Der Krieg um Brennnessel-Jauche in Frankreich
Wie ich so eben zufällig herausgefunden habe, war in der Zeit von 2006 bis 2011 in Frankreich wohl die Herstellung und der Vertrieb von Brennnesseljauche verboten. Das heißt, dass man sie auch nicht mal als Kleingärtner ansetzen und verwenden durfte. Ebenso war per Gesetz verboten, Informationen zu dieser Pflanzenjauche oder vergleichbaren Produkten aus anderen Pflanzen unter das Volk zu bringen. Dafür drohte sogar eine Strafe von unglaublichen 75000 Euro oder zwei Jahren Haft. Wer das nicht nachvollziehen kann, kann sich ja mal diese Dokumentation ansehen, die ursprünglich auf Arte ausgestrahlt worden sein soll. Das Gesetz von 2006, auf das alles zurück geht, findet sich wohl hier . Leider reicht mein Französisch nicht aus, um den langen und verschachtelten Text zweifelsfrei zu übersetzen. Zudem bin ich sowieso kein Jurist.
Inzwischen gibt es wohl seit 2011 eine Gesetzesnovelle, die das ganze wieder abgemildert hat. Ich weiß allerdings nicht genau wie. Hier findet man den Gesetzestext, den ich mir zumindest von Google mal übersetzen lassen habe. Er enthält auch ein zugelassenes Rezept, wenn ich das richtig verstanden habe. Die Dokumentation von Arte halte ich aber für so seriös, dass ich ihr Glauben schenke.
Zur Erklärung für diejenigen, die das Video noch nicht gesehen haben und nicht wissen, was Brennnessel-Jauche ist: Man gibt frische Brennnesseln mit Wasser in einen Behälter, lässt diese Mischung vergären und siebt die stinkende Brühe dann ab. In der biologischen Gärtnerei wird dieser Extrakt zum Gießen als Dünger verwendet und ebenso zu Spritzen gegen Blattläuse und andere unangenehme Tierchen. Da man Brennnessel sogar essen kann und die Pflanze auch traditionell schon in der Naturheilkunde seit Jahrhunderten erfolgreich eingesetzt wird, wundert man sich schon über so ein Gesetz.
Laut der Dokumentation ist die Verantwortung für so ein Gesetz in der Lobbyarbeit der Chemischen Industrie zu suchen. Schließlich kann man so etwas einfaches und traditionelles wie Brennnessel-Jauche schwer patentieren und damit schwer so viel Geld verdienen wie mit chemischen Präparaten. Die Befürworter des Gesetzen argumentieren wohl, dass jahrhundertelang bewährter Gebrauch nicht ausreichend belegt, dass Brennnessel-Jauche harmlos ist und nicht die Natur oder den Menschen schädigt. Dabei könnte man ja vielleicht noch argumentieren, dass so ein Präparat eine Zulassung benötigen könnte, wenn es in der gewerblichen Landwirtschaft eingesetzt wird. Aber warum wird man dann selbst als privater kleiner Hobbygärtner in die Illegalität getrieben, wenn man das Gemüse für den eigenen Bedarf damit behandle? Mir kann doch eigentlich auch niemand per Gesetz verbieten, dass ich mich als erwachsener Mensch rein theoretisch (was ich natürlich nicht tun werde) mit einem Gift das Leben nehme, wenn ich das wollte!
Genau genommen bin ich froh, dass ich damals nicht in Frankreich gewohnt habe, denn ich habe genau zu dieser Zeit in Deutschland fröhlich und unbeschwert Brennnessel-Jauche hergestellt und erfolgreich verwendet. Ich finde es auch sinnvoll, die Verwendung von Präparaten in der Landwirtschaft und in Gärten irgendwie zu regeln, damit niemand zu Schaden kommt. Ich kann aber genau wie viele in der Arte-Dokumentation nicht nachvollziehen, warum man chemische Pestizide, die teils den Menschen nachweislich schwer schädigen vor traditionellen Präparaten aus der biologischen Landwirtschaft bevorzugt. Wäre es nicht eigentlich viel wichtiger als der Profit einzelner Konzerne die Gesundheit der Menschen und der Böden zu schützen?
Außerdem habe ich meine Bedenken, dass so etwas bei uns auch anfangen könnte. Frankreich ist ja politisch nicht so weit weg von uns. Wenn man sieht, welchen Aufwand Künstler und Bürgerinitiativen betrieben haben, um dieses Gesetz in die Öffentlichkeit zu zerren und wieder zu kippen, da kann einem schlecht werden. Gleichzeitig bewundere ich die Leute für ihren Mut. Andererseits wundere ich mich, warum bei uns kaum einer davon Notiz genommen hat. Eigentlich hätten die Verbände für biologische Landwirtschaft da doch Sturm laufen müssen?
Ich weiß nicht, wie euch das beim Lesen solcher Entwicklungen geht. Seit ihr da auch so irritiert, wie sich unsere Gesellschaft teilweise in der Moderne entwickelt? Ist euch so etwas vielleicht egal und sind wir vielleicht wirklich geistig schon so weit von der Landwirtschaft entfernt, dass uns ein Patentrechtstreit zwischen Apple und Samsung in den USA mehr aufregt als ein Skandal im Nachbarland, der das betrifft, was buchstäblich lebenswichtig für und ist, nämlich die Produktion unserer Lebensmittel? Was haltet ihr von einem Gesetz, das bei so hoher Strafe vom Staat aus eine Zensur von harmlosen Informationen verordnet?
Ich habe mir das Thema gerade aufgerufen, weil ich erst mal wissen wollte, was das mit der Brennnesseljauche auf sich haben soll. Ich habe spontan tatsächlich vermutet, dass die Franzosen irgendwas schädliches oder "rauchbares" in dieser Pflanze gefunden haben und deshalb ein Verbot erlassen haben. Während ich dann deinen Text las, überkam mich dann ehrlich gesagt nach dem Motto "die spinnen, die Gallier" das Bedürfnis meine Stirn auf meine Tischplatte zu klatschen und das gern mehrmals. Da mag man sich über den deutschen Amtsschimmel ja gar nicht mehr beschweren.
Allgemein höre und lese ich solche Meldungen aus den Nachbarländern nicht gern, weil sich unter dem Stichwort EU gewisser Dummfug nämlich auch noch auf uns ausweiten könnte - und wir müssen schon genug umsetzen, was Brüssel sich hat einfallen lassen. Dabei stört mich das Verbot der Jauche sogar noch weniger - bedenklicher finde ich, dass Informationsverbot. Mittelalter hatten wir nämlich schon.
trüffelsucher hat geschrieben:Seit ihr da auch so irritiert, wie sich unsere Gesellschaft teilweise in der Moderne entwickelt?
Seit wann? Spaß beiseite. Ich bin nicht irritiert, wie sich unsere Gesellschaft in der Moderne entwickelt. Teilweise ist es sicher sehr hanebüchen und es gibt mehrere Beweise dafür, dass die Schildbürger immer noch unter uns sind und das weltweit nicht nur in Deutschland. Aber wenn ich an die letzte Bahnfahrt denke, da fand ich die Entwicklungen der Moderne sehr gut. Da war die fehlende Bestätigung über eine Verspätung gar nicht so wichtig, weil das bei der Transportleitung nachgefragt werden konnte. Die Zugbegleitung konnte mich beruhigen, weil ein anderer Zug verspätet war, konnten wir zwar unsere eigentliche Verbindung nicht nutzen, aber ich war beruhigt, da wir eben schon wussten, dass wir nicht zwei Stunden warten mussten. Also irritiert bin ich da nicht, meist bin ich froh und nur ab und an schüttle ich erstaunt den Kopf. Wobei wir so etwas meist besser isoliert wahrnehmen, da wir die anderen - positiven - Entwicklungen sehr schnell als Selbstverständlichkeit hin- und annehmen.
Und das gilt auch in der Landwirtschaft. Wer möchte denn heute noch in einem nicht klimatisierten Fahrzeug den ganzen Tag ernten? Spurtreue dank GPS lässt Böden besser nutzen. Und auch die Erleichterungen in der Ernte möchte wohl heute keiner mehr missen, erst recht weil dann auch die Lebensmittelpreise steigen würden - wäre mehr menschliches Eingreifen erforderlich.
trüffelsucher hat geschrieben:Ist euch so etwas vielleicht egal und sind wir vielleicht wirklich geistig schon so weit von der Landwirtschaft entfernt, dass uns ein Patentrechtstreit zwischen Apple und Samsung in den USA mehr aufregt als ein Skandal im Nachbarland, der das betrifft, was buchstäblich lebenswichtig für und ist, nämlich die Produktion unserer Lebensmittel?
Na ja, da finde ich aber andere Dinge weitaus dramatischer als den Verbot der Brennnesseljauche. Zumal ich auch noch nie davon gehört habe, dass diese Jauche im großen Stil benutzt wird, wie es beispielsweise für die industrialisierte Landwirtschaft der Fall ist. Selbst für Bio-Höfe dürfte das schwer werden. Viel schlimmer finde ich da insgesamt die Industrialisierung der Landwirtschaft und damit verbunden die nicht seltene Veränderung der Nahrungsmittel. Ich denke, so lange das noch als selbstverständlich angenommen wird, brauchen wir über Brennesseljauche und deren Verbot nicht wirklich diskutieren.
Leider konnte ich das Video selbst nicht schauen, dazu ist meine Internetverbindung dann doch zu langsam. Allerdings stand etwas vom Codex Alimentarius dort. Leider weiß ich nun nicht in welchem Zusammenhang nun der Verbot der Brennnesseljauche dort steht. Aber ist es nun einmal so, dass dieser Kodex dafür geschaffen wurde, einheitliche Standards in der Lebensmittelbranche zu schaffen. Das ist deswegen sinnvoll, weil so Lebensmittelsicherheit und auch -qualität besser prüfbar sind. Es wäre einmal spannend, wenn Du schreiben könntest, wie beides nun zusammen kommt.
trüffelsucher hat geschrieben:Was haltet ihr von einem Gesetz, das bei so hoher Strafe vom Staat aus eine Zensur von harmlosen Informationen verordnet?
Und heißt es nicht vielleicht auch in Frankreich bis zu diesem oder jenem Limit, wie auch in Deutschland? Das würde das Ganze nämlich schon wieder verharmlosen, da die Höchstmaße ja nur in wenigen Fällen ausgeschöpft werden.
Brennnessel hat keine bekannten berauschenden Eigenschaften. Sonst wäre ihr Anbau ähnliche wie beim Hanf schon längst verboten worden und der Wildwuchs bekämpft worden. Wenn Brennnessel solche Eigenschaften hätte, könnte man ja an allen Orten billigst zu Rauschmitteln kommen und das hätte sich schon längst herum gesprochen. Es geht also augenscheinlich wirklich nur darum, finanzielle Interessen zu wahren.
Wie sich die Gesellschaft der Moderne außerhalb der Landwirtschaft entwickelt, das wollte ich hier in diesem Thread gar nicht noch mehr ausweiten, das führt sonst zu weit weg vom Thema. Das mit dem Patentrechtsstreit war nur als Beispiel gedacht. Dass die modernen Traktoren ein Segen für die Landwirte sind, will ich gar nicht anzweifeln, ich bin als Kind noch selbst gelegentlich auf diesen alten offenen Modellen mit gefahren und es war sehr heiß und sehr laut darin. Als Kind war das zwar ein großes Abenteuer, aber für die Bauern sicher sehr belastend.
Mir geht es aber nicht in erster Linie um den technischen Fortschritt, sondern wie gesagt um die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Mir fällt zu dem Thema auch ein, dass zum Beispiel Obst und Gemüse, die nicht den Normgrößen entsprechen oder Gurken deren Krümmung nicht stimmt unverkäuflich sind, obwohl sie einwandfreie gesunde Lebensmittel sind. Das ist einer der negativen Auswirkungen der Regelungswut, die eben nicht nur gut ist. Dazu gehört auch, dass diverse alte Sorten eben keine Zulassung mehr bekommen und statt dessen immer mehr Sorten auf den Markt kommen, die von Großkonzernen entwickelt und patentiert sind und die teilweise Hybriden sind, welche die Bauern nicht mehr selbst vermehren können.
In wie großem Stil Brennnesseljauche wirklich in der biologischen Landwirtschaft verwendet wird, weiß ich nicht. Aber ich denke es geht hier ums Prinzip. Es geht darum, dass mit so einem Gesetzesvorstoß Tür und Tor geöffnet sind, dass man irgendwann keine Produkte mehr anwenden kann, die keine Zulassung haben. Als Biolandwirt könnte man dann irgend wann nicht mehr mit Kompost düngen, denn keiner kann so recht sagen, ob Kompost wirklich harmlos ist, weil es bestimmt keine Studien dazu gibt. Dann könnte man auch noch anzweifeln, ob Mist und Gülle wirklich harmlose Dünger sind und die Bauern so weit knebeln, dass sie nur noch Kunstdünger verwenden dürfen. Ob Blaukorn harmlos ist? Wer weiß, aber wenigstens ist das Risiko wissenschaftlich ermittelt worden. Dann steigen die Kosten für die Bauern und letztlich auch die Preise für die Lebensmittel im Laden.
Was das ganze mit dem Codex Alimentarius zu tun hat wurde im Video nicht so recht klar. Dazu kann ich leider auch nichts beitragen. Ich hatte eher vermutet, dass das bei dem Video nur als Suchwort im Titel angebracht wurde um die Klicks auf das Video zu erhöhen. Ich kann mich aber auch täuschen.
So weit ich das verstanden habe, ist die Geldstrafe oder die Gefängnisstrafe wirklich als Höchststrafe anzusehen. Aber auch wenn der Zeitrahmen oder der Bußgeldrahmen nicht ausgeschöpft wird fände ich es pervers, wenn man wegen der Verbreitung traditionellem Wissens über Wildkräuter verurteilt werden kann. Das erinnert fast ein wenig an die Hexenprozesse im Mittelalter. Da muss ich Bellikowski zustimmen. Zumindest von Eric Petiot wurden die Lehrbücher und Aufzeichnungen von Behörden beschlagnahmt, weil sie wohl Passagen über die Verwendung von Brennnesseln enthielten. Ob er nun verurteilt wurde, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob es noch mehr Personen getroffen hat, die damals in den Widerstand gegangen sind. Aber zumindest finde ich es unangenehm zu wissen, dass man wegen der Verbreitung solch harmloser Fakten in Europa Schwierigkeiten von Behörden bekommen kann oder konnte.
Ich wollte auch gar nicht dazu kommen, wie sich die Gesellschaft nun überhaupt und im Speziellen entwickelt. Nur hätte die Frage wohl eher lauten sollen, ob der Leser nicht über einige Entwicklungen irritiert den Kopf schüttelt. Denn nicht alle Entwicklungen sind schlecht.
Auch die Reglementierungswut ist ja eigentlich aus einem positiven Ansinnen heraus entstanden. Um mal bei den Früchten zu bleiben. Es erspart doch viel Zeit sowie Lager- und Transportkapazitäten, wenn man Früchte nach bestimmten Normen beurteilt. So weiß man genau wie viele Früchte in einer Kiste sind, man muss also nicht mehr die Früchte jeder Kiste einzeln zählen, wenn man sich darauf verlassen kann, das zu vor richtig gearbeitet wurde. Das spart Zeit beim Bestellen und Kommissionieren. Wenn durch die bestimmte Größe mehr Früchte in eine Kiste passen, dann spart Transportkapazität. Alles in allem eigentlich doch eine gute Sache. Eigentlich aber nur deshalb, weil so bestimmte Produkte auf einmal gar nicht mehr in den Handel gebracht werden durften. Diese Entscheidung und die dazu gehörenden Normen sind aber glücklicherweise zum Teil längst wieder außer Kraft, unter anderem auch für die Gurke. Dass man die krummen Gurken trotzdem in Supermärkten eher weniger sieht, liegt eher daran, dass die Norm für den Handel bequem ist. Deswegen sind Normen per se nicht schlecht, nur sollten die Auswirkungen nicht schädlicher sein als die Normen selbst. Und das sind sie eben dann, wenn gesundheitlich unbedenkliche Produkte unverkäuflich sind.
Ähnlich ist es mit dem Codex Alimentarius. Da will man verbindliche Regeln aufstellen, die zur Steigerung der Lebensmittelsicherheit führen. Das führte dann wahrscheinlich im ersten Schritt dazu, dass die Brennesseljauche verboten. Völlig übertrieben keine Frage, aber nun ist ja eine bestimmte Rezeptur wieder erlaubt. Eine, die überprüft wurde und die wohl gesundheitlich unbedenklich ist. Wäre mal interessant, ob meine Vermutung stimmt.
Nur frage ich mich, wie man da nur auf die Gesetze und deren Macher schimpfen kann. Es ist doch nun einmal so, dass viele Menschen mehr auf den Preis als auf tatsächliche Qualität achten, anders ist der Erfolg der ganzen Discounter und Billigläden nicht zu erklären. Dort muss es eben schnell gehen und die Nebenkosten müssen gering sein. Dabei hilft eben auch die Regulierung.
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