Braucht die Gesellschaft nicht-religiöse Seelsorgeangebote?

vom 31.03.2014, 00:03 Uhr

"Seelsorge" an sich ist schon ein religiös geprägter Begriff. Man geht vom Vorhandensein einer Seele aus, davon, dass man sie schützen und auch rein halten sollte. Vor einigen Jahrhunderten bedeuteten die Seelsorge-Angebote, die es damals gab, und die alle rein christlich waren, nicht einfach, seinen Kummer einem Berater anzuvertrauen, sondern man wurde von dem Seelsorge auch dazu ermahnt, sich an die christlichen Regeln zu halten und sich von "sündigen" Dingen fernzuhalten.

Heute allerdings denkt man bei dem Begriff "Seelsorge" ja nicht unbedingt an Sünde und Seelenheil, sondern daran, dass ein Mensch in einer Notsituation jemanden zum Reden und emotionalen Beistand benötigt. In eine Krise kann jeder Mensch gelangen, davor ist wirklich niemand geschützt. Es kann immer passieren, dass man selber oder eine einem nahe stehende Person einen schweren Unfall oder eine lebensgefährliche Krankheit erleidet. Es kann sein, dass man seinen eigenen Partner oder sein Kind verliert. Möglicherweise wird man auch unerwartet arbeitslos oder verliert sogar seine Wohnung. Es gibt vielerlei Dinge, die einen emotional sehr belasten können.

Und manchmal ist dann eben auch niemand da, dem man sich anvertrauen möchte. Der Grund kann sein, dass ein Mensch allgemein eher zurückgezogen und alleine lebt. Möglicherweise aber besteht auch die Scham, mit Angehörigen und Freunden über ein bestimmtes negatives Thema zu sprechen. Bei schweren Erkrankungen gibt es auch Personen, die lieber erst einmal mit einer fremden Person darüber sprechen möchten, bevor sie sich ihrer Familie letztendlich anvertrauen. Daher gibt es viele Situationen, in denen eine Art Seelsorge-Beratung praktisch sein und Menschen helfen könnte.

In Deutschland ist die bekannteste derartige Einrichtung die Telefonseelsorge. Diese ist eindeutig christlich orientiert. Zwar kann man dort auch als Nicht-Christ anrufen, allerdings soll man wohl doch häufiger christliche Kommentare in der Beratung zu hören bekommen. Das könnte einigen Leuten schon aufstoßen, und ehrlich gesagt, wenn ich annähme, als Atheist von einem Berater zu hören bekäme, ich solle in Gott vertrauen, der würde schon alles wieder richten, dann würde ich mir vielleicht auch etwas veräppelt vorkommen. Aber genau solche Kommentare scheinen die Telefonseelsorge-Berater wohl oftmals zu machen, habe ich von einigen Freunden und Bekannten gehört.

Abgesehen davon gibt es auch noch einige andere Beratungsstellen, allerdings sind viele von diesen auch christlichen Einrichtungen entsprungen. Allgemein sind viele Hilfsangebote, da denke ich beispielsweise an die Caritas und die Diakonie, christlich. So ist die Diakonie eine Einrichtung der evangelischen Kirche, während die Caritas zur katholischen Kirche gehört. Und ja, natürlich haben die Beratungen dort daher auch immer den jeweiligen christlichen Glauben als Basis.

In Städten mit einem großen Anteil an muslimischer Bevölkerung gibt es mittlerweile auch noch muslimische Beratungsstellen, wie beispielsweise das "Muslimische Seelsorge-Telefon" in Berlin, auch bekannt unter der Abkürzung "MuTeS". Dort ist die Basis der Beratung natürlich auch durch den entsprechenden Glauben geprägt.

Was mir nun aber bei dieser ganzen Angelegenheit auffällt: Wo bleiben eigentlich die völlig unreligiösen Hilfsdienste? Wieso gibt es immer irgendeinen religiösen Hintergrund bei den allgemeinen Seelsorgestellen, und offenbar keine einzige bekannte, bei denen Religion gar keine Rolle spielt? Dabei halte ich Religion nicht für zwingend notwendig, um sozial und hilfsbereit zu sein. Es müsste außerdem meines Erachtens nicht einmal eine strikt atheistische Seelsorge geben. Eine, bei der das Thema Religion einfach völlig egal ist, und die auf unreligiöser Basis sowohl Atheisten als auch Menschen aller möglichen Religionen helfen kann, wäre schon völlig ausreichend.

Gibt es so etwas wirklich nicht? Wenn ja, wieso nicht? Gibt es wenigstens Initiativen, so etwas mal endlich auf die Beine zu stellen? Oder gibt es solche Beratungsstellen schon, aber man bekommt davon einfach eher wenig mit? Wenn ja, wie heißen diese Stellen und wo befinden sie sich? Haben sie vielleicht auch eine Website, damit man sich dort mal genauer informieren kann?

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Dass die Telefonseelsorge so religiös ist, finde ich auch sehr enttäuschend. Mir würden solche Sprüche auch gar nicht helfen. Womöglich eher im Gegenteil. Vielleicht bringt es ja etwas, wenn man am Anfang des Gespräch sagt, dass man nicht religiös ist. Dann beschränken sie sich vielleicht auf echte Hilfe.

Aber es gibt eine Vielzahl an anderen Anlaufstellen. Das Problem ist sicher, dass sie nicht so bekannt sind. Aber wenn man sich im Internet danach umsieht, findet man wirklich viele. Meistens sind sie allerdings auf irgendeine Weise beschränkt. In der Schule wurde uns damals beispielsweise von der "Nummer gegen Kummer" erzählt. Diese ist aber nur für Kinder und Jugendliche und für Eltern, die mit ihren Kindern Kummer haben. Ich wusste auch mal von einer Hotline speziell für vergewaltigte Frauen. Gerade für Frauen, die Gewalt erfahren haben, gibt es wirklich viele Anlaufstellen. Ebenso gibt es viele, die akut bei Selbstmordgedanken helfen.

Man muss also eine Hotline finden, die dem jeweiligen Problem angepasst ist. Ich stelle mir das recht schwierig vor, wenn man gerade am Boden ist. Ohne Internet wird es richtig schwierig. Eine Anlaufstelle, die heraussticht, wäre also wirklich sinnvoll. Diese könnte ja dann auch weitervermitteln an all die anderen.

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


Das Problem von säkularen Beratungsstellen ist wahrscheinlich die Finanzierung. Staatliche Finanzierung bedeutet immer eine Abhängigkeit von den Menschen, die aktuell an der Macht sind, und die werden mit schöner Regelmäßigkeit ausgetauscht. Die Kirchen haben wesentlich weniger Fluktuation bei in der Führungsriege. Wenn man einmal an der Macht ist dann bleibt man das in der Regel auch, wenn man sich nicht gerade goldene Badewannen in seine Wohnung einbauen lässt oder aus Altersgründen freiwillig zurück tritt.

Und die Interessen der Kirchen ändern sich natürlich auch nicht so oft wie die Interessen der Politik. Die kirchlichen Beratungsstellen sind ein Mittel um die Religion zu verbreiten, für die Menschen in Krisensituationen empfänglicher sind. Staatliche Beratungsstellen sind hingegen oft eine Reaktion auf irgendein aktuelles Problem, das von den Medien aufgebauscht wurde, und wenn das Geld dann für etwas anderes gebraucht wird, das gerade die Schlagzeilen beherrscht, läuft die Finanzierung halt irgendwann aus.

Ich sehe das Problem deshalb nicht so sehr im nicht vorhanden sein sondern in der mangelnden Kontinuität und dem daraus resultierenden Mangel an Bekanntheit. Eine Einrichtung wie die Telefonseelsorge gibt es halt schon seit ganz vielen Jahren, ohne Unterbrechung, deshalb ist das einfach ein Begriff, den man kennt, und damit eine Stelle, an die sich jemand in Not wahrscheinlich als erstes wenden würde, weil ihm einfach erst mal nicht einfällt, dass der Weiße Ring zum Beispiel auch eine Hotline für Opfer von Straftaten hat.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge



Das ist allgemein ein schwieriges Thema. Ich denke auch, dass die Telefonseelsorge die bekannteste Organisation für akute Hilfestellung in Krisensituationen darstellt. Die Nummer gegen Kummer für Kinder und Jugendliche wurde ja auch schon angesprochen. Dazu kommen teilweise auch lokale Telefonservices und auch Chatangebote, für die man sich allerdings einen Termin reservieren muss.

Dass die Telefonseelsorge dermaßen religiös ausgerichtet ist erstaunt mich und schreckt mich tatsächlich ein wenig ab. Denn von einer solchen Stelle erwarte ich mir konkrete Hilfe oder zumindest jemanden, der neutral mit mir diskutieren kann. In der Kur war ich einmal aus Interesse bei einer Psychologin, da ich mir dort Hilfestellungen zum Umgang mit den Einschränkungen durch meine Wirbelsäulenverletzung erhofft habe. Die hat aber dann beinahe die gesamte Therapiezeit mit Geschichten aus ihrem Leben und dem Erzählen einer ausführlichen Anekdote vergeudet. Das hat mich dann ziemlich abgeschreckt und blieb mir auch eine Weile negativ im Gedächtnis.

Deshalb würde ich nun wohl bei einer Krise definitiv nicht bei der Telefonseelsorge anrufen. Überhaupt wende ich mich in einer Notsituation lieber an einen ausgebildeten Psychologen. Auch dort muss man erst mit der Person warm werden, kann sich aber zumindest darauf verlassen, dass die Person ein anerkanntes Therapiekonzept verfolgt. Denn nur so kann einem geholfen werden. Mir ist klar, dass man dort kurzfristig nur schwer einen Termin bekommen kann, und genau da ist der Ansatzpunkt für die Telefonseelsorge. Doch wer wirklich einen akuten psychischen Notfall hat, kann sich auch an die psychologische Ambulanz in der Umgebung wenden.

Gerade bei emotionalen Beschwerden ist Einfühlsamkeit und vor allem ein gutes Gespür für die Einstellungen des Gegenübers vonnöten. Wer das nicht mitbringt, sorgt schnell dafür, dass sich die betroffene Person verschließt und die Hilfe nicht mehr annimmt. Im schlimmsten Fall geht es ihr dann hinterher schlechter als vorher, da sie sich nun auch noch missverstanden fühlt.

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» Askyneedsclouds » Beiträge: 221 » Talkpoints: 58,10 » Auszeichnung für 100 Beiträge



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