Den Gästen ansehen, ob es ihnen schmeckt?

Meine Schwägerin hat neulich bei meiner Schwiegermutter für uns gekocht und ich habe die Nachspeise mitgebracht. Es war mal wieder wie so oft – ich habe mir eingebildet, dass meine Blaubeer-Quark-Mascarpone-Creme mit Amarettinis meiner Schwiegermutter und meiner Schwägerin nicht geschmeckt hat. Sie haben sie zwar gelobt, aber ich meine, an ihrem Gesichtsausdruck gesehen zu haben, dass es nicht ihrem Geschmack entsprach. Sie wollten auch keinen Nachschlag, obwohl die Creme in meinen Augen sehr gut war und meine Kinder sie offensichtlich auch genossen.

Kann es sein, dass ich mir das nur einbilde? Bin ich überkritisch mit mir selber? Könnt ihr euren Gästen an ihrem Gesichtsausdruck ansehen, ob es ihnen schmeckt? Loben werden sie das Essen, wenn sie höflich sind, ja immer. Bedeutet dann nur überschwängliches Lob, dass es wirklich geschmeckt hat?

Ich denke schon, dass ich erkenne, ob es meinen Gästen schmeckt oder nicht. Sicherlich ist man als Koch immer ein bisschen kritisch mit sich selber und geht erst mal davon aus, dass es nicht so gut gelungen ist, aber man kann es schon in den Augen sehen. Auch merkt man es sicherlich daran, dass die Gäste noch etwas wollen, aber allein daran sollte man es nicht festmachen.

Es kann einem aber auch nicht alles schmecken, und wenn es deinen Kindern geschmeckt hat, ist es doch gut. Kinder sind ja immer ehrlich und nicht immer höflich, wenn es um die Frage geht, ob es geschmeckt hat. Als Erwachsener wird man natürlich immer sagen, dass es lecker war.

Mir geht es da auch so wie dir, also das ich mit meinem Essen überkritisch bin und dann die Sorge habe, dass es den Gästen nicht schmeckt. Vor allem so Kleinigkeiten, das zum Beispiel kein Nachschlag verlangt wird, bewertet man dann gerne etwas über und hat das Gefühl, das es ein eindeutiges Zeichen ist.

Allerdings glaube ich, dass es meistens einfach eine Einbildung ist und wenn die Kinder ihre Freude damit hatten, kann es gar nicht so schlecht gewesen sein. Eventuell lag es ja auch einfach daran, dass deine Gäste auf ihre Figur achten und die Nachspeise zwar lecker fanden, aber dann doch Kalorien sparen wollten und auf eine zweite Portion verzichteten. Ich würde das nicht überbewerten.

Wenn es dir selber schmeckt und du es für gut befindest, solltest du vielleicht einfach die Sorge beiseite schieben und das Essen genießen. Ich habe nämlich die Erfahrung gemacht, das ich meine Portion nicht so genießen kann, wenn ich das Gefühl habe, meine Gäste könnten nicht zufrieden sein.

Ich denke ebenfalls, dass man Gästen ansehen kann, ob ein Essen ihnen gut geschmeckt hat oder nicht. Die meisten Menschen würgen teilweise das Essen auf Höflichkeit herunter und verziehen keine Miene, trotzdem kann man es ihnen irgendwie ansehen. Menschen, welche meine Charakterzüge aufweisen, verziehen ganz dreist das Gesicht und denen merkt man natürlich erst recht an, dass das Essen nicht gut war. Vielleicht wollte deine Schwiegermutter auch einfach keinen Nachschlag und war schon satt. Hast du sie schon einmal konkret dazu befragt?

Ich denke ebenfalls, dass nur wenige Leute so gute Schauspieler sind, dass man ihnen absolut nicht anmerkt, ob ihnen das Essen schmeckt oder nicht. Auch wer aus Höflichkeit nicht herummeckert oder die Nase kraus zieht, tut sich oft schwer, den nötigen Enthusiasmus zu zeigen, wenn ein Gericht nicht wirklich mundet.

Aber ich würde dieses Verhalten meiner Gäste nicht so eng sehen oder immer gleich persönlich nehmen. Essen ist die ultimative "Geschmackssache", und nur weil jemand nicht reinhaut wie ein Weltmeister, heißt das ja noch lange nicht, dass das Gericht, die Zutaten oder die Zubereitung nichts taugen. Mir könne man beispielsweise die perfekte Tomatensuppe vorsetzen, ich würde sie wahrscheinlich nicht mögen. Aber das ist ja nicht die Schuld der Tomaten oder des Gastgebers! Vielleicht hat der Gast ja auch gerade einen launischen Magen oder üppig gefrühstückt? Oder vielleicht mögen deine Verwandten auch einfach keine Blaubeeren oder sonst eine Zutat, die dein (übrigens lecker klingendes) Dessert aufweist? Jedenfalls glaube ich nicht, dass ihr Verhalten unbedingt auf Kritik an deinen Kochkünsten schließen lässt.

Ob Du Dir das alles nur einbildest und möglicherweise überkritisch mit Dir selbst bist, kann ich schlecht beurteilen, weil ich Dich leider zu wenig kenne, vor allem aber auch die betroffenen Familienmitglieder, um diese Situation entsprechend näher zu beurteilen. Allerdings kann ich mir beide Gegensätze ganz gut vorstellen, denn wenn man erwartet, dass ein leckeres Dessert wirklich allen schmeckt und auch entsprechende Hoffnungen eben darin hat, dann kann ich mir diese übertriebene Selbstkritik schon vorstellen, wenn man zu solchen Verhaltensweisen neigt. Gleichzeitig kann es natürlich aber auch sein, dass Deine Schwägerin und Deine Schwiegermutter irgendwelche Bestandteile Deines Desserts nicht mochten und es selbst vielleicht anders zubereitet hätten, nämlich ohne diese Zutaten, aber bestimmte andere Eigenschaften des Quarks sehr gelungen fanden. Ich kann beispielsweise auch etwas als gut gelungen bezeichnen, das mir aufgrund einer bestimmten Zutat nicht so gut schmeckt wie es ohne diese Zutat der Fall wäre. Deshalb ist aber nicht das ganze Dessert gleich als schlecht zu bezeichnen.

Ich denke nicht, dass nur überschwängliches Lob bedeutet, dass es den beiden geschmeckt hat, aber ich denke, Du hättest beide fragen können, ob es ihnen wirklich schmeckt, weil Du einen anderen Eindruck hast. Vielleicht hätte ich sie gebeten, ganz offen zu sein und ruhig auch Kritik zu üben, denn manchmal entstehen aus einer solchen offenen Kritik ganz neue Ansätze, die sich durchaus positiv und hilfreich auswirken können.

Meinen Gästen sehe ich sicherlich nicht immer an, wenn es ihnen besonders gut schmeckt, denn ich denke, dass das von der Aufrichtigkeit der Gäste abhängt. Wenn es meinem Vater schmeckt, sieht man es ihm auf jeden Fall an, auch einige andere Familienmitglieder sind da überaus deutlich. Gleichzeitig glaube ich ihnen, wenn sie bekräftigen, dass ihnen irgendetwas besonders oder auch einfach „nur“ gut schmeckt, weil ich weiß, dass ansonsten solche Bemerkungen nicht fallen. Meine Eltern wären nun sicherlich nicht so, dass sie mein Essen kritisieren würden, aber ich würde wohl bemerken, dass sie weniger essen als sonst oder sich ansonsten eher zurückhaltend geben. Wenn ich sie dann bitte, ganz offen zu sein, üben sie auch ein wenig Kritik, allerdings keine scharfe oder harte, sondern eine sehr harmlose, die meistens irgendwelche Punkte betrifft, die man gleich ändern kann, sodass es am Ende dann doch wieder eine runde und gelungene Sache wird.