Ist die Liebe nur eine Sache der Hormone?
Als ich gestern bei meinem Hausarzt war, hatte ich auch kurz meinen derzeitigen Gemütszustand angesprochen. Dass es mir eben nicht so gut geht, weil ich a) mit meinem Job unzufrieden bin und b) es mir zu schaffen macht, meinen Freund immer nur an den Wochenenden zu sehen. Dazu muss ich sagen, dass mein Arzt mich nun schon über 20 Jahre kennt, so dass ich auch über solche Dinge mit ihm reden kann. Und als ich dann das Thema Zusammenziehen angesprochen habe, hat er mir gleich abgeraten.
Er ist der Ansicht, dass Beziehungen heutzutage sowieso nicht mehr lange halten. Begründet hat er das damit, dass die Liebe eine hormonelle Geschichte ist (ich gebe das jetzt mal mit meinen Worten wieder) und dass es wissenschaftlich erwiesen wäre, dass diese durch die Hormone bedingte Verliebtheit nach 12 bis maximal 36 Monaten sowieso vorbei ist.
Ich war ein wenig geschockt, zumal er selber mit seiner Frau auch schon 30 Jahre verheiratet ist. Und auch seine Ansichten zu diesem Thema waren für mich sehr befremdlich. Natürlich ist es klar, dass man nicht mehr wie frisch verliebt ist, wenn man länger zusammen ist, aber das muss doch nicht automatisch heißen, dass die Liebe nicht bestehen bleibt und man sich wieder trennt, sobald die Verliebtheit und das Glücksgefühl vorbei sind.
Was denkt Ihr, ist an solchen Behauptungen etwas dran? Es gibt doch auch viele Paare, die auch nach 20 Jahren noch glücklich miteinander sind.
Ich denke, dein Arzt hat sich auf dieses flattrige, aufregende Gefühl der ersten Verliebtheit bezogen. Jeder mit einem Funken Lebenserfahrung weiß ja, dass dieses Gefühl, bei dem noch alles neu und aufregend ist und der Partner sowieso vollkommen und alles ganz wunderbar, nicht ewig anhält.
Irgendwann ist die erste Aufregung verflogen und eine gewisse Gewöhnung und Routine stellt sich ein. Der Partner stellt sich als genauso fehlbar und manchmal nervig heraus wie man selbst und man kriegt nicht mehr einen halben Herzinfarkt, wenn er (oder sie) überraschend anruft. Ehrlich gesagt finde ich es sogar relativ hoch gegriffen, dass man diese hormonell bedingte rosarote Brille wirklich bis zu anderthalb Jahren aufbehalten kann.
Der Unterschied besteht meines Erachtens darin, dass manche Leute glauben, wenn die Hormone nicht mehr rotieren, ist die Liebe vorbei. Deshalb suchen diese Zeitgenossen immer wieder nach neuen Partnern, dann ist wieder ein paar Wochen alles ganz toll und aufregend, und wenn bei anderen Paaren die Beziehung erst richtig anfängt, ist es anderen schon wieder langweilig. Und heutzutage sind ja Trennungen und Scheidungen kein großes Thema mehr, während "früher" der soziale Druck einfach höher war und viele Paare vor allem aus praktischen Gründen zusammengeblieben sind. Heute kann man sich romantische Illusionen einfach eher leisten.
Wenn man also Verliebtheit mit Liebe gleichsetzt, kann ich die Aussage deines Arztes schon nachvollziehen. Wer aber der Meinung ist, dass zu einer Beziehung mehr gehört als Schmetterlinge und rosarote Wolken, kann sicher auch heute noch dauerhaft glücklich werden, wenn sich der richtige Partner findet.
Man kann auf jeden Fall nach 20 Jahren Beziehung noch glücklich sein. Meine Oma und mein Opa waren über 50 Jahre lang verheiratet und ich habe selten so eine harmonische Beziehung gesehen, wie zwischen den beiden.
Sicherlich lässt die Verliebtheitsphase nach, aber nur weil man nicht mehr in den rosaroten Wolken schwebt, heißt das ja nicht, dass man keine gute Beziehung mit Liebe mehr führen kann. Manchmal macht der Alltag eben auch sehr viel Spaß und ich denke, dass es mit dem richtigen Partner sogar sehr viel mehr Spaß machen kann als dieses anfängliche Gefühl.
Dein Arzt scheint entweder ganz schön verbittert in seiner Beziehung zu sein, oder hat nie richtig geliebt. Beides ist sehr traurig und gerade nach 30 Jahren sollte man eigentlich wissen, was Liebe ist. Ich denke durchaus, dass es sicherlich mit Hormonen zu tun hat, aber man auch sein Leben lang glücklich sein kann.
Vielleicht hat er dir auch aus anderen Gründen raten wollen nicht mit deinem Partner zusammenzuziehen und hat sich nicht richtig getraut, diese anzusprechen. Man weiß ja nicht, was er sich dabei gedacht hat. Die Aussage finde ich aber mehr als blöd.
Verliebtheit hat verdammt viel mit Hormonen und dem Gemisch im Kopf zu tun. Ja, es ist eine wissenschaftlich erwiesene Tatsache. Viele Forscher vergleichen sogar den Zustand der "Liebe" mit dem Zustand der "Verrücktheit" oder dem "Wahnsinn". Das liegt am Hormoncocktail, der bei uns im Körper ausgeschüttet wird. Die Natur hat das schon sehr clever eingerichtet, um den natürlichen Fortpflanzungstrieb voran zu treiben.
Dopamin, Serotonin und Oxytozin sind Schlagwörter, die du bei Interesse gerne mal googeln kannst. Der Status der Verliebheit kann manchen Forscher nach sogar bis zu drei Jahren anhalten. Dabei beziehen sie sich aber wirklich nur auf diesen Hormoncocktail
Allerdings ist sich die Wissenschaft auch sehr uneins, ob Liebe nur aus Hormonen besteht. Da gibt es noch viel Forschungsbedarf. Und es wird sicher noch sehr lange dauern, bis alles erklärbar wird.
Ich persönlich kenne viele wissenschaftliche Erklärungen und Beschreibungen von Verliebtheit und Liebe. Und dennoch bevorzuge ich, dass nicht darauf zu reduzieren, wie es vielleicht dein Arzt macht. Ich finde, der romantische Aspekt ist auch eine Errungenschaft unserer Gesellschaft. Der Mensch stammt vom Tier ab, will sich aber unbedingt vom Tier abgrenzen. Und dazu sind uns einige Mittel an die Hand gegeben. Moral zum Beispiel, Wertesysteme, Loyalität. Warum dann auch nicht Romantik? Es gibt meiner Meinung nach sehr vieles, was uns "verrückten Verliebten" von wirklichen Liebenden unterscheidet. Und ja, auch ich denke, dass es lange glückliche Beziehungen geben kann.
Ich fände die Welt sehr traurig, wenn wir Liebe nur an Hormonen fest machen würden. Denn die tiefen Gefühle sind doch erst die Dinge, die das Leben so schön machen.
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