Obdachlosenbehausungen - berührt euch das?

vom 21.09.2012, 06:35 Uhr

Ich erkunde gerne verlassene und teilweise marode Gebäude und Industrieanlagen. Vor kurzem war ich mit einem Freund gemeinsam in einem alten Lagergebäude unterwegs, das sich zum Teil noch in einem guten Zustand befand. Zumindest schien das Dach dicht zu sein und einsturzgefährdet war das Gebäude wohl auch nicht. Als wir das Gebäude durchstreiften, kamen wir an einem Raum vorbei, der offenbar bewohnt war. Natürlich war auch dort einiges kaputt, aber es gab keinen Schimmel und das Fenster war intakt. Auf dem Boden befand sich eine Matratze ohne Bezug sowie eine Wolldecke mit Brandspuren. Neben diesem provisorischen Nachtlager lagen Verpackungen von ein paar Lebensmitteln. Auf der Fensterbank lag ein Fixerbesteck.

Wir haben den Raum recht schnell verlassen, weil es uns komisch vorkam, in die Privatsphäre der uns unbekannten Person einzudringen. Natürlich war das gesamte Gelände verlassen und der Bewohner, vermutlich ein Junkie, war nicht zugegen. Außerdem ist auch er sicher ebenfalls ein ungebetener Gast in diesem verlassenen Gebäude. Aber es war eben davon auszugehen, dass die Person noch einmal wiederkommt und dort mehr oder weniger fest wohnt. Ich finde, dass das dann irgendwie das Reich dieser Person ist und dass man das dann auch respektieren sollte.

Ich weiß nicht, ob jemand schon einmal in der Situation war, einen solchen Einblick in das Leben einer anderen Person zu erhalten. Ich habe so etwas schon häufiger erlebt und spare solche Räume dann auch aus. Ich würde zum Beispiel auch nicht die Sachen der Bewohner anfassen, obwohl ich alte Firmenunterlagen, die man manchmal findet, schon mal anschaue. Vor ein paar Jahren war ich mal in einer verlassenen Fabrik, in die sich zu dem Zeitpunkt über mehrere Etagen Leute eingenistet hatten, die offensichtlich keinen festen Wohnsitz hatten. In einigen Zimmern lebten Leute und jeder hatte sich sein kleines Eckchen geschaffen.

Hattet ihr schon einmal dieses Gefühl, in ein fremdes Leben hineinzuplatzen? Grundsätzlich kann man das auch so empfinden, wenn man zum Beispiel in anderen Gegenden unterwegs ist, in denen Leute zum Beispiel weitgehend auf der Straße leben und sich an bestimmten Orten sammeln. Am deutlichsten empfinde ich das aber so, wenn ich wirklich in einem verlassenen Objekt über Anzeichen für eine Nutzung durch einen Obdachlosen stolpere.

Ich denke zwar, dass in Deutschland eigentlich niemand auf der Straße leben muss, aber irgendwie berührt es mich schon, wenn ich so eine Unterkunft sehe. Meinem Begleiter ging es ebenso. Wir haben uns später auch gefragt, wer wohl dort lebt und warum er dort lebt, Drogen konsumiert und wie es ist, wenn man nachts alleine in einem verlassenen und teilweise arg abgerockten Gebäude liegt. Ich habe auch schon in solchen Gebäuden übernachtet - aber immer nur mit Freunden und immer als freiwillige, interessante Erfahrung, nie weil ich es gemusst hätte. Ich hatte immer ein Dach über dem Kopf.

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» Cologneboy2009 » Beiträge: 14210 » Talkpoints: -1,06 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Solche Unterkünfte habe ich zwar noch nicht selbst gesehen, aber mich würde das nicht sonderlich berühren. Denn wie du schon selbst sagst, muss in diesem Land niemand so leben. Wer die entsprechenden Anträge stellt, bekommt auch Hilfe. Da passt auch das Sprichwort, dass jeder selbst der Schmied seines Glückes ist.

Der Kreis schließt sich nämlich dann, wenn sich jemand Hilfe sucht. Dann bekommt er zumindest erst mal wieder einen festen Wohnsitz und mit entsprechenden Engagement auch einen Job. Wer solche Wege scheute, der muss sich am Ende nicht wundern, wenn er aus dem sozialen Netz fällt.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Punktedieb hat geschrieben:Denn wie du schon selbst sagst, muss in diesem Land niemand so leben. Wer die entsprechenden Anträge stellt, bekommt auch Hilfe. Da passt auch das Sprichwort, dass jeder selbst der Schmied seines Glückes ist.

Das sehe ich ja ebenso. Es ist auch nicht so, dass ich da großartig Mitleid habe. Ich mache mir dann schon Gedanken um den Bewohner, um seine Lebensumstände und so weiter. Natürlich weiß man nie, wer letztendlich dahintersteckt, wie er in die Situation gelangt ist, in der er lebt, und wieso er weiterhin in einem vergammelten Abbruchhaus lebt und sich keine Hilfe sucht. Das ist wohl das, was ich meine, wenn ich sage, dass es mich irgendwie berührt aber das ist noch ein bisschen anders als Mitleid, was man sonst oft damit assoziiert.

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» Cologneboy2009 » Beiträge: 14210 » Talkpoints: -1,06 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Zunächst will ich hier mal wieder klar stellen, dass es NICHT so ist, dass "in Deutschland" niemand so leben muss. Obdachlosigkeit ist nicht so sehr "selbst verschuldet", wie man das gerne vom eigenen Wohnzimmer aus sieht. Aber gerne lasse ich mich hier eines besseren belehren. Wenn jemand den Paragrafen kennt, auf den ich mich berufen kann, wenn ich Obdachlos bin, dann bitte ich darum, den zu nennen. Wenn Gemeinden Sozialwohnungen oder Notunterkünfte zur Verfügung stellt, dann im Rahmen eines entsprechenden Programms und das nach Kassenlage! Keine Gemeinde will natürlich in den Schlagzeilen stehen, weil zig Menschen z.B. durch Obdachlosigkeit im Winter erfroren sind. Ebenso will keine Gemeinde Schlagzeilen machen, weil z.B. eine kinderreiche Familie aus ihrer Wohnung geworfen wurde und der "Sozialstaat" eben in Form der Gemeinde nicht hilft. Aber hieraus ergibt sich kein Recht!

Es ist schlicht nicht wahr, dass es keine Obdachlosigkeit geben muss. Die dann noch möglich Notunterkünfte sind übrigens nur dann gut, wenn man nicht selbst hin muss. Die sollten nämlich nicht mit einem Hotel oder einer Jugendherberge verwechselt werden. Hier kommen auf engstem Raum und ohne Privatsphäre viele Menschen zusammen, welchen es massiv schlecht geht und hier dürfte das Aggressionspotential recht schnell recht hoch sein. Das richtet sich dann gegen die Schwächsten der Schwachen. Was sollte hier also der Ansporn sein, da hinzugehen? Sich berauben lassen oder auch im Winter draußen schlafen - das ist praktisch die Frage, vor der Obdachlose stehen.

Wenn es dann manchen gelingt, frei stehende Häuser zu besetzen, dass ist das eigentlich eine ideale Nische. Wenn auch nur für jeweils eine kurze Zeit. Aber auch hier leben die Obdachlosen gefährlich und müssen immer damit rechnen, dass "Jugendliche" z.B. in ihrer Abwesenheit das "Versteck" entdecken und "plündern" oder verwüsten. Mögen für uns zwar keine "Schätze" sein. Aber für die Betroffenen oftmals das letzte, was sie besitzen.

Mich berührt so was schon. Insbesondere, wenn man Menschen sieht, die in den Räumen schlafen, in denen z.B. die Banken ihre Geldautomaten haben. In aller Regel werden die dann von der Polizei schlicht vertrieben. Egal, wie das Wetter auch sein mag.

Und der Idee anzuhängen, dass den Menschen schon genug geholfen wäre, wenn ein Sozialarbeiter am Tag bis zu 30 Minuten mit ihnen spricht - und diese dadurch ermutigt werden sich einen Job zu suchen - geht dann auch an der Realität vorbei. Eigentlich zeigt dies, dass man die Krankheit bzw. die Probleme der Menschen nicht ernst nimmt bzw. völlig unterschätzt. Jetzt kann man zwar sagen, dass diese dafür selbst verantwortlich sind. Aber ein Schiffbrüchiger ist ja auch für seine Situation selbst verantwortlich (weil er sich aufs Meer gewagt hat), und dennoch wird ihm geholfen.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



derpunkt hat geschrieben:Zunächst will ich hier mal wieder klar stellen, dass es NICHT so ist, dass "in Deutschland" niemand so leben muss. Obdachlosigkeit ist nicht so sehr "selbst verschuldet", wie man das gerne vom eigenen Wohnzimmer aus sieht.

Da kann ich dir nur beipflichten. Ich war selber schon in der Situation, obdachlos zu sein und in meiner Stadt eine passende (vom Jobcenter genehmigte) Wohnung zu finden war gar nicht so einfach. Sie hätten mich wohl sehr gerne in einer der Obdachlosenunterkünfte untergebracht. Doch auch da ist es, gerade für Frauen, schwer, einen Platz zu finden. Zumal viele dieser Unterkünfte schon unterhalb der Menschenwürde sind. Mehrbettzimmer (und das finde ich für erwachsene Menschen schon grenzwertig) zudem kommen noch Ausgangssperren nach einer gewissen Uhrzeit und dann gibt es welche, in denen einem bis auf ein kleines Taschengeld sein gesamtes Hartz4 abgenommen wird (weil man ja für Unterkunft und Verpflegung zahlen muss).

Ich habe damals dann lieber in einer alten Lagerhalle genächtigt, bis mir endlich eine Wohnung genehmigt wurde (was auch für meine Begriffe ewig dauerte, 2 Monate und die können draußen wirklich lang sein, besonders im Winter).

» AngelHawk » Beiträge: 437 » Talkpoints: 5,40 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Selbst, wenn es Hilfen gebe, die ein Obdachloser nicht annehmen würde oder aber, wenn er diese Hilfen nicht bekommt, ist es dennoch so, dass mich so etwas durchaus berühren würde. Sicherlich gibt es Personen, die freiwillig auf der Straße leben und ein solches Gebäude bewohnen, aber man kennt ja letztendlich nicht das Schicksal, was dahinter steckt und in der Tat könnte mich so etwas durchaus berühren. Es ist das Eine, so etwas aus der Ferne zu sehen, aber das Andere, so etwas in der Nähe mit eigenen Augen zu betrachten.

Ich könnte auch Mitleid verspüren, was aber nicht bedeutet, dass ich dem Menschen irgendwie weiterhelfen würde. Letztendlich kann man selbst schon Amtswege bestreiten oder dergleichen, aber ich denke, man muss sich dazu auch überwinden können, sich Hilfe zu suchen. Nur muss man es selbst wollen und wenn man will, aber nicht kann, an wen soll sich ein solcher Mensch wenden? Ich denke, wenn man nicht selbst in eine solche Situation gekommen ist, kann man darüber auch schlecht wirklich urteilen.

Erlebnisse wie Du sie hattest, kannte ich selbst in der Tat so noch nicht. Aber ich habe schon Obdachlose gesehen, die sich ihre Zeit in der Innenstadt vertrieben haben, die sich dort aufgewärmt haben und auch gebettelt haben. Auch Bettler, die scheinbar körperlich versehrt sind, tun mir Leid oder berühren mich auf eine bestimmte Art und Weise, auch, wenn sie manchmal (immer?) betteln, obwohl sie ihr Einkommen auf anderen Wege haben.

In dem Zusammenhang hat mich vor vielen Jahren mal ein älterer Mann berührt, den ich auf einem Markt gesehen habe. Er hat doch einen wirklich improvisierten Stand gehabt, auf dem er Hühnereier aus eigener Haltung verkauft hat. Er selbst sah sehr verloren, irgendwie einsam aus, und ich hätte ihm am liebsten seine gesamten Eier von der Hand weggekauft, mir geht das Bild noch heute nicht aus dem Kopf. Hier kann ich schon sagen, dass es mich berührt hat, aber auch, dass ich Mitleid mit ihm hatte - auch, wenn er vielleicht andere Unterstützung hätte erhalten können und seine Eier nicht hätte verkaufen müssen. Dieser Einblick hat mich schon berührt, auch, wenn ich dort nur zu Besuch war und diesen Mann niemals wiedergesehen hatte.

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» *steph* » Beiträge: 18439 » Talkpoints: 38,79 » Auszeichnung für 18000 Beiträge


@derpunkt: Da Widerspreche dir aber. Denn eine Wohnungskündigung oder gar Räumung kommt nicht so überraschend, als dass man sich nicht kümmern könnte. Und wer seinen Job verliert kann Sozialleistungen beantragen. Wer diese Wege aber nicht geht, der landet irgendwann auf der Straße. Daher kann ich mit diesen Menschen und ihrem Leben kein Mitleid haben. Denn sie haben schon weit vor der Obdachlosigkeit verpasst den richtigen Weg zu wählen.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



Punktedieb hat geschrieben:Denn eine Wohnungskündigung oder gar Räumung kommt nicht so überraschend, als dass man sich nicht kümmern könnte.

Das stimmt schon so, unterschlägt aber zum einen die Tatsache, dass u.U. ganz andere Probleme vorhanden sein können, die das "Kümmern" erschwert oder aber für die Personen in den Hintergrund geraten. Das können schwere Schicksalsschläge sein, Krankheiten oder aber Suchtprobleme. Dieser Personenkreis ist definitiv nicht vergleichbar mit dem Durchschnittsbürger, welcher auch seine Steuererklärung selbständig ausfüllt.

Aber selbst wenn das "Kümmern" geht: verliert ein Mensch seinen Job dann ist es in der heutigen Zeit nahezu unmöglich, in einem westdeutschen Ballungszentrum eine bezahlbare Wohnung zu bekommen. Wenn auf eine Wohnung ca. 10 "Bewerber" bzw. Interessenten kommen, hat man mit einem fehlenden Job eher schlechte Karten. Ist man in der Situation auch noch "älter", dann hat man gleich doppelt Pech, weil dann auch der Arbeitsmarkt praktisch "vernagelt" ist. Und nimmt man eher einfache Einkommensverhältnisse an, dann dürfte auch kein Vermögen angehäuft worden sein, von dem man zehren könnte. Fällt dann das Einkommen weg, ist man praktisch mit dem ersten Monat im Verzug bei der Miete.

Punktedieb hat geschrieben:Und wer seinen Job verliert kann Sozialleistungen beantragen.

Das Unterstellt, dass hier ein Formular ausgefüllt wird und anschließend das Amt die Miete weiter bezahlt. Wenn das wirklich deiner Vorstellung entspricht, dann müssen wir hier nicht weiter diskutieren. Denn genau so funktioniert es nicht (und hat es im Grunde auch noch nie!). Wer zum Zeitpunkt des Jobverlusts eine "unangebracht teure" Wohnung bewohnt hat, hat hier einfach Pech gehabt und muss sich eine neue Wohnung suchen, die er aber nicht bekommt. Und irgendwann ist dann die Wohnung weg!

Punktedieb hat geschrieben:Wer diese Wege aber nicht geht, der landet irgendwann auf der Straße. Daher kann ich mit diesen Menschen und ihrem Leben kein Mitleid haben. Denn sie haben schon weit vor der Obdachlosigkeit verpasst den richtigen Weg zu wählen.

Wie geschrieben: hinter solchen Schicksalen steckt in aller Regel mehr. Und dies hat dann dazu geführt, dass hier Menschen (!) letztlich nur noch vegetieren und das letzte Ziel der Gesellschaft ist nur noch zu verhindern, dass der Mensch möglichst nicht öffentlich stirbt. Es ist zu einfach, sich hier auf das "selber Schuld" zurückzuziehen. Natürlich kann man hier nicht unmittelbar helfen bzw. die Situation ändern. Aber es führt eben auch dazu, dass so ein Schicksal berührt - jedenfalls mich.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


@derpunkt: Wer seinen Job verliert bekommt doch erst mal Arbeitslosengeld I. Reicht dies nicht aus, um die Miete weiterhin zu zahlen, stehen die Agentur für Arbeit oder das Wohngeldamt zur Verfügung. Selbst bei Arbeitslosengeld II wird auch eine unangemessene Wohnung bezahlt, wenn man nachweisen kann, dass es keinen entsprechenden Wohnraum gibt. Und wenn die Situation wirklich so ist, ist der Nachweis auch kein Problem.

Es ist und bleibt so, dass in diesem Land jeder Mensch im sozialen Netz aufgefangen werden kann. Aber dazu muss die betroffene Person auch den eigenen Hintern hochkriegen. Wer natürlich Vogel Strauß spielt, bis alle Messen gelesen sind, dann landet man auf der Straße. Und selbst dann kann man sich noch Hilfe holen.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


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