Kindchenschema speziesübergreifend - oder doch nicht?

vom 03.02.2014, 22:46 Uhr

Biologisch ist man sich einig darüber, dass Jungtiere ein so genanntes Kindchenschema besitzen. Dazu gehören eine große Stirn, große Augen, ein relativ runder Kopf, und noch einige weitere Aspekte. Dieses Aussehen würde niedlich und beschwichtigend auf ausgewachsene Tiere wirken, also beispielsweise die Eltern der Jungtiere oder auch andere Tiere im gleichen Rudel oder in der gleichen Herde. Der Hintergrundgedanke ist einfach, dass somit die erwachsenen Tiere das Jungtier nicht angreifen und es, im Gegenteil, beschützen und versorgen.

Außerdem heißt es, das Kindchenschema wirke auch auf Lebewesen von anderen Arten. Damit wird öfters erklärt, wieso Menschen ja nicht nur Menschen-Babies, sondern auch beispielsweise Hundewelpen oder Teddybären als niedlich empfinden, denn diese entsprechend optisch auch dem Kindchenschema. Auch kann somit erklärt werden, wie es sein kann, dass beispielsweise auch einige domestizierte Tiere Tierkinder anderer Arten aufziehen können. So gibt es beispielsweise Hunde, die junge Katzen bemuttern, oder Katzen, die irgendwelche kleinen Vögel umsorgen.

Aber kann man wirklich sagen, dass das Kindchenschema speziesübergreifend wirkt? Offenbar soll das ja auch bei Raubtieren so sein. Aber das passt ja eigentlich nicht mit der Tatsache zusammen, dass Tiere oftmals gerade andere Jungtiere jagen, um sie zu fressen. Das ist ja auch völlig logisch, denn alte und schwache Tiere oder Jungtiere sind einfach die Tiere aus einer Herde, die sich am leichtesten fangen lassen. Wenn nun das Kindchenschema aber universell gültig wäre, dann dürften die Raubtiere das Jungtier ja nicht angreifen. Wie erklärt sich das? Wieso wirkt es in manchen Fällen offenbar, in anderen aber nicht? Und das, obwohl es immer als speziesübergreifend und universell gültig dargestellt wird.

Aber auch innerhalb einer Tierart scheint das Kindchenschema ja auch nicht immer Gültigkeit zu haben. Sonst gäbe es ja beispielsweise auch keinen Infantizid bei beispielsweise Löwen.

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Ich denke, das Kindchenschema ist einfach nur ein Faktor und für das endgültige Verhalten in einer bestimmten Situation sind noch viele andere Faktoren ausschlaggebend. Wenn ein Tiger gerade Hunger hat und auf Jagd geht, dann ist der Hunger einfach der dominantere Faktor und "besiegt" das Kindchenschema. Wenn der Tiger allerdings gerade keinen Hunger hat und auf ein verletztes, einsames Antilopenbaby trifft, dann kann es passieren, dass das Kindchenschema gewinnt.

So nimmt dann der Tiger ein Antilopenjunges unter seine Fittiche. Hab ich wirklich schon gesehen und es ist wirklich sehr anrührend, wenn so etwas passiert. Und daher kommt es auch häufiger bei domestizierten Tieren vor, weil die sich um ihr Futter gar nicht mehr kümmern müssen, sondern es von den Menschen in einer Schüssel serviert bekommen. Die kennen ja gar keinen richtigen Hunger.

Bei den Löwen, die Junge ihrer eigenen Art fressen, ist der Drang nach Fortpflanzung einfach viel zu übermächtig. Dagegen hat keine Maßnahme eine Chance. Es geht dabei ja darum, dass der Löwe seine eigenen Gene verbreiten will und nicht warten kann, dass die Löwin bereit ist, wieder trächtig zu werden. Und der Drang, zur eigenen Fortpflanzung ist biologisch gesehen für einen Löwen offensichtlich ungeheuer wichtig. Sympathisch macht es sie nicht gerade. :D

Das Verhalten eines Lebewesens ist einfach sehr vielfältig. Wenn es um den Schutz der eigenen Jungen geht, gehen Mütter Gefahren ein, die sie ansonsten nie riskieren würden. Wenn sie sehr hungrig sind, vergessen sie auch oft jede Vorsicht. Das Kindchenschema ist ein Versuch der Natur, die Jungen zu schützen, aber es ist kein Allheilmittel. Manchmal sind einfach andere Dinge wichtiger.

Es ist ja auch sinnvoller, dass die Mutter überlebt und neue Jungen zeugt, als dass ein Junges überlebt, dass bis zur Zeugungsfähigkeit noch in tausend andere lebensgefährliche Situationen gerät und die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass es sich nie fortpflanzen wird. So kommt es sogar vor, dass die eigenen Mütter ein Junges zurücklassen, weil es gerade nicht genug Ressourcen zum Überleben gibt.

Also das Kindchenschema ist ein Fakt und es wirkt speziesübergreifend. Aber es lässt nicht alles andere vergessen. Es wirkt nicht bis ins Mark und steht über allen anderen Bedürfnissen und Überlebensstrategien.

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


Speziesübergreifend ist das Kindchenschema nicht, denn sonst würden Mücken ja eher Erwachsene stechen und die Kleinkinder verschonen. Auch Babygänse werden von Krokodilen genauso gerne gefressen wie erwachsene Gänse.

Aber im Bereich der Säugetiere spielt das Kindchenschema eine Rolle, allerdings nicht die Einzige. Zum Kindchenschema gehört auch ein bestimmtes Verhalten, das mit diesem zusammen wirkt. Aber wie Bienenkönigin schon schön ausführt, sind Verhaltensmuster komplex und das Kindchenschema ist nur eine Maßnahme der Natur, um das Verhalten von Tieren zu beeinflussen.

» anlupa » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



anlupa hat geschrieben:Speziesübergreifend ist das Kindchenschema nicht, denn sonst würden Mücken ja eher Erwachsene stechen und die Kleinkinder verschonen.

Na, ganz so weit geht das Spezien Übergreifende natürlich nicht. Insekten verbringen ihre "Kindheit" ja oft in einem ganz anderen Zustand als ihr Erwachsenenleben. Also z.B. ein Schmetterling als Raupe. Eine Mücke als Larve im Wasser. Ich denke, Insekten haben überhaupt kein Kindchenschema. Brauchen sie auch nicht, weil Insekten bei der Fortpflanzung eine ganz andere Strategie haben. Säugetiere bekommen ein oder zwei Junge und kümmern sich aufopfernd um dieses bisschen Nachwuchs, um 100% davon durchzubringen.

Insekten hingegen bekommen millionenfachen Nachwuchs und kümmern sich meist überhaupt gar nicht drum. Denn wenn dann nur 50 oder auch nur 20% davon durchkommen und sich später selber fortpflanzen, ist der Fortbestand der Art gesichert. Es sind also zwei vollkommen unterschiedliche Strategien und bei der Strategie der Insekten braucht es gar kein Kindchenschema.

Vögel haben auch kein Kindchenschema, oder?! Allein der Schnabel steht dem doch sehr im Weg. Es geht ja dabei auch um die zusammengeknautschten Schnauzen, was man gerade bei Hunden sehr gut sehen kann. Aber so ein Schnabel ist genau das Gegenteil und sticht stark hervor. Aber er ist eben notwendig zum Fressen. Ich denke, sehr viel kleiner kann man ihn gar nicht machen. Oder haben junge Vögel wirklich unproportional kurze Schnäbel? Und die anderen Kriterien wie große Augen?

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Ob es bei allen Vögeln auch so etwas wie ein Kindchenschema gibt, kann ich nicht genau sagen. Aber junge Pinguine haben beispielsweise einen ziemlich runden Kopf und einen sehr kurzen Schnabel. Hühner-Küken gelten ja auch allgemein als sehr niedlich. Also ich denke schon, dass auch die Jungtiere von Vögeln, jedenfalls ab einem bestimmten Alter, wo die Federn langsam richtig flauschig werden, als niedlich durchgehen können. Aber ob das ein Kindchenschema im eigentlichen Sinne ist, das bei allen Vögeln auftritt? Das müsste man mal genauer recherchieren, denke ich.

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Ja, Vögel haben auch ein Kindchenschema. Auf mich zumindest wirken Küken unglaublich niedlich und die Vögel haben auch ein sehr aufopferungsvolles Brutverhalten. Ich habe irgendwann einmal einen Artikel gelesen, dass ein versteinertes Dinosaurierjunges gefunden wurde, bei dem man relativ viele Details erkennen konnte, unter anderem das Kindchenschema.

Das war eine Sensation für die Wissenschaftler, da Vögel von Dinosaurier abstammen und somit die Frage offen stand, ob Dinosaurier ebenso sorgsam ihre Jungen aufziehen wie Vögel und ob ihre Jungen Kindchenschema besitzen. Daraus kann man schließen, dass das Kindchenschema bei Vögeln in der Fachwelt anerkannt ist. Während dem Schreiben fällt mir noch spontan ein, dass es in Google, wenn man Kindchenschema eingibt, ein Bild gibt, wo das Jungtier neben dem Adulten steht und da ist auch ein Vogel dabei.

» Hoatzin » Beiträge: 45 » Talkpoints: 17,30 »


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