Sind Jugendliche immer aggressiver und ungehemmter?

In der letzten Zeit habe ich sehr häufig im TV gewisse Szenarien sehen dürfen. Das fing an mit den U-Bahn-Schlägereien in Berlin, München & Co. Hier waren es meistens Jugendliche im Alter von 14 Jahren bis hin zum achtzehnten Lebensjahr. Es mag durchaus sein, dass man mit achtzehn Jahre volljährig ist, aber ich denke ohne Grund gibt es vor dem Gesetz nicht die Möglichkeit, dass man bis zum Alter von 21.Jahre wahlweise die Jugend- oder Erwachsenenstrafe wählen kann. Ich glaube auch, dass ein Jugendlicher mit achtzehn Jahre nicht unbedingt erwachsen sein muss. Deswegen nenne ich diese Schläger jetzt alle mal auch mit zwanzig Jahre – Jugendliche. Johnny K, Daniel S und viele weitere Personen sind Opfer von Jugendlichen Schlägern geworden und ich frage mich, was hier auf dieser Welt los ist?

Vor Kurzem wurde die Brutalität in Berlin auch wieder Teil der TV-Sendungen und Printmedien. Zwei Frauen im Alter von soweit ich mich noch erinnern kann 21.Jahre haben eine gerade einmal siebzehnjährige nicht weit von der Stelle des Todesfalls von Johnny K brutal zusammengetreten. Soweit die Aussage aus dem TV glaubhaft ist, sind die Rippen des Mädels gebrochen und auch andere Verletzungen sind vorhanden. Glücklicherweise konnten in diesem Falle Passanten rechtzeitig die Polizei kontaktieren, sodass die Täterinnen auch verhört werden konnten. Doch die Verletzungen sind natürlich nicht ungeschehen.

Auffällig ist bei vielen dieser Schlägerattacken auch, dass Ausländer hier eine sehr große Rolle spielen. Die soll jetzt nicht ins rechtsorientierte gehen, aber es fiel mir halt nach und nach auf. Im Fall Johnny K, Daniel S und einige andere Fälle, die im TV gezeigt wurden, waren es zu 80 % nur ausländische Mitbürger. Woran liegt es? Ist es die Mentalität, dass die Faust dort schneller fliegt und sie sich dann in Rasche prügeln?

Für mich ist jetzt jedoch nicht die Frage nach der Herkunft entscheidend, sondern die Frage nach dem wieso? Was ist anders als früher? Eine Prügelei sehe ich nicht zwangsläufig als grauenhaft an, aber das, was in letzter Zeit durch Jugendliche vollführt wird, hat mit einem Schlag ins Gesicht nichts mehr zu tun. Da wird systematisch auf den Boden eingetreten oder gar draufgesprungen. Man kann mir doch nicht erzählen, dass die Jugendlichen nicht wissen, dass sie so jemanden töten können? Sind die Jugendlichen ungehemmter und aggressiver? Drehen sie völlig durch? Woran können solche Taten liegen? Was denkt ihr?

Das ist ein ganz, ganz schwieriges Thema. Ich werde mich trotzdem mal dran versuchen. Ich finde diese Entwicklung, wie hoffentlich jeder, ebenfalls sehr erschreckend. Ich denke, dass sie auf die Veränderungen in der Gesellschaft zurückzuführen sind.

Früher gab es stärkere Familienstrukturen und die Menschen haben ein vorhersehbares Leben geführt. Ein Kind, dass in den 50ern oder früher aufwuchs, lebte meist in einem Haus mit den Großeltern, den Eltern und mehreren Geschwistern. Der Vater ging arbeiten, die Mutter versorgte die Familie. Die Jungen erlernten den gleichen Beruf wie der Vater oder einen der wenigen anderen Berufe, die zur Auswahl standen. Die Mädchen wurden Hausfrau und Mutter.

Heutzutage leben die Familien versprengt, die Großeltern werden ins Heim gegeben, die Mutter arbeitet auch, die Eltern trennen sich und man hat von Anfang an keine Geschwister. Als Beruf kommt so viel mehr in Frage, dass man den Überblick verliert. Das macht andere Menschen aus den heutigen Jugendlichen. Sie leben nicht mehr in einer so klar strukturierten Welt mit langweiligen, aber sicheren Gegebenheiten. Es ist schön, dass auch Kinder von Arbeitern studieren können und dass Mädchen auch einen Beruf erlernen können. Aber vorhersehbarer macht es das Leben nicht.

Wenn man nämlich trotz der vielen neuen Möglichkeiten nicht weiter nach oben kommt, ist es deprimierend. Früher war klar, dass aus einem Fleischersohn eben auch ein Fleischer oder sonstiger Handwerker wird. Es gab klare Erwartungen und es war klar, was man tun muss, um sie zu erfüllen. Warum werden denn heute nicht aus allen Jugendlichen Jura-Studenten? Die theoretische Möglichkeit hätten sie, auch wenn die Eltern nur Arbeiter sind. Wird es von ihnen erwartet?

Und die Schere zwischen Arm und Reich, die immer größer wird, tut ihr übriges. Die verhindert wieder, dass die theoretische Möglichkeit Realität wird. Die Anzahl der Arbeiterkinder auf deutschen Unis ist nämlich sehr gering, die derjenigen mit Migrationshintergrund erst recht. Also gibt es zwar Erwartungen, aber man kann sie gar nicht erfüllen.

Das ist natürlich alles sehr vereinfacht dargestellt. Und viele Jugendliche kommen auch damit klar und studieren eben Jura oder die Eltern üben keinen Druck aus. Aber ich denke schon, dass es die Gesellschaft und die Erwartungen generell verändert hat. Dass es das Leben und die zu treffenden Entscheidungen schwerer gemacht hat. Darin kann man sich verlieren. Wenn man das Gefühl hat, nicht eine der vielen Erwartungen erfüllen zu können und kein geregeltes, strukturiertes Leben vor einem liegt, ist alles egal. Und wenn man verloren ist, ist es einem auch egal, was mit einem passiert und ob man für das Verprügeln eines anderen Menschen in den Knast kommt.

Das ist alles keine Entschuldigung und die wissen trotzdem ganz genau, dass man das nicht macht und dass sie die Person am Boden töten könnten. Aber ich finde, diese Jugendlichen sind auch Kinder ihrer Zeit. Sie haben nicht die gleichen Voraussetzungen wie die Kinder früher. Und vor allem werden es immer mehr, die mit schlechten Voraussetzungen zur Welt kommen, was Vorkommnisse jeder Art einfach statistisch häufiger stattfinden lässt.

Dass so viele Ausländer in solche Geschehnisse verwickelt sind, hat mehrere Gründe. Sicher kommen diese Menschen teilweise aus Ländern und Gesellschaften, in denen Kindererziehung nicht Gewaltfrei abläuft. Als Mentalität würde ich das nicht bezeichnen. Das war in Deutschland vor einigen Jahrzehnten auch noch üblich. Bedeutender ist sicherlich die Entwurzelung, die diese Kinder erfahren mussten. Das Auswandern findet nicht so freiwillig und fröhlich statt, wie wenn Deutsche nach Thailand auswandern. Es gibt dringende Gründe, die die Kinder vielleicht noch gar nicht verstehen, wenn sie nicht gerade Krieg und Hunger erlebt haben.

Die Probleme hören hier aber nicht schlagartig auf. Ob die Integration in Deutschland gut funktioniert, ist ein Thema für sich. Auf jeden Fall funktioniert sie nicht bei allen. Diese Jugendlichen leben in einem Land, das nie ganz ihres sein wird. In ihrer alten Heimat sind sie auch nicht mehr willkommen, dort sind sie die Deutschen. Neben den Problemen, die deutsche Jugendliche haben, haben sie noch einen ganzen Sack voll anderen. Und mit diesem Sack lässt man sie meines Erachtens ziemlich alleine.

[Gio]

Ich stimme dem insofern zu, dass die Jugendlichen von heutzutage gewalttätiger geworden sind, da sie nicht mehr, wie ich oder ältere Generationen die Möglichkeit haben, ihre Aggressionen anders auszuleben. Die meisten Dinge, die früher bei uns Gang und Gebe waren, wie zum Beispiel "Glocken putzen", also klingeln und wieder abhauen, sind doch heute streng verboten. Es wird sofort die Polizei eingeschaltet und es wartet ein Verfahren. Deshalb muss man sich nicht wundern, wenn Kinder und Jugendliche heute nicht mehr wissen, wohin mit ihrer Aggression und sich das alles anstaut.