnen gesehen zu werden. Sie wurden im Prinzip fallen gelassen wie eine zu heiße Bratpfanne. Für mich persönlich hört sich das schon nach enormem Druck seitens der Gesellschaft an und hat mit Freiwilligkeit in meinen Augen nichts mehr zu tun.

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» Olly173 » Beiträge: 14700 » Talkpoints: -2,56 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


Ich denke, jeder Mensch gibt seinen Kindern seinen eigenen Glauben, die eigenen Lebenseinstellungen und Moralvorstellungen mit. Man ist ja so wie man ist aus einer gewissen Überzeugung heraus und denkt, dass es so auch für das Kind am optimalsten sei. Demnach gesehen ist das alles Manipulation bzw. bei uns wird es Erziehung genannt, wenn man dem Kind gewisse Werte vermittelt und ihm beibringt, was es tun sollte und was nicht.

Es ist eben ein völlig anderer Kulturkreis und gewissermaßen auch viel strenger als bei uns. Daher können wir das auch viel schwieriger verstehen. Würde man aber nicht wollen, dass die Kinder auch andere Informationen erhalten als die der Amish People, würde man sie nicht nach draußen in die Welt lassen. Sie haben aber trotzdem die Möglichkeit diese kennenzulernen und dann wieder zurück zu kehren. Wie es aber mit ganz aussteigen oder wieder einkehren ist, darüber kann nur spekuliert werden. Ich denke, dass kann man nur sagen, wenn man dort gelebt hat oder die Kultur jahrelang beobachtet hat. Ich kann auch nicht sagen, wie viele seriöse Fernsehberichte es darüber gibt.

» crazykris1 » Beiträge: 605 » Talkpoints: 37,24 » Auszeichnung für 500 Beiträge



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