Sich schämen Sozialhilfeleistungen zu beantragen?

vom 09.05.2014, 13:12 Uhr

Man hört ja oft, dass sich Leute schämen, wenn sie irgendwelche Leistungen beantragen müssen, weil sie finanziell nicht klar kommen und ich kenne auch eine Frau, die weit unter dem Existenzminimum lebt und lieber noch eingeschränkter lebt, als sie müsste nur um eben nicht irgendwelche Sozialhilfeleistungen beantragen zu müssen.

Könnt ihr verstehen, wenn sich jemand dafür schämt und lieber noch weniger zum Leben hat als mit Hartz 4, nur um eben nicht so einen Antrag stellen zu müssen? Woher kommt diese Scham, wenn man etwas beantragt, was einem zusteht?

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» MissMarple » Beiträge: 6786 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 6000 Beiträge



Ich denke, es kommt immer auf die Situation an. Viele in der Gesellschaft sehen in Menschen, die H4 beziehen irgendwelche "Asozialen" und stecken sie sofort in irgendeine Schublade. Ich kann schon verstehen, dass manche Menschen dann eben Angst davor haben, stigmatisiert zu werden, wenn sie H4 beziehen. In so einem Fall kommen sie dann lieber mit viel weniger aus als sie eigentlich müssten.

So sind aber nicht alle Menschen. Meine Cousine beispielsweise hat einen zweijährigen Sohn. Der Vater bezahlt keinen Unterhalt und sie kann es sich nur leisten, ein wenig zu Hause zu stricken und die Sachen dann übers Internet zu verkaufen. Trotzdem bezieht sie Hilfe vom Staat und ist in dieser Hinsicht überhaupt nicht stolz oder verängstigt, was die Nachbarn denken könnten. Ich kann ihr Verhalten schon verstehen, sie hat ein Kind und sie will dem Kind ja auch irgendwas bieten, wenn der Vater schon nicht da ist. Da kann man es sich nicht leisten, falschen Stolz zu haben. Ich an ihrer Stelle würde auch lieber Geld vom Staat nehmen, damit es dem Kind an nichts fehlt, anstatt alles selbst zu verdienen und dann eben sehr viel weniger Geld zur Verfügung zu haben. Ein Kind wächst ja auch, braucht regellmäßig neue Kleidung, Schuhe und Essen. Solche Sachen wachsen nunmal nicht auf Bäumen.

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» Olly173 » Beiträge: 14700 » Talkpoints: -2,56 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


Gesellschaftlich sind Arbeitslose und Hartz 4 Empfänger eben nicht so gut angesehen, man gilt als faul und träge. Dass man sich dann nicht anmelden will, weil man vor der gesellschaftlichen Ächtung Angst hat ist irgendwie klar. Dennoch können es sich nur die wenigsten es leisten wirklich nicht zu beantragen. Immerhin muss man ja irgendwie leben und auch überleben und ich bin der Meinung, dass man es zwar immer selber versuchen muss, aber dann doch lieber etwas zur Grundsicherung der eigenen Person beantragen sollte, erst recht wenn Kinder betroffen sind.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge



Ja, das kann ich mir wirklich gut vorstellen, dass gewisse Leute sich dafür schämen, diese Hilfe anzufordern, sodass es für sie peinlich ist, wenn sie den Antrag dafür stellen. Ein Lehrer erzählte uns diese Woche, dass es aus diesem Grund diesem Antrag eine Namensänderung gegeben hat. Ich glaube es hieß "Hilfe zur Selbsthilfe". Somit ist der Name gut verpackt und die Leute werden auch nicht auf die Sozialhilfe angesprochen, aber im Grunde beantragen sie es. Der Scham ist dann nicht so groß, weil sie eben auch keine Verbindung zur Sozialhilfe haben.

» iggiz18 » Beiträge: 3366 » Talkpoints: 4,66 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Auch ich kenne eine Freundin, deren Mutter sich in einer finanziell schwierigeren Lage befindet, weil sie unverhofft ihren Job verloren hatte. Meine Freundin die gerade ihr Abitur bestanden hatte und ein Studium beginnen wollte, klagte mir regelmäßig ihr Leid.

Ich hatte ihr mehrmals angedeutet, dass wenn Geld zum Existenzminimum nicht reichen sollte, es immer die Möglichkeit gäbe, Wohngeld oder Ähnliches beantragen zu können. Jedoch stieß ich sofort auf Ablehnung, dass weder meine Freundin, noch ihre Mutter sich jemals die Blöße geben wollen würden, um vom Staat zu leben. Es müsste eine andere Lösung geben, denn diese Abhängigkeit wollte man unter allen Umständen umgehen.

Ich denke, dass auch hier ein sogenanntes Schubladendenken eingesetzt hat. Mir fiel es schwer, dieses Thema gänzlich außer Acht zu lassen und habe mehrmals versucht, es als weniger dramatisch zu präsentieren - jedoch erfolglos. Persönlich empfinde ich es weder als asozial noch als "schnorren", wenn man ab und an auf gewisse Unterstützung vom Staat angewiesen ist. Immerhin bevorzuge ich diese, und habe ja auch ein gewisses Anrecht darauf, als deutscher Bürger, bevor ich mich selbst in den kompletten Ruin treiben muss.

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» LongHairGirl » Beiträge: 845 » Talkpoints: 47,97 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Das Problem hat sich deutlich verschärft, sein es die Hartz-Reformen gibt. Früher gab es sozusagen "drei Klassen". Wer seine Arbeit verlor, der bekam Arbeitslosengeld. Das ist sozusagen die Leistung, die man heute Arbeitslosengeld 1 nennt. Diesen Anspruch hatte man sich erarbeitet. Und wer lange gearbeitet hat, der bekam diese Leistung auch viel länger als ein Jahr.

Das war in so weit gut, dass jemand beispielsweise die Zeit bis zur Rente überbrücken konnte, wenn er keine neue Stelle fand. Auch so blieb vielen Menschen nach dem Verlust der Arbeitsstelle mehr Zeit, einen vernünftigen neuen Job zu finden.

Wenn man es in dieser Zeit nicht geschafft hatte, eine neue Stelle zu finden, dann fiel man in die Arbeitslosenhilfe. Dort gab es deutlich weniger als vorher, aber die Höhe der Leistungen richtete sich immer noch nach dem früheren Einkommen. Wer Arbeitslosenhilfe bekam, war immer noch kein "Sozialschmarotzer".

Denn genau diese Regelungen haben dazu geführt, dass Menschen, die Sozialhilfe bekamen, schief angeschaut wurden. Schließlich war das eine Leistung, die man nur bekam, wenn man keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hatte. Das traf auf Menschen zu, die eben nicht vorher gearbeitet hatten.

Als dann die Arbeitslosenhilfe gestrichen wurde und die meisten Betroffenen zusammen mit den arbeitsfähigen Sozialhilfeempfängern Arbeitslosengeld 2 bekommen haben, was sich nur nach dem Existenzminimum richtet, war die Scham natürlich riesig.

Und das ist so geblieben. Besonders Rentner schämen sich und verzichten auf Möglichkeiten. Denn schließlich haben sie ihr Leben lang gearbeitet und möchten jetzt nicht um eine Leistung betteln. Ganz viele Menschen haben eine große Abneigung gegen staatliche Unterstützung. Mein Mann ist auch so.

Mit dem regulären Arbeitslosengeld könnte er umgehen. Hartz wäre aus seiner Sicht ein totales Versagen seinerseits. Und er schaut nicht auf die Hilfeempfänger herab oder missgönnt ihnen die Leistungen. Er kann sich nur nicht vorstellen, in so eine Situation zu geraten. Denn das man für sich und seine Familie selbst sorgt, das gehört zu seinem Selbstverständnis.

» cooper75 » Beiträge: 13423 » Talkpoints: 517,99 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


Es ist falsch keine Hilfe anzunehmen, viele Flüchtlinge oder auch Ausländer kommen zum Beispiel in die Schweiz und beziehen sofort Arbeitslosenunterstützung inkl. Wohnung und neuen Autos gratis, oder aber auch der Fall vom Carlos (Einfach mal googeln, wen es interessiert), ich denke in Deutschland wird es nicht anders sein.

Ich hatte auch kurzfristig keinen Job und wollte zuerst nichts annehmen, aber dann sah ich das und dann denke ich, man hat ein Anrecht darauf, schließlich bezahlt man ja auch die Arbeitslosenversicherung vom Lohn ein. Wenn man den Job verliert, sollte man sofort den Antrag stellen, anstatt von den Ersparnissen zu leben und dann irgendwann wirklich als armer Schlucker zu enden, weil man zu früh schon alles aufgebraucht hat.

Ich finde es eben falsch, dass Arbeitslose grundsätzlich als faul dargestellt werden, es gibt nun einmal immer weniger Jobs und mehr Menschen kommen nach Europa, dazu wandern alle Fabriken mittlerweile nach Asien oder China aus und vernichten so tausende Arbeitsplätze. Es wird immer mehr Arbeitslose geben, klar es gibt viele faule Menschen die mit Absicht keinen Job suchen, aber es trifft auch die, die immer gearbeitet haben oder es gern tun wollen. Also nur keine Scheu und vorbeigehen, die helfen auch bei Bewerbungen und vielem mehr.

(Natürlich soll dieser Post nicht rassistisch sein, sondern nur ausdrücken, wieso es immer weniger Jobs geben wird)

» Bascolo » Beiträge: 3586 » Talkpoints: 0,29 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



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