Je größer die Verwahrlosung, desto größer das Heldentum?
Ich habe von einer These gelesen, die ich interessant finde und hier gerne mal teilen beziehungsweise zur Diskussion stellen würde. Und zwar ist es ja leider so, dass während der Kriege, gerade unter den Soldaten, oftmals mit der Zeit eine Abstumpfung stattfindet, in emotionaler Hinsicht. Blut, Tod und tägliche Gräuel, Verstümmelungen, Mord, all diese Dinge hinterlassen emotional natürlich einen Eindruck auf die Beteiligten. Viele sind psychisch dadurch angeschlagen, manche kommen sogar als komplette Wracks zurück aus dem Krieg. Einige gehen auch völlig im Hass gegen den Feind auf, und verübten dann auch Verbrechen an Zivilisten. Ich glaube, es gibt keinen einzigen Krieg, in dem das nicht passiert. Immer muss auch die Zivilbevölkerung darunter leiden, insbesondere auch unbeteiligte Frauen und Kinder.
Es gibt also die These, dass Krieg allgemein die Menschen verrohen lassen würde. Auffällig ist außerdem, dass während des Krieges und auch danach, immer viel von Heldentum die Rede ist. Die heimkehrenden Soldaten werden, sofern sie zu der Fraktion gehören, die den Krieg "gewonnen" hat, zu Helden erklärt, gefeiert, belohnt. Es gibt Orden, Feiern und teilweise auch dauerhafte staatliche finanzielle Aufwendungen für die "Kriegshelden". Gerade in den USA fällt mir das häufiger auf, dass Kriegsveteranen da in der Gesellschaft oft extrem verehrt werden. Übrigens auch die Veteranen des Vietnam-Kriegs, und das auch heute noch.
Die These, von der ich nun gelesen habe, war, dass die Menschen gerade durch die grauenvollen Geschehnisse in Kriegen im Nachhinein die Soldaten zu Helden erklären. Man möchte quasi das ganze Grauenvolle aufwerten, indem man es als gute Sache darstellt und die Beteiligten zu Helden erhöht. Kurz gesagt: Je größer die Verwahrlosung durch den Krieg, desto größer ist der Heldenkult, der danach auftritt.
Könnt Ihr das bestätigen? Ist das eine schlüssige These? Welche psychologischen Faktoren spielen da mit hinein? Kennt sich hier jemand vielleicht damit aus, wie Menschen extreme Situationen überstehen und inwiefern es da hilfreich oder nicht hilfreich sein könnte, die Situation nachträglich aufzuwerten?
Auskennen tue ich mich mit der Materie überhaupt nicht. Also ich stelle hier nur meine persönliche Meinung dar, die vollkommen haltlos ist.
Zum einen fällt mir da sofort eine Redewendung ein: Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Keine Nation gibt im Nachhinein freiwillig zu, dass ihre Soldaten vollkommen aus dem Ruder gelaufen sind. Es ist mit Sicherheit der einfachere Weg, alles schönzureden, die Soldaten als Helden zu feiern und weiterzumachen. Die Alternative wäre eine kollektive Schuld einer ganzen Nation, mit der man sich dann erst mal auseinandersetzen muss. Das sieht man ja bei den Verlierern, deren Gräueltaten durchaus zur Sprache kommen.
Ich denke aber, dass die Heldenverehrung nur der Nation als Ganzes hilft (oder scheinbar hilft). Den Veteranen selber hilft es gar nicht. Sie sollten sich wirklich mit ihrer Schuld auseinandersetzen. Gerade die Vietnamveteranen sind psychologisch sehr allein gelassen worden. Wenn sie zuhause ankommen, verschiebt sich ihre Wahrnehmung doch auch wieder. Was im Krieg, im Affekt, unter Adrenalin, in dieser surrealen Welt normal und überlebenswichtig war, holt einen dann in der echten Welt zuhause wieder ein.
Man hört doch immer wieder von Soldaten, die sich zuhause als psychische Wracks herausgestellt haben. Die sich aber kaum trauen, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich denke nicht, dass es ihnen hilft, wenn man ihre Taten verharmlost und sie auch noch dafür feiert. Sie fühlen sich als Mörder, als Monster und bekommen nicht ihre gerechte Strafe dafür. Die Umwelt reagiert vollkommen unangemessen. Das kann doch das Weltbild wirklich aus den Fugen hauen.
Auch ich kann dir dazu nur meine subjektive Meinung schildern. Wirklich Ahnung habe ich davon nicht.
Allerdings kann ich mich gut an meinen verstorbenen Opa väterlicherseits erinnern, der, wie er es nannte, im "Russlandfeldzug" und danach in sowjetischer Kriegsgefangenschaft war. Im Gegensatz zu meinem anderen Opa, war er ein sehr einfacher, ungebildeter Mann. Als Kind hatte er beide Eltern früh verloren und war von einer alten Frau aus Mitleid großgezogen worden, die allerdings auch sehr arm war. Sein Start ins Leben war also nicht der Beste. Aus Geldnot hatte er früh die Schule verlassen und arbeiten gehen müssen.
Vom Krieg erzählte mein Opa nur sehr wenig. In seiner Küche hing ein Foto mit einem hübschen jungen Mann in Wehrmachtsuniform. Über einer Ecke des Fotos war ein schwarzes Band angebracht. Wenn ich als Kind naiv danach fragte, wer das denn sei, schauten sich meine Großeltern immer ganz betreten an und sagten nur, das sei der Bruder meines Opas. Er sei im Krieg "gefallen". Als kleines Mädchen fand ich den Ausdruck "gefallen" sehr merkwürdig. Daran kann ich mich noch gut erinnern.
Später, als wir in der Schule über den Zweiten Weltkrieg sprachen, fing ich an, mehr darüber nachzudenken und Fragen zu stellen. In der DDR wurde schon in der Grundschule sehr explizit von den Gräueltaten der Deutschen in der ehemaligen Sowjetunion berichtet. Ich habe mich dann oft gefragt, ob mein Opa den Menschen dort auch so schreckliche Dinge angetan haben könnte. Das war ein furchtbarer Gedanke. In der Schule lernte ich damals begeistert russisch und hatte Brieffreundschaften mit Kindern aus allen Teilen der Sowjetunion.
Mein Opa war aus dem Krieg mit erfrorenen Füßen und einem schweren Magenleiden heimgekehrt, weshalb er wohl auch nicht besonders alt wurde. Als ich älter wurde, hat er mir auf meine Fragen manchmal ein wenig von seinen Kriegserlebnissen erzählt. Besser gesagt, er hat kurz einzelne Begebenheiten angerissen, sie aber nicht weiter ausgeführt, weil sie einfach zu grausam waren. Meine Oma hat ihn meist durch eine Handbewegung oder strenge Blicke schnell wieder gestoppt. Ich glaube, sie wollten damit nicht nur mich schützen, sondern auch sich selbst. Die Andeutungen reichten schon, um zu verstehen, dass es sich um unerträgliche Erlebnisse gehandelt haben musste. Ich kann mich noch gut erinnern, wie er einmal erwähnte, dass es seinen Kriegskameraden direkt neben ihm total zerfetzt habe und er sogar noch Stücke seines Körpers abbekam.
Dieser Mann sei sein engster Freund im Krieg gewesen. Nach seiner Heimkehr hatte mein Opa dann seine Angehörigen aufgesucht, um Ihnen noch einen letzten Brief von ihm zu übergeben. Auch von der Kriegsgefangenschaft erzählte er manchmal. Sie haben da bei Minusgraden auf dem blanken Boden gelegen und seien von Soldaten auf Wachtürmen bewacht worden. Man habe sie nicht misshandelt. Die Meisten seien einfach an Hunger und Kälte gestorben. Dies sei aber keine Schikane seitens der Russen gewesen, sondern die hätten ja selbst kaum was zu essen gehabt. An den Füßen haben sie nur Fußlappen getragen. Aus Hunger haben sich die Gefangenen am Hintern selbst das Fleisch herausgeschnitten und es gegessen. Auch ihren Urin haben sie getrunken.
Als ich ihn mal fragte, ob er schlecht behandelt wurde, sagte er nachdenklich: Nach alldem, was wir den Russen angetan haben, haben sie uns wirklich noch sehr gut behandelt. Was genau er ihnen angetan hatte, habe ich so im Detail nicht erfahren. Sicher hat er als Teil der Kriegsmaschinerie Befehle ausführen müssen, mit denen er den Menschen dort großen Schaden zugefügt hat. Was ich mich aber immer fragte, war, ob er ihnen auch noch Dinge angetan haben könnte, die darüber hinausgingen. Das werde ich wohl nie erfahren. Aber so ungern ich es mir vorstellen möchte, es wäre doch im Rahmen des Möglichen.
Im Nachhinein betrachte ich meinen Opa als Täter und Opfer zugleich. Als junger Mann hat er wohl an Hitler geglaubt. Bei ihm kann ich mir gut vorstellen, dass er sich damals durch sein "Deutschsein" aufgewertet fühlte. Wohl zum ersten Mal in seinem Leben, das bis dahin nur aus Erniedrigungen und Armut bestanden hatte. Er könnte tatsächlich zu denen gehört haben, die sich im Krieg als "Helden" beweisen wollten und dann eines besseren belehrt wurden.
Wenn man sich mal vor Augen führt, in welchem Alter damals Männer in den Krieg zogen, dann waren das noch halbe Kinder. Da ich beruflich schon viel mit Jugendlichen zu tun hatte, habe ich ein ganz gutes Bild von jungen Männern dieser Altersgruppe. Sie sind oft noch sehr unreif, neigen zur Impulsivität, zum Größenwahn, zu Gewaltphantasien und haben auch ihre sexuellen Triebe noch nicht so richtig unter Kontrolle. Gleichzeitig sind sie, trotz ihrer scheinbaren Coolness aber auch noch sehr verletzlich und sehr leicht verführbar, sei es nun durch sexuelle Reize oder aber vermeintliche "Idole".
Die Vorstellung, dass man Jugendlichen in dieser Umbruchphase ihres Lebens morgen eine Waffe in die Hand drückt und sie damit in den Krieg schickt, wäre meiner Ansicht nach der helle Wahnsinn. Welcher junge Mann dieses Alters möchte nicht ein gefeierter, von den Mädchen angehimmelter Held sein? Ich weiß, dass das jetzt etwas ketzerisch klingt, aber ich kann mir vorstellen, dass die Reden Hitlers auf die Jugendlichen damals erst einmal so gewirkt haben müssen wie zu späteren Zeiten irgendwelche Rockstars. Die Frisuren, die Uniformen, die Gemeinschaft - all das hatte wahrscheinlich eine große Anziehungskraft für junge Menschen, insbesondere für die mit niedrigem sozialen Status und einem schlechten Selbstwertgefühl.
Ich sehe da auch große Parallelen zu heutigen kriegerischen Handlungen weltweit. Krieg ist nicht allein ein furchtbares Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung der betreffenden Länder, sondern auch ein Missbrauch an den jungen Männern (und Frauen) , die dieser Absurdität ausgesetzt werden. Persönlich kenne ich einen Briten, der während des ersten Golfkrieges im Irak stationiert war. Auch er stammt aus sehr einfachen Verhältnissen und hatte eine freudlose Kindheit und Jugend.
Die Armee war für ihn eine Flucht vor familiärer Gewalt, Armut und Erniedrigung. Anfangs fühlte er sich durch seine Zugehörigkeit zur Armee aufgewertet. Er war stolz auf seine sportlichen Erfolge und lernte mit Begeisterung. Heute leidet er unter Depressionen und Panikattacken und will weder von Armee noch Krieg irgendetwas wissen. Er erzählt fast nichts, aber ich denke mal, dass er da einiges mit sich herumschleppt.
Ob es nun die Nazis, die Stasi oder die Taliban sind, weltweit wurden und werden immer wieder junge Männer rekrutiert, um sie unter Verheißung irgendeines vermeintlichen Heldentums zu Gewalt, Krieg und Terror zu verführen. Menschen mit einem labilen Selbstwertgefühl, einer geringen Bildung oder sozial schwierigen Verhältnissen werden leichter zu Opfern / Tätern, weil sie eben so ein starkes Bedürfnis nach Bestätigung und Änderung ihrer Situation haben. Die eigentlichen Täter sind für mich die Initiatoren, die all das eiskalt einkalkulieren.
Um auf deine ursprüngliche Frage zurückzukommen: Dieses ganze Geschwätz vom Heldentum ist für mich einfach nur ein Instrument zur Verführung und Verblödung der Bevölkerung. Würden die Leute wirklich einmal realisieren, was Krieg in der Realität bedeutet, ginge da niemand mehr hin. Traurigerweise lernen wir aber absolut nichts aus der Geschichte. Den Alten oder Traumatisierten will kaum jemand zuhören. Es kommt immer Nachschub aus der jungen Generation: naiv, abenteuerlustig, leicht verführbar. Und somit ist auch das Kanonenfutter von morgen gesichert. Oder doch die "Helden"???
Nun ja, wenn man diese aufstellt, muss man meiner Meinung nach schon etwas eher anfangen, nämlich bei dem Krieg selbst. Um jemanden, der den Krieg gewonnen und überlebt hat, als einen Helden zu betiteln, muss man in erster Linie ja auch den Krieg wollen und die Art und Weise wie dies geschieht gut heißen. Und da würde es meiner Meinung nach auch schon scheitern, weil mir einfach nicht begreiflich ist, wieso es dem Frieden helfen soll, wenn sich Menschen gegenseitig umbringen. Glaubt man vielleicht der Frieden kehrt wieder ein, wenn man genug Menschen umgebracht hat und das eine Land nachgibt, was offenbar der Forderung des anderen Landes nicht nachgegangen ist oder wie soll das funktionieren.
Ich selbst sehe den Krieg an sich schon als kompletten Schwachsinn an, weil es sich einfach um Erwachsene Menschen handelt, die sich umbringen, anstatt miteinander zu reden und dann glauben, dass sie damit etwas erreichen würden. Ich kann aus meiner Sichtweise heraus keinen als Held sehen, der sich daran beteiligt. Natürlich ist es dann aber schwer, die Soldaten irgendwie einzuordnen, denn man kann ja nicht von Anfang an davon ausgehen, dass diese den Krieg auch gewollt und unterstützt haben. Sie haben sich beteiligt, aber das war eben irgendwo deren Pflicht, heute ist das anders, weil man selbst entscheiden kann, ob man zum Militär geht oder nicht und früher wurde das für einen entschieden.
Prinzipiell aber finde ich es albern zu sagen, dass ein Soldat, der den Krieg überlebt hat, ein Held ist. Wenn es sich um eine Person handelt, die wider Willen in diesen Krieg verwickelt ist und dann quasi auch um das eigene Leben gekämpft hat, ist es vielleicht anders, als wenn man sich an dem Gemetzel beteiligen wollte, aber im Endeffekt kommt alles auf das gleiche hinaus, als Soldat war man auch Mörder und einen Mörder als Held zu bezeichnen ist in meinen Augen nicht angemessen.
Die Handlungen, die Menschen während und nach der Kriege vollzogen haben, lassen sich mit dem normalen Menschenverstand teilweise aber ohnehin nicht erklären. Gerade nach dem Krieg wollte man den Sieg ja auch irgendeine Art und Weise feiern und den Soldaten, die vermutlich oftmals auch verwundet oder gar verkrüppelt waren, das Gefühl geben, dass das alles nicht umsonst war, obwohl an ich jeder erwachsene Mensch wissen sollte, dass es kompletter Schwachsinn ist, was während solcher Kriege ausgetragen wird. Meiner Ansicht nach, war das einfach nur dazu da, die Stimmung nach einem Krieg wieder zu heben und vielleicht auch zukünftigen Soldaten das Gefühl zu geben, dass es erstrebenswert ist, am Krieg teilzuhaben.
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