Sollte Lehrmaterial überlegter ausgewählt werden?

vom 25.05.2013, 17:18 Uhr

Lehrmaterial ist meist Mittel zum Zweck. Anhand desselben soll man bestimmte Kompetenzen ausbilden und ausbauen. Ein Zuwachs an deklarativem Wissen ist da natürlich ein netter Bonus, gibt für den Schüler aber kaum den Ausschlag, da er sich in aller Regel nicht in der Position befindet entscheiden zu können, mit welchen Material er sich befasst. Verantwortlich ist hier meist das Kultusministerium des jeweiligen Landes, welches sich stets die Fragen stellen muss: Welches Lehrmaterial ist zur Ausbildung der Kompetenzen am besten geeignet? Welches Lehrmaterial wird von den Schülern am ehesten angenommen? Die Antworten auf beide Fragen sind für den Lernerfolg von entscheidender Bedeutung.

Die Antwort, die das Niedersächsische Kultusministerium auf die letztgenannte Frage im Fach Deutsch gefunden hat, hat sehr gespaltene Reaktionen sowohl auf Seiten der Lehrer- als auch der Schülerschaft provoziert. So ist für das Abitur 2013 der Pop-Roman "Faserland" von Christian Kracht in der Schwerpunkt-Liste gelandet, in einem Zug mit Schiller, Fontane und dergleichen. Man kann da argumentieren, als Abiturient solle man sich auch mit zeitgenössischer Literatur befasst haben und das nunmal nicht die gesamte deutsche Literaturwelt aus Goethe und Schiller besteht. Diese Argumente konnten jedoch von Wenigen nachvollzogen werden und so kam es, dass sich Deutschkurse an einigen Schulen gar komplett weigerten sich mit diesem Buch zu befassen. Einerseits mag das unvernünftig erscheinen. Schließlich akzeptiert man implizit all die dazugehörenden Spielregeln, wenn man sich auf einer staatlichen Schule einschreibt. Andererseits ist ein solcher Protest aber auch sehr nachvollziehbar.

Was sollen die Schüler von einem Buch lernen, in dem es um einen alkoholkranken und drogenkonsumierenden jungen Mann geht, der sich im Dauerrausch von einem Exzess zum nächsten hangelt? Welche Kompetenzen sollen die Schüler an einem Buch entwickeln, welches in einem Ton der simpelsten Umgangssprache geschrieben ist? Sicherlich bedarf es eines "moderneren" Werkes in den staatlichen Vorgaben, dann aber bitte eines, was nicht womöglich als Orgien-, Drogen-, und Alkohol-veherrlichend fehlinterpretiert wird. Es ist wissenschaftlich belegt, dass das Lesen oder auch nur Hören einer bestimmten Äußerung ganz unwillkürlich eine Reaktion der Spiegelneuronen hervorruft, welche i.d.R. das Nachahmen einer Handlung erleichtert. Soll hier also nach dem Lesen über Drogen und aus dem Ufer laufende Parties ein solcher Lebensstil nachgeahmt werden? Mitnichten kann das die Intention des Kultusministeriums sein. Eintreten kann dieser Effekt trotzdem, wenn ein solches Buch auf unreife Gemüter stößt, die in dem Buch eine andere Aussageabsicht erkennen, als die vom Autor beabsichtigte.

Ich für meinen Teil fand das Buch übrigens sehr erfrischend und teils auch unterhaltsam zu lesen, auch wenn es eigentlich ein sehr tragisches Schicksal schildert. Vielleicht wäre hier "Tragikomik" ja das richtige Wort. Trotz allem kann ich es nachvollziehen, wenn es jemand ablehnt sich in der Schule mit Pop-Romanen zu befassen. Seid Ihr der Meinung, dass derlei "kontroverses" Lehrmaterial in der Schule fehl am Platz ist, oder glaubt Ihr doch, dass sowas dazugehört, um ein möglichst breites Bild aller (literarischen) Werke zu erlangen?

» MasterOers » Beiträge: 348 » Talkpoints: 1,16 » Auszeichnung für 100 Beiträge



MasterOers hat geschrieben:Es ist wissenschaftlich belegt, dass das Lesen oder auch nur Hören einer bestimmten Äußerung ganz unwillkürlich eine Reaktion der Spiegelneuronen hervorruft, welche i.d.R. das Nachahmen einer Handlung erleichtert.

Allein dieser Satz ist für mich ausschlaggebend, um die Sache zu begrüßen. Solche Romane gibt es nun mal frei zugänglich auf dem Markt, von Filmen ganz zu schweigen. Warum sollte es besser sein, Jugendliche die Erfahrung des Lesens alleine bewältigen zu lassen? So ist ein rational denkender Erwachsener anwesend, der hoffentlich nicht auch gleich tierisch Lust auf Drogen bekommt, sondern den Roman kritisch zu interpretieren hilft.

Außerdem hilft die Behandlung eines Romans aus der Popkultur dabei, dass die Schüler den Unterricht nicht als total verstaubt und nicht relevant einstufen. Es macht Lehrer und Schule glaubwürdiger und lebensechter. Goethe und Schiller sollten nicht unerwähnt bleiben, aber alles, was nach Borchert kam zu ignorieren, lässt Deutschland nicht gerade weiterhin als Land der Dichter und Denker erscheinen. Das wäre dann reine Vergangenheitsmusik. Und das ist nicht wahr. Deutschland hat literarisch einiges zu bieten. Ich weiß nicht, ob Herr Kracht diese Ehre verdient hat, aber einige andere hätten es.

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


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