Starke Probleme mit Zeiten - ein Problem der Gesellschaft?

vom 05.03.2013, 22:02 Uhr

Ich habe heute mal wieder Nachhilfe gegeben. Meine Schülerin geht in die achte Klasse einer Realschule. Nun haben sie in Englisch ein Arbeitsblatt bekommen, bei dem sie die Verben in Past Tense schreiben mussten. Dieses mussten sie dann auch ins Deutsche übersetzen. Bei "eat" kam es dann so weit, dass meine Schülerin gar nicht die nächste Zeit von "essen" kannte. Sie hat es dann mit "isste" versucht.

Ich fand das im ersten Moment total witzig, habe aber später noch einmal darüber nachgedacht und mich eben gefragt, wann man denn wirklich heutzutage noch sagt, dass man gerade etwas "aß". Meistens sagt man ja wirklich, dass man gerade etwas gegessen hat und lässt somit die Erzählzeit aus. Zu mindestens kenne ich kaum jemanden, der das bei diesem Verb verwendet. Bei ein paar anderen Verb und Zeitformen kam sie auch noch stark durcheinander und oft sind es eben Wörter, die man heutzutage kaum noch benutzt.

Wie seht ihr das? Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht? Benutzt ihr das korrekte Deutsch und sagt "Ich aß vorhin ein Brötchen" oder sagt ihr auch "Ich habe heute ein Brötchen gegessen"? Wie ist es in eurem Freundes und Bekanntenkreis?

» Wunschkonzert » Beiträge: 7184 » Talkpoints: 42,56 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Im mündlichen Ausdruck verwendet man tatsächlich häufig das Perfekt als Zeitform. So sagt man in der Umgangssprache eben "Ich habe gegessen". Das Präteritum, also die Vergangenheitsform, findet man dagegen öfter in der Schriftsprache. So wird zum Beispiel in Erzählungen oder Märchen eher diese Zeitform benutzt. Der Ausdruck "Ich aß" ist dort eigentlich nicht ungewöhnlich. Ich vermute mal, dass sich deine Nachhilfeschülerin auch deshalb so schwer getan hat, weil sie relativ wenig Bücher liest. Einem Lesewurm fällt es wahrscheinlich sehr viel leichter, die korrekte Grammatik anzuwenden.

» Ariola » Beiträge: 693 » Talkpoints: 4,96 » Auszeichnung für 500 Beiträge


In Österreich redet fast niemand im Imperfekt. Das ist für mich eine totale Schreibform. In der Schularbeit mussten wir die immer anwenden, was ich aber nicht immer getan hatte. Mit den Zeiten ist es im Deutschen schon seltsam. Ich kenne die Regeln fürs Französische und Englische, aber ob ich im Deutschen - ich aß - oder - ich habe gegessen - sage, ist für mich total das Gleiche. Das erstgenannte ist für uns typisch Bundesdeutsch.

Wenn ich jemandem sage, Du ich aß vor fünf Minuten einen Hamburger, denkt der, dass ich total hochnäsig oder nicht richtig im Kopf bin. Ich isste - so etwas habe ich noch nie gehört, aber die Jugend hat arge Probleme mit allem, Genus, Fälle, Zeitenbildung usw. daher wundert mich gar nichts mehr. Hier sagen einige auch, der guteste Freund, den ich habe. Echt krass!

» celles » Beiträge: 8677 » Talkpoints: 4,08 » Auszeichnung für 8000 Beiträge



Ich kenne die hohe Verwendung des Perfekts auch aus dem bayerisch angehauchten Dialekt - mit "Ich saß gerade im Restaurant", oder "ich legte mich vor kurzem ins Bett", würde ich wohl allenfalls sehr komische Blicke auf mich ziehen und man würde mich entweder für ein bisschen abgedreht, oder ziemlich arrogant und angeberisch halten. Die Verwendung des Perfekts hat sich eben im Sprachgebrauch eingebürgert, wie auch oft die falsche Verwendung von Nebensätzen im Mündlichen. "Ich nehme jetzt den Pfeffer, weil der ist eben da", würde zwar kein Mensch schreiben, im mündlichen Sprachgebrauch passiert das aber dennoch leicht.

Allerdings hatte ich trotz dieser Sprechweise nie irgendwelche Probleme mit den Zeitformen. Ich habe als Kind immer schon viel gelesen, oft auch in aller Ausführlichkeit Hörbücher verschlungen; und durch die Berührung mit literarischen Werken, in denen das Imperfekt als Erzählform verwendet wird, sollte sich dieser schlampige Sprachgebrauch eigentlich ausbügeln.

» Anemone » Beiträge: 1740 » Talkpoints: 764,26 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Es gibt einen Unterschied zwischen Schriftsprache und gesprochener Sprache. Beim Sprechen wird in den meisten Regionen Deutschlands der Perfekt verwendet. Da die Kinder immer weniger lesen, kann ich mir durchaus vorstellen, dass sie viele Imperfekte nicht mehr kennen. Mein Sohn hat doch tatsächlich neulich „er laufte“ in einem Aufsatz geschrieben. Das würde er aber nie sagen. Er wusste nur, dass er nicht „er ist gelaufen“ schreiben sollte und das „lief“ fiel ihm nicht ein.

Ich kann mir vorstellen, dass man beim gesprochenen Wort eher den Perfekt nimmt, weil der emotionale Moment beim Erzählen von Erlebnissen größer ist, man ist noch direkter dran und drückt das auch in der näheren Zeit aus, als wenn man etwas aufschreibt.

» anlupa » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Nachdem es im Alltag zu keinen Missverständnissen kommen kann, sehe ich auch kein großes Problem. Im Französischen und Englischen ergeben die verschiedenen Vergangenheitsformen deutliche Bedeutungsunterschiede. Im Deutschen sehe ich nur, wie es laut Regel in der Schriftsprache sein sollte und dort muss man eben mal die richtige Zeit nehmen. Das Präteritum ist nun einmal die Erzählform und nachdem die jüngeren Leute nur mehr Facebook Postings schreiben und lesen, muss ja ein Defizit auftreten.

» celles » Beiträge: 8677 » Talkpoints: 4,08 » Auszeichnung für 8000 Beiträge


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