Für unter 10 Euro Stundenlohn nicht mehr aufstehen?

vom 01.05.2014, 00:18 Uhr

In meinem Wohnumfeld leben überdurchschnittlich viele Arbeitslose. Wenn man mit denen ins Gespräch kommt hört man immer wieder dieselben Sprüche wie: „Unter 10 Euro die Stunde stehe ich nicht mehr auf“. Nun ja, das kann ja jeder handhaben wie er will, aber ich frage mich ob diese Forderungen auch immer berechtigt sind.

Kennt ihr auch solche Sprüche und was haltet ihr davon? Würdet ihr das als gesundes Selbstbewusstsein bezeichnen oder mitunter schon als eine Art Schutzbehauptung? Was sagt ihr denjenigen die solche Sprüche ablassen oder welche Argumente hättet ihr parat ihnen unter Umständen auch eine weniger bezahlte Arbeit schmackhaft zu machen und anzunehmen?

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» schraxy » Beiträge: 1085 » Talkpoints: 52,15 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Ich kenne solche Sprüche auch, aber die kommen eher von der arbeitenden Bevölkerung. Das sind ausnahmslos Leute, die deutlich mehr als 10 Euro verdienen. Ich lebe aber ehrlich gesagt auch in einer Gegend, in der die Arbeitslosigkeit sehr gering ist und ich kenne persönlich auch fast keine Arbeitslosen. Wie diese denken, kann ich also nicht sagen.

Auf der einen Seite kann ich solche Aussagen verstehen. Wenn man deutlich unter 10 Euro in der Stunde verdient, wird man im Monat nicht viel mehr bekommen, als wenn man Hartz IV bezieht. Die Leute denken sich vermutlich, dass es sich nicht lohnt, für 200 oder 300 Euro mehr im Monat einen Vollzeitjob nachzugehen.

Auf der anderen Seite ist dieses Denken natürlich sehr kurzsichtig. Schließlich wird man ohne einen Job nur eine sehr geringe Chance haben, sich zu verbessern. Selbst wenn man einen schlecht bezahlten Job nachgeht, hat man neben der unmittelbaren finanziellen Verbesserung auch einen höheren "Marktwert". Die Chance, dass an einen besser bezahlten Job findet, steigt extrem. Mittelfristig und langfristig kann es also nicht schaden, wenn man kurzfristig einen schlechter bezahlten Job annnimmt.

» Weasel_ » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Ich kann es einerseits verstehen, wenn Arbeitnehmer unmotiviert sind, weil ihre geleistete Arbeit nicht angemessen entlohnt wird. Ein Stundenlohn unter 10 Euro ist wirklich nicht gut und auch nach 40 Stunden/Woche Arbeit kommt am Ende des Monats oft leider nicht so viel Geld heraus, als dass man sich ein entspanntes Leben ohne finanzielle Sorgen machen müsste.

Wenn sich Arbeitslose hinstellen und die Hand aufhalten, könnte ich mich aber wahnsinnig darüber aufregen. Ich meine hierbei keinesfalls diejenigen, die unverschuldet ihren Job verloren haben oder aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sind (lange) zu arbeiten. Für solche Menschen sollte der Staat durchaus eine Unterstützung anbieten, dafür leben wir in einem Sozialstaat.

Leider hört man es aber immer wieder, dass Hartz-4-Empfänger, ähnlich wie von dir beschrieben, gar nicht daran denken, arbeiten zu gehen, da sie das gleiche (oder sogar mehr) Geld vom Staat bekommen, ohne dafür einen Finger krumm machen zu müssen. Eine solche Einstellung finde ich absolut ungerechtfertigt, denn mit welchem Recht sollen diese Menschen davon befreit sein, wie normale Arbeitnehmer für ihr Geld eine bestimmte Leistung abzuliefern? Allein die Tatsache, dass die Gesetze in unserem Land eine soziale Mindestsicherung vorsehen, rechtfertigt meiner Meinung nach keinesfalls, dass es sich manche Leute "aussuchen" können, ob sie arbeiten gehen oder das Geld "kostenlos" vom Staat bekommen, ohne früh aufstehen zu müssen.

Neben der Frage, wo eigentlich die Grenzen des Sozialstaats sein sollten, ist dies letztlich in jedem Fall auch eine Frage der Moral. Diese ist bei den Menschen in unserem Land leider mal mehr und mal weniger stark ausgeprägt. :shock:

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» Katara » Beiträge: 1295 » Talkpoints: 5,81 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Klar kann ich so einen Satz verstehen ohne so eine Einstellung jetzt gutzuheißen. Man muss den Stundenlohn ja immer umrechnen um das vernünftig zu vergleichen. Was bringt es denn für 5 Euro die Stunde arbeiten zu gehen, wenn man dann bei einer 40 Stundenwoche nur auf einen Bruttolohn von 800 Euro kommt von dem dann noch Sozialabgaben fällig werden. Da ist man dann am Ende ja ganz schnell wieder auf dem gleichen Niveau, dass man vorher mit ALG-II hatte, nur dass man eben statt gar nicht plötzlich 40 Stunden die Woche dafür arbeiten muss.

Selbst bei 10 Euro Stundenlohn ist das ja oft nicht anders, da kommen halt brutto 1600 Euro bei raus im Monat. Wenn man da die Sozialabgaben abzieht ist man auch schnell bei 1100 bis 1150 Euro, nur dass man davon eben auch noch Miete und Heizkosten abziehen muss. Das können auch mal ganz schnell 400-500 Euro im Monat sein, die man dann eben selber zahlen muss. Zieh ich dann noch den Regelsatz ab dann bleiben eben schnell nur noch 300-400 Euro mehr übrig als vorher ohne Arbeit. Macht dann effektiv einen Stundenlohn von ca. 2 bis maximal 3 Euro pro Stunde Arbeit. Bei geringem Stundenlohn oder nur Teilzeitbeschäftigung sieht man also schnell, dass es sich finanziell kaum lohnt dafür arbeiten zu gehen.

Nichts desto trotz sehe ich auf der anderen Seite natürlich auch, dass eben viele Menschen dennoch ihren Lebensunterhalt verdienen und ihre Abgaben leisten um solche Sozialstandards zu finanzieren und für diese ist es dann ein Schlag ins Gesicht, wenn andere, die den ganzen Tag zu Hause sind nur 100 oder 200 Euro weniger bekommen und angebotene Arbeit ablehnen.

Daran sind aber dann nur bedingt die Arbeitslosen Schuld. Da müsste eben am ganzen System etwas geändert werden. Entweder bessere Übergänge schaffen um mit niedrig bezahlter Vollzeitstelle eben nicht nur marginal besser dazustehen als ohne oder eben auf der anderen Seite sich noch mehr darum kümmern, dass es eben nicht volles Geld für das Rumsitzen zu Hause gibt. Also eben auch dafür sorgen, dass jeder etwas für den Bezug seiner Sozialleistungen tun muss, damit man dann eben nicht von quasi 0 Stunden arbeiten in der Woche auf 30-40 Stunden hochgeht.

» Klehmchen » Beiträge: 5494 » Talkpoints: 1.015,07 » Auszeichnung für 5000 Beiträge



Wenn ich diesen Quatsch lese, merke ich, dass hier jemand mal wieder keine Ahnung hat. Lt. § 10 SGB II ist jedem Hartz-IV-Bezieher jede Arbeit zumutbar, zu der er fähig ist! Anderenfalls, wäre diese lt. § 31 SGB II eine Pflichtverletzung, die lt. § 31a DGB II eine Leistungskürzung von 30 Prozent nach sich zieht. Dabei hat das Bundessozialgericht in zahlreichen Urteilen klar gemacht, dass es noch nicht einmal darauf ankommt, ob man dabei auch weiterhin auf Sozialleistungen angewiesen ist.

Fakt ist jedenfalls, dass 30 Prozent aller Hartz-IV-Bezieher Aufstocker sind und lt. Focus vom 12.08.2010 wurde diese Aufstockerei alleine von 2005 bis 2009 50 Milliarden (!) Euro vom Staat bezuschusst. Da ich die Gesetzeslage kenne, brauche ich niemanden davon zu überzeugen, so einen Job anzunehmen, den ich als Steuerzahler dann auch noch aufstocken darf. Damit erhöht auch niemand seinen Marktwert, sondern unterstützt nur Lohndumping.

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von ten points am 01.05.2014, 12:21, insgesamt 1-mal geändert. Zeige Beitragsversionen

Wenn alle Menschen in diesem Land so denken würden, bräuchten wir nicht mal Gesetze zu einem Mindestlohn. Aber leider gibt es eben noch genug Menschen die sich weit unter Wert verkaufen und damit Firmen unterstützen, die nur geringe Löhne bezahlen. Will man dann dort mehr Lohn haben, gibt es Antworten, dass genug auf den Job scharf sind.

Denken wir dann mal weiter, dann würden wesentlich weniger Menschen ergänzendes Hartz IV beantragen müssen, wenn sie mehr Geld verdienen. Was am Ende doch wieder nur Vorteile für die gesamte Bevölkerung bringt. Denn wenn die Agentur für Arbeit weniger Ausgaben hat, müssen sie auch weniger Arbeitslosenversicherung bekommen, was den Nettolohn für alle Arbeitnehmer erhöhen würde.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Ich bin der Meinung, dass sich arbeiten lohnen muss. Ich bin auch schon für unter 10 Euro arbeiten gegangen, aber ich bin dann immer wieder ins Grübeln gekommen, wie man das macht, wenn man komplett von dieser Arbeit leben muss. Bisher habe ich nur Nebenjobs, mal unter 10 Euro und mal für 10 Euro und mehr. Ich brauche das Geld und bin auch bereit dafür hart zu arbeiten. Dennoch muss ich auch keine Familie ernähren und ich denke schon, dass man da mit einem Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde sehr gut dran wäre. Ich würde mich ehrlich gesagt schon über einen Mindestlohn von 8 € und mehr freuen, weil es Existenzen retten würde und Menschen helfen würde, die sich abrackern für unsere Gesellschaft.

Wenn man ganz ohne Arbeit ist, ist so ein Satz natürlich bescheuert, zumal man ja auch Kürzungen bekommt, wenn man angebotene Arbeit nicht annimmt. Als Arbeitsloser sollte man solche Ansprüche meiner Meinung nach nicht stellen. Hauptsache man schafft es da raus und dann kann man sich immer noch eine bessere Arbeit suchen.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge



Juri1877 hat geschrieben:Wenn ich diesen Quatsch lese, merke ich, dass hier jemand mal wieder keine Ahnung hat. Lt. § 10 SGB II ist jedem Hartz-IV-Bezieher jede Arbeit zumutbar, zu der er fähig ist! Anderenfalls, wäre diese lt. § 31 SGB II eine Pflichtverletzung, die lt. § 31a DGB II eine Leistungskürzung von 30 Prozent nach sich zieht.

Das ist doch bloß graue Theorie und meilenweit von der Praxis entfernt. Wenn man keinen Bock auf Arbeit hat, dann finden sich genug Wege diese nicht machen zu müssen. Entweder man geht zum Arzt und lässt sich krank schreiben oder man stellt sich beim Bewerbungsgespräch blöd an oder macht die Arbeit so schlecht, dass man noch während der Probezeit wieder fliegt. In diesen Fällen gibt es dann kein Recht die Leistung zu kürzen.

Und Punktedieb ich glaube kaum, dass deine Argumentation mit dem Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung greift. Schaut man sich den Beitragssatz der letzten knapp 10 Jahre an, dann hat er sich seitdem ja schrittweise mehr als halbiert, trotz der Ausgaben die füpr ALGII, sowie das Aufstocken anfallen. Also schon von der Seite aus, scheinen die Ausgaben mit dem Beitragssatz nur wenig zu tun zu haben. Auf der anderen Seite reden wir hier auch über einen Satz, der derzeit bei 3 Prozent liegt und dann noch zur Hälfte vom Arbeitgeber getragen wird. Also kommt eh schon jede Senkung nur zur Hälfte bei dir an und zum anderen gibt es da nur wenig Spielraum nach unten um den Beitrag zu senken.

Mal ganz davon abgesehen, das Lohndumping ja nicht nur zu niedrigeren Einkommen, sondern auf der anderen Seite auch zu niedrigeren Ausgaben führt. Wenn also alle Geringverdiener mehr verdienen, muss dieses Geld ja auch irgendwo herkommen und wird letztendlich von den Verbraucher eingesammelt. Es kann also genauso gut sein, dass man den 1 Prozent den man dann beim Beitrag spart über die steigenden Lebenshaltungskosten gleich wieder ausgeben muss.

» Klehmchen » Beiträge: 5494 » Talkpoints: 1.015,07 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


Das Problem ist doch eher, dass man meist nur die einzelne Person sieht, die auf der einen Seite mehr verdient, aber dann auch mehr Geld ausgeben muss. Sieht man es als Kette vom Erzeuger bis hin zum Verbraucher, dann sieht das schon wieder ganz anders aus. Zahlt also ein Erzeuger seinen Angestellten mehr Lohn, müssen zwangsläufig auch die Erzeugnisse mit höheren Gewinn verkauft werden. Ist eine logische Folge.

Nur wenn alle Erzeuger und ihre Arbeitnehmer mehr Geld verdienen, dann sieht sie auch bereit mehr Geld in den Wirtschaftsfluss zu investieren. Der Bedarf bei vielen Dingen wird steigen, was wieder neue Einstellungen notwendig macht. Auch diese Menschen haben dann mehr Geld zur Verfügung, was wieder in den Wirtschaftskreislauf fließt. Am Ende würden alle profitieren. Und die Aufstocker würden eben auch weniger werden, wenn sie entsprechende Löhne bekommen würden.

Dass die Arbeitslosenversicherung in den letzten Jahren gesunken ist, hat aber andere Gründe beziehungsweise hat man damit andere Ziele verfolgt. Immerhin klappt es auch in anderen europäischen Ländern, dass die Arbeitgeber mehr Leute einstellen, wenn die Lohnnebenkosten sinken. Zudem hat die Agentur für Arbeit in den letzten Jahren auch andere Ausgaben gestrichen, wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die eher auf ein Euro-Jobbasis laufen.

Dazu wurden viele Lehrgänge und Umschulungen weniger bewilligt, was im Schnitt allein schon ca. 10.000 Euro allein an Schulungskosten pro Teilnehmer spart. Den erhöhten Satz, weil man dann kein Arbeitslosengeld sondern Unterhaltsgeld erhält und Fahrtkosten sind da gar nicht mit eingerechnet. Aber in den letzten fünf bis sieben Jahren wurde da enorm gekürzt, was eben die gesamten Ausgaben reduziert hat.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Klehmchen hat geschrieben:Das ist doch bloß graue Theorie und meilenweit von der Praxis entfernt. Wenn man keinen Bock auf Arbeit hat, dann finden sich genug Wege diese nicht machen zu müssen. Entweder man geht zum Arzt und lässt sich krank schreiben oder man stellt sich beim Bewerbungsgespräch blöd an oder macht die Arbeit so schlecht, dass man noch während der Probezeit wieder fliegt. In diesen Fällen gibt es dann kein Recht die Leistung zu kürzen.

Was sollen diese Witze? Noch nie etwas von Sanktionen gehört? Bei einer fristlosen Kündigung von Seiten des Arbeitgeber ist man 3 Monate beim ALG I gesperrt und ALG II bekommt man mindestens die 30 Prozent, wenn die sich nicht gar weigern und einem nichts ausbezahlen. Aber wenn man nur die schnöde Theorie und seine Vorurteile kennt, nimmt man solche Dinge nicht wahr. Selbstverständlich gibt es die Möglichkeit der Leistungskürzung, wenn man sich nicht genug anstrengt. Über eine Million Sanktionen pro Jahr zeigen doch genau diese Tatsache.

Wer hat den keinen Bock auf Arbeit? Wie in meinem vorherigen Beitrag ausgeführt, sind 30 Prozent aller Hartz-IV-Bezieher Aufstocker. Schätzungsweise 50 Prozent sind chronisch krank. 40 Prozent aller Alleinerziehenden beziehen Hartz IV. Viele haben pflegebedürftige Angehörige. Mit Hartz IV erwirbt man übrigens keinen Rentenanspruch! Deshalb gehen viele auch als Aufstocker arbeiten und versuchen wenigstens so noch Rentenansprüche zu erwerben bzw. zu erhalten. Dann bekommen sie auch eher Rehabilitationsmaßnahmen von der Rentenversicherung bewilligt.

Zum Thema Arbeitslosenversicherung von Punktedieb: Die Arbeitslosenversicherung ist auch nur für ALG I zuständig! ALG II, dass besser als Hartz IV bekannt ist, ist aus Steuern finanziert und hat nichts mit der Arbeitslosenversicherung zu tun! Das erkennt man auch daran, dass für ALG II der SGB II zuständig ist, während das ALG I durch das SGB III geregelt wird.

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von Mod am 01.05.2014, 17:34, insgesamt 1-mal geändert. Zeige Beitragsversionen

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