Fingerverlust bei Polydaktylie - Behinderung?

Manche Menschen werden mit mehr als fünf Fingern pro Hand oder fünf Zehen pro Fuß geboren. Sechsfingrigkeit kommt wohl auch gar nicht so selten vor. Es können aber auch noch mehr Finger pro Hand vorhanden sein. Wie viele Finger es aber auch immer sind, dieses Vorhandensein von "überzähligen" Fingern nennt man medizinisch Polydaktylie. Die ist übrigens erblich und kommt auch nicht nur bei Menschen vor, sondern auch bei verschiedensten Tierarten. Teilweise sind alle Finger oder Zehen beweglich, teilweise sind einige nur an der Hand oder am Fuß vorhanden, haben aber keine eigenen Knochen oder keine eigenen Sehnen, sodass sie nicht benutzt werden können.

Da die Finger, die nicht funktionieren, manchmal einfach im Weg sind, lassen einige betroffene Menschen sie sich operativ entfernen. Ein Bekannter führte neulich eine Frage an, auf die mir bisher auch keine Antwort eingefallen ist. Ich finde sie auch ein wenig makaber, und hoffe sehr, damit niemanden hier zu beleidigen oder zu verletzen. Aber die Meinung dazu würde mich doch sehr interessieren.

Die Frage war: Wenn nun jemand mit gebürtig sechs Fingern einen Finger durch einen Unfall verliert, und dann fünf Finger hat, also genauso viele, wie andere Menschen normalerweise haben, gilt das dann als Behinderung? Ein Verlust wäre es ja schließlich, wenn man vorher immer einen Finger mehr hatte. Aber trotzdem hätte man dann nicht weniger Finger, als viele andere Menschen.

Tatsächlich finde ich die Frage schon sehr interessant, weil sie sich auch damit beschäftigt, was nun normal und was behindert sein soll. So einfach ist das nämlich eigentlich gar nicht. Zählt die Abweichung vom "Durchschnittsmenschen"? Oder geht es darum, dass man sich benachteiligt fühlt? Ist jemand, der beispielsweise nur vier Finger an einer Hand hat, automatisch behindert, auch, wenn er sich damit vielleicht gar nicht schlecht fühlt, weil er es von Geburt an so kannte?

Eine Person, die seit der Geburt nur vier Finger anstatt fünf an einer Hand hat, sehe ich nicht als behindert an. Ich glaube auch nicht, dass die Person sich gegenüber anderen Menschen benachteiligt fühlt, wegen des fehlenden Fingers. Mit vier Fingern wird sie genauso gut zurechtkommen, wie andere mit fünf Fingern.

Ein Mensch mit sechs Fingern könnte den sechsten Finger, mit dem er nichts anfangen kann, weil er weder Knochen noch Sehnen hat, als lästiges Übel betrachten, da er ihn für nichts benutzen kann. Hat dieser sechsfingerige Mensch einen Unfall und verliert dabei einen seiner sechs Finger, kommt es sehr darauf an, welchen Finger er verliert. Ist es der Finger, mit dem er nichts anfangen kann, wird er im Grunde sich nicht benachteiligt fühlen und seinem Finger nachtrauern. Denn nun hat er ja fünf Finger, wie andere Menschen auch.

Verliert er bei dem Unfall aber einen Finger, den er zum Arbeiten und auch sonst benötigte, dann wird er sich benachteiligt fühlen, weil er zwar fünf Finger hat, aber nur vier gebrauchen kann. Ihm fehlt also „sein“ Finger. Nun wird er sich behindert fühlen. Das aber wird niemand anerkennen, weil er ja noch fünf Finger hat. Darüber wird er dann wahrscheinlich sehr wütend sein und sich den überflüssigen, nicht zu benutzenden Finger abtrennen lassen, damit jeder sehen kann, dass er nur vier Finger hat.