Stellen sich die Schüler von heute zu sehr an?

vom 18.03.2014, 12:48 Uhr

Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Jugendlichen von heute einfach zu verwöhnt sind und sich zu sehr anstellen. So auch die Aufforderung zu einem Streik, wie in diesem Thread beschrieben: Unschulbar - Schüleraktion gegen Lerndruck. Ich habe nichts dagegen, dass man an den Schulen auch was ändert und den Unterricht irgendwo vielleicht auch moderner gestaltet, aber teilweise kommen mir die Forderungen dann doch zu bequem vor. Ganz schlimm fand ich vor einigen Jahren damals auch die Proteste, die aufkamen, als man Abitur so umgestellt hat, dass man es nach 12 Jahren machen sollte. Das war ein Schuljahr verteilt auf 8 Jahre und es wurde geheult wie wahnsinnig. Das finde ich absolut albern, besonders wenn man bedenkt, dass genug Länder das schon jahrelang praktizieren und damit auch nicht überfordert sind.

Daneben finde ich den Leistungsdruck an den Schulen auch nicht wirklich atemberaubend. Manchmal habe ich das Gefühl, dass solche Proteste hauptsächlich einfach von Menschen kommen, die offensichtlich an der falschen Schule sind. Wenn man eher leistungsschwach ist, dann sollte man eben von dem Gymnasium auf eine andere Schule wechseln und die Leute in Ruhe lassen, die damit zurecht kommen. Ich selbst habe das Gymnasium und das Zentralabitur im Nachhinein als reinsten Witz empfunden, gerade jetzt wo ich zwei Jahre studiere, kommt mir die Uni vor, wie das wahre Leben und die Schule eben eher wie der Kindergarten.

Das dann Forderungen gestellt werden, wie dass man die Noten abschaffen will, kann ich eben nicht verstehen. Irgendwie muss man die guten Schüler ja von den schlechten unterscheiden und wie soll das ohne Noten aussehen. Irgendeinen Ersatz muss es dafür ja geben, andernfalls haben auch die Universitäten und die Arbeitgeber später Probleme, jemanden auszusuchen. Und gerade Schulnoten zeigen meiner Meinung nach teilweise eben auch auf, dass die Schüler mit unterschiedlichen Situationen zurecht kommen können und Probleme bewältigen, sich von schlechten Lehrern nicht abhalten lassen und so weiter.

Einige Dinge sollten sich an den Schulen vielleicht durchaus ändern, aber ich finde, dass man es sich nicht so einfach machen sollte, wie die Schüler heute und einfach gegen alles protestiert, was einem nicht passt. Meine Eltern kommen beide aus Polen und sind andere Dinge gewöhnt, ich und mein Bruder konnten beispielsweise schon vor der Grundschule lesen und schreiben, weil es in Polen damals so üblich war, dass die Eltern es den Kindern vor der Schule beigebracht haben, meine Eltern haben damals auch keine 50 Seiten Lektüren in der Unterstufe bekommen, sondern mussten ellenlange Romane lesen und das in kurzer Zeit. Der naturwissenschaftliche Schwerpunkt war damals an den Schulen vernachlässigt, dennoch hatten meine Eltern damals einen größeren Druck an den Schulen, als die Schüler heutzutage und da kommt es mir lächerlich vor, dass noch weiter zu vereinfachen, wohin soll das führen? Wie seht ihr das?

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Naja, deine Vergleiche und vor allem die "Entlarvung" der Forderungen von dir halte ich für "zu schlicht" und zeugen davon, den Kern des Problems nicht wirklich verstanden zu haben. So ist es doch absolut falsch die Einführung des G8 damit zu rechtfertigen, das andere Bundesländer schon lange das Abitur nach 8 Jahren anbieten. Ich mag die "Leistungsdiskussion" zwar nicht. Und Vergleiche nach dem Motto dies ist Besser als das lehne ich auch ab. Aber wenn manche Bundesländer schon lange das "G8" haben, liegt es nahe, dass deren Lehrpläne entsprechend angepasst wurden und eben real weniger Stoff zu Grunde gelegt wird! In anderen Bundesländern hat man versucht (und ist immer noch dabei), einfach ein Jahr eben auf die anderen Jahre zu verteilen. Also ein Jahr einzusparen, ohne den Lehrplan anzupassen. Das wäre in jedem anderen Zusammenhang von Beginn an als Unsinn identifiziert worden. Man stelle sich mal vor, BMW würde plötzlich von der Fertigung verlangen, 10% der Arbeitszeit für den Bau eines Fahrzeugs einzusparen ohne aber an der Produktion irgendwas zu verändern.

Und wenn jemand der Studiert tatsächlich so phantasielos ist, sich ein Leben ohne Noten nicht vorstellen zu können, dann ist das wohl eher ein Zeichen, nicht wirklich zu den Innovationskräften zu gehören. Wer praktisch immer nur in engen Grenzen denkt, legt sich selbst Barrieren auf. So entstehen die (wert)konservativen Weltbilder, welche Veränderungen nur akzeptieren, wenn sie die eigene Position direkt verbessern und andere auf Abstand halten. Das ist schade. Aber der Gedanke, dass Unis überhaupt Zulassungsbeschränkungen brauchen, ist offenbar zu sehr in Stein gemeißelt. Und wenn jetzt gesagt wird, dass die Unis schon jetzt die Zahl der Studentinnen nicht bewältigen können, verstehe ich nicht, wieso nicht andere Lösungen überdacht werden (statt schlicht zu beschränken).

Ich selbst finde, dass in Deutschland zu wenig Veränderungs- und Protestwille da ist und jeder sich selbst der Nächste ist. Man protestiert nicht, weil man Angst davor hat, dass die anderen die Zeit nutzen, um sich verwertbarer zu machen und damit "Wettbewerbsvorteile" erlangen. Ist nicht diese Entwicklung zu kritisieren?

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


Ich finde zwar auch, dass 12 Jahre Schule reichen, aber man hätte das - ich rede jetzt nur von Bayern - besser vorbereiten müssen. Es ist ein einziges Kuddelmuddel. Der Mathelehrplan passt zum Beispiel nicht mehr mit dem Physiklehrplan zusammen. Dass die Kinder verwöhnter sind und mehr jammern als früher, ist ja nicht per se schlecht. Ich finde es gut, dass die heutige Generation sich gegen gewisse Dinge wehrt, die man früher so hingenommen hat. Wobei ich mich aber auch an Demonstrationen in meiner eigenen Schulzeit (Sechziger/Anfang Siebziger) erinnern kann.

Natürlich gibt es Kinder, die auf eine andere Schule gehören. Man muss den Eltern besser klar machen, dass unser Bildungssystem sehr durchlässig ist und man auch von der Hauptschule aus alle Chancen hat. Der meiste Druck kommt gar nicht mal von den Schulen, sondern von den Eltern.

Was mich am meisten ärgert, ist die Tatsache, dass unsere Kinder als Versuchskaninchen missbraucht und an ihnen immer wieder neue Dinge ausprobiert werden. Meine Kinder haben zum Beispiel drei verschiedene Schriften gelernt und zwei verschiedene Arten von Kollegstufen durchlaufen, die beide höchst undurchschaubar waren. Ich habe das System zumindest nicht mehr durchblickt. Selbst die Grundschullehrerin hat gejammert, dass sie jetzt wieder eine neue Schrift lernen muss.

Die Kinder haben keine Sicherheit mehr und das ist schlecht. Der Lerndruck ist größer als früher, nicht nur, weil die Eltern (nicht unbedingt die Schule) höhere Erwartungen haben, sondern auch, weil die Unterrichtsmaterialien komplexer werden. Wo es früher nur ein Heft und ein Buch gab, gibt es heutzutage dicke Ordner mit Arbeitsblättern und zig Internetseiten. Die Kinder haben nie das Gefühl, fertig zu sein. Man könnte immer noch mehr tun. Das verursacht Stress.

Ich bin nicht der Meinung, dass Eltern den Kindern vor der Schule schon Lesen und Schreiben beibringen sollten oder müssen. Das ist Sache der Schule. Die Gefahr ist, dass man dadurch ein anderes System lernt und sich in der Schule wieder mühsam umorientieren muss. Außerdem haben viele Kinder im Kleinkindalter entwicklungsbedingt noch gar nicht die feinmotorischen Fähigkeiten dazu. Man sollte sich auch mal selbstkritisch hinterfragen, was Verklärung der Vergangenheit ist und was wirklich Realität. Als Kleinkind ellenlange Romane lesen zu können, deutet auf eine Hochbegabung hin. Diese sollte man aber nicht zur Messlatte erheben. Auch mit einem IQ ab ca. 115 sollte man das Gymnasium schaffen können.

» anlupa » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



anlupa hat geschrieben:dass unser Bildungssystem sehr durchlässig ist und man auch von der Hauptschule aus alle Chancen hat.

Das ist aber dann wirklich nur die Ansicht des bayrischen Kultusministeriums. Vermutlich gibt es auch klare Zahlen die für diese These sprechen und bestimmt schaffen locker 50% der Hauptschulabgänger später den Sprung an die Uni!

Ernsthaft: das Schulsystem ist fast mit einem Kastensystem zu vergleichen. Durchlässigkeit wird propagiert aber genau das Gegenteil politisch gewollt und danach handeln auch die Protagonisten. Es war schon ein Quantensprung, dass Meister an Unis gehen dürfen. Ansonsten spiegelt aber das Schulsystem die gesellschaftlichen Klassen wieder. Oder, wie hoch ist der Anteil an Hauptschülern, deren Eltern Akademiker sind? Und wie viele Kinder aus Akademikerhaushalten besuchen das Gymnasium? Und das hat nichts mit "Begabung" zu tun und spiegelt auch nicht wieder, wo die "Elite" gebildet werden muss.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



derpunkt hat geschrieben: In anderen Bundesländern hat man versucht (und ist immer noch dabei), einfach ein Jahr eben auf die anderen Jahre zu verteilen. Also ein Jahr einzusparen, ohne den Lehrplan anzupassen. Das wäre in jedem anderen Zusammenhang von Beginn an als Unsinn identifiziert worden. Man stelle sich mal vor, BMW würde plötzlich von der Fertigung verlangen, 10% der Arbeitszeit für den Bau eines Fahrzeugs einzusparen ohne aber an der Produktion irgendwas zu verändern.

Da kann ich nur zustimmen. Ich habe total den Eindruck, dass dieses G8 nicht ganz durchdacht wurde. Es ist so schon genug Stoff, der den Kindern mehr oder weniger "eingeprügelt" wird. Man hat immer das Gefühl, dass man so schon unter Zeitdruck steht und gar nicht hinterher kommt mit Lernen, egal wie viel man lernt. Ohne G8 gab es schon genug Stoff, aber zu wenig Unterrichtszeit, diesen Stoff zu vermitteln. Was mich beispielsweise total aufgeregt hat war, dass so oft Unterricht ausgefallen ist in Form von irgendwelchen Ferien, Brückentagen oder auch Lehrerfortbildungen oder Elternsprechtagen. Wenigstens die Lehrerfortbildungen hätte man doch in die Ferien legen können, damit nicht noch mehr Unterricht ausfällt und Elternsprechtage gehören meiner Ansicht nach ausschließlich in die Nachmittags- bzw. Abendstunden. Der Sinn von Brückentagen in der Schule erschließt sich mich auch nicht ganz.

Die Schüler stehen so schon genug unter Zeitdruck und jetzt will man ohne den Lehrplan anzupassen auch noch ein ganzes Schuljahr von der Zeit her wegkürzen? Manchmal hab ich den Eindruck, dass manche Politiker der festen Überzeugung sind, dass Schlaf von Schülern vollkommen überbewertet wird.

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» Olly173 » Beiträge: 14700 » Talkpoints: -2,56 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


derpunkt hat geschrieben:Vermutlich gibt es auch klare Zahlen die für diese These sprechen und bestimmt schaffen locker 50% der Hauptschulabgänger später den Sprung an die Uni!

Das habe ich doch gar nicht behauptet. Ich sage nur, dass die Kinder, die trotz Begabung auf der Hauptschule sind, oder solche, die Spätzünder sind, den Sprung gut schaffen. Ich habe im Laufe meines Lebens schon so einige FOS- oder BOS-Schüler, auch Telekolleg-Schüler, gehabt, die ursprünglich aus der Hauptschule kamen und dann studierten. Zurzeit habe ich ein Mädchen mit Migrationshintergrund, das von der Achten normale Hauptschule auf Empfehlung der Lehrer auf den M-Zweig gekommen ist und damit den Realschulabschluss haben wird. Nach drei Jahren FOS hat sie dann Abitur, wenn sie das dann wirklich möchte.

Natürlich schaffen das nicht 50 %, weil der Durchschnitts-IQ auf der Hauptschule geringer ist, das sagt aber nichts über den Einzelnen und die Durchlässigkeit des Systems aus. Bevor Proteste losgehen:Für mich ist der IQ in keinster Weise eine Wertung des Menschen, sondern nur eine Zahl, die grob die Fähigkeit zu abstraktem Denken widerspiegelt.

» anlupa » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


@Anlupa: Und ich sage - trotz deiner Einzelerfahrungen - dass das Schulwesen eben nicht durchlässig ist und das Denken in Ständen sehr verbreitet ist. Niemand der Entscheiden kann und "oben" sitzt, hat hier ein Interesse, die sog. Durchlässigkeit zu fördern. Das Schulsystem ist eher so was wie eine Art Brandmarke bzw. der Nachweis, hier einer bestimmten Kaste anzugehören. Und die Ausnahme bestätigt letztlich bloß die Regel.

anlupa hat geschrieben:Zurzeit habe ich ein Mädchen mit Migrationhintergrund, das von der Achten normale Hauptschule auf Empfehlung der Lehrer auf den M-Zweig gekommen ist und damit den Realschulabschluss haben wird.

Hast du dich schon mal gefragt, ob das Mädchen (mit gleicher Leistung!) überhaupt jemals eine Hauptschule von innen gesehen hätte, wenn es deutsche Akademikereltern gehabt hätte?

Übrigens ist noch nicht mal das, was unter IQ verstanden wird, ein Ausschlag dafür, welche Schulform ein Kind besuchen wird. Denn der sog. IQ wird ja auch nicht "gemessen". Entscheiden ist eben - natürlich neben den Noten weil hier keine zu große Diskrepanz sein darf - die Herkunft. Noch nicht mal die Förderung durch das Elternhaus, weil die subjektive Einschätzung eines Kindes durch Lehrer sich massiv dadurch beeinflussen lässt, wie gebildet sich die Eltern geben.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



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