Bedeutung der Schule - berufsfremd oder doch nützlich?
Ich stehe gerade im Abitur. Obwohl ich voraussichtlich mit einem sehr guten Schnitt abschließe, frage ich mich doch des Öfteren, was ich eigentlich in der ganzen Zeit getan habe. Man lernt im Prinzip extrem realitätsferne Dinge.
Auch wenn z.B. Physik ein tolles Fach ist, im Alltag gebrauche ich den Stoff nie. Ich kriege schon Probleme, wenn ich mal die Wäsche waschen muss oder ähnliches.
Meint ihr Schule ist dennoch nützlich? Ich sehe in meinem Abitur eigentlich nur die Eintrittskarte ins Studium. Und auch das Studium, so sagen mir Freunde, ist im Prinzip nur die Eintrittskarte ins eigentliche Berufsleben. Erst dann, also in ca. 6-10 Jahren lernt man richtig zu arbeiten! Oder ist es einfach das Denken, was einem beigebracht wird? Über ein paar Anregungen und Erfahrungen würde ich mich echt freuen, weil ich sehe zurzeit so wenig Sinn im Abitur.
Das Gymnasium ist nicht dazu gedacht, auf den Alltag oder den Beruf vorzubereiten, sondern eine Allgemeinbildung zu schaffen und die Reife zu erzeugen, sich mit akademischen Inhalten selbstständig auseinanderzusetzen. Deswegen heißt das Abiturzeugnis ja auch Reifezeugnis. Ich finde, dass die Schule das noch ganz gut macht. Es gibt so viele Türen, die einem nach dem Abitur offen stehen, dass eine berufsbezogenere Ausbildung nur hinderlich wäre. Die Schule bereitet auf Berufe vor, in denen lebenslanges Lernen gefragt ist und diese Lerntechniken und den Blick über den Tellerrand hinaus, sollte das Gymnasium lehren. Haupt- und Realschule haben wiederum andere Ziele.
Die Schule ist nicht dafür zuständig, dass du im alltäglichen Leben zurechtkommst, also Wäsche waschen, Kontoüberweisungen tätigen und kochen kannst. Dafür sind immer noch die Eltern da. Die Schule kann ihnen nicht alles abnehmen.
Ich habe nach dem Abitur noch ein Jahr einen Handelsschulkurs besucht, um mich mal mit dem wirtschaftlichen Bereich anzufreunden. Dieser Zweig kam auf dem Gymnasium bei mir zumindest gar nicht vor. Im nach hinein eine ärgerliche Sache, weil ich feststellte, dass mir diese Abteilung ganz gut liegt. Da kamen mir nicht zum ersten Mal die Gedanken, dass Schule am wahren Leben vorbeigeht, aber dort fand ich die ersten Eckpunkte, was fehlt.
Im Grunde weiß man alles über den Zitronensäurezyklus und wo Julius Cäsar anno Tuck an die Pyramide gepinkelt hat, auch Shakespeare hat man gelesen. Aber sich dann im Ausland auf englisch ein Butterbrot bestellen? Sich mit Ämtern und Formularen auseinander setzen oder eine Lohnsteuerjahresausgleich machen? Die praktischen Dinge des Lebens gehen an der Schule völlig vorbei.
Was mich aber nebenbei nervt ist, dass ich heute immer wieder feststelle, wie lückenhaft das Ganze ist, weil die Fächer und die Unterrichtseinheiten einfach nicht vernünftig aufeinander abgestimmt sind und man kein rundes Bild erhält. Warum beschäftigt man sich nicht in Deutsch, Kunst, Geschichte und Literatur mit den gleichen Zeitperioden zur gleichen Zeit und fächerübergreifend? Damit könnte man viel Zeit sparen, weil die Themen ineinander greifen und die Schüler ein rundes Bild bekommen. Rückblickend erlebe ich es heute noch, dass ich irgendeine Doku im Fernsehen sehe und urplötzlich nach 20 Jahren rückt ein altes Stück Puzzle aus dem Schulunterricht ins richtige Bild.
Meine Zeit auf der Berufsschule verbrachte ich dann häufig damit, mit meinen Lehrern herum zu diskutieren. Die wollten natürlich modernen zeitgemäßen Unterricht machen, viel Gruppenarbeit, viel mit EDV-Unterstützung und blablabla. War auch gut, hat Spaß gemacht, kam aber kein Faktenwissen bei rum. Half mir nicht in der uralten Prüfung, wo man Multiple Choice Fragen ankreuzen musste. Half mir auch nicht im Betrieb. Da wurde nicht auf T-Konten gebucht und per Hand bilanziert. Da waren meinem Chef auch Din-Vorschriften für Geschäftsbriefe so was von egal und wenn der Organigramm hörte, bekam er allenfalls Pusteln.
Ich sehe das ähnlich wie Anlupa. Mag sein, dass Schule nur bedingt auf das eigentliche Berufsleben vorbereitet, auf der anderen Seite schafft gerade das Gymnasium eine entsprechende Basis für ein anschließendes Studium bzw. einen akademischen Beruf. Selbst, wenn man die solide Basis an Allgemeinwissen, die man sich während des Schulbesuchs aufbauen sollte und mit der man auch im späteren Berufs- oder Sozialleben glänzen kann, außer Acht lässt, dann muss man zugeben, dass in der Schule die Soft-Skills vermittelt werden.
Man lernt zu lernen, sei es dauerhaft oder für eine Prüfung, man lernt das Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten, den Umgang mit den gängigen Arbeitstechniken sowie das Verfassen schlüssiger Texte. Ganz davon abgesehen lernt man Durchhaltevermögen und Zielstrebigkeit, man entwickelt hoffentlich auch ein Gefühl, wie mit Respektspersonen und Mitschülern umgegangen werden muss und lernt darüber hinaus die eigenen Fähigkeiten kennen, denn ob ein Schüler eher der Typ für Technisches ist, oder ob ihm mehr Literatur oder Argumentation liegt, das kann man auch in der scheinbar sehr theoretischen Schulzeit schon grundlegend herausfinden.
Das Abitur bietet eben eine sehr breite Ausbildung, deshalb heißt es ja auch "allgemeine Hochschulreife". Es soll also von Germanistik bis Ingenieurswissenschaften auf alle Fachgebiete ausreichend vorbereiten. Und deshalb gibt es logischerweise viele Dinge, die man in Alltag und Beruf nicht braucht, wenn man nicht zufällig das passende Fachgebiet wählt. Wenn du ein technisches Fach studieren würdest, bräuchtest du ganz sicher das, was du in Physik und Mathematik gelernt hast. Und das täglich. Dafür wird dich niemand mehr nach dem 100 jährigen Krieg oder nach Goethes Faust fragen.
Außerdem ist es extrem wichtig, das Lernen zu lernen. Dabei hilft dir die breite Allgemeinbildung aus dem Abitur ungemein. Im Studium ist das sogenannte Transferwissen extrem wichtig, und das wird meiner Meinung nach im Gymnasium sehr gut gelehrt.
Wir haben damals auch wichtige nicht-fachliche Dinge gelernt. Referate, Gruppenarbeit und nicht zuletzt die Facharbeit waren extrem wichtige Methoden, die man später immer wieder gebrauchen konnte, auch wenn sie oft in einem fachlich völlig anderem Hintergrund angewendet werden können. Hier spielt auch das Transferwissen eine sehr hohe Rolle. Auch wenn du vielleicht im Alltag keine Physikaufgaben lösen wirst, kann es durchaus sein, dass du die Vorgehensweise (aufmerksames Lesen, Veranschaulichung der gegebenen Größen usw.) in einem völlig anderem Zusammenhang verwendest, ohne dass dir das bewusst ist.
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