Märchen für sensible Kinder entschärfen
Die Märchen, die wir wahrscheinlich in unserer Kindheit erzählt bekommen oder vorgelesen bekommen haben, entsprachen höchstwahrscheinlich schon nicht mehr den Originalfassungen aus der Ursprungszeit. Tatsächlich kann man sagen, dass die originalen Märchen von den Gebrüdern Grimm, aber auch die von beispielsweise Hans Christian Andersen, schon teilweise extrem blutrünstig waren. Einige der extremsten Aspekte wurden mit der Zeit schon aus den Texten entfernt. Natürlich existieren die Originalfassungen immernoch, man kann sie auch online lesen, aber den Kindern erzählt man doch eher die etwas weniger blutigen Fassungen.
Aber in den Versionen, die wir gehört haben, und ich glaube, da ist es auch egal, ob jemand jetzt 50 oder 25 Jahre alt ist, gab es eben schon noch leicht "gruselige" Elemente. Die Hexe wollte Hänsel und Gretel auffressen, der Wolf fraß alle sieben Geißlein, die böse Hexe will Schneewittchen ermorden. Die Geschichten kennen sicher fast alle von uns.
Heute soll es aber wohl schon Bemühungen geben, den traditionellen Märchengeschichten sämtliche "gewalttätigen" Inhalte zu entnehmen. Ich habe keine Ahnung, wie das in der Praxis aussieht, und was von den Geschichten dann überhaupt noch übrig bleibt, wenn solche Elemente fehlen. Auch die Moral, die Märchen teilweise haben, ist bei so einer zerhackten Geschichte sicher ziemlich unverständlich geworden. Und dennoch gibt es wohl Eltern, die so verfahren, weil sie glauben, ein Kind könnte durch die Märchen in ihrer bekannten Fassung verstört werden. Insbesondere sensiblere Kinder würden wohl Geschichten um Mord und Kannibalismus nicht gut vertragen können.
Wisst Ihr zufällig, wie so eine zensierte Fassung dann fertig aussieht? Kann man so etwas irgendwo im Internet kostenfrei lesen? Durch was für Elemente werden denn die "bösen" Teile der Geschichte ersetzt, sodass die Geschichte noch halbwegs verständlich bleibt? Oder treffen sich Rotkäppchen, die Großmutter, der Jäger und der Wolf in diesen Geschichten nur zum gemeinsamen Kuchenessen?
Gibt es unter Euch vielleicht jemanden, der Märchen bei Erzählungen seinen Kindern gegenüber entschärft? Oder ist es besser, dass man diese Märchen ganz weglässt, wenn man meint, dass das eigene Kind sie emotional noch nicht verkraften könnte?
Wie haben Kinder von früher die Märchen überstanden?
Ich finde es unnötig, die Handlung von Märchen zu entschärfen, weil sie Kinder verstören könnten. Es macht vielleicht Sinn, nicht alles bis ins letzte blutrünstige Detail zu erzählen, aber dabei handelt es sich ja sowieso eher um ein stylistisches Mittel als um einen Teil der Geschichte. Diese Märchen waren ja ursprünglich für Erwachsene gedacht, daher kann man es ihnen auch nicht vorwerfen, dass die Sprache vielleicht nicht immer für Kinder geeignet ist.
Kleine Kinder stellen sich keine gruseligen Einzelheiten vor, wenn sie hören, dass zum Beispiel der Wolf die Großmutter frisst. Er isst sie ja wohl auch nicht tatsächlich, denn am Ende des Märchens ist sie doch quicklebendig. Natürlich kann man nun wieder anmerken, dass es grausam ist, dass dem Wolf der Magen aufgeschnitten wird, aber der Wolf steht hier eben stellvertretend für das Böse und Kinder sehen das auch genau so.
Die grausamen Elemente in Märchen werden meiner Meinung nach erst dadurch wirklich schrecklich, dass wir als Erwachsene wissen, dass furchtbare Dinge dieser Art - Mord, Kindesmissbrauch, schlimme Krankheiten, Naturkatastrophen und ähnliches - tatsächlich passieren. Ein kleines Kind verbindet diese Geschichten jedoch nicht mit seiner realen Welt.
Wenn Eltern nun aber wirklich der Meinung sind, dass ihr Kind einfach zu sensibel und ängstlich ist, um die klassischen Märchen zu hören, können sie sie ja einfach nicht vorlesen und stattdessen andere Geschichten finden. Es gibt doch wirklich genug alte und moderne Kinderbücher und man kann sich auch Geschichten ausdenken.
Entschärfen wir mal ruhig sämtliche Märchen, bis da nur noch rosarote watteweiche Kuschelgeschichten bleiben, die kleinen Biester werden euch ansehen, sich gebührend langweilen und danach in aller Seelenruhe die Kindersicherung der Spielekonsole knacken und euch mit dem entschärften Märchen dastehen lassen, während sie selbst eine Runde Silent Hill zocken.
Ich habe öfter mit einer Gruppe von Mädchen im Alter von 8-13 Jahre zu tun, also teilweise noch Märchenalter, die in den Pausen dann fröhlich über die Endbosse von Spielen plaudern, bei denen sogar ich sage, das die nun echt nicht für Kinder gemacht sind (und ich bin da eigentlich recht geschmeidig – es sind ja nicht meine Alpträume, die sie dann bekommen) oder recht fachmännisch über diverse Creepypasta Monster sich austauschen.
Bei den meisten kenne ich da auch die Eltern und weiß: Die haben überall Kindersicherungen dran. Die beherrschen die Kinder bloß um einiges besser als ihre Eltern und der Versuch manches einfach durch verstecken zu sichern funktioniert genauso zuverlässig, wie der versuch die Kekse vor den kleinen Gierrachen zu bewahren, nämlich gar nicht.
Und das sind keine kleinen, abgebrühten Monster, sondern durchaus sensible Kinder, nur können die zwischen einer Geschichte und der Realität unterscheiden. (Bei Filmen sind etliche von denen im übrigen sehr viel empfindlicher und fanden dort einiges dann auch „zu gruselig“, jedenfalls bei Realfilmen. Mit den guten, alten Happy Tree Friends hatten die so gar kein Problem …)
Der Grundgedanke, das die ohnehin als „langweilig bis harmlos“ empfundenen Märchen die Vorlagen zum Horror sind, stieß da auf recht offene Ohren, während die Versuche einiger Eltern nur noch „nette“ Geschichten zuzulassen auf extremes Naserümpfen und Verfluchen der eigenen Erzeuger stieß. Kinder haben nichts gegen Grausamkeiten, wenn die Geschichte die richtigen Wendungen nimmt. Das wichtige an den Märchen ist für die Kinder die Überwindung von Angst, Schrecken, Gemeinheit und Ungerechtigkeit und die Bestrafung der Bösen. Deshalb darf die böse Stiefmutter sich in glühenden Pantoffeln zu Tode tanzen. Deshalb geschieht es dem Wolf recht, das er im Brunnen ersäuft, den Bauch voller Steine. Deshalb landet die Hexe im eigenen Ofen. Die Bösewichter haben sich das selbst eingebrockt und Kinder tendieren dazu bei Geschichten sehr genau zwischen gut und böse zu unterscheiden.
Wir Erwachsene sehen das ganze drumherum und denken „Oh mein Gott, das ist doch nichts für kleine Kinder!“. Interessanterweise kommen die wenigsten darauf die Partionen zu ändern, welche bei Kindern oft den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen und am ehesten Angst auslösen: Das Hänsel und Gretel von ihren Eltern ausgesetzt werden, die übermächtige Stiefmutter bei Aschenputtel und Frau Holle und der unfähige Vater, der sie gewähren lässt, Das Motiv, das die Eltern ihr Kind weggeben weil sie ein Versprechen einlösen müssen (z.B. in Rapunzel).
Btw, die Märchen an H.C. Andersen sind Kunstmärchen, die zu zerhäckseln killt die ganze Geschichte und ihren Sinn, den diese Märchen durchaus haben. Bei „Das hässliche Entlein“ und „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ wird das überdeutlich, aber auch bei einigen anderen. Man kann a la Arielle aus der kleinen Meerjungfrau ein Happy End stricken, aber das Original hat mich auch schon als Kind mehr berührt.
Ich halte von einer solchen Entschärfung gar nichts. Nicht nur ich, sondern auch Generationen von Kindern vor mir haben Märchen im Original gehört und keinen psychischen Hau davon bekommen. Davon habe ich auch noch nie gehört. Die Gefahr, dass Kinder durch Gewalt verstört werden, liegt auch am wenigsten an Märchen, sondern eher, wenn sich beispielsweise Opa abends einen Krimi anschaut und das Kind noch dabeisitzt. So etwas finde ich schon schlimmer und das hat mit Sicherheit auch schlimmere Auswirkungen als Märchen.
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