Ein letzter Besuch vor dem Tod bei einem stolzen Menschen?

Ich bin in einer ziemlich miesen Lage. Mein Partner arbeitet momentan in unseren alten Heimat und hat mich vor seiner Schicht angerufen, dass sein krebskranker Onkel im Krankenhaus im Sterben liegt. Offiziell hat der Onkel immer gesagt, dass es nicht so schlimm ist und der Krebs langsam zurückgehen würde, meinem Partner und irgendwo auch seinen Eltern war aber klar, dass das nicht der Fall sein kann. Nun wurde ihm scheinbar gesagt, dass er nur noch ein paar Tage hat.

Als ob das nicht alles schon schlimm genug wäre, bin ich nun am überlegen, was ich meinen Partner raten soll. Er hat mich vorhin unter Tränen gefragt, ob er am Sonntag noch mal zu ihm sollte. Vor Sonntag kann er nicht, weil er nicht hinkommen würde, weil er dort erst am Wochenende ein Auto hat und am Samstag noch ganztägig arbeiten muss. Nun ist es auch so, dass der Vater von meinem Freund erst am Freitag nach Hause kommt und mit der ganzen Situation eh schon nicht umgehen kann, weil er seinen Bruder einfach sehr liebt. Er konnte schon nicht richtig damit umgehen, dass ein Bruder überhaupt krank ist und hat es denke ich nicht richtig akzeptiert, dass er sterben wird.

Es geht nun darum, ob die Mutter meines Freundes, der Vater und mein Freund hingehen sollen am Sonntag oder eben nicht. Immerhin ist der Onkel ein eigentlich sehr stolzer Mann und die Eltern können damit nicht gut umgehen, die Mutter wohl eher als der Vater, aber sie würden beide sicherlich zusammenbrechen und vor ihm weinen. Mein Freund würde sich sicherlich vor ihm zusammenreißen können, aber die Eltern werden das mit Sicherheit nicht schaffen. Was würdet ihr ihm raten? Im ersten Moment habe ich natürlich gesagt, dass er schon hingehen muss, aber er war sich sehr unsicher, eben auch weil der Onkel so stolz ist, nachher fragt er mich sicher noch mal. Was würdet ihr tun?

Wieso stellt er sich nicht einfach die Frage, warum er seinen kranken Onkel nicht unabhängig von der Gesamtsituation besucht? Und was hätte dies mit dessen Stolz zu tun? Der Onkel ist krank und liegt im Krankenhaus. Egal ob er nun im Laufe der Woche stirbt oder aber bald als geheilt entlassen wird: ein Besuch - noch dazu wenn das Verhältnis so gut ist - ist doch selbstverständlich.

Dann kann man auch immer die Frage stellen, was von einer "Verweigerung" erwartet wird. Was sollte sein, wenn sie nicht hingehen und damit eine "letzte Chance" verpasst haben? Werden sie sich den Rest des Lebens darüber ärgern, dass sie keinen Abschied genommen haben (sie hätten ja können!)? Wenn diese Gefahr besteht, dann müssen sie praktisch "am Sonntag" hingehen und die Besuchszeit nutzen.

Der Onkel ist nun mal ein stolzer Mensch und hat seine Erkrankung beschönigt, offiziell wissen die Angehörigen nicht, dass er nun sterben muss, aber seine Freundin hat es nun eben weitergegeben. Er selber möchte wohl eher nicht, dass man ihn so schwach sieht, weil er bis jetzt gekämpft hat und eben stolz ist. Ich könnte mir vorstellen, dass es ihm mit dem Besuch und dem Wissen darum, dass es nun aufgeflogen ist zum Schluss nicht gut geht.

Meinem Partner habe ich trotzdem dazu geraten mit allen hinzugehen und das werden sie auch am Sonntag machen. Man würde sich das Ganze sonst nur vorwerfen und letztendlich ist die Lüge doch egal und man muss ihn nun in den letzten paar Tagen einfach beistehen. Ich würde selber auch gerne mitgehen, kann es aber leider nicht, weil ich mir nicht einfach frei nehmen kann.

Ich würde auch in jedem Fall hingehen. Stolz hin oder her. Der Onkel wird sich letztlich darüber ärgern, dass er zu stolz war, um sich von seinen Lieben zu verabschieden und nun alleine sterben muss. Dass ist eines der typischen Dinge, die man vorher vielleicht behauptet - dass niemand einen so sehen soll - und sie dann im besagten Moment bereut. Denn nichts ist schlimmer, als alleine zu sterben. Und es ist doch vollkommen unwichtig, dass man so gesehen wird. Das hat dann einfach keine Bedeutung mehr.

Ich hätte auf jeden Fall mehr Angst davor, dass man die Chance auf einen Abschied nicht genutzt hat und nicht für ihn da war. Man kann wirklich froh sein, wenn man diese Chance erhält und für den Sterbenden ist es auch besser. Die Alternative sind die Bedenken, dass man ihn in einem Stolz verletzt hat, der sowieso nicht angebracht war. Es ist doch nicht schlimm, angesichts einer solchen Situation ein wenig Schwäche zu zeigen. Gerade vor der Familie sollte das möglich sein.

Du schreibst dauernd von Stolz. Kann es nicht sein, dass der Onkel nur so abweisend ist, weil er von niemanden bedauert werden möchte? Deshalb hat er auch nicht die Wahrheit gesagt. Es ist genau das, was er nicht wollte, was ihr nun vorhabt. So sollen am Sonntag drei Besucher auf einmal hingehen: Bruder, Schwägerin und Neffe. Ich weiß nicht, wer sonst noch da ist, aber bestimmt die Freundin, die sein Geheimnis ausgeplaudert hat.

Das wird wohl zu viel auf einmal für einen Todkranken sein. Können denn die Eltern deines Freundes nicht schon Samstag ins Krankenhaus gehen oder wenigstens der Bruder alleine? Ein massenhafter Besuch im Krankenhaus ist für den Kranken mit Aufregung und Problemen verbunden. Die Mutter deines Freundes hat doch Zeit und kann vorab schon mal einen Besuch machen. Lass mal den sogenannten Stolz beiseite und betrachte ihn als einen kranken Menschen.