Nicht bemerkter Bagatellschaden und trotzdem Unfallflucht?
Herr B hat heute Post bekommen. Angeblich hat er auf einem Parkplatz in der Innenstadt einen Wagen beschädigt und hätte Unfallflucht begangen. Das Ganze ist nun auch schon einige Wochen her. Herr B war zwar an diesem Tag in der Innenstadt und hat auch auf dem Parkplatz geparkt. Aber er kann sich absolut nicht erinnern, dass er einen anderen Wagen beschädigt haben soll. Er hat auch sein Auto gerade noch begutachtet und außer ein paar Kratzer, die aber auch schon vorher auf seinem recht alten Auto zu finden waren, kann er nichts finden.
Wie sollte Herr B sich denn jetzt verhalten? Er muss einen Anhörungsbogen ausfüllen und kann nur schreiben, dass er nichts bemerkt hat und sich auch ziemlich sicher ist, dass er keinen Wagen beschädigt hat. Unfallflucht ist ja wirklich ein Delikt, was auch hoch bestraft wird. Aber Herr B ist sich keiner Schuld bewusst. Ist es eigentlich trotzdem Unfallflucht, auch wenn man absolut nicht bemerkt hat ein anderes Auto geschädigt zu haben? Herr B ist sich ja wirklich keiner Schuld bewusst. Was denkt ihr, kann auf Herrn B noch zukommen?
Nun ja. Wenn Herr B schon andere Macken am Auto hat, könnte man unterstellen, dass er grundsätzlich nicht so gut auf Hindernisse aufpasst und dass es ihm vielleicht auch nichts ausmacht, wenn das Auto verkratzt ist. Ich würde da vermutlich auch unterstellen, dass Herr B vielleicht doch unachtsam und abgelenkt war und dass es ihm nichts ausmacht, wenn er andere Fahrzeuge anfährt. Es ist zwar denkbar, dass jemand Herrn B als Unfallverursacher angegeben hat und diesen tatsächlich keine Schuld trifft. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass jemand absichtlich einen anderen Verkehrsteilnehmer angibt, ist doch sicher nicht so hoch.
An Stelle von Herrn B würde ich den Sachverhalt wahrheitsgemäß schildern und auch schreiben, dass ich nichts bemerkt habe. Natürlich wird einem das kaum jemand glauben, aber schreiben kann er das natürlich so. Ob er für den Schaden tatsächlich verantwortlich ist, kann von einem Gutachter sicher ermittelt werden. Dafür müsste man sich die genaue Position des Schadens ansehen und schauen, ob das Auto von Herrn B überhaupt für das vorhandene Schadensbild an dem anderen Fahrzeug in Frage kommt. Vielleicht sind sogar kleine Farbpartikel erkennbar.
Falls sich nachweisen lässt, dass das Fahrzeug von Herrn B nicht an dem Unfall beteiligt gewesen sein kann, wird wohl nicht viel passieren. Dann wird man einen unbekannten Unfallverursacher suchen, der mit Sicherheit leider nicht gefunden wird. Falls Herr B aber als Verursacher ermittelt werden kann, wird die Versicherung sicher für den Schaden am gegnerischen Fahrzeug aufkommen und Herr B muss damit rechnen, dass man ihn auf die vermeintliche Fahrerflucht anspricht. Ich weiß nicht, wie schnell es da Ärger geben kann, selbst wenn man behauptet, man habe nicht bemerkt, dass man das andere Auto berührt hat. Ich denke aber, dass das viele sagen werden und dass man so leicht nicht damit durchkommt.
Naja, das Auto hat Herr B vor einem halben Jahr schon mit etlichen Schäden gekauft. Er brauchte nur ein technisch einwandfreies Auto und hat über die kleinen Kratzer und Beulen hinweg gesehen weil das Auto günstig war und lief. Das kann man ihm ja nun nicht ankreiden, nur weil das Auto Kratzer hat. Herr B hat seit 30 Jahren den Führerschein und hat weder einen Unfall gebaut noch einen Strafzettel bekommen in der Zeit. Das zeigt ja auch, dass er ein sicherer Fahrer ist. Und eigentlich sollte man doch merken, wenn man in ein anderes Auto eine Macke fährt.
Unfallflucht kann auch dann vorliegen, wenn der "Täter" nichts bemerkt haben will. Das ist immer dann der Fall, wenn ein Gericht letztlich feststellt, dass der "Täter" den Unfall bemerkt haben muss. Wir hingegen glaubhaft gemacht, dass tatsächlich ein möglicher Unfall nicht bemerkt werden konnte (z.B. weil es tatsächlich keinen Schaden zu beanstanden gibt), dann liegt auch keine Fahrerflucht vor. Und genau hier treffen eben unter Umständen massiv unterschiedliche Vorstellungen aufeinander. So mag es Zeitgenossen geben, die jedes Touchieren der Stoßstangen schon fast als persönlichen Angriff werten - auf der anderen Seite gibt es auch Fahrerinnen und Fahrer, die das "auf Kontakt einparken" als normal sehen. Ein "verbogenes" Nummernschild ist sicher ein Fall, in dem keiner als Fluchtfahrer gesehen wird. Wenn hingegen die Stoßstange des "Gegners" massiv verbogen wurde, sieht es wieder ganz anders aus.
Mein Kollege ist vor einiger Zeit auf einen LKW aufgefahren. Die Schuldlage war eindeutig bei meinem Kollegen. Er hat dann auch noch versucht auf sich aufmerksam zu machen, aber der LKW-Fahrer hat nichts mitbekommen. Mein Kollege hat dann vom Büro (Unfall passierte davor) die Polizei angerufen und die Sache erklärt. Der Polizist bat ihn dann im Laufe des Tages vorbeizukommen.
Das tat er dann auch nachdem seine Freundin ihn hier abgeholt hatte. Auf der Wache erzählte man ihm dann, er hätte Unfallflucht begangen, weil er nicht sofort gekommen wäre. Allerdings konnte er mich als Zeuge nennen, dass man ihm am Telefon etwas anderes sagte. Auch der LKW-Fahrer wurde dann übrigens - obwohl nur der Geschädigte - als Unfallflüchtig aufgenommen. Letztlich verlief das alles im Sande, aber nervtötend bleibt so was trotzdem immer.
Meinem Chef wurde auch mal eine Unfallflucht vorgeworfen, weil er ein recht auffälliges, aber auch nicht außergewöhnliches Auto fuhr, nur weil er an dem Tag auch in dem fraglichen Stadtviertel unterwegs war. Klar, wenn man da wohnt. Die Polizei rückte dann mit einem Zollstock an und die Messerei ergab schnell, dass die Macken der beiden Autos nicht zusammen passten.
Auch wenn Herr B nichts bemerkt hat, ist es Unfallflucht, wenn er ein anderes Auto beschädigt hat. Auch ein kleiner Kratzer am Auto kann verdammt teuer werden und der Geschädigte möchte diesen Schaden natürlich ersetzt haben. Natürlich ist es ärgerlich, wenn man sich selbst keiner Schuld bewusst ist, aber es wird ja mindestens einen Zeugen geben, der sich das Kennzeichen von Herrn B gemerkt hat. Vielleicht gibt es am anderen Auto auch Lacksplitter des Autos von Herrn B.
Herr B muss aber im Anhörungsbogen keine Angaben machen, er kann als Beschuldigter die Aussage verweigern, niemand muss sich selbst belasten. Er muss nicht einmal angeben, dass er gefahren ist, auch das muss man ihm nachweisen. Er muss auch keinen nahen Angehörigen belasten. Natürlich muss er dann ankreuzen, dass er sich vorerst nicht zu der Sache äußern möchte. Darüber wird er aber auch im Anhörungsbogen belehrt.
Ich würde Herrn B also raten, einen Anwalt aufzusuchen und sich erst einmal genau beraten zu lassen. Es ist sein gutes Recht, sich rechtlich beraten zu lassen und erst dann eine Aussage zu machen oder die Aussage weiter zu verweigern. Vor allem wenn ich nicht wüsste, wann und wo ich welches Auto beschädigt haben soll, würde ich persönlich auf jeden Fall zum Anwalt gehen.
danty hat geschrieben:Auch wenn Herr B nichts bemerkt hat, ist es Unfallflucht, wenn er ein anderes Auto beschädigt hat.
Das stimmt so einfach nicht bzw. ist falsch. Eine Unfallflucht bedingt zwingend dem Vorsatz! Das bedeutet, dass der Flüchtende sich im Klaren darüber sein muss, hier an einem Unfall beteiligt gewesen zu sein. Bemerkt er den Schaden tatsächlich nicht (und wird dies z.B. von einem Gericht auch geglaubt), so hat der Täter keine Konsequenzen zu fürchten, die sich aus einer "Unfallflucht" ergeben würden.
danty hat geschrieben:Ich würde Herrn B also raten, einen Anwalt aufzusuchen
Wegen einer Beschuldigung? Was sollte dies bringen, bevor nicht eine Anzeige kommt. Es gäbe ja noch nicht mal eine Akte, die sich der Anwalt anschauen könnte. Daher ist so ein "Beratungsgespräch" mindestens Zeitverschwendung. Das hingegen keine Angaben zur Sache gemacht werden, sollte selbstverständlich sein. Alles andere würde sich dann schon geben. Erst wenn die Polizei im Anschluss wirklich klar Schäden feststellt, sollte Herr B zum Anwalt gehen - um sich eben gegen die Anschuldigung der Unfallflucht zu wehren.
derpunkt hat geschrieben:danty hat geschrieben:Auch wenn Herr B nichts bemerkt hat, ist es Unfallflucht, wenn er ein anderes Auto beschädigt hat.
Das stimmt so einfach nicht bzw. ist falsch. Eine Unfallflucht bedingt zwingend dem Vorsatz!
Gut, das hätte ich vielleicht genauer schreiben sollen. Aber durch den Beweis der Bemerkbarkeit kann auch der Beweis der Vorsatzes geführt werden und keiner hier weiß, wie groß der Schaden am anderen Auto ist. Aber eigentlich ist fast jeder Schaden bemerkbar, ich kann mir gerade nicht vorstellen, wie man ein anderes Auto anfahren kann, ohne es bei wirklicher Aufmerksamkeit zu bemerken. Ich habe selbst mal nur ganz leicht ein anderes Auto beim Ausparken angekratzt. Man hat am anderen Auto nur einen winzig kleinen Kratzer gesehen, aber ich habe es trotzdem mitbekommen und auf den anderen Autofahrer gewartet.
danty hat geschrieben:Ich würde Herrn B also raten, einen Anwalt aufzusuchen
Wegen einer Beschuldigung? Was sollte dies bringen, bevor nicht eine Anzeige kommt. Es gäbe ja noch nicht mal eine Akte, die sich der Anwalt anschauen könnte. Daher ist so ein "Beratungsgespräch" mindestens Zeitverschwendung. Das hingegen keine Angaben zur Sache gemacht werden, sollte selbstverständlich sein. Alles andere würde sich dann schon geben. Erst wenn die Polizei im Anschluss wirklich klar Schäden feststellt, sollte Herr B zum Anwalt gehen - um sich eben gegen die Anschuldigung der Unfallflucht zu wehren.
Wie kann man Beschuldigter sein, ohne das der andere Anzeige erstattet hat? Ich bin davon ausgegangen, dass die Post von der Polizei kam und die bekommt man eigentlich nur, wenn man angezeigt wurde. Natürlich muss dazu auch ein tatsächlicher Schaden am Fahrzeug des Geschädigten festgestellt werden. Vielleicht hat der Themenstarter hier auch einfach nur zu wenige Informationen gegeben. Du interpretierst, dann keine Anzeige erstattet wurde, ich interpretiere genau das Gegenteil in das Geschriebene von Diamante.
Wenn das "nur" ein Anhörungsbogen von der Versicherung des Unfallgegners war, dann braucht Herr B natürlich erst einmal nicht zwangsläufig einen Anwalt. Aber offensichtlich ist es nicht selbstverständlich, dass keine Angaben gemacht werden sollten, immerhin war ja unter anderem die Frage, was man nun in den Anhörungsbogen schreiben soll. Und gerade wenn einem nicht klar ist, dass man keine Angaben machen muss, wäre es vielleicht sinnvoll, sich über seine Rechte zu informieren, gegeben falls beim Anwalt.
Aber wie gesagt, ohne genaue Informationen welche Post von wem gekommen ist und ob schon Anzeige erstattet wurde oder nicht, kann es halt schon einmal zu solchen Missverständnissen und Ungenauigkeiten kommen.
Niemand der sich vom Tatort entfernt, ist sich angeblich einer Schuld bewusst. Du wirst kaum jemanden hören, der sagt, dass er einen Wagen angestoßen hat, wenn er selbst keinen Schaden feststellen kann. Das ist eine uralte Ausrede, die der Polizei auch bekannt ist. Trotzdem ist es Fahrerflucht, bis das Gegenteil bewiesen wurde. Es wundert mich allerdings, dass es schon so lange her ist.
Herr B wird ja vielleicht ein Foto von seinem Auto haben, was schon älter ist und wo die vorhandenen Kratzer zu erkennen sind. Oder hat er für diese Kratzer Zeugen? Bei einer Gegenüberstellung der beiden Fahrzeuge wird die Polizei genau prüfen, welcher Kratzer gegebenenfalls zu dem Schaden des anderen Autos passt oder auch nicht.
Theoretisch ist es ja auch möglich, dass der angeblich geschädigte Wagen beim Parken den Wagen von Herrn B angestoßen hat und nun den Schaden, der an seinem Fahrzeug entstand, ersetzt haben möchte. Ob das so genau festzustellen ist, kann ich nicht sagen. Vielleicht könnte ein Sachverständiger das klären, was natürlich sehr teuer sein wird.
An Herrn B's Stelle würde ich den Anhörungsbogen ausfüllen und zurückschicken und abwarten, was weiter passiert. Es kann sich ja nur um einen Bagatellschaden, vielleicht sogar nur an der Stoßstange handeln, was abzuwarten ist.
Cid hat geschrieben:Trotzdem ist es Fahrerflucht, bis das Gegenteil bewiesen wurde.
Bin ob des Rechtsverständnisses etwas sprachlos. Du bist also der Meinung, dass man seine Unschuld beweisen muss? Dir ist der Begriff der Beweislastumkehr schon bekannt? Natürlich ist es KEINE Fahrerflucht, bis das Gegenteil bewiesen ist. Solange ist es lediglich eine Anschuldigung, eine Fahrerflucht begangen zu haben. Mehr nicht! Auch in solchen Fällen gilt die Unschuldsvermutung. Und ich bin durchaus der Meinung, dass das gut so ist.
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