Um geringe Entschädigung für Justizirrtum noch kämpfen?
Ich habe heute Abend mir den Film angesehen, in dem ein Unschuldiger zu Unrecht angeklagt wurde. Weil die ermittelnden Polizisten selbst in den Fall verwickelt waren und ihn des versuchten Mordes an seiner ehemaligen Frau bezichtigten, wurde der gutmütige und ehrliche Harry Wörz verurteilt, obwohl er immer wieder seine Unschuld beteuerte. Nach einem Jahr versuchten die Schwiegereltern, Schmerzensgeld zu erstreiten. Erst da wurde der Fall neu aufgerollt.
Das Glück von Harry Wörz war, dass er einen jungen Anwalt bekam, der sich in die Akten vertiefte. Er konnte die unzureichende Ermittlungsarbeit herausstellen und dem Zivilgericht kamen Zweifel an seiner Schuld und das Schmerzensgeld wurde abgelehnt. Im nächsten Prozess wurde er erneut verurteilt. Unterlagen wurden manipuliert und Akten verschwanden. Nach 13 Jahren und mehreren Prozessen wurde er endlich freigesprochen. Es wurde nicht nur sein Leben zerstört. Er ist psychisch krank. Eine Entschädigung hat er bis heute noch nicht bekommen.
Anschließend an den Film gab es eine Diskussionsrunde mit Anne Will, in der Harry Wörz auch anwesend war neben der ehemaligen Justizministerin, seinem Rechtsanwalt, einem pensionierten Richter und einigen anderen. Diskutiert wurde auch die Tatsache, dass Justizopfer nicht richtig entschädigt werden für die zu Unrecht erlittene Haft. Der ehemalige Richter gab auch zu, dass ein Richter ein Fehlurteil nicht gerne zu gibt, das wäre so, wie bei Fehlern der Ärzte, die auch nichts zugeben, weil die Justiz ja unfehlbar sei.
Gegen all das, was dem zu Unrecht Angeklagten angetan wurde, ist es ein verschwindend geringer Tagesbetrag, um den der Betroffene noch kämpfen muss. Da die Länder kein Geld haben, wird sich da so schnell auch nichts ändern. Pro Tag sollen 25 Euro gezahlt werden, abzüglich 6 Euro Verpflegung und Betreuung während der Haft. Also bleiben nur 19 Euro übrig. Entstandene Vermögensschäden müssen nachgewiesen werden. Seid ihr der Meinung, dass das genug ist für das erlittene Unrecht? Die Menschen verlieren ihre Angehörigen, ihre Bleibe, ihre Arbeit, ihre Gesundheit, ihren Glauben an die Gerechtigkeit und praktisch einen Teil ihres Lebens durch den Freiheitsentzug. Kann man da von Gerechtigkeit der Justiz sprechen, wenn sie noch weiterhin kämpfen müssen um das wenige Geld?
Das geringe Entschädigungsgeld in Deutschland ist wirklich ein Witz und wird auch viel kritisiert. In anderen Ländern ist es deutlich höher. Ich denke auch, dass sich das Denken ändern würde, wenn so ein Irrtum mehr kosten würde. Nicht, dass ein Richter beim Fällen eines zweifelhaften Urteils an diese Kosten denken würde. Er muss sie ja nicht aus eigener Tasche zahlen. Aber es wird halt ein Wert damit bemessen. Wie viel ist es wert, wenn einem die Freiheit verwehrt wird. Bei den Zahlen hat man das Gefühl, es wäre ein Schuljungenstreich, jemanden unschuldig einzusperren.
Ob es sich nun lohnt, darum zu kämpfen? Ich denke, es geht gar nicht um die 19 Euro pro Tag. Es geht ums Prinzip, um die Anerkennung des Fehlers, um eine Entschuldigung und vor allem darum, dass sich an den Regeln etwas ändert. Damit es weiteren Unschuldigen nicht ebenso ergeht. Wenn einem so etwas passiert ist, dann macht das einen so großen Teil des Lebens und des Selbstverständnisses aus. Da kann man nicht einfach loslassen und ein normales Leben führen. Man ist und bleibt ein unschuldig Verurteilter und als solcher kämpft man dann eben um Gerechtigkeit.
Nach einem Jahr versuchten die Schwiegereltern, Schmerzensgeld zu erstreiten. Erst da wurde der Fall neu aufgerollt.
Das möchte ich noch mal betonen. Beim Klagen auf Schmerzensgeld geht es oft nur darum, das neue Aufrollen des Falles anzustoßen. Nicht um das Geld an sich. Das stört mich bei der Diskussion um Natascha Kampusch immer so sehr. Sie hat, meiner Meinung nach, damit auch nur versucht, die Ermittlungen voranzutreiben. Dargestellt wird sie aber als geldgierig. Dabei ist die Forderung nach Geld eben die einzige Möglichkeit, die man hat.
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