Hintergründe zu Mord im Jobcenter
Trotz des furchtbaren Mordes in einem "Jobcenter" (in Neuss) an eben einer "Jobcenter"-Mitarbeiterin verhindert u.a. die Empörung des Vorstands der Bundesanstalt für Arbeit, Heinrich Alt, eine Diskussion darüber, wie es geschehen kann, dass die Methoden des "Fördern und Fordern" Menschen zu so schrecklichen Taten bewegen können. Schließlich ist das Jobcenter nicht ein Auffanglager für aggressive und kriminelle Menschen, sondern Anlaufstelle für Menschen, die staatliche Unterstützung anfordern und Hilfe bei der Jobsuche brauchen.
Vorneweg ist es wirklich wichtig, hier das offensichtliche festzuhalten: die ermordete Mitarbeiterin des Jobcenters ist das Opfer! Es gibt keine Rechtfertigung dafür, einen Menschen umzubringen (außer Notwehr, welche hier definitiv nicht vorlag!). Und der "Kunde" im Jobcenter ist hier bzgl. des Mordes definitiv der Täter und muss ohne Umschweife dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Aber die Frage wird erlaubt sein, was einen Menschen zum Mörder werden ließ und ob das notwendig war! Denn immerhin ist der Mann nicht Amok gelaufen und hat vor der (geplanten) Tat sogar gewartet, bis er an die Reihe kam. Es geht auch gar nicht um eine "Relativierung" der Mordes oder gar die Umkehr der "Schuldfrage".
Ich persönlich stelle mir nur die Frage, ob nicht wirklich die Entmenschlichung, die Gängelung in solchen Jobcentern, bei denen man sich eben als "Kunde" kaum wehren kann und IMMER von Sanktionen bedroht wird, tatsächlich notwendig ist oder aber hier die Demütigung als Instrument genutzt werden soll. Nicht von den Mitarbeitern, sondern als Vorgabe an eben die Jobcenter! Kann man hier tatsächlich den Mord völlig losgelöst von einer möglichen Vorgeschichte im Jobcenter bewerten? Darf man die Vorgeschichte bei der Bewertung des Mordes weglassen, so wie es eben der Hr. Heinrich Alt gerne machen würde?
So ganz aus der Verantwortung kann sich das Jobcenter sicher nicht ziehen. Die Arbeitssuchenden sind natürlich in einer schwierigen Situation, vielleicht auch unzufrieden und möglicherweise mit dem Gefühl behaftet, etwas "wertlos" zu sein. Natürlich reagiert man da empfindlicher als sonst. Wenn man sich dann auch noch minderwertig oder ungerecht behandelt fühlt, rasten viele doch aus.
Auf der einen Seite verständlich. Auf der anderen Seite weiß ich aus der eigenen Familie, dass dieser Job dort unheimlich an die Psyche geht. Ich denke, das wird zu wenig beachtet. Auch die Mitarbeiter dort leisten etwas und müssen lernen, nach Feierabend abzuschalten. Und wenn schon Schüler in ihrer Schule ausrasten, liegt so eine Tat in einem Jobcenter gar nicht so entfernt, finde ich.
Wenn man die Tat als reinen Fakt betrachtet, dann ist die Mitarbeiterin das Opfer. Dann kommt das große aber, denn es ist ja durchaus bekannt, dass die Leute wirklich teilweise schikaniert werden. Ich selbst kenne dadurch mehrere Fälle aus meiner Zeit als Dozentin. Da musste eine junge Frau innerhalb einer Woche Unterlagen einreichen, welche einen ganzen Karton füllten. Am Ende war das alles gar nicht nötig, wie die Vorgesetzte des Mitarbeiters dann mitteilte.
Wenn dann ein Mensch, welcher seinen Verpflichtungen soweit nachkommt, dass er sich redlich um einen neuen Job bemüht, dann ständig irgendwas nachweisen muss, von oben herab behandelt wird, dann kann man es auch als Ausraster ansehen, welcher eben tödlich endete. Wobei man jetzt allerdings den Spruch mit bedenken muss, welcher an der Wand stand, dass diese Tat eben erst der Anfang war.
Daher kann man es nicht mehr als Affekthandlung bewerten, sondern muss darin den Vorsatz sehen. Doch auch das muss Gründe haben, welche man nicht unterschätzen und schon gar nicht schön reden sollte. Denn wenn da noch mehr Taten geplant sind, muss es dafür eben Ursachen geben, welche eben auch beim Opfer zu suchen sind.
Dass die Tat nicht zu entschuldigen ist, das muss man wohl kaum diskutieren. Tausende von Menschen sehen sich täglich mit den Missständen in der Jobcentern konfrontiert und begehen trotzdem nicht solche Taten. Aber dennoch hast du natürlich recht, dass man sich die Frage stellen muss, ob die Arbeitssuchenden in den Jobcentern mit genug Respekt behandelt werden. Ich denke nur, dass man diese Frage, die sicherlich diskutiert werden muss, nicht in Zusammenhang mit dem Mord besprochen werden sollte. Ich finde es irgendwie traurig, wenn solch eine Tat notwendig sein sollte, dass das Thema der Missstände in Jobcentern in den Medien näher beleuchtet wird.
Diese Tat war ein entsetzliches Verbrechen. Die Behandlung der Kunden in den Jobcentern ist miserabel. Dennoch sind das sind für mich zwei wichtige, aber völlig voneinander unabhängige Fragen. Natürlich haben ihn wahrscheinlich Schikanen die Tat begehen lassen, die wären aber auch in jeder anderen Lebenssituation möglich gewesen und trotzdem ist ein Mord nie erklärbar (höchsten ein klein wenig leichter nachvollziehbar, doch trotz aller Wut eines Menschen verstehe ich diese Bereitschaft zur Destruktion eines anderen Lebens absolut nicht).
Ich bin der Meinung, dass keine auch noch so schlechte Behandlung einen Mord rechtfertigen kann, ob es nun im Jobcenter, bei irgendwelchen anderen Ämtern, bei der Polizei, beim TÜV oder wo auch immer sein sollte. Ich könnte ohne größere Probleme einigermaßen nachvollziehen, wenn der Täter sich so weit aufgeregt hätte, dass er die Einrichtung demoliert, lautstark seinen Unmut von sich gibt oder wilde Beschimpfungen ausspricht.
Eine Behörde hat immer nach bestimmten Vorgaben zu handeln. Die Auslegung dieser Vorschriften wird wohl von jedem Mitarbeiter anders ausgelegt. Und ganz sicher werden Arbeitssuchende sich oft wie Menschen zweiter Klasse vorkommen. Trotzdem rechtfertigt das auf gar keinen Fall Gewaltanwendung gegen einen anderen Menschen, und schon gar nicht jemanden zu töten. Außerdem war das hier ja nicht mal ein Totschlag im Affekt, da der Täter doch brav gewartet hat, bis er an der Reihe war.
Es ist müssig darüber zu diskutieren, ob die Vorgaben, die ein Arbeitssuchender zu erfüllen hat, in Ordnung sind oder nicht. Wenn ich Geld in einem Job verdienen möchte, muss ich auch dafür meine Arbeit erledigen. Entsprechend muss ein Arbeitssuchender auch seine Arbeit machen, um Geld zu bekommen - das heißt in dem Fall sich aktiv um einen Job bemühen, Bewerbungen schreiben und auf Einladung im Jobcenter vorstellig werden usw.
Die Sanktionen, die bei Nichterfüllung dieser Pflichten folgen können, würden einem Arbeitnehmer auch in seinem Beruf in ähnlicher Art drohen - wenn er etwa einfach nicht zur Arbeit geht, seine Aufgaben nicht oder bewusst schlecht erledigt, folgen sehr wahrscheinlich Abmahnungen oder sogar die Kündigung. Regt sich darüber jemand auf? Oder wäre das ein Grund, seinen Arbeitgeber zu töten? Sicher genauso wenig wie hier die Sachbearbeiterin im Jobcenter.
Auch ich habe schon Erfahrung mit dem Jobcenter gemacht. Nach der Geburt meiner Tochter konnte ich nach dem Erziehungsurlaub nicht in den Job zurückkehren, da mir als Alleinerziehende auf dem Land die Betreuungsmöglichkeiten fehlten und in der Region Angebote für mögliche Teilzeitarbeit Mangelware waren. Ich habe dann zumindest während der Kindergartenbetreuungszeit vormittags geringfügig gearbeitet, was zum Leben natürlich nicht ausreichte. Und schon war ich ein Fall für das SGB II.
Ein Jahr mit einigen unschönen Erfahrungen folgte. Ich kam mir oft vor wie ein lästiger Fall, zweitklassig, betreut von gelangweilten, teils wirklich unfähigen Sachbearbeitern. Mir wurde immer nur gesagt, was nicht geht: Wohnung zu teuer, Kinderbetreuung gibt es nicht, das Kind kann doch auch mal ein paar Stunden allein zu Hause sein (mit noch nicht mal 3???), für so viele Bewerbungen gibt es aber keinen Bewerbungskostenzuschuß. Über das Jobcenter erhielt ich während dieses Jahres nicht ein Jobangebot vermittelt.
Ich ergriff dann die Initiative und zog von RLP nach Bayern um. Umzugshilfen vom Jobcenter? Fehlanzeige, nur wenn ich schon einen Job dort gehabt hätte. Das hiesige Jobcenter war eine positive Überraschung. Eine engagierte Sachbearbeiterin, die mir zwar keinen Job vermittelte, aber eine Betreuung für meine Tochter organisierte. Einen Job habe ich dann sehr schnell gefunden, und dort arbeite ich nach 10 Jahren immer noch.
Sicherlich kann man nicht generell sagen, dass die Kunden in den Jobcentern grundsätzlich immer schlecht behandelt werden. Innerhalb der gesetzlichen Vorgaben wird es wie gesagt schon von Sachbearbeiter zu Sachbearbeiter große Unterschiede geben. So wie man als Patient beim Arzt oder im Krankenhaus auch nicht überall gleich behandelt wird.
Gewisse Spielregeln muss es in jedem Fall für beide Seiten geben. Der Sachbearbeiter im Jobcenter hätte auch keinen Job, wenn es keine Arbeitssuchenden gäbe - somit sollte dieser als Kunde auch nicht wie ein lästiger Störfaktor, sondern mit Respekt und Höflichkeit behandelt werden. Der Kunde wiederum muss sich aktiv beteiligen. Für unwillige Kunden sind Sanktionen meiner Ansicht nach gerechtfertigt. Wer aus gutem Grund einen Termin versäumt, kann das nachweisen und wird nicht sanktioniert. Wer sich vorstellt, aber den Job nicht nehmen will, weil Aufwand und Verdienst in keiner Relation stehen, erhält auch keine Strafe.
Überzogene Forderungen von Sachbearbeitern sollte ebenfalls ein Riegel vorgeschoben werden. Gerade von jüngeren Kunden wird teils verlangt, dass sie 30 Bewerbungen und mehr pro Monat! schreiben, aber nur 52 x 5 € pro Bewerbung = 260 € werden im Jahr erstattet werden (also nicht mal 5 Bewerbungen pro Monat). Das sind Kosten, die ein Hartz IV - Empfänger gar nicht tragen kann - da darf dann auch nicht sanktioniert werden, wenn weniger Bewerbungen geschrieben worden sind.
Jedenfalls ist es für die Zukunft keine Lösung, die Sicherheitsvorkehrungen in den Jobcentern massiv zu verstärken, sei es durch mehr Sicherheitspersonal oder gar wie in der Bank Glasscheiben zwischen Sachbearbeiter und Kunde. Das weckt dann eher noch mehr Unmut, wenn man als Arbeitssuchender auch noch den Eindruck bekommt, das man durch die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe automatisch als potentiell gefährlich und gewalttätig gilt.
Deeskalationskurse sind sicher ganz nett, aber wichtiger ist es, dass es gar nicht erst zu einer solchen Situation kommt. Dazu braucht man gar keine Kurse - man muss sich nur vorstellen, dass man in der Situation des Gegenübers wäre und daran denken, wie man selbst behandelt werden möchte...Das funktioniert auch, wenn man durch Vorgaben und Regelungen eingeschränkt ist!
Die Medien sagen es ging kein Streit voraus, aber die Medien schreiben nur das was die Leser, lesen wollen und nicht das was meistens wirklich passiert ist. Denn ich denke es würde weniger die Runde machen, wenn in der Presse gestanden hätte, Mitarbeiterin des Jobcenters streicht Kunde die Alg2 Leistungen, Kunde deswegen durchgedreht.
Dann hätte nicht jeder Mitleid mit der Mitarbeiterin gehabt sondern wohlmöglich gesagt, selbst Schuld. Ich weiß aus meiner Alg2 Zeit, wie die Mitarbeiter im Jobcenter die Kunden/innen behandeln und das ist echt nicht mehr feierlich. Das da mal einer durchdreht, war nur eine Frage der Zeit.
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