Islamische Selbstdarstellung im Internet
Trotz seines vergleichsweise jungen Alters hat sich der Islam in der westlichen Religionslandschaft erfolgreich etablieren können. Muslimische Politiker sitzen im deutschen Bundestag, Koranschulen lehren in Großbritannien und in Frankreich gibt es ganze muslimische Stadtviertel. Nicht nur im täglichen Leben ist der Islam in Europa allgegenwärtig. Auch in den Medien, wie dem Fernsehen, den Zeitungen, dem Internet oder auch in der Musik, stehen muslimische Themen auf der Tagesordnung.
Während vielerorts Stimmen laut werden, es fehle der Fremddarstellung des Islams in den Medien an Wahrheitsgehalt, Neutralität und Klarheit, ist es doch spannend zu sehen, wie sich Muslime selbst in den Medien darstellen. Wie präsentieren sich Anhänger der Religion selbst, auf welche Weise nutzen sie die Medien, wie findet der Austausch statt?
Besonders das Internet bietet unzählige neue Möglichkeiten. Hier findet ein reger Austausch statt, mit dem großen Vorteil, dass jeder mitdiskutieren kann, ganz gleich welchen Alters, Geschlechts oder Bildungsgrades. Auf Wunsch können Diskussionen auch anonym geführt werden, sodass jeder ungehemmt seine Sichtweise der Glaubensinhalte oder aktueller politischer Themen darlegen kann. Durch diese weiten Möglichkeiten des offenen Netzwerks entsteht jedoch auch die Gefahr, dass Informationen ungefiltert und unkritisch aufgenommen und für voll genommen werden. Eine unendliche Fülle an Informationen ergibt sich für den Suchenden und nicht alle davon sind als fundierte religiöse Inhalte anzusehen.
Das offene Diskussionsfeld bietet aber nicht nur Laien eine Plattform, sondern ebenso Fundamentalisten verschiedener muslimischer Richtungen, die die Offenheit und Unzensiertheit des Internets dazu nutzen, ihre Glaubensinhalte zu propagieren.
Die muslimische Selbstdarstellung auf westlichen Internetseiten ist farbenreich und vielfältig. Finden sich vielleicht auch unter euch Muslime, die das Internet als Plattform nutzen, sich über ihren Glauben und damit verbundene, alltägliche Dinge auszutauschen? Oder Interessierte, die sich auf muslimischen Internetseiten tummeln bzw. gerne mal den ein oder anderen einschlägigen Blog besuchen?
Mich würde interessieren, ob es Dinge gibt, die euch dabei auffallen - einzigartiges, ungewöhnliches, positiv oder negativ. Und natürlich wonach ihr die Seiten auswählt, die ihr in diesem Zusammenhang besucht.
Die von dir angesprochene "muslimische Selbstdarstellung" im Netz ist so "farbenreich" und "vielfältig" wie es die "christliche Selbstdarstellung" ist. Und bei der christlichen Selbstdarstellung sollte sofort auffallen, dass es eine solche nicht gibt. Schon weil das Christentum in unheimlich viele "Sektionen" gespalten ist. Seien es Protestanten, seien es orthodoxe Christen oder Mitglieder der diversen Freikirchen.
Genau so eine Unterscheidung gibt es auch bei den Muslimen. Auch hier sind die verschiedenen Spielarten auf unterschiedliche Weise dargestellt. Und da gibt es sicher "werbende" Angebote im Netz wie auch radikalisierte, welche den Unterschied zum "Rest" betonen. Dazu kann ich einen Blick auf die radikal christlich-fundamentalistische Seite kreuz.net empfehlen. Hassprediger gibt es da durchaus auch - auf westlichen Webseiten für den "Katholizismus" (antisemitisch, rechtsextremen und homophob).
Ich muss dir widersprechen, denn ich finde nicht, dass sich christliche und muslimische Selbstdarstellungen im Internet vergleichen lassen. Schließlich leben wir in einem christlich geprägten Land, in einer eindeutig christlichen Gesellschaft. Muslime stellen hier eine Randgruppe dar und werden in den Medien meist sehr gefärbt dargestellt.
Das Internet bietet nicht nur den deutschen Muslimen als Minderheit eine Plattform, ihre Sichtweise kund zu tun. Auch einzelnen (Rand-)Gruppen INNERHALB der muslimischen Gemeinschaft wird die Möglichkeit gegeben, ihre eigenen Eindrücke zu schildern und gängige Klischees zu entkräften – oder zu belegen. Hierzu gehören etwa homosexuelle Muslime, palästinensische Flüchtlinge oder auch Konvertiten.
Eine herausragende Gruppe stellen hier auch deutsch-muslimische Frauen dar. Übliche Medienberichte stellen Musliminnen gerne als unterdrückte Zofen dar, die ihren Männern aufs Wort gehorchen, zum Kopftuch gezwungen werden und bei Ehrverletzungen mit harten Strafen bis zum Tod zu rechnen haben. Auf verschiedenen Internetplattformen kommen nun gläubige Frauen selbst zu Wort. Besonders auch die Kopftuchdebatte ist natürlich ein ganz großes Thema.
Es gibt unterschiedlichste Gründe, warum Frauen ein Kopftuch tragen. Teils aus traditionellen, nicht religiösen Gründen – das Kopftuch ist seit Generationen Teil der Kultur. Einige Frauen präsentieren sich bewusst aus politischen bzw. religiösen Gründen verschleiert, um zu zeigen, dass sie sich mit dem Islam beschäftigen und wissen, was die wahre Religion tatsächlich beinhaltet – mehr als nur Tradition und Kultur. Sie wollen sich von der Mehrheitsgesellschaft abgrenzen. Auch modische Gründe spielen beim Tragen des Kopftuches eine Rolle. Ein weiterer Grund kann Unterdrückung sein – Musliminnen werden von ihrem Umfeld dazu gedrängt, das Kopftuch zu tragen.
Leider greifen Massenmedien oft nur den letzten Aspekt auf. Selbst Politiker und Frauenrechtlerinnen stellen das Kopftuch als absolutes Symbol der Unterdrückung dar.
Ein Blick in ein muslimisches Frauenforum zeigt schnell, dass das Gegenteil der Fall ist. In über 300.000 Beiträgen wird deutlich, dass sich die muslimischen Frauen hier weder als unterdrückt, noch als unterwürfig verstehen. Selbstbewusst treten die Musliminnen im Forum auf und präsentieren sich geradezu kämpferisch, wenn es um die Kopftuchdebatte gibt. Viele Frauen hier verschleiern sich freiwillig – entweder mit dem Kopftuch oder sogar mit Gesichtsschleier. Gleichzeitig gibt es aber auch eine Vielzahl an Musliminnen, die sich frei dazu entscheidet, kein Kopftuch zu tragen und dies theologisch begründet .
Im Thread zur Kopftuchpflicht herrscht eine schillernde Meinungsvielfalt von kämpferischen Kopftuchverfechterinnen bis hin zu überzeugten Haarzeigerinnen. Deutsche Musliminnen bilden eine alles andere als homogene Masse und stellen sich im Internet weder als stimmlos noch als unterdrückt dar.
Dies soll nur als ein Beispiel gelten, inwiefern ich nicht finde, dass sich christliche und muslimische Seiten, wie du sagst, vergleichen lassen. Im Internet erheben Musliminnen ihre Stimme, ihnen wird eine Plattform geboten, die ansonsten so in dieser Form nicht existent ist.
Kreuz.net als Beispiel hier anzuführen, halte ich nicht wirklich für passend. Mal abgesehen davon, dass sich alle christlichen Kirchen (und wenn man wie ich die Auffassung vertritt, dass es nur eine christliche Kirche gibt und alles andere Sekten sind, dann alle Kirchen und Sekten) davon distanzieren, und jegliche Person, die damit in Zusammenhang steht sich disziplinarischen Maßnahmen ausgesetzt sehen, ist der Beispielsgehalt schon geschmälert.
Zudem sind die Texte von kreuz.net provokativ, inakzeptabel und weder mit meinem, noch mit dem Glauben der meisten Menschen kompatibel. Trotzdem besteht immer noch ein Unterschied zu den offenen brutalen Hasspredigten, die es in Teilen der islamischen Gemeinde (nur in kleinen Teilen!) gibt. Diese, die den Ungläubigen offen den Tod wünschen, und am besten auch noch selbst dafür sorgen wollen, wohnt eine ganz andere Qualität inne, als wenn Kreuz.net mal wieder ein Theaterstück verreißt oder jemanden (wohlgemerkt erst nach seinem natürlichen Tod) in die Hölle wünscht.
Das von euch erwähnte kreuz.net ist auch ein sehr gutes Beispiel dafür, wie sich christliche und muslimische Szenen eben nicht so einfach miteinander in Vergleich setzen lassen. Wie man an kreuz.net sieht, wird die Plattform hier genutzt, um fundamentalistisches Gedankengut zu verbreiten, das zumindest in Deutschland seinen festen Platz in anderen Medien noch sucht.
Schaut man sich die muslimische Bloggerszene einmal genauer an, fällt vor allem ein Anliegen ins Auge: Der Kampf GEGEN die Stigmatisierung der Medien, gegen islamfeindliche Klischees und unpassende Stereotypen. Die vorherrschende öffentliche Meinung hat ein überwiegend negatives Bild vom Islam und wirft ihn gerne mit Islamismus in einen Topf. So galten etwa islamistische Terroristen automatisch als Hauptverdächtige nach den Anschlägen in Oslo 2011. Nur selten wird Muslimen selbst in den Medien Raum gegeben, ihre eigenen Sichtweisen zu schildern und über ihren Glauben aufzuklären.
Das Internet bietet endlich Raum, auf das negative Öffentlichkeitsbild zu reagieren. Vor allem muslimisch geführte Blogs haben sich zum Ziel gesetzt, die andere Seite der Medaille zu präsentieren. Gesellschaftliche Strukturen können mit Hilfe des Internets durchbrochen werden, denn endlich kommt auch die betroffene Minderheit selbst zu Wort. Ein differenzierteres Bild wird geschaffen und die öffentliche Meinung unter Umständen mit geformt.
Polarisierende Themen wie die Kopftuchdebatte, geplante Moscheen in deutschen Städten, Integration und Meinungsfreiheit im Islam werden aufgegriffen, dargestellt und teilweise unter persönlichem Lichte beleuchtet. Auffallend ist, dass auf vielen dieser Blogs Diskussionen unter den Kommentatoren der Beiträge entstehen. Nicht immer handelt es sich hierbei um Diskussionen zwischen Nicht-Muslimen und Muslimen, sondern auch Muslime geraten in Wortgefechte miteinander. Dies zeigt wieder einmal, dass es nicht „den Islam“ an sich gibt.
Die deutsch-muslimische Bloggerszene trägt einen großen Teil dazu bei, ein alternatives Bild vom Islam zu kreieren. Aktuelle Themen aus den Medien werden zeitgleich aufgegriffen und versucht, diese aus der Betroffenen-Sicht zu schildern. Stigmatisierende und ungerechtfertigte Islamkritik soll entkräftet bzw. berichtigt werden.
Nicht nur Blogs, sondern auch deutsch-islamische Foren bieten Raum für Kommunikation zwischen Nicht-Muslimen und Moslems . Im Shia-Forum etwa übersteigen die Beiträge im extra eingerichteten Unterforum für Nicht-Muslime bald die 5000 . Das Interesse am Islam scheint groß zu sein, der Durst nach Wissen abseits von pauschalisierenden Medienberichten muss gestillt werden.
Da den persönlich Betroffenen der Zugang zu anderen Massenmedien oft erschwert wird, ist das Internet als Heil in einer Zeit der Stereotypen zu verstehen. Vom großen, öffentlichen Diskurs ausgeschlossen, spiegeln sie in Forenbeiträgen und Blogs ihre persönlichen Sichtweisen als betroffene Muslime in Deutschland.
Link dieser Seite https://www.talkteria.de/forum/topic-198282.html
Ähnliche Themen
Weitere interessante Themen
- Schöne Blatt Pflanze für die Wohnung 1070mal aufgerufen · 1 Antworten · Autor: Rubbelfeld · Letzter Beitrag von Verbena
Forum: Garten & Pflanzen
- Schöne Blatt Pflanze für die Wohnung
- Palmen für die Wohnung 3013mal aufgerufen · 1 Antworten · Autor: Dreddi · Letzter Beitrag von Verbena
Forum: Garten & Pflanzen
- Palmen für die Wohnung
- Was kann man gegen eine tropfende Birkenfeige tun? 1861mal aufgerufen · 1 Antworten · Autor: helgak62 · Letzter Beitrag von Verbena
Forum: Garten & Pflanzen
- Was kann man gegen eine tropfende Birkenfeige tun?
- Verträgt Banane chemisches Anti Insekten Mittel? 1357mal aufgerufen · 1 Antworten · Autor: Wawa666 · Letzter Beitrag von Verbena
Forum: Garten & Pflanzen
- Verträgt Banane chemisches Anti Insekten Mittel?