Wieso verstärken sich die Charakterzüge im hohen Alter?
Ich habe schon oftmals davon gehört und gelesen, sowohl in Unterhaltungen mit Laien, als auch in fachlichen Publikationen von Leuten, die sich damit wirklich wissenschaftlich beschäftigt haben, dass sich Charakterzüge und Emotionen aller Arten im Alter bei Menschen sehr verstärken sollen. Das gilt sowohl für "positive" Charaktereigenschaften wie Hilfsbereitschaft oder Großzügigkeit, als auch für "negative" Eigenschaften wie Aggression oder einen Hang zur Traurigkeit. In Anführungszeichen setze ich beides, weil viele Charakterzüge je nach Situation unterschiedlich wirken können, sodass ich so etwas nicht generell in Schubladen wie "gut" oder "böse" einteilen will.
Diesem Phänomen zufolge sollen also beispielsweise sparsame Menschen, wenn sie alt geworden sind, oftmals sehr geizig werden, und wagemutige und neugierige Menschen leichtsinnig. Ebenso werden hilfsbereite Menschen im Alter teilweise wirklich extrem selbstlos und ausopferungsbereit. Menschen, die schon immer etwas unsicher oder leicht zu bedrücken waren, werden im Alter teilweise ernsthaft depressiv.
Aber wieso ist das so? Neigen ältere Menschen dazu, sich in Stimmungen und Ansichten stärker hineinzusteigern? Wenn ja, woher kommt das? Was passiert da im Gehirn? Oder fallen vielleicht im Alter bloß Hemmungen, die vorher aus gesellschaftlichen Gründen immer aufrecht erhalten worden sind, sei es, weil die gesellschaftliche Meinung den alten Menschen nicht mehr interessiert, oder aber, weil es zu anstrengend geworden ist, sich andauernd an die Konventionen zu halten? Ist der im Alter aggressive Mensch also eigentlich schon immer so gewesen, aber hatte vorher immer die Möglichkeit, diese Emotionen besser zu kontrollieren und zu unterdrücken? Oder empfinden alte Menschen irgendwie wirklich tiefer oder emotionaler, als in jüngeren Jahren?
Ich weiß was du meinst. Ich habe das bei meinem Großvater festgestellt. Der ist sehr ungeduldig, auch wenn er manchmal versucht, das zu verbergen oder zu überspielen. Ich habe aber trotzdem den Eindruck, dass er sehr viel ungeduldiger wird, je älter er wird. Das führt dann oft dazu, dass er überpünktlich wird.
Manchmal kommt es vor, dass er mit meinem Vater irgendwohin fahren möchte. Da er schon alt ist, kann er längere Strecken nicht mehr ohne weiteres allein zurücklegen. Das strengt ihn dann schon sehr an und wenn es möglich ist, bittet er dann eine jüngere Person, ihn zu fahren. Wenn er also mit meinem Vater irgendwohin fahren möchte und die beiden verabredet haben, sich um 8 Uhr am Auto auf dem Hof zu treffen, dann steht mein Großvater schon um 7 Uhr morgens auf der Matte und klopft ungeduldig an der Haustür, weil er nicht zu spät kommen will. Wie bereits erwähnt, wird das umso extremer je älter er wird. Es scheint im Moment auch der Fall zu sein, dass mein Vater sich in eine ähnliche Richtung entwickelt. Wovon das abhängt, kann ich aber leider nicht sagen.
Eine wissenschaftliche Erklärung dafür weiß ich leider auch nicht. Mich würde selbst aber ebenfalls sehr interessieren, warum das so ist. Ich habe das schon bei vielen älteren Menschen beobachten können. Seit meine eigenen Eltern in dieses Alter kommen, fällt mir das besonders auf.
Ich könnte mir auch vorstellen, dass es an den psychischen Kontrollmechanismen liegt, die im Alter immer schwächer werden. Wenn die eigene Kraft nachlässt, fällt es sicher immer schwerer, auf die Bedürfnisse und Eigenheiten anderer Rücksicht zu nehmen beziehungsweise sich auf sie einzustellen. Die eigenen Bedürfnisse und Wertvorstellungen treten dann in den Vordergrund. Irgendwie gleicht man ja im Leben mehr oder weniger ständig seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse mit denen der Umwelt ab, um Konflikte zu vermeiden und Kompromisse zu finden, Anders wäre ein einigermaßen harmonisches Miteinander gar nicht möglich und man würde sich sozial isolieren.Kleinkinder müssen das ja auch erst lernen. Am Anfang ihres Lebens sehen sie nur sich selbst und ihre Wünsche. Später müssen sie schmerzlich erfahren, dass sie mit ihren Bedürfnissen nicht der Mittelpunkt des Universums sind. Ich denke mal, dass dieser Prozess im Alter rückläufig ist. Deshalb werden viele ältere Menschen zunehmend unflexibler und manchmal auch sturköpfiger oder gar egoistisch. Vielleicht kann das Gehirn einfach nicht mehr die Energie aufbringen, sich auf sich selbst und andere zu konzentrieren?
An meiner Mutter ist mir zum Beispiel aufgefallen, dass es ihr immer schwerer fällt, anderen zuzuhören. Das war noch nie ihre Stärke. Aber jetzt monologisiert sie regelrecht und geht oft weder auf Zwischenfragen noch Einwürfe meinerseits ein. Wenn sie erst mal im Redefluss ist, gibt es kein Halten mehr. Manchmal habe ich was nicht mitbekommen und will zum Beispiel wissen, von wem oder wovon sie überhaupt redet. (Kann auch sein, dass sie es gar nicht gesagt hat, weil sie schon selbstverständlich davon ausgeht, dass mein Wissensstand bezüglich ihrer Bekannten oder Aktivitäten mit ihr auf einem Level ist.) Ich habe dann kaum noch eine Chance, sie zu unterbrechen und höre mir dann ellenlange Ausführungen an, ohne ihr überhaupt folgen zu können. Manchmal schreie ich dann mal richtig laut "Hallo!" (anders geht es leider nicht...), um eine Frage stellen zu können. Nach einer Unterbrechung redet sie dann genau an der Stelle weiter, wo sie aufgehört hatte. Wie bei einem Rekorder, wo man mal kurz die Pausentaste gedrückt hat. Das ist manchmal schon anstrengend. Vor allem dann, wenn man sich das in exakt dem gleichen Wortlaut noch ein paar mal anhören muss, wenn sie die gleiche Geschichte anderen Leuten (oder auch mir ) erneut erzählt. Mich fasziniert ja immer, wie das jemand überhaupt so deckungsgleich hinbekommen kann! Selbst wenn ich das Gleiche noch mal erzählen wollte, könnte ich das gar nicht mit den identischen Worten wiedergeben. Das ist irgendwo auch eine erstaunliche Leistung.
Das Verhalten Deiner Mutter kommt mir von meinem alten Vater bekannt vor. Der redet teilweise auch ohne Punkt und Komma, ignoriert alle Einwände und Anmerkungen, und redet die ganze Zeit weiter. Und wenn er doch einmal kurz aufhört, dann setzt er danach sofort wieder da an, wo er stehen geblieben war. Ich glaube, alte Menschen sind teilweise einfach sehr in ihren eigenen Gedanken gefangen. Daher bleiben sie auch in diesen Gedankengängen, und bekommen es gar nicht mit, wenn sie unterbrochen werden. Und weil sie dort einfach nicht herauskommen, könne sie nach einer kurzen Pause auch sofort wieder an der richtigen Stelle weiterreden.
Und die Tatsache, dass Sätze oftmals gleich formuliert werden, könnte ich mir damit erklären, dass alte Menschen oftmals einen verringerten Wortschaft haben. Die Vergesslichkeit sorgt ja allgemein dafür, dass bestimmte Worte dem alten Menschen gar nicht mehr richtig einfallen, oder der Mensch immerhin länger darüber nachdenken muss, länger nach einem bestimmten Wort suchen muss, bis es ihm endlich einfällt. Von daher dürften viele alte Menschen sich quasi ein bestimmtes Wort zurechtlegen, das ihnen dann vertraut ist und sofort einfällt. Dann grübeln sie nicht mehr so lange, bis sie einen Satz hinbekommen, aber dafür fällt das Vokabular eben etwas weniger Variantenreich aus.
Andererseits ist es, was diese ganze Angelegenheit betrifft, bei meinem Vater eher so, dass er früher nicht so viel sprach. Ich weiß also nicht, ob das bei Deiner Mutter daher wirklich eine Verstärkung ihres bisherigen Verhaltens ist, oder ob dieses lange Monologisieren nicht allgemein bei älteren Menschen auftritt, ganz egal, ob sie vorher sehr redselig oder eher verschwiegen waren.
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