Ehrlich sein trotz eigenem Nachteil?

Findet ihr es wichtig beziehungsweise richtig, Ehrlichkeit als moralischen Wert in der Form hochzuhalten, dass ihr euch zur Ehrlichkeit verpflichtet fühlt, selbst, wenn es euch selbst in der konkreten Situation einen Nachteil beschert? Hat Ehrlichkeit an sich überhaupt einen eigenen Wert für euch oder habt ihr das Gefühl, in der heutigen Welt muss man immer ein bisschen taktieren oder darf in bestimmten Dingen eventuell nicht zu ehrlich sein?

Hundertprozentige Ehrlichkeit ist oft kontraproduktiv. Wenn meine Mutter sich gerade für ein Abendessen mit Freunden schick macht und mich fragt, ob sie langsam alt aussieht, wäre eine ehrliche Antwort einfach nur fies. Und sie würde dann auch nur das "Ja" hören und den Satz nach dem "aber", nämlich dass sie trotzdem immer noch gut aussieht, total überhören. Solche kleinen "Lügen", wie in dieser Situation einfach nur zu sagen, dass sie toll aussieht und ich sie immer noch für 10 Jahre jünger halten würde, sind für eine soziale Beziehung und das Wohlergehen unserer Mitmenschen unerlässlich.

Es gibt aber auch Situationen, die größere Lügen verlangen. Ich finde, manchmal muss man einfach ein bisschen egoistisch sein. Denn wenn man nicht mal selber auf sich achtet und das Beste für sich rausholt, wer soll es dann machen? Es kommt natürlich sehr auf die Situation an, aber wenn man damit anderen keinen großen Schaden zufügt, kann man sich selbst ruhig ab und zu an erste Stelle stellen.

Für mich spielt Ehrlichkeit schon eine sehr große Rolle, aber zeitweise denke ich auch, dass das schon bei manchen Leuten wirklich ein Luxusgut ist. Ich war letztens in einer Situation, in der hätte ich z.B. anders reagiert, wenn ich gewusst hätte, dass mich mein Gegenüber anscheinend in den für mich wichtigen Punkten nur anlügt. Hätte er gleich mit offenen Karten gespielt, wäre es eventuell nicht dazu gekommen oder aber ich hätte ihm dennoch geholfen, allerdings mit dem Wissen, dass ich von seiner Seite nichts erwarten kann. Dann hätte ich auch entsprechend gehandelt. So habe ich mir für diesen Monat nur jede Menge Ärger eingehandelt. Alles, was schön gewesen ist, kann ich nun auch nicht mehr für voll nehmen, weil halt die Lügen so weitreichend waren, dass ich da schon gar nichts mehr hören möchte von der Person. Ich bin zu naiv gewesen und decke jetzt mit der Zeit immer mehr Lügen auf und das verletzt dann.

Ich für mich versuche auch aufrichtig zu sein, nur in bestimmten Bereichen ist es für mich mittlerweile auch nicht so schlimm, wenn ich lüge oder eher etwas bewusst vorenthalte. Aber wenn es sich um meine Freunde oder mir wichtige Personen geht, dann will ich auch ehrlich sein. Ich gestehe das auch denen zu, selbst wenn es manchmal verletzend ist, aber manchmal muss man halt differenzieren, was wichtiger ist. Ich brauche ja niemanden, der mir bei allem Recht gibt, obwohl das natürlich auch schön ist, wenn man gleicher Meinung ist. Aber dennoch bringt es mir oft mehr, auch wenn es manchmal dauert, wenn jemand von außen nochmal seine Meinung zu einer Situation
sagt und dabei aus einem ganz anderen Blickwinkel darauf schaut. Ich denke, dass Lügen im nahen Umfeld nicht groß stattfinden sollten. Wenn man Studien glaubt lügen wir alle etwa 200 Mal am Tag, und nach den Kriterien, die da als Maßstab genommen wurden, kann das auch gut möglich sein.

Jedoch ist das auch immer abhängig von vielen Faktoren, ich denke, eine wirkliche Einordnung kann ich da nicht vornehmen. Aber das Leben ist ja auch dazu da, um dazu zu lernen, und nur wegen meines eigenen Vorteils etwas nicht zu erzählen, liegt mir halt besonders unter Freunden nicht so wirklich. Aber man sollte die Konsequenzen auch nicht vergessen.

Absolute Ehrlichkeit gibt es ja gar nicht. Wenn wir beispielsweise gefragt werden, wie es uns geht, werden wir wirklich nur dann mit schlecht antworten, wenn wir unhöflich sind. Kleine Lügen sind also absolut an der Tagesordnung und normal. Was ins Gewicht fällt sind aber die großen Lügen.

Große Lügen sollten ein Tabu sein. Egal wie man in Beziehung zueinander steht, man sollte ehrlich bleiben und sich gegenseitig auch die Wahrheit sagen. Eine richtige Freundschaft oder Beziehung hält das schon aus, auch wenn es manchmal vielleicht weh tut. Ich versuche bei den grundlegenden Dingen immer ehrlich zu sein und auch so diese Werte und Normen zu leben. Ich denke, dass es sehr schwierig sein kann, wenn man immer ehrlich ist, man es aber anstreben sollte.

Ich habe festgestellt, dass ich manchmal einfach zu ehrlich bin. So habe ich mal gebrauchte Bücher kaufen wollen, wobei der Preis in Bleistift vorne rein geschrieben worden ist. Ich habe natürlich nachgesehen, wie viel ich bezahlen muss, das hat der Verkäufer einfach nicht getan. Er hat einfach einen Preis genannt, der unter dem eigentlichen Preis lag, sodass ich da direkt widersprochen habe und gesagt habe, dass im Buch aber was anderes steht.

Ich nehme an, dass das auch gut so war, denn sonst hätte die Angestellte vielleicht Ärger vom Eigentümer der Buchhandlung bekommen. Es war aber zu meinem Nachteil, da ich ja mehr bezahlen musste und damals habe ich noch studiert und hatte nicht so viel Geld.

Bei dem Beispiel von Bienenkönigin würde ich aber auch lügen ohne mit der Wimper zu zucken. Man sagt einer Person nicht ehrlich, wenn man sie etwas zu dick findet oder sie alt aussieht. Das ist verletzend und kontraproduktiv.