Buh-Rufe gegenüber Bühnenschauspielern unsozial?

vom 05.08.2013, 08:38 Uhr

In ihrer Kolumne auf Spiegel Online schreibt Sibylle Berg, sie finde wenig "widerwärtiger" als Buh-Rufe. Ursache für diese Gefühlsäußerung sei lediglich, dass die im Vorfeld vorhandenen Erwartungen des Publikums an die Inszenierung enttäuscht worden seien. Allerdings werde man tagtäglich in seinen Erwartungen enttäuscht und würde dies sonst ja auch nicht so unvermittelt zum Ausdruck bringen (wenn man etwa mit einer Füllung beim Zahnarzt unzufrieden sei). Nur aufgrund der Anonymität der Masse würden sich die Leute so etwas trauen - wäre man beispielsweise allein mit einem Schauspieler, würde sich niemand trauen, ihn "anzubuhen". Die Künstler würden dadurch regelrecht traumatisiert, einige würden daraufhin zum Alkohol greifen oder ihre Bühnenkarriere komplett beenden. Sie zieht einen Vergleich zu anderen Tätigkeiten, etwa Zahnärzten oder Ingenieuren, und macht geltend, in keinem anderen Beruf müsse man sich so unmittelbar mit dieser Art Missachtung auseinandersetzen, wie als Bühnenkünstler. Sibylle Berg plädiert dafür, entweder nicht zu klatschen, eine Aufführung, die einem nicht gefällt in der Pause zu verlassen oder gleich gar nicht zu besuchen, wenn die Inszenierung vermutlich den eigenen Geschmack nicht treffen wird.

Ich muss sagen, ich hatte mir über dieses Thema noch nie Gedanken gemacht, finde die eben wiedergegebenen Überlegungen aber sehr interessant. Ich selbst habe noch nie im Theater gebuht und könnte mir dies auch kaum vorstellen. Ich neige eher dazu, nicht zu klatschen wenn mir eine Darbietung wirklich nicht gefallen oder mich "kalt gelassen" hat. Wie seht ihr das: Ist es eine "Tradition", die so alt ist wie das Theater selbst, dass auch gebuht werden darf? Oder ist es eine egoistische Gefühlsäußerung des Publikums gegenüber Künstlern, die hart arbeiten, um etwas Gutes zu erschaffen? Muss man als Bühnenkünstler von vornherein damit rechnen, auch mal ausgebuht zu werden und sollte den Beruf nur ergeifen, wenn man damit auch zurechtkommt?

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» Kate110 » Beiträge: 485 » Talkpoints: 0,35 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Man kann ja gar nicht vorher wissen, ob man dann mit dem Ausbuhen aushalten kann oder nicht. Immerhin war man ja vorher nicht in der Situation und ich kann mir absolut vorstellen, dass sich das dann auch schlecht auf das Selbstbewusstsein auswirkt und man nach so einem Vorfall Probleme hat. Ich selber mache das auch nicht und empfinde es auch als eine Unart. Vor allem habe ich es schon wegen kleinen Textpatzern mitbekommen und das finde ich einfach unfair, weil man dann ja auch so verunsichert ist, dass man mehr Fehler macht.

Ich finde, dass man dann einfach gehen sollte oder ruhig sein muss. Es ist ja trotzdem noch eine Darbietung, die Mut erfordert und da finde ich es sehr bescheiden, wenn man dem Künstler einfach so seinen Selbstwert nimmt.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Es ist alles andere als schön, wenn man jemanden ausbuht. Teilweise kann es ja auch mal berechtigt sein, wenn man zum Beispiel mit einer extrem spektakulären Show gelockt wurde und am Ende eine total langweilige Vorstellung vorfindet. Damit muss man zwar rechnen, aber da sind die Leute eben recht intolerant. Bei Kinofilmen ist das ja auch nicht anders. Wenn ich mal eine Vorstellung besucht habe, die schlecht war, dann habe ich es einfach so hingenommen und habe eben nicht so enthusiastisch geklatscht oder es ganz bleiben lassen. Ausbuhen würde ich hier trotzdem niemanden.

Ich denke da immer an den Menschen selbst, der da oben steht. In dem Moment möchte man auch nicht in seiner Haut stecken, weil es sehr unangenehm ist und deswegen lasse ich es auch. Man hofft ja selbst, dass man auch nie ausgebuht wird, wenn man irgendwelche Sachen vorträgt.

An ihrer Aussage, dass die Menschen das ausbuhen alleine mit dem Darsteller nicht trauen würden, findet man durchaus einen wahren Kern. Es gibt mehr als genug Leute, die die Masse brauchen, um Mut zu fassen und sich entsprechend zu äußern oder zu geben. Das der Bühnenkünstler hier traumatisiert werden kann gehört dann wohl oder übel zum Berufsrisiko, auch wenn das jetzt hart klingen mag, aber so ist es nun mal. Wer damit starke Probleme hat sollte seinen Berufswunsch nochmal überdenken. Irgendwo wird sicher jeder Star mal ausgebuht, aber das gehört eben dazu.

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» Zohan » Beiträge: 4398 » Talkpoints: 16,33 » Auszeichnung für 4000 Beiträge



Es macht bestimmt einen Unterschied in der Wahrnehmung, ob man schon mal Buh-Rufen ausgesetzt war, oder nur im Zuschauerraum seinem Unmut Luft gemacht hat. Ich persönlich habe im Theater noch nie Buh-Rufe erlebt, gehe aber auch zugegebenermaßen nicht in kontroverse, provokante oder sonstige Stücke, die aufrütteln wollen. Statt dessen ziehe ich leichte, angepasste Unterhaltung vor.

Aber die Frage ist wirklich interessant: Buh-Rufe haben im Theater irgendwo schon Tradition, quasi als "Gegenteil von Applaus". Wir rufen zwar nicht "Buh" oder "Pfui", wenn der Zahnarzt eine Füllung vergeigt, aber dafür schlagen wir auch nicht unsere Handflächen gegeneinander, wenn wir mit der Leistung des Automechanikers zufrieden waren. Dieser Vergleich hinkt meiner Meinung nach schon mal.

Andererseits gilt es bei uns ja nicht gerade als kultiviertes Verhalten, wenn erwachsene Menschen unvermittelt losbrüllen, wenn ihnen etwas nicht passt. Buh-Rufe können zudem auch absichtlich eingesetzt werden, um die Schauspieler aus dem Konzept zu bringen, nicht, weil die Leistung oder die Botschaft des Stücks nicht gefallen. In diesem Zusammenhang finde ich Buh-Rufe natürlich unkultiviert und unfair.

Letzlich bin ich jedoch der Meinung, dass es durchaus auch Inszenierungen gibt, die Buh-Rufe verdient haben. Und wenn ein Schauspieler wirklich den Eindruck erweckt, sich da oben auf der Bühne zu langweilen oder selbstverliebt vor sich hin nuschelt, ist das Publikum nun wirklich nicht verpflichtet, das stillschweigend hinzunehmen. Theater lebt nun mal auch vom unmittelbaren Kontakt zwischen Künstlern und Publikum, der in beide Richtungen geht und logischerweise nicht immer angenehm oder konfliktfrei abläuft.

Um das Seelenleben der Darsteller würde ich mir in diesem Zusammenhang auch keine größeren Gedanken machen. Wer diesen Beruf ergreift, weil er oder sie den Applaus so toll findet, ist sowieso auf dem falschen Dampfer. Kritik muss man da schon einstecken und verdauen können, das gehört einfach dazu.

» Gerbera » Beiträge: 11332 » Talkpoints: 52,90 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



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