Ist der Krankenstand von Behinderten nicht immer höher?

vom 22.01.2014, 12:19 Uhr

A sitzt seit drei Jahren nach einem Unfall im Rollstuhl. Neben seiner inkompletten Querschnittslähmung, die mehr Probleme macht als eine komplette, weil mehr Schmerzen und Krämpfe in den Beinen bei ihm damit verbunden sind, hat er auch einige psychische Probleme. Aufgrund seiner ganzen Krankengeschichte war dies auch zu erwarten, denn unter anderem lag er nach seinem Unfall fast ein Jahr im Koma. Zu dem ganzen kommt inzwischen auch noch eine leichte Form von Epilepsie.

Damit A, der gerade einmal dreißig Jahre alt ist, nicht nur zu Hause versauert und außerdem noch etwas für seine Rente tut und weil die Ärzte meinten, Arbeit täte ihm gut, fing A eine Maßnahme in einer Behindertenwerkstatt an. A war insgesamt neun Monate in dieser eigentlich auf drei Jahre ausgelegten Maßnahme. Nach den neun Monaten wurde die Maßnahme unterbrochen, nachdem A mehr als sechs Wochen am Stück krank war, da er sich wegen seiner Epilepsie im Krankenhaus neu einstellen lassen musste. Dieser Zeitraum ist für eine medikamentöse Neueinstellung völlig normal.

Vom Rententräger, der die Maßnahme finanzierte, wurden daraufhin Anhörungsbogen an A und die Werkstatt geschickt, um zu ergründen, ob die Maßnahme endgültig abgebrochen werden soll oder ob A danach dort weiter arbeiten kann und will. A wollte dort weiter arbeiten und er hatte dort auch gute Arbeit geleistet. Dies bescheinigte auch die Werkstatt. Die Werkstatt lehnte eine Fortsetzung der Maßnahme jedoch ab mit der Begründung, dass der Krankenstand von A zu hoch sei. Allein deswegen brach die Rentenversicherung die Maßnahme dann auch ab, ohne auf die Bedeutung und Anhörung von A einzugehen.

A fiel aus allen Wolken. Es stimmte, dass er oft krank geschrieben war. Tatsächlich hatte er in den neun Monaten insgesamt drei Monate wegen Krankheit gefehlt. Alle diese Krankschreibungen beruhten auf seiner Behinderung bzw. den bekannten Krankheiten. Einige dieser Krankschreibungen waren sogar durch die Arbeit verursacht worden, da man ihm dort Arbeiten gegeben hatte, die ungeeignet waren und Entzündungen in seiner Schulter bzw. seinen Handgelenken verursacht hatten. Er hatte auch keinen auf ihn angepassten Tisch gehabt usw. Am tatsächlichen Vorliegen der Krankheiten bestand also kein Zweifel, es waren keine psychosomatischen oder vorgeschobenen Krankheiten. Er war teilweise sogar nach Hause geschickt worden, weil er zu sehr hustete etc.

Ist der Krankenstand von Behinderten nicht automatisch höher als bei Nichtbehinderten? Muss eine Behindertenwerkstätte nicht darauf eingerichtet sein, dass die Behinderten auch öfter und länger mal ausfallen? Hätte man nicht von vornherein eine Maßnahme ablehnen müssen, wenn der Krankenstand ein Ausschlusskriterium ist? Immerhin kannten sowohl die Werkstatt wie auch der Rententräger vorher die Krankengeschichte von A und wussten, wie oft er aufgrund von Krankheiten schon vorher arbeitsunfähig gewesen war.

» rasenderrolli » Beiträge: 1058 » Talkpoints: 16,66 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Eine Behindertenwerkstatt sollte oder so ja im eigentlichen Sinn nur für die betreffende Person eine Zwischenlösung sein, denn die Eingliederung auf den ersten Arbeitsmarkt ist nun einmal das vorrangige Ziel der Maßnahme. Behinderte Menschen werden ja auch auf den ersten Arbeitsmarkt je nach ihrer Qualifizierung eingestellt, denn von der eigentlichen Arbeit gibt es keine Unterschiede. Sie müssen so vom Arbeitgeber behandelt werden wie eben alle anderen Mitarbeiter.

Die Werkstatt muss auf diese Situation die Rehabilitanden schon einstellen und auch korrekt nach den gegebenen Aspekten einschätzen. Für den zahlenden Rententräger zählt im Endeffekt nur der erfolgreiche Zugang zum ersten Arbeitsmarkt. Deshalb stimmt die Aussage nur bedingt und ist von Situation zu Situation sehr unterschiedlich.

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» karlchen66 » Beiträge: 3563 » Talkpoints: 51,03 » Auszeichnung für 3000 Beiträge


Das kommt sicherlich sehr stark auf die Art der Behinderung an! Ist sie gerade erst erworben, wie im geschilderten Fall oder existiert sie schon stabil von Geburt oder Kindheit an? Eine neue Behinderung macht vermutlich deutlich mehr Probleme. Welchen Grad hat die Behinderung? Je schwerer, desto stärker vermutlich meist auch die Auswirkungen auf die Gesundheit. Welche Art der Behinderung ist es: Ein vollständig Blinder Mensch wird beispielsweise eher selten häufiger krank sein als die durchschnittliche Vergleichspopulation seines Alters, mal ganz abgesehen von depressiven Verstimmungen vielleicht. Jemand der beispielsweise eine fortgeschrittene multiple Sklerose hat, wird da schon deutlich mehr Fehltage ansammeln.

So pauschal kann man das nicht sagen, denn behindert ist nicht gleich behindert. Absurd finde ich den Fall von A jedoch schon. Zumindest widerspricht er total meinem gesunden Menschenverstand. Bislang dachte ich immer, dass es in Behindertenwerkstätten humaner als auf dem ersten Arbeitsmarkt zugeht. Ich hätte auch vermutet, dass man dort darauf eingerichtet ist, dass Mitarbeiter immer wieder mal behinderungsbedingt krank werden.

Ganz ehrlich: Für mich sieht das nach einem Fall für einen Anwalt für Arbeitsrecht aus. Ich kenne mich zu wenig aus, welche Rechte man als Behinderter wirklich hat. Aber solche Zustände halte ich für untragbar. Da hat wohl einer das Geld eher im Auge als den Menschen A. Ich würde mich an A's Stelle also an Behindertenverbände, Behindertenvertreter oder Fachanwälte wenden und mir das nicht bieten lassen. Gleichzeitig würde ich auch überlegen, ob man nicht anderweitig einen behindertengerechten Job findet, der nicht unbedingt in einer Werkstätte angesiedelt ist, sondern eher vielleicht im geistigen Bereich oder sonst wie.

Wenn alles nicht hilft, könnte man sich dann als berenteter junger Mensch mit Handicap ehrenamtlich engagieren und so das Leben auch sinnvoll gestalten. Beispielsweise als Vorlesepate mit Kinder und denen ganz nebenbei noch ein Sozialkompetenz beibringen, wie man mit Behinderten umgeht.

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» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge



@trüffelsucher: Grundsätzlich stimme ich Dir zu. Ich wollte nur noch etwas dazu sagen, dass ein blinder Mensch nicht unbedingt öfter krank ist als ein sehender. Zu den in der Behinderung begründeten Krankheitsfällen habe ich auch die gepackt, die über Umwege nur damit zu tun haben, dass A im Rollstuhl sitzt und Epilepsie hat. Da gab es also etwa auch eine schwere Verletzung, weil A bedingt durch einen Anfall aus dem Rollstuhl fiel. Bei einem Blinden hätte ich nun auch solche Verletzungen dazu gezählt, die einfach durch die Blindheit entstehen, also vielleicht sich mit heißem Wasser verbrennen, wenn man sich heißen Tee einschenkt, oder weil man doch gegen etwas gelaufen ist. Ich habe dies also alles zusammen gefasst.

» rasenderrolli » Beiträge: 1058 » Talkpoints: 16,66 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



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