Neuer Lehrplan in Israel den Kindern angemessen?

In Israel soll jetzt zum kommenden neuen Schuljahr ein neuer Lehrplan eingeführt werden, der schon die Aufklärung von dreijährigen Kindern über den Holocaust vorsieht. Angeblich soll auf diese Weise vermieden werden, dass die Kinder an den Gedenktagen der Judenverfolgung traumatisiert werden, wenn sie vorher noch nie vom Holocaust gehört haben.

Natürlich ist dieses Vorhaben höchst umstritten. Es stellt sich natürlich die Frage, ob die Kinder in diesem Alter schon soweit sind, dass sie das überhaupt begreifen können, was damals passiert ist. Haltet ihr den neuen Lehrplan in Israel für angemessen und gerechtfertigt oder findet ihr es ist noch zu früh für die Kinder?

In welchem Alter sollten Kinder eurer Meinung nach über den Holocaust aufgeklärt werden? Gibt es für euch einen Unterschied bei den Kindern je nachdem welcher Nation sie angehören? Sollten jüdische Kinder beispielsweise früher über den Holocaust aufgeklärt werden als deutsche Kinder?

Eine sehr spannende Frage. So etwas ähnliches hatte ich an der Uni auch schon mal als Thema im Bezug auf den Sachunterricht an Grundschulen. Fakt ist, dass zumindest in Deutschland die traditionelle Aufklärung über den Holocaust viel zu spät einsetzt. Da der richtige Fachunterricht in Geschichte etwa in der 5. Klasse anfängt, und man traditionell mit der Frühgeschichte anfängt, sind die Kinder oft schon etwa in der 9. Klasse. Damit sind sie in einem Alter, wo man wesentlich weniger moralischen Einfluss nehmen kann, als beispielsweise in der Grundschule. Zudem waren eben dann oft auch schon politische Gruppierungen schneller, die sich die Kinder schon gegriffen haben und möglicherweise negativ vorgeprägt haben.

Von daher sollte eine Aufklärung spätestens in der Grundschule erfolgen. Allerdings alles in kindgerechter Form, zum Beispiel anhand geeigneter Lehrmaterialien und nicht gleich unbedingt über die Konfrontation mit Originalfotos. Material gibt es mittlerweile so einiges.

In Israel kommt ein Kind vermutlich kaum darum herum, mit der Thematik in Kontakt zu kommen. Es dürfte auch kaum eine Familie geben, die nicht in irgend einer verwandtschaftlichen Beziehung zu einem Opfer steht. Von daher kommen die Kinder früher oder später schon in Kontakt mit der Thematik. Ich habe auch in Israel noch nicht an Gedenktagen teil genommen. Daher kann ich nicht sagen, in wie weit so eine Gedenktagsbegehung eventuell traumatisierend wirken könnte.

Ich kann mir allerdings vorstellen, dass es für die Kinder gut ist, wenn geschulte Pädagogen die Kinder so schonend wie möglich an die Thematik heran führen. Das Thematisieren des Todes ist für Eltern ohnehin eine besondere Herausforderung. Wenn es dann noch das Sterben in so einem Zusammenhang, also Völkermord ist, ist es für Eltern sicher besonders schwierig, da die richtigen Worte zu finden.

Mit drei Jahren bekommen auch hier schon viele Kinder Märchen erzählt, die im Grunde recht grausam sind. Hänsel und Gretel zum Beispiel. Da sollen ja auch die Kinder im Wald verhungern. Trotzdem schaffen es Kinder in dem Alter, die Thematik für sich zu verarbeiten. Wenn man beispielsweise anhand einer kindgerechten Erzählung auf Tatsachenbasis die Thematik Holocaust einführt und nicht allzu sehr ins Detail geht, kann man das sicherlich auch dosiert schon Kindern mit drei Jahren vermitteln. Möglich ist das schon.

Ich gehe mal davon aus, dass das ganze auch wissenschaftlich begleitet werden wird, wenn zu diesem Zweck extra ein Lehrplan entworfen wird. Von daher kann ich mir schon vorstellen, dass das ganze Projekt Hand und Fuß hat und den Kindern nützt.

Man darf nicht vergessen, dass der Holocaust gerade für Israel eine besondere Bedeutung hat und eben dieser Völkermord die Staatsgründung Israels beschleunigt hat. Schließlich konnte auch nach dem Ende des zweiten Weltkriegs zum einen Niemand (als Staat) für die Sicherheit der Juden garantieren (Stalin hat das z.B. für die Sowjetunion im Grunde verhindert). Zum anderen gab es praktisch keine andere dritte Kraft, welche an einer Aufarbeitung der Geschehnisse interessiert gewesen wäre (als Staat!). Deutschland war ja recht bald wieder - auf Grund der Frontstaatstellung im kalten Krieg - von Seiten des Westens rehabilitiert. Und im Osten Deutschlands wurde die Sicht der Sowjetunion übernommen, in der der Holocaust eben auch nicht die Rollte eingenommen hat, die er verdient hätte.

Das Selbstverständnis des Staates Israel hängt an den Geschehnissen - und wenn man die erfolgreichen (!) Relativierungsbemühungen in den Staaten sieht, in denen sich der Holocaust abgespielt hat, dann wird klar, dass die Erinnerung daran wenigstens in Israel am Leben gehalten werden muss. Und da ist es ganz gut, gerne auch im Kindergarten damit anzufangen. Schließlich mutet man hier den Kindern ja auch schon biblische Geschichten zu. Wenn die Kinder eben Altersgerecht an das Thema geführt werden, ist dem Vorhaben ja nicht zu widersprechen.

Andere Länder, andere Sitten. Ich persönlich hätte ja eher Bedenken, dass die Kinder das Thema Holocaust gar nicht begreifen können im Alter von 3 Jahren und dass das für die eben viel zu früh ist. Aber vermutlich wird die Thematik so verpackt werden, dass es eben kindgerecht ist und die Kinder das auch verstehen würden.

Ich halte es für verfrüht, aber ich will den Menschen in Israel nicht vorschreiben, wie sie ihre Kinder zu erziehen haben. Da braucht man doch nur in die Nachbarländer zu sehen, wo der böse Jude fast jeden Tag im Kinderprogramm zu sehen ist. Es würde etwas falsch herüberkommen, wenn man sich nun mehr über die tolerante Kindererziehung in Israel mehr aufregt als über die rassistische Erziehung in den arabischen Nachbarstaaten.