Sündenbock suchen um mit Situationen fertig zu werden?

Mir ist aufgefallen, dass viele Menschen für irgendeine Situation versuchen einen Sündenbock zu finden, damit sie mit einer Situation besser klar kommen. Warum ist das so, dass man scheinbar besser mit einer Situation klar kommt, wenn man irgendjemanden die Schuld für diese Situation geben kann? Ist euch das auch schon aufgefallen und habt ihr selber schon mal bei anderen die Schuld gesucht um vielleicht mit einer Trauer oder einer anderen Situation klar zu kommen?

Eine Freundin von mir hat momentan dasselbe Problem. Also sie wird als Sündenbock angesehen von einer Freundin, die sie noch gar nicht allzu lange kennt. Zumindest meint sie, dass diese Freundin sie als Sündenbock benutzt. Mir tut es auch sehr Leid, weil eben diese Freundin damit nicht richtig umgehen kann und überlegt, den Kontakt zu dieser Freundin abzubrechen, obwohl sie diese Freundin doch sehr gerne mag.

Ich selbst kann das überhaupt nicht verstehen, warum man andere Leute zum Sündenbock macht. Ich such eigentlich nie die Schuld bei anderen (zumindest versuche ich das) und äußere höchstens meinen Unmut, damit die anderen wissen, warum ich so gelaunt bin, wie ich dann bin.

Bei einer Freundin war es auch immer so, dass sie einfach ständig einen Sündenbock gesucht hat, wenn sie schlechte Laune hatte oder wenn etwas nicht so gelaufen ist, wie sie es sich vorgestellt hat. Sie konnte die Sache dann einfach nicht mit sich selbst regeln oder die Sache einfach von sich weg schieben, wenn sie mit anderen Menschen zu tun hatte. Stattdessen musste man damit rechnen, ihre ganze Wut abzubekommen. Dabei war ich dann auch immer wieder das Opfer und im Endeffekt ist dann sogar unsere jahrlange Freundschaft daran zerbrochen. Immerhin bin ich nicht damit klar gekommen, immer wieder den Sündenbock zu spielen, wenn sie schlechte Laune hatte.

Bei meiner Freundin war es so, dass sie sich sehr oft mit ihrem Freund gestritten hatte und dann natürlich auch entsprechend schlecht gelaunt war. Statt die Sache gleich mit ihrem Freund zu klären oder sie einfach auf die Seite zu schieben, wenn sie sich mit mir getroffen hat, hat sie ihre Wut einfach ständig an mir ausgelassen. So hatte sie auch immer schon einen mürrischen Gesichtsausdruck, wenn wir uns getroffen haben und wenn ich nur ein falsches Wort gesagt habe, ist sie komplett ausgerastet und hat dann am Telefon einfach aufgelegt. Außerdem war sie auch extrem zickig und man konnte es ihr absolut nicht recht machen. Von daher hatte ich natürlich auch irgendwann keine Lust mehr auf diese Freundschaft, zumal die Streitereien mit ihrem Partner auch immer häufiger wurden.

Wenn ich Probleme oder Stress habe, dann versuche ich normalerweise, das mit mir selbst auszumachen, indem ich Tagebuch schreibe, Musik höre oder meinen Ärger auf eine andere Weise los werde. Oftmals ist es aber auch so, dass ich die Sache möglichst schnell mit der entsprechenden Person kläre, damit die Sache erledigt ist und ich nicht länger schlechte Laune deshalb haben muss. Allerdings versuche ich, keinen Sündenbock zu suchen. Das finde ich absolut nicht fair und ich möchte selbst auch nicht so behandelt werden, weshalb ich andere Menschen auch nicht so behandeln möchte.

Wieso viele Menschen Schwierigkeiten damit haben, sich eine Schuld einzugestehen und statt dessen lieber einen Sündenbock aus ihrer Umgebung ausfindig machen, leuchtet mir eigentlich unmittelbar ein. Es ist ja schließlich ein ganz mieses Gefühl, wenn man etwas verbockt und sich oder anderen Schaden zugefügt hat und sich eingestehen muss, dass man selber daran schuld ist.

Scham und Schuldgefühle sind ganz schlecht für das Selbstwertgefühl und fügen dem doch recht positiven Selbstbild, das man in der Regel hat, böse Lackschäden zu. Wenn man die Schuld abwälzen kann, ist es weiterhin möglich, sich für einen relativ tollen Zeitgenossen zu halten und auf den Sündenbock wütend zu sein. Es ist eben ein viel besseres Gefühl, sich über jemand anderen zu ärgern oder diesen wegen vermeintlicher Verfehlungen zu verachten, als sich selber einzugestehen, dass man vielleicht doch nicht immer alles richtig macht und manchmal dumm dasteht oder andere verletzt.

Bei mir ist es eher umgekehrt: In der Regel suche ich die Schuld bei mir, wenn irgend etwas schiefgeht und bin nicht so schnell mit Schuldzuweisungen an andere bei der Hand. Das ist natürlich auch keine optimale Einstellung, wenn man sich selber in Grund und Boden schämt, obwohl eigentlich jemand anders schuld an der Misere ist. Für gewöhnlich versuche ich, die Dinge objektiv zu betrachten und meine Gefühle in der Balance zu halten.