Mindestlohn von 8,50 € überhaupt realisierbar?

vom 20.11.2013, 16:12 Uhr

Anscheinend wird er ja bald kommen, der Mindestlohn von 8,50 €. Für Arbeitnehmer hört sich das ja wunderbar an, aber ist solch ein Lohn überhaupt flächendeckend und dauerhaft realisierbar? Um das Geld an die Angestellten auszuzahlen, müssten ja etliche Preise drastisch angehoben werden, insbesondere jene vom Friseur und Floristen. Wie seht ihr das?

» Sternchen* » Beiträge: 2804 » Talkpoints: 2,78 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



Ich war letztens bei meiner Friseurin und die hat wieder einmal durchblicken lassen, was sie so verdient. Und auch wenn sie nach einem Arbeitsplatzwechsel jetzt total glücklich ist, verdient sie als Friseurmeisterin! einen Lohn, den ich persönlich lächerlich finde. Das geht so weit, dass sie zusätzlich Hilfe vom Amt bekommen muss. Trotz einer 40 Stunden Woche.

Rechnet man das mal runter auf einen Stundenlohn, dann ist das echt lächerlich. Und es ist nun auch keine einfache Arbeit, immerhin steht man ja den ganzen Tag lang. Ich denke schon, dass ein Mindestlohn umsetzbar ist und vor allem ist der längst überflüssig. Vielleicht geht dann der ein oder andere wieder lieber arbeiten und verzichtet auf die Stütze vom Amt. Motivierend ist das dann ja schon. Und da bin ich auch gerne bereit, mehr Geld beim Friseur zum Beispiel zu lassen.

Benutzeravatar

» winny2311 » Beiträge: 15159 » Talkpoints: 4,91 » Auszeichnung für 15000 Beiträge


Sicherlich ist das flächendeckend möglich. Allerdings nicht in allen Branchen gleichzeitig, sondern muss eben Stück für Stück kommen. Denn wenn man jetzt eine Branche mit einem Mindestlohn versorgt, wo keine Hilfe vom Amt mehr nötig ist, dann steigt eben auch die Kaufkraft. Die wenigsten Leute werden, wenn sie mehr verdienen, ihre Ausgaben auf dem niedrigen Niveau halten.

Und so müsste man eben alle paar Monate eine Branche mit einem Mindestlohn versorgen. Wobei ich dabei nicht mal eine Zahl bei der Vergütung nennen will. Der Mindestlohn sollte so gestaltet sein, dass man eben sein Leben ohne weitere finanzielle Unterstützung finanzieren. Ob da 8,50 Euro als Stundenlohn ausreichend sind, kann man pauschal nicht sagen.

Da gibt es ja regionale Unterschiede, was vor allem die Kosten für den Wohnraum angeht. Was hier zum Beispiel reichen würde, reicht 30 Kilometer weiter südlich schon nicht mehr aus. Aber es ist mit Sicherheit der richtige Schritt, wenn man Mindestlöhne für alle Branchen flächendeckend kommen.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



winny2311 hat geschrieben:Ich denke schon, dass ein Mindestlohn umsetzbar ist und vor allem ist der längst überflüssig.

Tja das mag sicher so sein, die Frage ist doch aber, ob die breite Gemeinschaft bereit ist die Mehrkosten zu tragen. Hier bei uns wird jetzt in immer mehr Läden "fair" bezahlt und im Gegenzug sind die Preise um teilweise 50% nach oben gegangen. Kostete der einfach Herrenhaarschnitt vor einigen Monaten noch 10 Euro sind es jetzt 15 Euro.

Sicherlich dürfte das am Ende gerechtfertigt sein, wenn dafür eine vernünftiger Stundenlohn gezahlt wird von dem die Leute dann auch leben können. Aber die Frage dürfte eben sein, ob dafür nicht im Gegenzug einfach weniger Leute zum Friseur gehen oder die Zeitspannen zwischen den Besuchen verlängert werden. Genauso dürfte sich da auch die Frage stellen, ob das nicht nur dazu führt, dass an anderer Stelle versucht wird massiv Kosten einzusparen um günstiger zu sein als der Wettbewerber. Da dürften dann wohl eher große Ketten überleben als der gemeine Handwerksbetrieb.

Und so sieht es ja auch in vielen anderen Berufen aus. Ein Stundenlohn von 8,50 Euro bedeutet ja in nicht wenigen Berufen fast eine Verdopplung des Lohns und da kann man sich ja schnell ausrechnen, was das dann für die Endpreise bedeutet. Die Mehrkosten werden ja nicht beim Arbeitgeber hängen bleiben, sondern direkt an den Kunden durchgegeben.

Wobei mir jetzt noch nicht so klar ist, wodurch am Ende tatsächlich die Kaufkraft so stark steigen soll. Der Arbeitnehmer hat ja kaum mehr Geld in der Tasche, er kriegt dann halt nur seinen ganzen Lohn von seinem Chef und nicht mehr vom Amt bekommt. Es wird ja dadurch nun auch kein Mehrwert erwirtschaftet, dass man jetzt wirklich sagen könnte hier wird nun mehr erwirtschaftet, es wird halt nur anders bezahlt.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge



Wenn jeder soviel verdient, dass er ohne Aufstockung vom Amt davon leben kann, könnte man in einem zweiten Schritt die Sozialversicherungsabgaben senken, den es würde an anderer Stelle gespart. Das Problem, dass der Mindestlohn den örtlichen Gegebenheiten angepasst werden muss, sehe ich auch. Meine Ausbildungszeit ist schon lange her, aber damals waren in der gleichen Firma die Gehälter für den gleichen Job in Ballungsgebieten höher, weil dort halt auch die Lebenskosten entsprechend teurer waren. Darauf müsste man heute natürlich auch Rücksicht nehmen. Aber das ist unseren Politikern natürlich gar nicht in den Kopf gekommen.

» Grisella » Beiträge: 35 » Talkpoints: 8,36 »


Grisella hat geschrieben:Wenn jeder soviel verdient, dass er ohne Aufstockung vom Amt davon leben kann, könnte man in einem zweiten Schritt die Sozialversicherungsabgaben senken, den es würde an anderer Stelle gespart.

Ob das nun tatsächlich soviel ausmacht? Die Abgaben für die Arbeitslosenversicherung sind zum Beispiel sehr überschaubar, genauso wie die Einkommenssteuer. Wirklich entlasten würde man überwiegend damit ja sowieso die höheren Einkommen. Bei niedrigen Einkommen würde doch alle Einsparungen für die steigenden Lebenshaltungskosten wieder ausgegeben werden.

Es bleibt ja hier nunmal nicht beim Friseurbesuch. Man muss ja auch an andere Branchen denken. Sei es im Reinigungswesen, wodurch jede Firma, die solche Dienste in Anspruch nimmt steigende Kosten hat und diese umlegt. Auch in großen Fleischereien müsste man drastisch die Löhne anheben und damit die Lebensmittel verteuern. Oder Paketzustellen und Briefträger, die oftmals unter dem Mindestlohn liegen.

Ich glaube da würde dann wirklich einige Punkte des täglichen Lebens teurer werden und das belastet für gewöhnlich immer niedrigere Einkommen stärker als hohe Einkommen. Wer wenig verdient kann eben nur wenig ausgeben und ist noch stärker darauf angewiesen günstig zu leben.

Zuletzt aber muss man eben auch die zweite Seite der Medaille anschauen. Jeder Lohn muss auch erstmal erwirtschaftet werden, damit er auf Dauer bezahlt werden kann. Jede Lohnerhöhung macht also nur dann Sinn, wenn alle bereit sind diese durch höhere Preise auch zu tragen. Es bringt also nichts von oben festzulegen, dass jetzt eine Summe X bezahlt werden muss, wenn das dazu führt, dass die breite Gemeinschaft nun weniger dafür ausgibt und diese Summe nicht erwirtschaftet wird. Da bringt es auch nichts sich zu freuen, dass man dann 1% weniger Beitrag zur Arbeitslosenversicherung zahlen muss.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


@Klehmchen: Da gibt es wohl viel zu bedenken. Dass die Sozialversicherungsabgaben herabgesetzt werden, glaube ich auch nicht, das war eher ironisch gemeint.

Es ist aber auch ein unhaltbarer Zustand, dass viele Menschen ganztags arbeiten und trotzdem nicht von ihrem Lohn leben können. Lieber zahle ich dann etwas mehr beim Friseur oder bei den Lebensmitteln als die gleichen Leute über die Arbeitsagentur zu finanzieren. Es sollte jeder das Gefühl haben, dass seine Arbeit etwas wert ist.

Auf die Schnelle wird es da wohl keine Lösung geben, aber irgendwo muss man ja mal anfangen.

» Grisella » Beiträge: 35 » Talkpoints: 8,36 »



Sicherlich muss man es bei allen Branchen umsetzen, aber das geht eben nicht zeitgleich und schon gar nicht in einem kurzem Zeitraum. Aber die Senkung der Lohnnebenkosten ist schon seit langem ein Ziel, was ja schließlich auch in anderen europäischen Ländern zu weniger Arbeitslosen geführt hat. Und in irgendeiner Branche muss man ja anfangen mit wirklich spürbaren Lohnerhöhungen.

Ich habe jetzt mal den Nettolohn für einen Single ausgerechnet bei einem Stundenlohn von 8,50 Euro. Da bleiben rund 1.014 Euro und ich vermute, dass einem da Leistungen von rund 100 Euro von der Agentur für Arbeit zustehen. Nimmt man dagegen einen Stundenlohn von 6,50 Euro, so kommen netto rund 812 Euro auf das Konto. Mit dem selben Onlinerechner würden da noch etwa 242 Euro vom Amt kommen.

Wer nun rechnen kann, wird bemerken, dass man mit dem Mindestlohn ja doch mehr Geld zur Verfügung hat. Auch wenn es nur um die 50 Euro sind. Aber ein Teil davon fließt eben in den Wirtschaftskreislauf und somit kann man die Schraube langsam zur nächsten Branche drehen, um nach und nach bei allen einen Mindestlohn durchzusetzen.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Punktedieb hat geschrieben:Wer nun rechnen kann, wird bemerken, dass man mit dem Mindestlohn ja doch mehr Geld zur Verfügung hat. Auch wenn es nur um die 50 Euro sind. Aber ein Teil davon fließt eben in den Wirtschaftskreislauf

Wer rechnen kann wird merken, dass das zum Großteil eine Milchmädchenrechnung ist. Zum einen wird vielerorts gar nicht Vollzeit gearbeitet und somit kommt man nur teilweise auf deine errechneten Monatslöhne.

Zum anderen frage ich mich aber warum einem mit einem höheren Stundenlohn eine höhere Grundsicherung zustehen soll als mit einem niedrigeren Lohn. Das mag vielleicht tatsächlich so sein, aber da ich kein Beamter bin und bei solchen Dingen nur meinen gesunden Menschenverstand einsetzen kann, erschließt sich mir nicht wie das gehen soll. Wenn ich mit einigen Onlinerechner sowas durchrechne kommt am Ende auch ein Plus von 50 Euro raus, aber nur weil der Nettolohn bei 8,50 um diese 50 Euro höher liegt als der von 6,50 mit staatlicher Aufstockung. Das kann man jetzt ja gerne runterrechnen, aber ich glaube für 50 Euro muss ich jetzt nicht viel vorrechnen, damit schnell klar wird, dass das ganze nur bei echter Vollzeitbeschäftigung mit 40 Stundenwoche zu einem Vorteil des Arbeitnehmers wird, mit einer 35 Stundenwoche kommt schon gar kein Zugewinn mehr raus.

Genauso fließt dieses Geld ja auch nicht wirklich in den Wirtschaftskreislauf. Wie schon vorgerechnet dürften es nur selten tatsächlich diese 50 Euro mehr werden. Aber selbst wenn man von diesen 50 Euro ausgeht, bleibt man am Ende ja bei Monatseinkommen von um die 1.000 Euro. Davon muss aber alles bezahlt werden, zunächst einmal sämtliche Fixkosten und dann auch der normale Lebensunterhalt und damit ist das Geld dann oftmals schon weg. In den wenigsten Fällen dürfte der geringe Zuverdienst, der entstehen könnte tatsächlich in die Konsumwirtschaft fließen und genau da würde man das Geld ja brauchen, wenn man hiermit einen Anteil am Wirtschaftswachstum schaffen wollen würde.

Schlussendlich denke ich persönlich, dass es völlig egal ist, ob man einen Mindestlohn einführt oder nicht. Als Unternehmer kann man nur das zahlen, was man auch einnimmt. Wenn man dann halt Brutto mehr zahlen soll, dann stellt man halt für weniger Stunden ein und wird so noch flexibler. Dann werden halt Mini- und Midijobber eingestellt und man kann sich einen Teil der Lohnnebenkosten sparen. Zudem kann man bei weniger Stunden, aber mit mehr Leuten Urlaubs- und Krankentage ökonomischer auffangen, da man keine Vollzeitkräfte vorhalten muss als Vertretung.

Ein flächendeckender Mindestlohn wird nur dann kommen, wenn alle bereit sind entsprechend zu zahlen, als Kunden sowie als Arbeitgeber und es dann von den Tarifparteien so ausgehandelt wird. Das nur durch ein verabschiedetes Gesetz jetzt alles plötzlich gut wird, das wird wohl so schnell nicht kommen.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


Warum die Zahlungen so sind, dass man mit einem höherem Verdienst eine höhere Grundsicherung erreicht, weiß ich nicht. Da ich selbst keine Gelder von der Agentur für Arbeit in dieser Thematik beziehe, kenne ich mich da auch nicht aus. Wie gesagt, ich habe es über Onlinerechner mal angeschaut und dabei für beide Lohnhöhen die selben Voraussetzungen angenommen.

Aber wenn du wirklich ziemlich zeitgleich einen flächendeckenden Mindestlohn haben willst, dann müsste man die Geschichte von der anderen Seite her anpacken. Nämlich erst die Preise soweit erhöhen, das Produzenten und Dienstleister vernünftige Lohne bezahlen können. Am Ende hat doch der Verbraucher eine gewisse Mitschuld, da ja Geiz bekanntlich geil ist.

Und wer ist schon bereit und kann es sich leisten für das Kilogramm einheimischer Kartoffeln fünf Euro zu bezahlen, damit der Landwirt auch seine Angestellten zu einem Lohnniveau beschäftigen kann, damit sie keine Gelder mehr vom Staat beantragen müssen? Man kann eben nicht billig einkaufen wollen, aber dann laut schreien, dass alle mehr verdienen sollen. Das eine geht eben ohne das andere nicht. Und am Ende hat der deutsche Erzeuger das Nachsehen, weil er die Preise für Kartoffeln aus Ägypten nicht bieten kann.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^