Gesinnung eher prekär beschäftigter Personen
Es ist für mich einfach nicht zu erklären, wieso tatsächlich die, die - gesellschaftlich gesehen (!) - ganz/nahezu unten sind, in ihrer Situation eher zum Rassismus tendieren, als sich der eigenen Klasse bewusst zu werden. Hier gibt es ein Beispiel, bei dem Security-Mitarbeiter der Bahn einen dunkelhäutigen Jugendlichen mit unverhältnismäßiger Gewalt überwältigen und einen ebenfalls "ausländisch aussehenden" nachfragenden Passanten rassistisch beleidigen.
Dazu sollte man wissen, dass eben die Deutsche Bahn Dienstleistungen wie die im Bereich der "Sicherheit" auslagert und Drittfirmen damit beauftragt. In diesem Gewerbe werden dann auch noch extreme Preiskämpfe der Anbieter ausgefochten, so dass es nicht unüblich ist, hier unter 10 Euro die Stunde (inkl. aller Gefahren- und Nachtzuschläge!) zu bezahlen. Das bedeutet, dass man durch diese Arbeit sicher nicht reich werden kann und eben immer Gefahr läuft, in Armut abzurutschen.
Gerade hier aber begegne ich immer wieder Menschen, welche offen rassistisch, ausländerfeindlich oder antisemitisch gesinnt sind. Warum aber lassen sich Menschen in eher prekären Beschäftigungsverhältnissen und eben eher am untersten Ende der gefühlten Mittelschicht so sehr von solchen Gedanken beeinflussen? Früher gab es die Idee, dass eine Verelendung einer breiten Schicht von Menschen zu revolutionären Zuständen führen würde, und man sich als Klasse verstehen würde. Jetzt denke ich, dass die Verelendung breiter Schichten eher dazu führen würde, eine eher faschistoide Gesellschaft hervorzubringen, welche an den Klassengegensätzen nichts auszusetzen hat und statt dessen nur neue Feinde/Sündenböcke kreieren würde - was am Grundproblem nichts ändern würde. Ist das ein zu pessimistisches Menschenbild?
Eine einfache Erklärung kann ich dazu auch nicht anbieten. Spontan fällt mir die Situation in der Weimarer Republik als grob vergleichbare Lage ein: Soweit ich weiß, wurde der Antisemitismus dort auch nach und nach immer verbreiteter, je schlechter die wirtschaftliche Situation wurde. Ich will hier aber ohne profundes historisches Wissen nicht zu sehr verallgemeinern.
Generell denke ich, dass Leute, wenn sie sich in einer wirtschaftlich prekären Lage befinden, mit der Zeit immer verbitterter werden. Diese Wut oder gar Hass, den sie fühlen, projizieren sie dann (eventuell auch unterbewusst) auf andere Menschen und finden so womöglich ein Ventil, um diese Gefühle auszuleben. Beispielsweise, indem sie Leute, die irgendwie "anders" sind (sei es aufgrund der Hautfarbe, der sexuellen Orientierung oder ähnlichem) verbal oder körperlich niedermachen, bekommen sie so vielleicht wenigstens einen kleinen Ego-Boost; indem sie jemand anderen zum Opfer machen, können sie ihre eigene, armselige Situation vielleicht kurzzeitig vergessen. Auf diese Weise nehmen natürlich Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Sexismus, Homophobie etc. immer mehr zu. Man sucht sich jemanden, der vermeintlich schwächer beziehungsweise "sowieso weniger wert" ist, um auf diesen einzuprügeln. Das ist natürlich nur eine Theorie. Aber ich denke, so ticken wahrscheinlich einige.
Es ist eben viel einfacher, einfach jemanden rassistisch zu beschimpfen, um Frust abzubauen, als sich gegen die Verhältnisse zu wenden, beispielsweise menschenunwürdige Arbeitsbedingungen oder viel zu geringe Löhne öffentlich zu machen und für eine Veränderung zu kämpfen.
Ich denke, dass es nicht unbedingt nur an der eigenen sozialen Lage liegen muss. Es gibt ja auch durchaus gutverdienende Menschen, die solche Ideologien für richtig befinden. Es liegt aber wohl auch an der geringen Bildung. Wenn man sich mal vor Auge führt, dass man mit einer höheren Bildung sicherlich besser bezahlte Berufe bekommt kann man auch davon ausgehen, dass hier einfach die Bildung zu gering ist.
Hinzu kommt der schon erwähnte Hass gegen die eigene Person, die auf andere Personen und Personengruppen übertragen werden, Hinzu kommt, dass man einem Menschen, der am Abgrund steht, wirklich auch Hoffnungen mit falschen Ideologien machen kann. Wenn man einem Arbeitslosen beispielsweise immer wieder sagt, dass Ausländer an dieser Situation Schuld sind, wird er es vielleicht irgendwann glauben und einen Hass dagegen entwickeln. Es ist aber schon immer leichter gewesen anderen die Schuld zu geben, als sich selber.
Der eine Punkt ist das Frustablassen, das Kate110 beschrieben hat. Dem kann ich nur zustimmen. Zum anderen kann man, dadurch, dass man andere weniger wertschätzt seinen eigenen Wert erhöhen. So gibt es dann noch jemanden, dem es noch schlechter geht als einem selbst und der auf der sozialen Leiter noch tiefer steht. Somit rückt man selber ein Stück hinauf, auch wenn es ein Trugschluss ist.
Und man kann ihn zum Schuldigen machen für die eigene prekäre Lage. Der berühmte Satz "Sie klauen unsere Jobs". Also ohne die Ausländer würden alle Deutschen Arbeit haben. Somit liegt die Schuld nicht mehr bei einem selber, weil man einen miserablen Schulabschluss hat, weil man es damals nicht ernst genommen hat oder weil man jedes Vorstellungsgespräch vergeigt. Selbst mit dem besten Schulabschluss und perfekten Vorstellungsgesprächen hätte ein Ausländer den Job bekommen. Man hätte also nichts besser machen können.
Zudem muss man auch sehen, dass Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen oft keine gute Bildung genossen haben. Natürlich ist Bildung kein Allheilmittel gegen Intoleranz. Aber Intoleranz kommt oft von Angst vor dem Unbekannten. Je mehr man weiß, desto weniger fremd ist es und desto weniger Angst hat man. Und das Wissen wird aber z.B. nicht zugänglich, wenn man nur die Bild liest. Dazu muss man schon andere Medien lesen, was man aber in der Regel nicht tut, wenn man z.B. viele Fremdwörter nicht versteht, die dort benutzt werden. (Wobei ich natürlich nicht sage, dass jeder in solchen Jobs blöd ist!)
Ob eine Verelendung einer Schicht früher tatsächlich zu Zusammenhalt geführt hat, weiß ich nicht. Ich denke, eine kleine Minderheit wurde immer als noch schlechter angesehen. Nur früher gab es einfach nicht so viel "Material" für eine noch miesere Minderheit. Und die breite Masse der Unterschicht war sich zu ähnlich, um sich voneinander abzugrenzen. Heutzutage ist die Gesellschaft so heterogen und die Wege in die unteren Schichten so vielfältig, dass jeder jemanden finden kann, auf den er aus irgendeinem Grund herabsehen kann.
Das ist ein ziemlich pessimistisches Menschenbild. Ob es zu pessimistisch ist, wird die Zukunft zeigen. Aber du stehst mit dieser Meinung sicher nicht alleine da. Ich denke jedenfalls, dass die Zukunft dir Recht geben wird. Dass die Wirtschaft immer weiter wachsen könnte, ist ein Trugschluss. Somit müssen wir uns mehr und mehr mit prekären Situationen auseinandersetzen. Bisher wird das gründlich verleugnet, wodurch keine Vorbereitung stattfindet und wodurch es noch schlimmer sein wird als es müsste.
Was hat die Klassenzugehörigkeit mit der Staatsangehörigkeit, Rasse oder Hautfarbe zu tun? Denn du meinst ja, dass Menschen einer niederen Schicht nicht so handeln dürfen? Für mich hat das eine nichts mit dem anderen zu tun.
Ist euch eigentlich bewusst, dass Menschen mit einer hohen Bildung und einer dementsprechend hohen Stellung eher selten mit Ausländern zu tun haben? Beziehungsweise sicherlich genau so fremdenfeindlich sind, aber eher weniger ihre berufliche Situation ausnutzen können? Beziehungsweise das eben, wenn es geschieht, weniger publik wird, beziehungsweise besser "erklärt" werden kann?
Ich persönlich empfinde es so, dass man Menschen, die am Existenzminimum leben eher in zwei Gruppen teilen kann. Einmal diejenigen die ihr letztes Hemd noch teilen. Und dann die Gruppe, die immer jammert und die Fehler immer bei anderen sucht. Ausländer sind da eine beliebte Zielgruppe. Diese bekommen grundsätzlich mehr Sozialleistungen, bekommen mehr bei der Tafel, sind alle generell faul und nur in Deutschland, um sich auf unserem Sozialsystem auszuruhen und so weiter - ich hoffe ich habe alle Stammtischparolen erwischt.
So ähnlich erlebe ich es auch bei Menschen, die eben einen schlecht bezahlten Beruf haben. Denen wurde generell von Ausländer die besten Stellen weg geschnappt und so weiter. Wobei lange Arbeitslosigkeit sicherlich frustrierend ist und man da sicherlich leichter dazu neigt die Schuld irgendwo zu suchen.
Mir fallen aber auch eine Menge Menschen ein, die gebildet sind, eine entsprechende Stelle haben und die Ausländern gegenüber auch generell negativ eingestellt sind, auch wenn es oft eben nicht offen ausgelebt wird. Ich erinnere an Ärzte, die muslimische Frauen nicht behandeln wollen (war hier irgendwo schon mal Thema). Ich erinnere an prügelnde Polizisten. Auch hier sind oft Ausländer ein durchaus begehrtes Ziel.
Man müsste sich mal anschauen, wie gebildet oder überhaupt wie intelligent die Menschen sind, die in solchen Jobs arbeiten. Der Gedanke, dass das kapitalistische System an der eigenen Situation Schuld ist, ist schon sehr abstrakt und für viele dieser Leute wahrscheinlich einfach nicht greifbar. Wahrscheinlich können viele nicht mal genau sagen, was Kapitalismus überhaupt ist. Populistisches Gedankengut ist hingegen sehr einfach zu verstehen und zeichnet ein ganz klares schwarz-weißes Bild - hier die Guten, da die Bösen.
Und generell ist es unabhängig von Bildung und Intelligenz eh immer schwer zuzugeben, dass nicht irgendein externer Faktor für die eigene Situation verantwortlich ist sondern, dass man ganz alleine die Schuld trägt, Einige konstruieren sich dann Götter, deren Willen es angeblich war, dass man im Leben versagt hat und andere Leute suchen sich greifbarere Sündenböcke.
Ist euch eigentlich bewusst, dass Menschen mit einer hohen Bildung und einer dementsprechend hohen Stellung eher selten mit Ausländern zu tun haben?
Nein, das ist mir nicht bewusst, ganz und gar nicht. Ich halte mich für gut ausgebildet und habe sehr viele internationale Freunde und auch Familie im Ausland. Das ist eigentlich bei allen meinen Freunden hier in Deutschland so.
Viele größere Firmen operieren heute international und da haben die Angestellten sehr regelmäßig Kontakt mit ausländischen Geschäftspartnern und mit solche Aufgaben werden sicher nicht die Angestellten betraut, die nach Feierabend die Büros putzen sondern die, die gut ausgebildet sind. Und natürlich kann man sich mit einem guten Job regelmäßig Urlaub im Ausland leisten und zwar nicht nur die Pauschalreisen, sondern auch Individualurlaube, bei denen man tatsächlich auch Land und Leute kennen lernt.
Dass Menschen mit einer höheren Bildung weniger Kontakt zu Ausländern haben, kann ich so auch nicht unterschreiben. Wie Cloudy24 schon sagte, haben viele beruflichen Kontakt ins Ausland. Viele Studenten studieren im Ausland. Also Kontakt ist sicherlich da.
Aber dieser Kontakt sieht ganz anders aus als der Kontakt von Deutschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Diese haben wahrscheinlich eher Kontakt zu Ausländern, die ebenfalls in prekären Beschäftigungsverhältnissen stecken. Und die sind womöglich ihrerseits ebenso frustriert über ihre Situation wie ihre deutschen Kollegen. Und so geraten sie in einen Teufelskreis. Wenn man frustriert ist, weil man als Sündenbock behandelt wird, wird man nicht lange nett und höflich bleiben. Ist man nicht mehr nett und höflich, eignet man sich damit noch mehr zur Zielscheibe von Frust und Ausländerhass.
Was mir hier nicht in den Kopf will, ist die Möglichkeit, dass jemand in einer wirtschaftlich prekären Situation tatsächlich bereit ist, Menschen denen es mutmaßlich noch schlechter geht (oder gehen sollte?) anzugehen. Aber es wird nicht hinterfragt, was zur eigenen prekären Situation geführt hat. Und da sollte auch der Wachschutzmann der hier offenbar "seine Gruppe" angeführt hat doch darauf kommen, dass es eben nicht der "ausländisch scheinende" Jugendliche sein kann! Ebenso wenig der andere Bahnreisende, der die Situation nur beobachtet (und letztlich gefilmt hat).
Natürlich hat Klassenbewusstsein rein gar nichts mit Staatsangehörigkeit, Ethnie oder Hautfarbe zu tun! Das ist ja genau die Erkenntnis, auf die ich bauen würde. Es kann nicht unterschieden werden, zwischen eben diesen Punkten - die Unterscheidung findet statt in "Oben" und "Unten". Eine rassistische Haltung kann ich mir auf der "oberen Seite" der gesellschaftlichen Seite als Instrument durchaus vorstellen. Ebenso eine sexistische Haltung oder sonstige Formen der künstlichen Differenzierung, wenn es darum geht, die Massen zu steuern. Aber auf der "unteren Seite" sollte - gerade in unseren Zeiten - doch jedem klar sein, dass die eigene Situation keinen Deut besser werden würde, wenn diese "Feindbilder" tatsächlich alle eliminiert werden würden. Es würde nur zu neuen Feindbildern führen. Was also bringt Rassismus, Ausländerhass, Antisemitismus oder Homophobie einem Menschen, der sonst um das eigene wirtschaftliche Überleben kämpft?
Ich habe eigentlich, gerade in der Stadt und den üblichen Gesellschaftsschichten die Erfahrung gemacht, dass man Farbigen gegenüber sehr tolerant ist. Ich hatte mit Menschen anderer Herkunft noch nie ein Problem und irgendwann fällt mir auch die unterschiedliche Hautfarbe gar nicht mehr auf. Das Problem wird dann einfach Irrelevant.
Nur auf dem Dorf draußen habe ich manchmal das Gefühl, die Zeit würde nochmal um 70 Jahre zurückgedreht. Da kommen dann wieder Aussagen auf den Tisch, die ich als Selbstverständlichkeit der Unsitte ansehe.
Ich glaube, dass diese Menschen, die trotz Arbeit ganz unten sind, einfach furchtbar unglücklich sind. Es ist doch furchtbar demotivierend, wenn man voll arbeitet und sich trotzdem überhaupt nichts leisten kann und gerade so über die Runden kommt. Eine Familie mit einem so geringen Lohn zu ernähren ist überhaupt nicht möglich, das merken wir gerade selber.
Und ich würde vermuten, dass man in so einer Situation einfach einen Schuldigen sucht, jemanden der verantwortlich gemacht werden kann. Natürlich ist es völlig falsch, aber der Frust muss raus und man sucht sich eine Randgruppe.
Das ist überhaupt keine Entschuldigung, dieses Verhalten ist nicht tolerierbar. Aber wahrscheinlich muss man an der Wurzel des Übels anpacken um diesen Rassismus wieder heraus zu bekommen. Ich merke an mir selber, dass ich kritischer im Leben bin und andere schneller verurteile, wenn es mir nicht gut geht. Wenn unsere Situation wieder besser ist (das ist bei uns ein Auf und Ab) bin ich auch viel gelassener und interessiere mich viel weniger für die vermeintlichen Fehler anderer.
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