Was haltet ihr von dem rauen Umgangston in Berlin?

Ich wohne jetzt schon seit mehr als 20 Jahren in Berlin und liebe diese Stadt. Inzwischen kann ich mir auch kaum noch vorstellen, irgendwo anders zu wohnen. Aber eins stört mich hier nach wie vor: Der teilweise extrem unhöfliche und anmaßende Umgangston. Nicht, dass ich etwas gegen den sprichwörtlichen Witz oder die legendäre Schlagfertigkeit der Urberliner hätte. Ich finde sogar, dass gerade das dieser Stadt ihren besonderen Charme verleiht. Das, was ich meine, hat aber weder mit Humor noch mit Ehrlichkeit zu tun. Es ist einfach nur Mangel an Empathie und Höflichkeit.

Obwohl ich selbst eine Ossi bin und daher bestimmt kein Interesse an "Ossi-Hetze" habe, sind mir diese negativen Verhaltensmuster leider mehr im Ostteil der Stadt begegnet. Woran das liegt, weiß ich nicht. In Gesprächen mit Bekannten und Besuchern der Stadt wurde mir diese Wahrnehmung aber auch schon häufig bestätigt.

Ich meine damit auch und vor allem Leute, die im weitesten Sinne im Service - Bereich arbeiten bzw. Kundenkontakt haben. Da erlebt man hier fast täglich unglaubliche Geschichten! Auf höflich gestellte Fragen erhält man patzige oder gar keine Antworten, man schaut in missgelaunte Gesichter und es wird keine Gelegenheit ausgelassen, Kunden oder Patienten durch seinen gesamten Habitus unmissverständlich zu zeigen, dass es enorm große Mühe macht, ihn zu behandeln oder zu bedienen. Oft fühlt man sich schon beim Betreten des Ladens als unerwünschter Störenfried.

Ich sage nicht, dass alle Berliner / Brandenburger so sind, aber in dieser Form und Häufigkeit ist mir das noch nie irgendwo in Deutschland bzw. auf der Welt passiert. Beruflich hatte ich schon sehr häufig mit Gästen aus anderen Teilen Deutschlands oder dem Ausland zu tun. Die sind zum Teil richtig traumatisiert von solchen Erfahrungen. Ich kann dann nur immer sagen, dass sie es nicht persönlich nehmen sollen. Das sei hier eben so Usus und ginge allen so. Hier lässt man eben gerne völlig unbedarfte Fremde in aller Deutlichkeit an seiner schlechten Laune oder Frustration Anteil nehmen. Wenn man selbst einen miesen Tag hatte, soll auch dem Rest der Welt das Lachen vergehen. Inzwischen bin ich da schon etwas abgehärteter und nehme es mir nicht mehr so an. Wenn es Besucher trifft, schäme ich mich aber wirklich fremd.

Von Berlinern hört man als Erklärung oft ganz stolz und selbstbewusst, dass sei eben Berlin: Herz mit Schnauze. Wenn das Herz da nur auch mal dabei wäre! Ich empfinde es einfach nur als Stimmungskiller, wenn man schon früh morgens beim Brötchen holen den ersten Anschiss von der übellaunigen Verkäuferin an den Kopf geworfen bekommt. Ein super Start in den neuen Tag! Das kann man dann ja idealerweise gleich an den Nächsten weitergeben, indem man einen Radfahrer anmotzt, seine Kollegen angiftet oder seine eigenen Kunden mies behandelt.

Werde ich erst zur "echten Berlinerin", wenn ich meinen persönlichen Frust an jedem auslasse, der mir zufällig über den Weg läuft? Oder haltet ihr den Berliner Umgangston für höflich und nachahmenswert?

Als ich das erste Mal mit Berlinern zu tun hatte, war ich auch geschockt. Da kamen Themen auf, die ich nie ansprechen würde und es würde schon ganz schön geneckt. Ich denke, dass man sich als Berliner schon einiges erlauben kann, weil sie eben so sind und das die Erklärung für alles ist. Meiner Meinung nach erklärt das aber nicht die Unhöflichkeit, die du beschreibst und das finde ich auch schade. Ich liebe den trockenen Humor der Berliner, aber an Kundenfreundlichkeit könnten sie wirklich noch eine Schippe drauf legen, so sind auch meine Erfahrungen.