Stress als subjektives Empfinden und Modeerkrankung?

vom 04.08.2012, 21:38 Uhr

Egal mit wem ich mich in letzter Zeit unterhalte, jede(r) hat nur noch Stress und kommt mir etwas überfordert vor. Ob es sich hierbei um die alleinerziehende Mutter oder den Schichtarbeiter handelt, alle sind nur noch im Stress.

Ich kann mich jedenfalls nicht des Eindrucks erwehren dass dieser Umstand wohl eher dem Unvermögen einen geregelten Alltag zu organisieren geschuldet ist. Ist es euch auch schon aufgefallen, dass immer mehr Menschen die gestressten mimen, obwohl dafür eigentlich gar keine Veranlassung besteht? Meint ihr auch „Gestresst zu sein“ ist schon eine Art Modeerkrankung?

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» Entenhausen » Beiträge: 179 » Talkpoints: 13,03 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich denke, dass viele Leute das auch einfach so sagen. Ich kenne sehr viele Leute die eigentlich gar keine stress haben oder gar keinen Stress haben können, weil sie so neben der Schule nicht so viel zu tun habe und trotzdem beklagen sie sich ständig. Ich denke, dass diese Leute dann einfach nur Aufmerksamkeit haben wollen und denken, dass sie diese bekommen, wenn sie sich über Stress beschweren - es klappt ja auch, weil ja die meisten dann fragen, weswegen man Stress hat und so weiter.

Ich persönlich hatte eine Zeit lang wirklich sehr viel zu tun und ich hatte neben der Schule sozusagen noch fast einen Nebenjob im Stall und habe mich da um zwei Ponys gekümmert. Gleichzeitig habe ich mich aber noch mit meinen Freundinnen getroffen und ich musste auch noch was für die Schule machen. Ich habe es aber alles geschafft, weil ich es gewollt habe und meine Noten waren trotzdem gut. Deswegen verstehe ich nicht, wieso manche Leute, die keine festen Hobbys haben und in dem Sinne keine Verpflichtungen, angeblich Stress haben, wenn sie sich nur mit Freunden treffen und in der Zeit eigentlich lernen könnten. Da denke ich, dass die Leute dann einfach nicht genug machen und nicht intensiv genug lernen und selbst daran schuld sind.

» Hufeisen » Beiträge: 6056 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 6000 Beiträge


Stress ist keine Modeerkrankung. Natürlich ist aber Stress ein subjektives Empfinden. Ein Empfinden ist immer subjektiv. Die Menschen haben in der heutigen Zeit einen viel dichteren Arbeitstag als früher. Sie arbeiten zwar vielleicht stundenmäßig weniger, aber die Arbeit ist kompakter, der Termindruck ist größer und die Menschlichkeit lässt an manchen Arbeitsstellen zu wünschen übrig. Es wird auch immer mehr von den Menschen erwartet, und es werden weniger Fehler toleriert. Das ist zumindest mein persönlicher Eindruck aus meiner mittlerweile 35-jährigen Berufserfahrung.

Während wir vor zwanzig Jahren unsere Mittagspause bei schönem Wetter auch schon einmal in den Biergarten verlegt haben (samt Chef) - ohne auszustempeln-, wurde mit den Jahren, insbesondere in den letzten fünf Jahren, die Zeiten wesentlich strenger und maschineller kontrolliert. Die Termine wurde kurzfristiger, die Anforderungen größer. Ich sehe es in allen Berufen so.

Als Mutter wird von einem erwartet, das man Kinder und Beruf unter einen Hut bekommt, weil es einem in Fernsehfilmen so vorgelebt wird. Es sei ja alles nur eine Sache der Organisation. Nein, es ist keine Sache der Organisation. Man kann Kinder und Vollzeitjob nicht stressfrei unter einen Hut bringen. Man vergisst dabei immer die Mußestunden, die man am Tag für sinnfreie Beschäftigungen braucht. Wenn man die über Jahre nicht hat, kommt es zum Burn out.

» anlupa » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Ich finde auch nicht, dass Stress eine Modeerscheinung sei. Als Schüler hat man vielleicht noch eine ganz andere Vorstellung von Stress, als als Arbeitnehmer. Der Zeit- und Leistungsdruck ist in vielen enorm hoch und die Freizeit oft nur eingeschränkt. Zudem reicht die Entlohnung manchmal nicht, um sich einen erholsamen Urlaub oder vom Arbeitsalltag ablenkendes Hobby leisten zu können.

Auch wird Müttern, welche als diese bereits einen unbezahlten Vollzeitjob inne haben, nach gerufen, dass sie sich nicht so anstellen sollten und nebenbei - auch ruhig Vollzeit arbeiten gehen können müssten. Es wird krampfhaft versucht einen Spagat zwischen Karriere und Familie zu schaffen, wobei dieser meistens misslingt. Allein aufgrund des Versagens kommt es zu negativen Stresssymptomen.

Ich hatte anderthalb Jahre die stressigste Arbeitszeit meines bisherigen Lebens durchgemacht. Es war kein Zuckerschlecken: ständig gelang ich an meine Grenzen, sowohl physisch, als auch psychisch. Ich vegetierte nur noch vor mir hin und konnte mich nicht aus eigener Kraft aus dem Dilemma befreien.

Mangelnde Freizeit, fehlende soziale Kontakte, unbezahlte Überstunden, Mobbing usw. alles in einem führte letzten Endes zum berühmt berüchtigten Burn out. Und das lag alles sicherlich nicht daran, dass ich gerne mal unter Strom stehen wollen würde oder im Mittelpunkt.

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» LongHairGirl » Beiträge: 845 » Talkpoints: 47,97 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Ich finde es schon ein bisschen dreist, anderen Menschen pauschal zu unterstellen, dass sie gar nicht gestresst sein können, sondern sich nur anstellen und jammern. Manchmal finde ich es schade, dass man mit anderen Leuten nicht probehalber für eine gewisse Zeit das Leben tauschen kann. Das würde mit etlichen Vorurteilen und Unterstellungen ziemlich schnell Schluss machen.

Natürlich ist das Stressempfinden immer subjektiv. Aber das ist ja beispielsweise auch das Schmerzempfinden, und man schaut ja auch auf niemanden herab, der sich mit dem Hammer auf den Daumen haut und das nicht mit einem Achselzucken wegsteckt. Manche Menschen sind schnell gestresst, während andere Chaos und Trubel geradezu zum Leben brauchen, aber das heißt ja nicht, dass Erstere nur Jammerlappen sind, die sich zusammenreißen sollen.

Außerdem finde ich durchaus, dass das moderne Leben in unserer Gesellschaft an sich stressig ist. Man hat unzählige Aufgaben, Pflichten und Rollen zu erfüllen, von allen Seiten gibt es Druck, und speziell als Frau muss man dabei auch noch ewig jung, knackig und sexy aussehen. Außerdem gibt es schon lange keine Zeiten im Arbeits- oder Familienleben mehr, in denen man es ruhiger angehen lassen konnte, da oft schon kleine Kinder von vorne bis hinten verplant sind, um sie auch ja optimal zu fördern.

Wir haben nun mal keine Agrargesellschaft mehr, in der es je nach Jahreszeit mal extrem viel Arbeit gab, aber dafür dann auch mal wieder relativ wenig. Manchmal finde ich das richtig schade, dass es immer nur darum geht, 110 Prozent zu geben und top motiviert und gestylt sein Leben bei den Hörnern zu packen. So gesehen ist Stress für mich definitiv keine Modeerkrankung, sondern ein ganz reales Problem der Gegenwart.

» Gerbera » Beiträge: 11319 » Talkpoints: 49,61 » Auszeichnung für 11000 Beiträge


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