Muss immer ein Betroffener selber Anzeige erstatten?

vom 12.06.2013, 13:06 Uhr

Im Haus von A geht es oft turbulent zu. Unter A wohnt ein Ehepaar. Die Frau hat grundsätzlich blaue Flecken und blutige Schrammen im Gesicht. Auch hat sie schon den Arm in Gips gehabt und lag auch schon im Krankenhaus. Frau A hat sie im Krankenhaus besucht und das Opfer hat auch zugegeben, dass sie von ihrem Mann regelmäßig verdroschen wird. Aber sie will keine Anzeige erstatten, aus Angst, dass es noch schlimmer wird.

Nun ist Frau A bei der Polizei gewesen. Sie war euch schon Zeuge, als der Mann die Frau im Hausflur ziemlich unsanft geschubst hat und sie angeschrien hat. Aber die Polizei meint, dass die Nachbarin selber kommen muss und Frau A nichts machen kann.

Kann man denn wirklich als Zeuge und aufmerksamer Bürger nicht hingehen und einen brutalen Menschen einfach anzeigen, auch wenn er einen nicht selber verletzt hat? Wie kann es sein, dass man nicht anzeigen kann, was man gesehen hat und was die Betroffene selber erzählt hat. Ist das wirklich im deutschen Recht so schwammig, dass ein brutaler Schläger ein Opfer so einschüchtern kann, dass das Opfer sich nicht traut was zu sagen und keiner diesen Schläger anzeigen kann?

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» Sherlock-Holmes » Beiträge: 2025 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



Das Problem in so einem Fall ist doch, dass der Zeuge es zwar gesehen hat, aber wenn die Frau sagt, dass der Mann total nett ist steht Wort gegen Wort und dann macht die Anzeige keinen Sinn mehr. Zumal man der Frau damit nicht helfen wird. Sie muss selber von dem Mann wegkommen und wenn der Mann nur angezeigt wird, wird er das wohl bei ihr herauslassen, was man ja wohl auch nicht möchte. Ich denke, dass man in so einem Fall eher der Frau zusprechen sollte und ihr Alternativen bieten sollte. Wenn sie ihren Mann anzeigt und dann dazu steht, wird er da auch eine Strafe bekommen.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Ich denke, man kann anzeigen, was man will. Wenn man wirklich darauf besteht, kann es einem nicht verweigert werden. Man muss nicht selbst betroffen sein. Wenn man einen Mord beobachtet, ist man auch nicht betroffen und der Betroffene wird sicher nicht selbst zur Polizei gehen. Aber in diesem Fall haben der Polizist und Ramones schon Recht. Letztlich hängt es eben an der Aussage der Frau. Man kann also anzeigen, aber die Erfolgsaussichten sind sehr schlecht. Ich denke, der Polizist hat es nur etwas missverständlich formuliert.

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Im deutschen Recht wird zwischen Antragsdelikt und Offizialdelikt unterschieden: Als Offizialdelikte bezeichnet man solche Straftaten, die von Amts wegen sofort, nachdem sie der Staatsanwaltschaft bekannt gemacht wurden, verfolgt werden müssen, auch wenn der Betroffene das vielleicht nicht möchte, da hier ein 'Öffentliches Interesse' besteht. Die Polizei muss also die Anzeige aufnehmen, auch wenn sie nicht der Betroffene selbst gemacht hat. Ein Antragsdelikt muss vom Betroffenen selbst angezeigt werden, da das Delikt - rein juristisch gesehen - als gering angesehen wird. Hier lässt man dem Opfer die Wahl, ob die Anzeige und Strafverfolgung, die ja einen massiven Eingriff auch in seine Lebensumstände bedeuten kann, für es nicht traumatischer ist, als das Delikt selbst.

Bezüglich einer Körperverletzung gelten Gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB), Misshandlung Schutzbefohlener (§ 225 StGB), Schwere Körperverletzung (§ 226 StGB) und Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227) zu den Offizialdelikten. ('Einfache') Körperverletzung (§ 223 StGB) ist ein Anzeigedelikt. Allerdings ist es abweichend davon durchaus möglich, dass die Strafverfolgungsbehörden auch im Falle eines Antragsdelikts zu der Überzeugung kommen, dass eine Strafverfolgung in einem Öffentlichen Interesse ist und deshalb auch gegen den Willen des Geschädigten tätig werden. Dann nimmt die Polizei auch eine Anzeige durch einen Zeugen auf und leitet sie an die Staatsanwaltschaft weiter, die dann nach Prüfung der Sachlage entscheidet, ob eine Strafverfolgung stattfindet oder nicht.

In Fällen von Häuslicher Gewalt kommt es seit einiger Zeit nicht selten vor, dass eine Strafverfolgung auch dann eingeleitet wird, wenn 'nur' der Tatbestand der Körperverletzung nach § 223 StGB vorliegt, die die/der Betroffene nicht selbst angezeigt hat, sondern z.B. der behandelnde Arzt oder auch ein Angehöriger, ein Freund etc.. In der Regel wird zeitnah bereits von der Polizei ein Kontaktverbot erlassen und der Täter der Wohnung verwiesen, damit das Opfer keinen weiteren Gewalttätigkeiten ausgesetzt ist ( cave: Die Sofortmaßnahme durch die Polizei ist zeitlich sehr begrenzt, weshalb baldmöglichst beim Amtsgericht ein entsprechender Antrag gestellt werden muss!).

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» Vega » Beiträge: 207 » Talkpoints: 137,19 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich wollte gerade etwas Ähnliches wie Vega schreiben, Vega hat den Unterschied zwischen Antrags- und Offizialdelikten sehr schön erklärt. Ergänzend möchte ich noch auf die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren hinweisen, genannt RiStBV. Das sind Verwaltungsvorschriften, die sich vor allem an die Staatsanwaltschaft, aber auch die Polizei richten. Bei der Polizei wird zunächst Anzeige erstattet, die Staatsanwaltschaft entscheidet dann nach Abschluss der Ermittlungen durch die Polizei, ob Anklage erhoben werden soll.

In Nr. 243 RiStBV steht also, dass zum Beispiel dann von einem besonderen öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung ausgegangen werden soll, wenn dem Opfer aufgrund seiner persönlichen Beziehung zum Täter nicht zugemutet werden kann, Strafantrag zu stellen. Bei den genannten Antragsdelikten ist ein Strafantrag erforderlich (für die Körperverletzung gemäß § 230 StGB) - außer es liegt das genannte besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung vor. Dieses ersetzt dann quasi den fehlenden Strafantrag des Betroffenen.

Sehr wichtig ist bei diesem Thema noch die Unterscheidung von Strafantrag und Strafanzeige. Eine Strafanzeige kann jeder bei der Polizei stellen, der denkt, etwas Strafbares beobachtet oder auf andere Weise mitbekommen zu haben. Antragsberechtigt hinsichtlich des Strafantrags ist hingegen in aller Regel ausschließlich der durch die Tat Verletzte, vergleiche § 77 StGB.

Das heißt für den vorliegenden Fall in konkreter Antwort auf die Frage: Einen Strafantrag kann nur die geschädigte Frau erheben, was sie (wie ja sehr häufig in diesen Fällen) offensichtlich nicht möchte. Strafanzeige kann dagegen jeder Bürger stellen, so sieht es das deutsche Recht vor. Alles andere wäre ja auch "ungerecht", wenn man eben nicht zur Anzeige bringen könnte, was man selbst an Strafbarem gesehen hat.

Eine zweite Frage ist natürlich, was daraufhin geschieht. Mein persönlicher Eindruck ist, dass die Polizei aufgrund von Arbeitsüberlastung teilweise Anzeigen nicht weiter verfolgt und Personen, die eine solche stellen wollen, sogar eher abwimmelt, obwohl sie nach dem vorgetragenen Sachverhalt eigentlich einschreiten müsste. Vielleicht hilft hier ein Hinweis auf Nr. 234 RiStBV gegenüber der Polizei? Als Verwaltungsvorschrift ist die zwar kein Gesetz, auf das der Bürger sich berufen könnte im Sinne von "Sie als Polizei müssen etwas unternehmen, hier steht es doch!" Aber schaden könnte der Hinweis sicher auch nicht, da der Anzeigende damit zeigen könnte, dass er sich ein bisschen auskennt und folglich nicht ganz so leicht "abzuwimmeln" wäre.

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» Kate110 » Beiträge: 485 » Talkpoints: 0,35 » Auszeichnung für 100 Beiträge


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