Die Frage, welcher Nationalität man sich zugehörig fühlt

vom 21.01.2014, 04:26 Uhr

Ich erinnere mich noch sehr gut, dass ich mal, damals mag ich sieben oder acht Jahre alt gewesen sein, mit meiner Mutter in einem Museum in dieser Stadt war. Es war Sonntag und schon später nachmittags. Da die Sonne schien und es ziemlich warm war, war das Museum ziemlich leer. Andere Familien waren wohl eher im Freibad, aber das interessierte mich damals irgendwie weniger.

Wir waren gerade unterwegs von einem Raum zum nächsten und unterhielten uns dabei, und offenbar bekam ein Museumswärter das mit. Sowohl meine Mutter als auch ich konnten zu dem Zeitpunkt ganz normal Deutsch sprechen, allerdings sprachen wir auch manchmal in anderen Sprachen miteinander. Wieso auch nicht? Meine Mutter hatte außerdem die Meinung, dass es mir nicht schaden würde, mehrere Sprachen somit zu trainieren, bevor ich sie mangels Gebrauch wieder verlerne.

Ich kann mich noch gut erinnern, dass der Museumswärter uns entgegen kam und dann fragte, was für eine Sprache das denn sei. Und dann stellte er mir die Frage ins Gesicht: "Als was fühlst Du Dich eigentlich? Deutsch?" Ich weiß noch, dass mich das damals ziemlich verwirrte, weil ich nicht der Meinung war, dass man sich überhaupt einer Nationalität zugehörig fühlen müsste, geschweige denn, dass man sich auf eine beschränken muss. Aber genau das wollte der Mann mir nun weißmachen: "Aber als irgendwas musst Du Dich doch fühlen!" Es muss mich schon sehr verwirrt haben, andernfalls hätte ich es bis jetzt, gut zwanzig Jahre später, wohl nicht mehr so lebhaft im Gedächtnis behalten.

Aber das war auch nicht das einzige Mal, dass mir diese Frage gestellt worden ist. Ich weiß noch, dass ich mal mit neun oder zehn Jahren auf dem Kindergeburtstag einer Mitschülerin war. Da sah mich die Mutter dieser Mitschülerin auch an und fragte, welcher Nationalität ich mich eigentlich zugehörig fühlen würde.

Ebenso kam, ein paar Jahre später, am Gymnasium mal ernsthaft eine Lehrerin auf mich zu und meinte: "Du siehst nicht deutsch aus. Woher kommst Du? Und als was fühlst Du Dich?" Am liebsten hätte ich sie gefragt, wie denn ihrer Meinung nach ein Deutscher aussieht, aber das traute ich mich damals noch nicht, schließlich war das meine Lehrerin, die bei Entscheidungen am längeren Hebel gesessen hätte. Damals war ich gerade frisch ans Gymnasium gekommen und etwa 13 Jahre alt.

Und das wären nur drei solcher Erlebnisse, die ich hier wiedergegeben habe. Real waren es noch einige mehr. Irgendwann habe ich begonnen mit "Ich fühle mich als Mensch, und sonst nichts weiter!" zu antworten. Ich glaube, das fing mit 14 oder 15 Jahren an. Das Alter, in dem man beginnt, patzig zu werden. ;) Ich weiß noch gut, dass diese Antwort von mir aber auch bei vielen Menschen nicht als gültig angesehen worden ist. Die drängten dann weiter und meinten, das könne doch nicht sein. Schön, wenn man mir meine eigenen Empfindungen abspricht.

Die Frage, nach welcher Kultur jemand lebt, der offenbar zumindest zu einem Teil nicht-deutscher Herkunft ist, kann ich ja verstehen. Dass man aber darauf drängt, dass man sich für eine Kultur entscheiden müsste, gefällt mir nicht so besonders. Ebenso solche Aussagen, dass man doch kein Deutscher sein könne, bloß, weil man "ausländisch" aussieht. Und um ehrlich zu sein, als Kind nervte es mich irgendwann, wenn wieder so eine in meinen Augen aus damaliger Perspektive bescheuerte "Zu welcher Nation gehörst denn Du?"-Frage kam. Manchmal bekam ich den Eindruck, ich würde nicht als Person interessieren, sondern nur die Kultur, aus der ich vermutlich entstamme. Ich weiß aber, dass es nicht automatisch böse vom Fragenden gemeint war. Manchmal vielleicht allerhöchstens plump ausgedrückt.

Vielleicht ist hier im Forum ja auch jemand, der schon einmal eine solche Frage gestellt hat? Wenn ja, wieso hast Du diese Frage gestellt? Wieso interessiert es Dich, zu welcher Nationalität sich ein Mensch zugehörig fühlt? Und meinst Du wirklich, dass man sich für eine einzelne entscheiden muss? Wenn ja, wieso? Und meinst Du, die Antwort auf die Frage würde irgendetwas über meine Person und meinen Charakter aussagen, und wäre damit so wichtig, dass man sie kennen müsste, bevor man mir andere Fragen zu meinen Interessen und Denkweisen stellt?

Die Fragen werde ich auch das nächste Mal, dass ich mit dieser Thematik konfrontiert werde, stellen. Aber bis dahin finde ich vielleicht hier im Forum einige Antworten darauf.

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Ich finde dein Thema super interessant und antworte dir, obwohl meine Eltern beide aus Deutschland stammen und ich auch hier aufgewachsen bin. Allerdings habe ich schon sehr viel über genau diese Frage nachgedacht und auch mit Freunden darüber diskutiert. Da ich mich schon von klein an für andere Sprachen und Kulturen interessiert habe, später auch einmal einige Zeit im Ausland lebte und im Laufe meines Leben schon sehr viele Menschen mit ganz unterschiedlichem Background kennen lernen durfte, haben mich solche Themen immer begleitet und beschäftigt.

Zunächst muss ich leider zugeben, dass ich früher zuweilen selbst einmal so "blöde Fragen" gestellt habe. Ich stamme ursprünglich aus einer Region in Ostdeutschland, wo ich nur in seltenen Fällen einmal auf Menschen mit anderem Aussehen oder einer fremden Kultur getroffen bin. Wenn es doch mal dazu kam, war ich sehr neugierig und wissbegierig. Aber wirklich im positiven Sinne. Später, als ich dann aus meinem Dorf nach Berlin gezogen bin und dann auch noch die Mauer fiel, habe ich sehr viele Menschen nichtdeutscher Herkunft bzw. mit einem anderen Background kennengelernt. Dazu kamen meine Auslandsaufenthalte und Sprachstudien, und die Liebe spielte nicht zuletzt auch eine wichtige Rolle.

Wenn ich nach all den Jahren und mit meinem heutigen Erfahrungsschatz auf frühere Gespräche oder meine eigenen Äußerungen zurückblicke, bin ich da bestimmt auch naiverweise in so einige Fettnäpfchen getreten, ohne mir dessen auch nur im geringsten bewusst zu sein. Sicher passiert mir das auch noch heute, aber ich habe schon eine Menge dazugelernt und ganz neue Einsichten gewonnen. Nicht zuletzt auch, weil meine Freunde mir das offen sagten und mir ihre Sichtweise und Gefühlslage erklärten. Das setzt natürlich ein Grundvertrauen voraus.

Genau die Frage, die dir der Mann im Museum stellte, habe ich auch schon öfter gestellt. Meist waren die Reaktionen nicht sonderlich positiv, was mich damals noch verwunderte. Inzwischen kann ich es gut verstehen und halte mich zurück. Allerdings bin ich nie davon ausgegangen, dass das eine Entweder-Oder-Entscheidung ist oder sein muss. Ich betrachte es eher so, dass jeder Mensch verschiedene Wurzeln hat, die alle zu seinem Leben und zu seiner Persönlichkeit gehören. Das meine ich gar nicht nur auf Nationalität , Herkunft oder Kultur bezogen, sondern ganz allgemein. Es spielt eine Rolle, wo, wie und mit wem wir aufwachsen, welchen Einflüssen wir während unseres Lebens ausgesetzt sind, welche Werte wir vermittelt bekamen und natürlich auch, was wir selbst daraus gemacht haben. Diese womöglich ganz naiv gemeinte Entscheidungsfrage, die dir immer wieder gestellt wurde, stürzt dich da selbstverständlich in ein unlösbares Dilemma, denn du bist ja all das und nicht nur ein Bruchteil davon. Es ist fast so, als frage dich jemand, ob du lieber dein rechtes oder linkes Auge behalten möchtest. Natürlich willst du beide behalten, denn nur so kannst du klar sehen. Die Nationalität oder Staatsangehörigkeit betrachte ich sowieso eher als eine Formalität. Ich würde es eher als den kulturellen Background oder die Wurzeln bezeichnen.

Ich habe mal auf einer Party einen Freund meines Freundes als Türken bezeichnet, der darüber sehr erbost war. Er war hier in Deutschland aufgewachsen. Später bei einer anderen Gelegenheit nannte ich ihn dann (ich hatte es mir gemerkt) einen Deutschen. Aber da war er auch nicht gerade erfreut. Damals dachte ich nur, der weiß ja gar nicht, was er will! Als ich ihn Jahre danach noch einmal zufällig traf, bin ich zu ihm hingegangen und habe mich dafür entschuldigt. Ich hab ihm gesagt, dass ich darüber nachgedacht habe und jetzt glaube zu verstehen, warum er so reagiert hat. Er meinte freundlich, das sei doch gar kein Thema und er habe das schon längst vergessen. "Ich aber nicht." habe ich ihm dann gesagt. An seiner Reaktion habe ich dann schon gemerkt, dass er sich freute und wir haben dann nie wieder darüber geredet.

Was ich dir eigentlich damit sagen will, ist, dass es nicht immer so negativ gemeint ist, wie es vielleicht rüberkommt. Solche unsensiblen und wenig durchdachten Fragen und Sprüche können manchmal auch einfach aus Unerfahrenheit, Unbeholfenheit oder sogar ehrlichem Interesse an deiner Person herrühren. Wer nicht in einer multikulturellen Gesellschaft aufgewachsen ist, denkt leider manchmal noch in irgendwelchen veralteten längst überholten Mustern. Das lässt sich aber ändern, indem man miteinander spricht und sich besser kennen lernt. Ich kann verstehen, dass solche plumpen Fragen manchmal etwas ermüdend und nervend sind, vor allem, wenn man sie schon so oft hören musste. Ich würde dann einfach offen sagen, dass es dich nervt.

Natürlich gibt es (leider) auch Leute, bei denen das eine gezielte Provokation ist, um dich auszugrenzen. Das kann man eben nicht wissen. Ich habe hier letztens was zu meiner penetranten Nachbarin geschrieben, bei der es sich zum Beispiel um so eine Person handelt. Ihre Bemerkungen über Menschen nichtdeutscher Herkunft sind einfach widerlich. Sie stammt, genau wie ich, auch aus der ehemaligen DDR und sollte eigentlich wissen, wie es sich anfühlt, als Mensch zweiter Klasse behandelt zu werden. Denn es ist ja noch nicht lange her, dass auch auf uns herabgeblickt wurde. Ich weiß von Leuten, die nach der Wende nach Westdeutschland gezogen sind, dass auch sie es als Ossis schwer hatten, akzeptiert zu werden. Jetzt hacken viele Ostdeutsche auf Menschen nichtdeutscher Herkunft herum. Tja, Selbstreflexion ist eben nicht jedem gegeben...

Ich denke und hoffe ja, dass diese ewig Gestrigen allmählich aussterben werden. Ein paar Unbelehrbare wird es zwar immer geben, aber die junge Generation wächst jetzt doch schon ganz selbstverständlich in eine multikulturelle Gesellschaft hinein. Das Rad der Geschichte werden sie nicht mehr zurückdrehen können. Zum Glück! Ich bin wirklich froh, dass ich nicht mehr in einem nach außen hermetisch abgeriegelten Land leben muss, wo Einflüsse von außen nur als unerwünschte Bedrohung abgewehrt wurden. Schon als Kind habe ich mir gewünscht, andere Menschen und Kulturen kennen zu lernen, mich mit ihnen auszutauschen und dadurch neue Welten und Sichtweisen für mich zu erschließen. Ich sehe das als eine riesige Chance und eine große Bereicherung.

PS: Ich war übrigens immer ein bisschen neidisch auf Leute, die mehrsprachig aufwachsen. Ich musste mir die Sprachen alle mühselig aneignen, während Menschen wie du dies bereits in die Wiege gelegt bekamen. Es ist gut, dass du diesen dir geschenkten Reichtum pflegst. Als Nicht-Muttersprachlerin kann ich es da leider nicht zu einer ähnlichen Perfektion bringen. Es bleiben immer Fremdsprachen.

Ach so, ich wollte noch versuchen zu erklären, warum jemand dir auf Grund deines Aussehens überhaupt so eine Frage stellen könnte. Ich kann da natürlich nur für mich sprechen:

Also ich finde tatsächlich, dass es etwas über einen Menschen aussagt, ob er in mehreren Kulturen zu Hause ist. Immerhin ist er es gewohnt, von klein an zwischen unterschiedlichen Mentalitäten, Sichtweisen und Sprachen hin und her zu switchen. Welche Kulturen das sind, ist für mich dabei gar nicht unbedingt das entscheidendste (Obwohl es mich, ganz nebenbei gesagt, natürlich auch brennend interessiert...). Ich finde, dass solche Menschen anderen eine Menge voraus haben, weil sie eben in der Lage sind, einen Perspektivwechsel vorzunehmen.

Wenn sie dafür offen sind, können sie beide Kulturen miteinander vergleichen, sich aus beiden das für sie Beste herauspicken und einen viel objektiveren Blick auf die Welt erlangen. Sie leben auch von Anfang an mit diesen Gegensätzlichkeiten und Widersprüchen und müssen für sich einen Modus finden, das alles in ihr Leben zu integrieren. Das ist eine große Leistung, die ihnen da ganz selbstverständlich abverlangt wird. (Der Fachbegriff dafür lautet, glaub ich, Ambiguitätstoleranz) Wenn alles gut läuft und sie nicht zwischen den Welten zerrieben werden, entwickeln sie so automatisch eine sehr gute soziale und interkulturelle Kompetenz, was ganz nebenbei ja in so einer globalisierten Welt wie der unseren nur von Vorteil sein kann.

Nach längeren Auslandsaufenthalten habe ich teilweise auch erlebt, wie sich meine Sichtweise auf meine eigene Kultur verändert hat. Plötzlich hinterfragt man Dinge, die vorher ganz normal und selbstverständlich erschienen. Man stellt Vergleiche an und wird sich auch seiner eigenen Begrenztheit bzw. der seiner kulturellen Prägung bewusst. Wer sich so einem Experiment nie aussetzt oder bei Auslandsaufenthalten weiter nur stur in seiner eigenen Kultur verharrt, ohne offen und neugierig auf das Neue zu sein, wird solche bereichernden Erfahrungen natürlich niemals machen.

Jemand nach seiner Herkunft oder seinen Wurzeln zu fragen, ist für mich ja nur der Einstieg. Der bloße Name eines Landes sagt natürlich noch gar nichts über die Person aus. Wenn das über die bloße gedanklichen Zuordnung oberflächlicher und abgegriffener Klischees (Franzose=Baskenmütze, Brasilianer=Samba...) nicht hinausgeht, ist es natürlich blöde. Aber die meisten interessanten Gespräche beginnen eben nun mal mit einem Smalltalk.

» ANNA67 » Beiträge: 114 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Ich kann mich nicht erinnern, jemals so eine Frage gestellt zu haben, zumindest nicht weil jemand "ausländisch" aussieht. Wenn ich jemanden neu kennenlerne und weiß, dass er nicht aus meiner Gegend kommt frage ich gerne auch, wo er her kommt. Das ist ja durchaus interessant, auch wenn zum Beispiel jemand einen Dialekt spricht, da ich mich sehr für Sprachen und Dialekte interessiere. Das muss aber kein Türke, Russe oder sonstiges sein, so eine Frage stelle ich auch Hessen oder Sachsen.

Die Freundin meines Neffen stammt aus Brandenburg, ganz in der Nähe von Berlin und natürlich merkt man das hier in Schwaben schon, dass sie keine Schwäbin ist. Ich habe sie beim Kennenlernen also gefragt, wo sie herkommt, man kann sich so ja auch gut austauschen über verschiedene Lebensweisen, Dialekte, regionale Besonderheiten.

Ich selber bin Deutsche, meine Mutter war Deutsche, mein Vater ist als Flüchtlingskind im damaligen Sudetendeutschland geboren, aber eben auch Deutscher. Ansonsten bin ich Münchnerin (geboren) und Schwäbin (aufgewachsen) - ich bin also alles mögliche und dazu noch Europäerin. Ich finde es nicht schlimm, etwas über einen Menschen erfahren zu wollen. Die Frage, als was man sich fühlt finde ich allerdings etwas seltsam.

» kerry3 » Beiträge: 892 » Talkpoints: 18,22 » Auszeichnung für 500 Beiträge



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