Können Fremdsprachen mit der Zeit zu Muttersprachen werden?

vom 09.04.2013, 15:53 Uhr

Ich habe nun sieben Jahre Englischunterricht in der Schule hinter mir und würde mal von mir behaupten, dass ich inzwischen in der Lage bin, ohne Probleme ein Gespräch mit einem englischsprachigen Menschen zu führen. Zwar kann ich auf Englisch sicherlich nicht so flüssig mit jemanden kommunizieren wie auf Deutsch, aber ich kann mich zumindest verständlich ausdrücken und weiß auch, was ein anderer von mir will.

Trotzdem ist Englisch für mich immer noch eine Fremdsprache und ich kann mir zumindest momentan nicht vorstellen, dass Englisch sprechen für mich irgendwann so selbstverständlich sein wird wie Deutsch sprechen. Ich frage mich allerdings wie das bei den Menschen aussieht, die ins Ausland auswandern und gezwungen sind, die dortige Sprache zu erlernen und im Alltag ständig anzuwenden.

Wird eine Fremdsprache für diese Menschen mit der Zeit zu einer Art Muttersprache? Kann das Sprechen einer Fremdsprache irgendwann so selbstverständlich sein wie das Sprechen einer Muttersprache? Was denkt ihr? Habt ihr diesbezüglich vielleicht selbst schon mal Erfahrungen gemacht? Würdet ihr sagen, dass ihr mehrere Muttersprachen habt?

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» Pointer » Beiträge: 1772 » Talkpoints: 20,77 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Englisch bei manchen Menschen sehr in den Vordergrund rückt. Dies ist vor allem bei Auswanderern so, die dann zum Teil auch auf die Sprache angewiesen sind, denn ohne kommt man nun nicht weit. Die Fremdsprache wird also langsam aber sicher in den Alltag eines Auswanderers treten. Die eigentliche Muttersprache wird dann nur noch selten benutzt. Vielleicht verständigt man sich innerhalb der Familie noch mit dieser, aber zu Beginn ist es sicher so, dass man die jeweilige Fremdsprache bevorzugt, um sie besser zu lernen.

Es ist sehr gut möglich, dass man irgendwann mal genauso gute Englischkenntnisse wie Deutschkenntnisse hat. Allerdings glaube ich nicht, dass man seine Muttersprache in so einem Falle wechseln könnte. Mit dieser einen Sprache ist man nun mal aufgewachsen und das kann man einfach nicht durch eine "neue" Sprache ersetzten. Es gibt auch Menschen, die mit verschiedenen Sprachen aufwachsen, aber das ist eine andere Sache.

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» Zohan » Beiträge: 4398 » Talkpoints: 16,33 » Auszeichnung für 4000 Beiträge


Wer in höherem Alter auswandert und dort mit der Fremdsprache im Alltag lebt, wird diese Sprache als Fremdsprache empfinden, solange er oder sie lebt. Anders wenn Kinder mit ins Ausland gehen und in der Sprache sozialisiert werden: die "verlernen" dann tatsächlich die Muttersprache und beherrschen die neue Sprache relativ schnell. Deshalb ist z.B. das Vorgehen der Bundesrepublik Deutschland erschreckend (und menschenverachtend), wenn man "kriminellen Ausländern" die Abschiebung in ihr "Heimatland" androht. Dabei sind diese als Kinder in der BRD sozialisiert und sind - anders als eben in der BRD - dort vermutlich "technische Analphabeten" (sie können die Buchstaben lesen, verstehen trotzdem das Wort nicht) und wären nicht in der Lage im Land ihrer Eltern Behördenformulare auszufüllen und ähnliche Aufgaben zu bewältigen.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Ich glaube auch, dass man, wenn man in jungen Jahren, auswandert, die andere Sprache bald fließend beherrscht. Rein theoretisch bleibt deine Muttersprache aber immer deine Muttersprache. Das lässt sich genauso wenig ändern wie dein Geburtsland. Wenn du eine Fremdsprache fließend sprichst und sie auch täglich anwendest, weil sie die Sprache des Landes ist, in dem du lebst, heißt sie Zweitsprache.

Das ist in Afrika z.B. gang und gäbe. Die Kinder dort lernen zunächst von ihrer Mutter ihre Muttersprache. Das ist aber oft eine Sprache, die nur von einer eher kleinen Bevölkerungsgruppe gesprochen wird. Im Kindergarten lernen sie dann die afrikanische Sprache, die in ihrem Land auch Amtssprache ist. In der Schule kommt dann noch Englisch, Französisch oder Portugiesisch hinzu, die in den jeweiligen Ländern auch als Amtssprache verzeichnet sind. Sowohl die afrikanische als auch die europäische Amtssprache wird also fließend und täglich benutzt. Die Muttersprache hingegen nur zu Hause.

Seine Muttersprache verlernen kann man auch. Das ist ja trotz allem nur angelerntes Wissen. Ich habe mal drei Monate in einem englischsprachigem Land verbracht. Es hatte zwar bei mir noch nicht so richtig begonnen, aber irgendwann denkt man auch in der Sprache, in der man den ganzen Tag redet. Und ich hatte dann schon manchmal Probleme, deutsche Worte zu finden, wenn ich mit jemanden in Deutschland telefoniert habe Nichts gravierendes, aber sie sind mir in dem Moment einfach nicht eingefallen. Dafür aber das englische Wort.

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Ich würde von mir auch behaupten, dass ich sehr gut Englisch sprechen und verstehen kann. Womöglich sogar mehr, als andere in meinem Alter, da ich sehr viele Serien und Filme auf Englisch schaue, wodurch man viel eher ein Sprachgefühl bekommt als durch den Unterricht in der Schule. Ich war nun auch schon öfters in englischsprachigen Ländern, also hauptsächlich Amerika und England, und bin dort sehr gut klargekommen. Dort ist es mir dann auch passiert, dass ich nach zwei Wochen Urlaub angefangen habe, auf Englisch zu träumen und auf Englisch zu denken. Wenn man einfach ständig mit der Sprache zu tun hat und kaum mehr Deutsch spricht, dann gewöhnt man sich da überraschend schnell daran.

Schwierig ist es natürlich, auch akzentfrei zu sprechen. Auch wenn man die Grammatik beherrscht und viel Vokabular hat, dann klingt es doch anders, wenn nun ein Muttersprachler redet oder eben ein Ausländer. Das merkt man vor allem bei Sprachen, die eine ganz andere Aussprache haben. Ich lerne derzeit zum Beispiel Polnisch und mir fiel es am Anfang wirklich unglaublich schwer, weil ich es nicht gewohnt bin, dass ein Wort vier oder mehr Konsonanten hintereinander hat. Ein Wort, dass mit „przy“ beginnt, wäre im Deutschen ja undenkbar. Mittlerweile würde ich aber behaupten, dass ich schon etwas ein Sprachgefühl entwickelt habe und dann fällt es von Zeit zu Zeit einfacher.

Als „Muttersprache“ werde ich es aber wohl nie bezeichnen, so intensiv werde ich es nicht lernen. Englisch werde ich vermutlich auch nie als „Muttersprache“ bezeichnen, es sei denn, ich wandere nach Amerika oder England aus und spreche dann wirklich hauptsächlich Englisch und meine Aussprache wird noch besser. Aber ansonsten bleibt Deutsch meine einzige Muttersprache. Die Eltern meines Freundes kommen aus Polen und auch wenn sie schon viele Jahre hier leben, dann werden sie Deutsch auch sicherlich nicht als ihre Muttersprache bezeichnen, da sie teilweise noch grammatikalische Probleme haben und auch von der Aussprache her passt es einfach nicht.

» *sophie » Beiträge: 3506 » Talkpoints: 1,38 » Auszeichnung für 3000 Beiträge


Zur Muttersprache kann eine Fremdsprache nie werden. Muttersprache ist und bleibt die Sprache deines Landes, in dem du geboren wurdest und dessen Sprache du als Kleinkind gelernt hast. Es ist zwar möglich, dass man eine Zweitsprache so gut beherrscht und ohne Akzent spricht, aber sie wird niemals deine Muttersprache werden, mit der du aufgewachsen bist, auch wenn du jetzt in einem anderen Land wohnst.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Fremdsprache für mich so wichtig würde und ich auch in ihr denken könnte oder träumen, wie in meiner Muttersprache, in Deutsch. Es gibt sehr schöne, wohlklingende Sprachen, in denen es mir vielleicht leichter fallen würde, zu denken als in Englisch, das ich als Sprache sehr hässlich finde.

» Cid » Beiträge: 20027 » Talkpoints: -1,03 » Auszeichnung für 20000 Beiträge


Ich kenne selbst zwar einige Leute die im Ausland leben, allerdings ist bei diesen die jeweilige dort gesprochene Sprache keineswegs zur Muttersprache geworden. Man merkt zwar, dass diese Leute die Sprache in ihrer neuen Heimat wirklich um einiges besser beherrschen als jemand der diese in Deutschland gelernt hat, jedoch, auch wenn man die Muttersprache vielleicht etwas verlernt, wird man die „neue“ Sprache niemals so gut sprechen können und vor allem so gut betonen können, wie die Muttersprache die man ursprünglich gelernt hat. Dies liegt unter anderem daran, dass sich die primäre Sprache bereits in sehr geringem Alter bildet und im Gehirn verankert. Im Prinzip ist es daher auch unmöglich, die Muttersprache zu verlernen.

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» DarkRiderXTZ » Beiträge: 539 » Talkpoints: 0,55 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Die Frage wäre doch erst einmal, wie man eine Muttersprache definiert. Kommt es darauf an, dass die Sprache von einem der Elternteile als erste Sprache gelernt worden ist? Muss man die Muttersprache von Geburt an lernen, oder kann man sie auch erst als Kleinkind oder Grundschulkind lernen? Kommt es auf das Land an, wo man lebt, auf die Nationalität von einem selbst, oder auf die ethnische Herkunft der Eltern?

Oder mal konkretere Beispiele, die ich selber mitbekommen habe: Wenn jemand die türkische Staatsbürgerschaft hat, beide Eltern in der Türkei geborene Türken sind, Türkisch auch die Muttersprache der Eltern war, und die Person aber in Deutschland aufwächst und nur Deutsch lernt, ist dann Deutsch die Muttersprache, auch, wenn es nicht die Muttersprache der Eltern ist? Ist Türkisch als Muttersprache der Eltern dann für das Kind auch die Muttersprache, wenn es sie erst im Jugendalter nachträglich lernt, und nicht direkt als Kind?

Ich selbst habe beispielsweise von Geburt an Deutsch gelernt. Das ist die Muttersprache meines Vaters. Die Muttersprache meiner Mutter habe ich erst gelernt, als ich schon mehrere Jahre alt war. Ist das für mich dann immernoch eine Muttersprache? Wäre es auch noch eine, hätte ich sie erst noch später gelernt? Vom Empfinden her ist das für mich jedenfalls schon eine Muttersprache. Aber ob es das auch nach irgendeiner offiziellen Definition ist, weiß ich nicht.

Englisch habe ich erst ab der 5. Klasse gelernt, spreche es aber fließend. Ich lese und höre aber auch sehr viel auf Englisch, von Anfang an und auch heute noch. Wenn ich eine Weile auf Englisch mit meiner Umwelt rede, denke ich auch auf Englisch. Nach einer Weile träume ich auch auf Englisch. Ist das nun eine Muttersprache? Oder ist es keine, weil in meiner Familie keiner englischsprachig aufgewachsen ist? Ich denke, den Definitionen nach ist es dann wohl eher keine. Aber letztendlich ist das wohl auch egal. Es kommt ja eher darauf an, wie gut man die Sprache kann, oder? Egal, ob Muttersprache oder nicht.

Ich hatte früher übrigens einige Mitschüler, die ausländische Eltern hatten, und die die Sprache ihrer Eltern, Großeltern und sonstiger Vorfahren nicht im Geringsten verstanden. Sie konnten nur Deutsch, und halt die Sprachen, die im Schulunterricht gelehrt wurden. Sie sprachen immer auf Deutsch, dachten auf Deutsch, träumten auf Deutsch. Dann ist die Muttersprache doch auch Deutsch, selbst, wenn die Eltern beispielweise Perser sind und man die iranische Staatsbürgerschaft hat, oder nicht?

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Ich glaube es kommt sehr stark auf das Alter an, in dem man besagte Fremdsprachen lernt. Ich selbst habe Deutsch erst im Kindergarten gelernt und beherrsche es mittlerweile sogar besser als meine Muttersprache, obwohl diese zu Hause immer gesprochen wurde. Schlimm finde ich das nicht, weil ich kein besonders großer Anhänger meiner ursprünglichen Muttersprache bin. Ich mag diese Sprache einfach nicht und sie ist auch nicht besonders weit verbreitet, sodass es sehr sehr unwahrscheinlich ist, dass ich sie jemals im Alltag wirklich brauchen werde. Höchstens, wenn ich nach Paraguay oder Kanada auswandere, dort gibt es nämlich einige Siedlungen, in denen diese Sprache weit verbreitet ist.

Meine Eltern sehen Deutsch aber immer noch als Fremdsprache an, obwohl wir schon über 20 Jahre hier sind. Sie sprechen teilweise mit Akzent, aber auffällig ist eben auch, wenn sie über irgendetwas nachdenken oder sich beratschlagen, dann fällt ihnen erst das Wort ihrer Muttersprache ein und nicht das Deutsche. Für die deutsche Übersetzung müssen sie ein paar Sekunden länger nachdenken.

Meine Cousine ist vor ein paar Jahren ins englischsprachige Ausland ausgewandert. Bei ihr würde mich das ehrlich gesagt nicht wundern, wenn Englisch zu ihrer zweiten Muttersprache geworden ist, schließlich denkt und träumt man ja auch irgendwann in der dominanten Sprache des Alltags. Es kommt immer darauf an, wie lange man dem ausgesetzt war oder ist.

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» Olly173 » Beiträge: 14700 » Talkpoints: -2,56 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


Pointer hat geschrieben:Ich frage mich allerdings wie das bei den Menschen aussieht, die ins Ausland auswandern und gezwungen sind, die dortige Sprache zu erlernen und im Alltag ständig anzuwenden.

Ich würde sagen, das ist ganz unterschiedlich. Mein Freund und seine Familie kommen ursprünglich aus Polen. Als mein Freund sieben Jahre alt war, ist er mit seinem kleinen Bruder und seinen Eltern dann nach Deutschland gezogen. Bei ihm merkt man überhaupt keinen polnischen Akzent mehr, er spricht fließend Deutsch und sogar unseren Dialekt. Ich würde sogar behaupten, dass man, wenn er Hochdeutsch redet, noch eher hören kann, dass er aus Polen kommt, als wenn er in unserem regionalen Dialekt spricht. Die Sprache benutzt er inzwischen eben einfach täglich und auch wenn in seinem Elternhaus hin und wieder noch Polnisch gesprochen wird, ist das doch die primäre Sprache, mit der er spricht.

Interessant ist, dass bei seinem Bruder hingegen viel deutlicher zu hören ist, dass er ursprünglich nicht aus Deutschland kommt. Und das obwohl er einige Jahre jünger ist und somit eigentlich noch viel früher mit der deutschen Sprache in Berührung gekommen ist. Bei den Eltern ist es natürlich am extremsten, da hört man schon sehr deutlich, dass sie ursprünglich aus einem anderen Land kommen. Ich denke also, dass es durchaus mit dem Alter zusammenhängt, ob eine Sprache noch zur Muttersprache werden kann. Wenn man als Kind in ein anderes Land kommt, dann geht man dort ja auch noch zur Schule und hat auch Unterricht in der jeweiligen Sprache. Als Elternteil muss man sich die Sprache selbst aneignen und eben durch Erfahrung, Zuhören und Sprachgefühl die Sätze richtig bilden. Ich denke daher schleichen sich bei den Eltern meines Freundes auch viel eher grammatikalische Fehler ein. Sie übersetzen oft eins zu eins aus dem Polnischen und da im Polnischen zum Beispiel Pronomen wie ich, du, er, sie einfach weggelassen werden, lassen sie das auch oft weg. Ähnlich verhält es sich mit Artikeln vor Nomen.

Um auf das Beispiel mit jahrelangem Englisch in der Schule zurückzukommen: Ich denke nicht, dass eine Sprache zu einer Muttersprache werden kann, wenn man nicht ständig mit ihr konfrontiert ist, sie selbst sprechen und nicht nur hören muss. Ich schaue beispielsweise eigentlich nur noch Serien in englischer beziehungsweise amerikanischer Originalsprache. Ich verstehe in den Serien so gut wie alles, aber dennoch würde ich nie behaupten, dass Englisch schon beinahe meine Muttersprache ist, dafür spreche ich es einfach viel zu wenig. Vielleicht hin und wieder im Urlaub, aber das reicht meiner Meinung nicht.

Ich denke also nicht, dass wir uns alle als englische Muttersprachler bezeichnen können, nur weil wir ein paar Jahre lang Englisch in der Schule haben. Die Sprache mag uns zwar leicht vorkommen, vor allem von der Grammatik her, aber wenn wir Englisch reden hört man doch meist deutlich, dass es nicht unsere Muttersprache ist. Würde man aber nach England ziehen und die Sprache immer mehr reden, dann kann es schon sein, dass es schon fast zur Muttersprache wird.

» *sophie » Beiträge: 3506 » Talkpoints: 1,38 » Auszeichnung für 3000 Beiträge


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