Gibt es Bindungsangst wirklich oder ist sie nur vorgeschoben

Ein Kollege meines Freundes hat noch nie eine feste Freundin gehabt. Er hat mal hier und da eine Frau an seiner Seite, aber nie was festes und nie eine Frau mit der er auch regelmäßig aus geht und sich trifft. Er sagt selber von sich, dass er Bindungsangst hat. Mein Freund meinte, dass er das nur vorschiebt um nicht zugeben zu müssen, dass keine Frau es lange bei ihm aushält.

Gibt es so was wie Bindungsangst wirklich? Oder denkt ihr, dass eine Bindungsangst oft nur vorgeschoben wird um eben Fragen aus dem Weg zu gehen?

Bindungsangst gibt es natürlich schon, ob das jetzt bei der Person zutrifft oder nicht, kann man aber so nicht sagen. Ich selbst habe schon Leute getroffen, wo ich durchaus gemerkt habe, dass sie beziehungsunfähig sind und keine Lust haben sich zu binden. Ich denke, dass das bei vielen jungen Menschen auch übergangsweise der Fall ist, weil sie erstmal ihr Leben leben wollen und keine Lust darauf haben, einen festen Partner oder eine Partnerin zu haben, gegenüber dem man sich dann auch verantworten muss. Es kann so viel angenehmer sein sich erstmal auszutoben und später kann man dann immer noch eine feste Beziehung eingehen, sollte einem der Sinn danach stehen. So denken zumindest viele junge Menschen von heute.

Bindungsangst kann ganz viele Ursachen haben, man fühlt sich in einer Beziehung vielleicht beengt und hat keine Lust darauf seinen Alltag nach jemandem zu richten oder sich jemandem gegenüber zu verantworten oder man hat Angst vor der emotionalen Ebenen und fürchtet sich vielleicht auch davor, verletzt zu werden, wenn man viel für die Beziehung investiert. Das lässt sich aber natürlich alles therapieren und um überhaupt zu wissen, dass man Bindungsängste hat, muss man erstmal versucht haben eine ernsthafte Beziehung zu führen. Vielleicht ist es bei deinem Bekannten so, dass er die Freundinnen nur so kurz hat, da sie vielleicht ohnehin nur lose Bekanntschaften sind, mit denen er gerne ins Bett hüpft sonst aber nichts. Oder aber, er hat sich einfach noch nicht verliebt. Gleich zu behaupten, dass niemandem es mit ihm aushält, finde ich dann doch nicht besonders nett.

Ich glaube schon, dass es so etwas tatsächlich gibt. Mein Onkel beispielsweise ist ein richtiger Bindungsphobiker und das schon seit ich denken kann. Er hat mal eine feste Freundin gehabt, als ich noch klein war. Ich erinnere mich nur noch dunkel an sie. Sie war sogar einige Male mit zu Familienfeiern oder Geburtstagen. Aus irgendwelchen Gründen war es dann aber vorbei und seitdem hatte er nie wieder eine feste Freundin.

Vor über 10 Jahren habe ich ihn mal gefragt, wann er denn zu heiraten gedenkt. Daraufhin meinte er zu mir im Brustton der Überzeugung: "Ich werde noch auf deiner Hochzeit als Junggeselle tanzen". Ich habe das damals eher für einen Scherz gehalten und das auch nicht wirklich ernst genommen. Da ich noch ein Kind war, habe ich diese Beziehungsangst noch nicht begreifen können. Mittlerweile mit 24 geht das aber.

Als ich 18 war, hat er mir mal gesagt, dass ihn angeblich jede Frau durch zwei Eheringe hindurch ansehen würde und dass ihn das direkt abschrecken würde, da er kein Interesse an einer Ehe hätte. Allerdings muss meiner Ansicht nach nicht jede Beziehung auf eine Ehe hinauslaufen. Es gibt auch glückliche und lange Beziehungen ohne einen Trauschein. Meiner Meinung nach benutzt er nur irgendwelche Ausreden, weil er glaubt sich durch eine Beziehung einzuschränken. Er ist auch nicht wirklich kompromissbereit. Einmal erwähnte er, dass eine Dame mit der er geschlafen hatte, Verbesserungsvorschläge hatte in Bezug auf seine Frisur. Daraufhin war sie sofort unten durch und abgeschrieben. Für ihn ist jede Frau, die einen Kompromis vorschlägt eine "Zicke", er akzeptiert eine Frau nur, wenn sie seinen Willen zu 100% akzeptiert und sich schweigend anpasst. Aber in der modernen Zeit ist das total überholt. In einer Beziehung gehören Kompromisse einfach dazu, sonst funktioniert das nicht. Wenn jemand aus irgendwelchen Gründen keine Kompromisse eingehen will, dann hat er eben Pech gehabt.

Eine feste Bindung einzugehen, hat gewisse Folgen und Konsequenzen. Man macht sich verwundbar, man hat aber auch die Macht, den anderen zu verletzen. Warum sollte das nicht Angst machen können? Es stellt definitiv eine Veränderung im Leben der beiden Beteiligten dar. Also kann man auch Angst davor haben.

Die spannendere Frage ist doch, ob man sich von dieser Angst davon abhalten lassen sollte. Aber je nach Charakter und danach, wie viel Angst man hat, wie viel schlechte Erfahrungen man schon gemacht hat, kann die Angst einen tatsächlich davon abhalten. Oder es braucht halt mehr als bei anderen, um sie zu überwinden. Da reicht dann nicht jede x-beliebige Frau, sondern es muss schon etwas Besonderes zu spüren sein.

Ich finde es schade, dass die inflationäre Verwendung des Begriffs Bindungsangst schon dazu geführt hat, dass die Möglichkeit ihrer Existenz angezweifelt wird. Das macht es denjenigen, die wirklich darunter leiden, nicht einfacher. Je nachdem, was Bindung wirklich für einen bedeutet, könnte man die Angst auch umbenennen. Es kann auch die Angst vor Veränderung sein, die Angst, zu viel von sich aufgeben zu müssen. Bindungsangst ist ein bisschen schwammig. Ich würde es als Überbegriff sehen für eine ganze Reihe von möglichen Ängsten.

Aber ja, es wird oft vorgeschoben. Man kann damit eine Diskussion halt schön abbrechen, wenn man nicht darüber reden will. Die Frage, warum man keine Freundin hat, ist eine sehr persönliche. Darüber will man nicht mit jedem reden. Und mit dem Spruch, dass man eben Bindungsangst hätte und nichts daran ändern könnte, kann man dann leicht das Gespräch abwürgen und das Thema wechseln.

Aber ich denke, bei den meisten entspricht es der Wahrheit. Wenn es nur darum ginge, dass sie sich nicht auf eine Frau festlegen wollen und lieber jeden Abend eine andere im Bett haben wollen, würden sie doch einfach das sagen. Das ist doch viel einfacher als Ängste zuzugeben, auch wenn man es auf die flappsige Art tut.

Ich bin mir sicher, dass es eine Bindungsangst tatsächlich gibt. Immerhin haben manche Menschen tatsächlich einfach Angst davor, sich fest zu binden, da sie sich dann einfach stark in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen. Auch wenn es nicht heißen muss, dass eine Beziehung einen einengt, ist es dennoch so, dass man als Single wesentlich mehr Freiheiten hat. Das wollen dann manche Personen eben und sie sehnen sich danach, frei zu sein und auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen zu müssen. Sind sie dann doch in einer Beziehung, können sie sich nicht richtig wohl fühlen, da das einfach nicht ihren Wünschen entspricht und von daher sind sie dann wohl auch meistens alleine oder haben immer nur kurze Beziehungen.

Manche Menschen ziehen es eben einfach vor, lieber Single zu sein, weil sie die Vorteile dieses Lebens genießen. Für sie ist es am Schönsten, Single zu sein und sie sehnen sich dann vielleicht auch nicht richtig nach einer Beziehung. Das ist natürlich völlig in Ordnung und wenn man das Gefühl hat, dass man alleine viel glücklicher ist, dann sollte man nicht zwanghaft eine Beziehung eingehen, nur weil es die Gesellschaft quasi verlangt. Damit macht man sich dann nur selbst unglücklich.

Ich denke, dass man jedoch auch mit einer Bindungsangst eine Beziehung führen kann. Man sollte dem Partner jedoch von Anfang an die Wahrheit sagen und ihm auch erklären, dass man viele Freiheiten braucht, da man sich sonst sehr schnell eingeengt und gefangen fühlt. Sicherlich gibt es viele Menschen, denen es genauso geht und wenn zwei Menschen aufeinander treffen, die beide viel Freiheit brauchen, kann das durchaus gut gehen. So kann man dann auch nach und nach gemeinsam lernen, mit der Situation umzugehen und so kann man sich auch im Laufe der Zeit annähern und immer mehr Zeit miteinander verbringen. Es verlangt dabei auch sicherlich niemand, dass man den Partner dann innerhalb kürzester Zeit heiraten muss.