Kannibalismus in einer Notsituation?

vom 28.01.2013, 18:45 Uhr

Ich schaue gern Reportagen und Dokumentationen. So sah ich vor kurzem eine Dokumentation über ein Flugzeug, das in den Anden abgestürzt war. Viele Passagiere waren beim Absturz verstorben, andere kämpften noch ums Überleben, wobei immer wieder welche ihren Verletzungen erlagen. Rettung war nicht in Sicht und sich selbst aus der Schneehölle in den Anden zu befreien nicht möglich. Nachdem alle Essensvorräte aufgebraucht waren und in dem Schneegebiet keine Nahrung zu finden war, entschieden sich die Überlebenden dazu, die Leichen der anderen Passagiere zu verspeisen, wobei es sich teilweise auch um Familienmitglieder und Freunde handelte.

Das brachte mich zu der Überlegung, wie ich in einer solchen Situation handeln würde. Verhungern oder einen Menschen essen? Vermutlich würde ich mich auch dazu entscheiden, einen Menschen zu essen. Aber was, wenn die einzige verfügbare Leiche ein Familienmitglied wäre? Oder, wenn jemand noch nicht tot ist, aber sicher sterben wird?

Haltet ihr es für verwerflich, in einer solchen Situation andere Menschen zu essen oder sogar zu töten? Macht ihr einen Unterschied, ob es sich dabei bei den Gegessenen um Familienmitglieder oder Fremde handelt? Könnt ihr euch in die geschilderte Situation hineinversetzen und mutmaßen, was ihr tun würdet?

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» CCB86 » Beiträge: 2025 » Talkpoints: 2,88 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



Ich kann mich in eine solche Situation nicht hineinversetzen und weiß nicht, was ich tun würde. Aber wenn jemand eh bald sterben wird, muss man ihn ja nicht töten, oder? Vielleicht würde ich einen Unterschied zwischen einem Familienangehörigen und einem Fremden machen, aber wahrscheinlich nur insofern, als dass mein Lebenswille kleiner wäre, wenn mein Familienangehöriger tot ist. Je nachdem, wer es ist, hätte ich wahrscheinlich auch keine Lust mehr zu leben.

» anlupa » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Ich kann diese ganzen Reportagen und Horrorfilme über Kannibalismus absolut nicht verstehen. Immerhin geht es sowohl bei den Reportagen als auch bei den Horrorfilmen auch immer wieder darum, dass Leute sich dazu entschließen, andere Leute zu essen, da sie unfassbaren Hunger haben. Nun ist es doch in den Horrorfilmen und auch in den Reportagen doch meistens so, dass die Leute sich bereits nach kurzer Zeit dazu entschließen, andere Leute aufzuessen. Mit kurzer Zeit meine ich damit etwa drei oder vier Tage. Ich zumindest, habe noch keinen Horrorfilm gesehen und auch keine Reportage angeschaut, bei der die Hungernden sich erst nach einigen Wochen dazu entschließen würden, andere Leute zu essen.

Sicherlich ist so gut wie jedem der Begriff des Fasten bekannt. So sollte auch allgemein klar sein, dass ein normaler Mensch etwa sechzig Tage ohne Nahrung überleben kann. Solange genügend Wasser vorhanden sind, ist es kein Problem, mindestens einen Monat ohne Nahrung zu überleben, wenn keine Vitamine genommen werden.

Aufgrund der Tatsache, dass ein Mensch eben so eine lange Zeit komplett ohne Nahrung überleben kann, halte ich es für schwachsinnig, nach nur einer Woche vor lauter Hunger, daran zu denken, Familienmitglieder aufzuessen. Natürlich wird man Hunger haben. Jedoch kann dieser Hunger wohl auch kaum stärker als beim Fasten sein. Immerhin verzichten manche Leute beim Fasten ja auch für längere Zeit auf jegliche Art von Nahrung und halten es gut durch.

Ich denke, dass mein Hunger wohl nie so schlimm sein würde, dass ich jemals daran denken würde, andere Menschen, geschweige denn meine eigenen Familienmitglieder aufzuessen. Außerdem würde ich immer die Hoffnung vor Augen haben, doch noch gerettet zu werden. Da man ja so lange ohne Nahrung überleben kann, ist es doch sehr wahrscheinlich, dass man eben in dieser Zeit gerettet wird. Von daher würde ich darauf hoffen und niemals auf die Idee kommen, Menschen zu essen. Da würde ich ganz eindeutig lieber verhungern oder mich eben selbst umbringen.

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» Prinzessin_90 » Beiträge: 35273 » Talkpoints: -0,01 » Auszeichnung für 35000 Beiträge



Ich würde es natürlich vermeiden wollen, aber ich sehe es nicht als verwerflich an und kann es verstehen, wenn Menschen in Notsituationen dazu greifen und halte es für mehr oder weniger normal. Fasten hin oder her - das verträgt auch nicht jeder gut und gerade bei solchen Situationen wie beim Anden-Absturz oder auch bei der Franklin-Expedition am Nordpol muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Menschen mitten im Schnee gelandet sind und wenn man Schneestürme überstehen muss, hat der Körper andere Bedürfnisse als wenn man gemütlich im Sessel sitzt.

» Gingerhead » Beiträge: 500 » Talkpoints: 65,23 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Ich glaube, dass der Trieb, einfach nur zu überleben, stärker ist als jede kulturelle oder intellektuelle Hemmung, die uns davon abhält, Kannibalismus zu betreiben. Vom bequemen Fernsehsessel aus ist es einfach, sich über derlei Grenzüberschreitungen Gedanken zu machen, aber ich glaube durchaus, dass auch der angepassteste Durchschnittsbürger zu Einigem fähig ist, wenn das Überleben auf dem Spiel steht.

Ich kann also von mir nicht behaupten, mich wirklich in eine derartige Situation hineinversetzen zu können. Aber ich vermute, bevor ich verhungere, würde ich alles essen, was mir unterkommt. Vielleicht nicht aktiv töten, aber es die einzige Möglichkeit darstellt, dem Sensenmann noch einmal von der Schippe zu springen, fallen sicher die Schranken der Zivilisation bei mir genauso wie bei den meisten anderen Menschen.

» Gerbera » Beiträge: 11335 » Talkpoints: 53,75 » Auszeichnung für 11000 Beiträge


Um mal auf die Franklin-Expedition zurückzukommen: Da muss man sich vorstellen, dass die Männer jahrelang im Eis in der Arktis eingefroren waren bzw ihre Schiffe schließlich aufgeben und zu Fuß durch den Schnee wandern mussten.

Die Vorräte waren zwar großzügig berechnet worden, doch durch unsachgemäße Verlötung der Dosen war ein großer Teil verdorben. Die Männer hatten zusätzlich Bleivergiftungen und litten an Skorbut, da das Vitamin C im Zitronensaftvorrat nach ca. einem Jahr seine Wirkung verlor. Dazu Temperaturen von teils weniger als -40 Grad und Erfrierungen. Es fehlte an Ausrüstung, um Tiere zu jagen, die ohnehin in dieser "kleinen Eiszeit" kaum gesichtet wurden und man hatte auch nicht die nötigen Jagdkenntnisse. Die Chancen, dass ihre Retter sie finden würden, waren äußerst gering, denn der Kapitän hatte viel zu wenige Hinweise hinterlassen.

Als dann einige der Männer schließlich zu Kannibalen wurden, waren sie also schon jahrelang auf Diät gesetzt worden und litten an Krankheiten, waren also körperlich schon lange geschwächt und fielen quasi während des Gehens um wie die Fliegen. Das mag ein Extrembeispiel sein, aber ich denke, es ist klar, dass es eher seltsam wäre, wenn man in der Situation anders handelt. Trotzdem wurde es lange lange in England abgestritten, weil es eine zu schockierende Vorstellung war, dass diese "edlen Männer" zu solchen Maßnahmen griffen ...

» Gingerhead » Beiträge: 500 » Talkpoints: 65,23 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Ich kann mich in eine solche Situation auch nur schwer hineinversetzen und wahrscheinlich würde ich doch ganz anders reagieren, wenn ich dann wirklich in einer solchen Situation stecken würde, als dass ich mir dies nun ausmale.

Ich kenne die Geschichte von der Football Mannschaft die über den Anden abgestürzt ist und ihre Mannschaftskameraden gegessen haben auch und habe mir damals auch schon Gedanken darüber gemacht, ob ich denn auch so handeln würde. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, dass ich wirklich Menschenfleisch essen würde. Ich mag Fleisch jetzt schon nicht besonders gerne und nur wenn ich jetzt daran denke, Menschenfleisch zu essen, wird mir ganz schlecht. Jedoch wenn mir schlecht vor Hunger ist und mein Körper schmerzt und ich die Schmerzen kaum noch ertragen kann, dann würde ich ALLES tun, damit dieser Schmerz aufhört. Und Hunger ist Schmerz!

Wahrscheinlich würde ich in einer solchen Situation sogar töten. Denn wenn die Schmerzen irgendwann groß genug sind, dann setzt der Verstand aus und jeder Mensch lässt sich dann früher oder später vom Überlebenstrieb steuern. Dann heißt es einfach: Der Stärkere überlebt! So ist die Natur und ich bin froh, dass wir mittlerweile in einer Zeit leben, in der der Überlebenskampf nicht mehr so hart ist!

» Moira24 » Beiträge: 80 » Talkpoints: 1,97 »



Diese Dokumentation über den Flugzeugabsturz in den Anden habe ich auch gesehen. Dort wurden auch die Hintergründe genannt, warum die Menschen dem Kannibalismus verfallen sind, auch wenn das anscheinend nicht für alle nachvollziehbar ist.

Aus der jetzigen Sicht mit dem Wissen, dass der Kühlschrank gefüllt ist, macht man es sich sehr einfach damit zu sagen, dass man keine Verwandten aufessen würde. Dem ist nämlich ganz bestimmt nicht so. Ich glaube, dass in solch einer Notsituation fast niemand das Essen von menschlichen Körperteilen verweigern würde. Denn es geht nicht darum, mal eine Woche oder zwei Wochen nichts zu sich zu nehmen, sondern ums blanke Überleben. Und da werden auch beim Letzten die moralischen Skrupel fallen. Im Endeffekt ist das ganz normal, denn der Mensch ist bestrebt, zu überleben. Darum halte ich das Vorgehen der Überlebenden für absolut nicht verwerflich.

Soweit ich den Film, der auf echten Erlebnissen basiert, noch in Erinnerung habe, werden tote Familienmitglieder auch erst mal verschont. Von daher werden moralische Aspekte eingehalten, sofern es möglich ist. Aber die Überlebenden haben ja sogar schon versucht, Ledergürtel oder ähnliche Dinge zu essen. Dort oben in den Anden gab es noch nicht mal Gras oder Blätter, die Übergangsweise als Nahrung dienen könnten. Wenn die Menschen nicht zu dieser Maßnahme gekommen wären, so wären sie mit Sicherheit alle gestorben. Durch das Essen des Menschenfleisches und die Flucht vom Berg konnten wenigstens einige Menschen am Ende noch gerettet werden.

» Ariola » Beiträge: 693 » Talkpoints: 4,96 » Auszeichnung für 500 Beiträge


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