Wie lang und warum darf jemand Selbstmitleid mit sich haben?

vom 19.07.2012, 18:35 Uhr

Aufgrund eines anderen Threads frage ich mich gerade, wer das Recht hat, zu bestimmen, wie lang man traurig, wütend, ärgerlich oder sonst wie zu sein hat. Immerhin sind diese eher negativen Gefühle durchaus präsent, wenn man in Selbstmitleid badet und es einem richtig mies geht. Natürlich muss man irgendwann nach vorn schauen, aber wenn man gerade einen Menschen verloren hat und man deshalb traurig ist, sich selbst dabei auch Leid tut, weil man diesen Menschen nun sehr gern mochte, ist es etwas anderes, als wenn man nun eine Klausur verhauen hat. Aber selbst eine verhaute Klausur kann das Ende einer Existenz bedeuten, wenn da Pläne geschmiedet wurden oder auch nur, wenn das Studium nicht mehr beendet werden kann beziehungsweise eben es die letzte Chance gewesen ist.

Letztendlich muss man es immer betrachten, was mit der Person vorgeht, die gerade eben Selbstmitleid hat. Ich mache da gern einen Unterschied zwischen den Dingen, die man immer wieder anspricht, wie das Wetter oder die blöden Politiker und zwischen persönlichen Dingen, die einen einfach belasten und mit hinunter ziehen können.

Woran macht Ihr fest, wie lange jemand traurig sein darf beziehungsweise sich selbst bemitleiden darf? Unterscheidet Ihr auch zwischen den Ursachen, warum überhaupt jemand in Selbstmitleid badet oder seid Ihr schon so rigoros, so taff, dass jeder, der sich in irgendeiner Art und Weise selbst Leid tut, von Euch gemieden wird, egal, was vorgefallen ist?

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» *steph* » Beiträge: 18439 » Talkpoints: 38,79 » Auszeichnung für 18000 Beiträge



Ich habe die Vermutung, dass dein Text auf die Beschreibung einer Depression hinausläuft und wie jeder weiß ist eine Depression eine psychische Erkrankung, die Gegenmaßnahmen erfordert. Wir haben über deine Fragen auch im Unterricht diskutiert: "Wie lange darf jemand traurig sein bis man sagt, dass es krankhaft ist? Ist das nicht individuell?" Eine allgemein gültige Antwort fand sich nicht.

Ich denke schon, dass der Grund eine Rolle spielt für Intensität und Dauer, allerdings kann sich niemand in sein gegenüber einfühlen umso zu empfinden wie er. Ein wirklich schwieriges Thema!

Ich denke Selbstmitleid ist ab dem Augenblick krankhaft, wo es Schäden mit sich zieht. Wenn man sich zum Beispiel nicht mehr zu Aktivitäten aufrafft und dadurch versifft oder soziale Kontakte nach und nach verliert bis sogar der Job weg ist. Vielleicht ist "nicht mehr funktionsfähig" nicht der Beste Grund um zu sagen: "Ab jetzt musst du was dagegen tun!" Eine bessere Abgrenzung finde ich für mich jedoch nicht.

» JeanSmith » Beiträge: 422 » Talkpoints: 4,88 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Nein, auf Depressionen wollte ich gerade weniger hinaus, JeanSmith, Ich meinte schon wirklich eher Dinge, die einem passieren und sich eben so auswirken, dass negative Gefühle entstehen. Wie gesagt Trauer und Traurigkeit bei einem Todesfall, das Gefühl des weggezogenen Bodens unter den Füßen bei nicht Bestehen einer Prüfung und so weiter. Im Grunde sind das alles Auslöser, die dazu führen können, dass jemand sich selbst bemitleidet. Dass dazu etwas Zeit von Nöten ist, um so etwas zu verarbeiten, versteht sich ja schon von selbst, aber wie viel Zeit sollte man da überhaupt geben? Kann ein Außenstehender, der davon weiß, sagen, dass nach dem Todesfall man nur eine Woche oder so deswegen traurig sein darf oder kann?

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» *steph* » Beiträge: 18439 » Talkpoints: 38,79 » Auszeichnung für 18000 Beiträge



Ich würde einen Todesfall nicht mit einer nicht bestandenen Prüfung vergleichen. Über einen Todesfall im engeren Kreis kommt man nie ganz hinweg. Das wird einen sein Leben lang begleiten, auch wenn man nicht immer daran denkt. Aus einem Todesfall kann man auch nichts Gutes ziehen, wie zum Beispiel eine Lehre, es das nächste Mal besser zu machen. Eine nicht bestandene Prüfung kann man nach einer gewissen Zeit auch durchaus positiv sehen. Genauso bei einer Trennung, auch hier wird man vielleicht später dankbar dafür sein, dass diese Beziehung beendet ist.

ich würde für diese Erkenntnis aber keine Frist setzen. Ich würde jemandem keine Zeit setzen, wie lange er sich zu bemitleiden hat oder nicht. Das kann jeder so machen, wie er möchte. Mit manchen Leuten hat man vielleicht auch mehr Geduld als mit anderen, je nachdem wie aufdringlich sie sich verhalten. Das ist sehr subjektiv. Wenn es mich nervt, würde ich eine Weile Abstand halten, bis derjenige wieder normal wird. Aber ich könnte jetzt nicht angeben, ob es Wochen dauern darf oder Monate oder gar Jahre.

» anlupa » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Es gibt mit Sicherheit keine bestimmte Zeitangabe, wie lange jemand traurig, wütend oder sonst was sein darf, wenn ein bestimmtes Ereignis geschehen ist. Dies ist auf jeden Fall von Person zu Person unterschiedlich und das, was passiert ist spielt mit Sicherheit eine große Rolle. Ich würde auch nicht eine vergeigte Prüfung mit einem Todesfall gleichsetzen; allerdings kenne ich noch Leute aus meinem Studium, die da wirklich noch ewig gejammert haben wenn sie eine Prüfung nicht bestanden haben und da ist doch wirklich irgendwann mal gut. Da bringt es einfach nichts, ewig in Selbstmitleid zu baden und zu jammern, da hilft nur Augen zu und durch; und noch ein mal versuchen und es besser machen.

Vor einigen Jahren hat eine Freundin von mir mit ihrem Freund nach 6 Jahren Beziehung Schluss gemacht, weil schon lange nicht mehr alles gut war. Zuerst war sie auch erlöst und genoss die Zeit, die sie nun hatte, aber dann fing sie an zu jammern, sie hätte niemanden, sie würde niemals einen Freund finden und dies und jenes; das ging monatelang so und irgendwann war ich einfach nur genervt, weil sie auch keine Ratschläge, Hilfe oder sonst was von mir angenommen hat. Sie war gerade mal einige Wochen Single und hat sich einfach nur bemitleidet dass sie ja nie wieder einen Freund kriegen würde. Dass sie diese Gedanken eine Zeit lang hatte, hätte ich nachvollziehen können, aber das hörte gar nicht mehr auf! Beziehungsweise erst dann, als sie jemand neuen kennen gelernt hat. Sie war keine 10 Monate Single und hat in der Zeit einen totalen Aufstand gemacht. Ich war vor meiner aktuellen Beziehung 3 Jahre Single und hab mir da keine Gedanken drüber gemacht.

Ansonsten kommt es auch darauf an, wie diese Person mit ihren Gefühlen umgeht; in dem Fall war es wirklich jeden Tag stundenlang nur die gleiche Leier und alles was ich sagte wurde konsequent ignoriert. Eine andere Freundin von mir hat auch ein Problem und spricht oft darüber; sie aber nimmt Ratschläge an und weiß, dass sich etwas ändern muss. Die Dinge, die man selbst in der Hand hat, sollte man auch bewusst ändern; zumindest es versuchen. Und wenn es nur so ist, dass man an der eigenen Einstellung arbeitet und seine Gedanken versucht zu ordnen um das Leben wieder positiver zu sehen. Das ist bei einigen Dingen einfacher als bei anderen. Deswegen finde ich es schon ok, wenn man eine gewisse Zeit mies drauf ist, aber ab einem gewissen Punkt sollte Schluss sein und man sollte sich Hilfe suchen, beziehungsweise diese annehmen, wenn man selber nicht mehr aus der Misere heraus kommt.

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» Nana_2011 » Beiträge: 2250 » Talkpoints: 0,21 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


Trauer, Wut und Ärger kann man nicht mit Selbstmitleid vergleichen. Bei Trauer kann man nie wissen, wie lange das dauert. Und Trauer hat nichts mit Selbstmitleid zu tun. Wenn man wütend über was ist oder ärgerlich, hat auch das noch nichts mit Selbstmitleid zu tun. Aber wenn man jammert, dass es einem ja so schlecht geht und selber nichts daran ändert und immer weiter jammert, dann geht es einem auf die Nerven und das sage ich dann auch der Person.

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge


Ich finde auf jeden Fall, dass es davon abhängig ist, weswegen man Selbstmitleid hat, wenn ich entscheide ob ich das toleriere oder nicht. Ich selbst muss nämlich eigentlich ganz ehrlich sagen, dass ich Selbstmitleid meistens total unsympathisch finde, weil dies für mich mit mangelndem Selbstbewusstsein und mangelndem Selbstwertgefühl zu tun hat und ich in vielen Fällen auch finde, dass diese Menschen blind für das Leid anderer Menschen sind. Zunächst einmal finde ich es nur an in Ordnung Selbstmitleid zu haben, wenn man an seinem Schicksal nicht selbst Schuld ist. Es ist also in meinen Augen in Ordnung, wenn man Selbstmitleid hat, weil man an Krebs oder einer anderen folgenschweren Krankheit erkrankt ist, es ist ebenso in Ordnung, wenn man einen Verlust erlitten hat, jemand aus dem Verwandtenkreis gestorben ist oder eine andere geliebte Person.

Für mich ist es aber nicht in Ordnung, wenn jemand Selbstmitleid wegen einer Sache hat, die er selbst zu verschulden hat, sprich also, ein Raucher erkrankt an Lungenkrebs, eine Mutter die nicht auf ihr Kind aufgepasst hat, muss dieses nun beerdigen lassen, jemand der noch nie Sport gemacht hat bekommt starkes übergewicht, man lernt nicht genug für die Schule, besteht eine wichtige Prüfung nicht und kann dann seinem gewünschten Beruf nicht nachgehen und so weiter und so fort. Man fährt schlecht und achtet nicht auf die Vorgaben, so dass bei einem Unfall die Familie umkommt, man überfüttert sein Haustier so dass es nicht mehr laufen kann, immer wenn man selbst an dem Unglück Schuld ist, ist meiner Meinung nach Selbstmitleid fehl am Platz. Wenn solche Personen dann in Selbstmitleid baden, gehöre ich eigentlich eher zu denen, die sich dann lieber abwenden und das ignorieren, weil ich es einfach nicht in Ordnung finde.

Während meiner Schulzeit musste ich es häufiger erleben, dass Schüler Heulkrämpfe bekommen haben, wenn sie bei wichtigen Klausuren durchgefallen sind, aber ich vertrete eben die Meinung, dass jeder seines Glückes Schmied ist und wenn man sich etwas mehr Mühe gegeben hätte, dann hätte das schon geklappt. Ich weiß, dass ich nicht gerade zu den geduldigsten Menschen gehöre und mir häufiger schwer damit tue, Problemen anderer zu lauschen, aber besonders wenn einfach offensichtlich ist, dass die Person selbst schuld ist, kann ich das nicht verstehen. Mich würde dies eher zu einem anderen Verhaltensmuster denn zu Tränen motivieren, wenn ich etwas derartiges erleben würde. Was mich am meisten ärgert, sind Menschen die über ihre Figur klagen und dennoch nichts dagegen unternehmen. Solche Personen habe ich auch in meinem Umfeld und ich höre mir sowas auch gar nicht mehr an, beispielsweise wechsele das Thema oder antworte nicht, wenn ich mit sowas konfrontiert werde.

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Mich geht es absolut nichts an, ob und wie lange ein Mensch in Selbstmitleid schwelgt. Ich habe ganz einfach nicht das Recht, einem anderen Menschen vorzuschreiben, wie er sich fühlen soll und wie er mit sich selbst umgehen soll. ich könnte wenn, dann lediglich versuchen, diesem Menschen meine Hilfe angedeien zu lassen und versuchen, ihn wieder in eine andere Richtung zu bewegen.

Manchmal sagen einige Leute ja, dass es ganz normal ist eine gewisse Zeit lang traurig zu sein, wenn man beispielsweise einen nahen Angehörigen verliert. Das man dann traurig ist, das ist ja auch eigentlich total normal. Ich finde es ganz genau so normal, wenn man dann nach einigen Wochen wieder fröhlich und selbstbewusst wieder durch sein eigenes Leben geht, denn immerhin geht dieses unaufhaltsam weiter, egal ob man einen Verlust erlitten hat oder nicht. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass ich, wenn nun meine Nachbarin nach dem Tod ihres Mannes auch nach drei Jahren noch tiefe Trauer trägt, hingehe und ihr sage, dass dies nicht normal sei und dass sie damit aufhören sollte. Ebenso wenig würde ich in dieser Weise agieren, wenn sie nach dem Verlust ihrer Arbeitsstelle in Selbstmitleid schwelgen würde.

Es geht mich ganz einfach überhaupt nichts an und niemand hat das Recht einer anderen Person ein zeitliches Limit für eine bestimmte Gefühlslage aufzuerlegen. Deswegen bin ich der Meinung, dass jeder Mensch so lange traurig sein darf und auch so lange sich selber bemitleiden darf, wie er es eben möchte. Das ist total legitim. Man sollte so einem Menschen niemals vorschreiben, seine Gemütslage zu verändern. Vielmehr sollte man versuchen, wie es nur geht Hilfe zu leisten. Das hat aber ja nichts damit zu tun, dass man jemanden etwas vorschreibt!

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» olisykes91 » Beiträge: 5370 » Talkpoints: 24,75 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


Ich habe die Vermutung, dass dein Text auf die Beschreibung einer Depression hinausläuft und wie jeder weiß ist eine Depression eine psychische Erkrankung, die Gegenmaßnahmen erfordert.


Nicht unbedingt. Depressionen können auch phasenweise verlaufen, sodass jemand mal einige Wochen depressive Verstimmungen hat und diese danach wieder verschwinden, auch ohne Behandlung. Zudem gibt es Menschen, die irgendwie immer ein wenige depressiv sind, also ein wenig „schlecht drauf“ wirken, die aber damit gut umgehen können und es auch da nicht unbedingt einer Behandlung bedarf. Wenn jemand darunter leidet und das gerne ändern möchte, dann ist sicher eine Behandlung sinnvoll, aber nur, weil jemand leicht depressiv ist, muss man ihn nicht therapieren.

Wenn beispielsweise nach einer Trennung eine große Traurigkeit eintritt, wer will dann festlegen, wie lange diese dauern darf? Es gibt bestimmt einige, die sich wundern, wenn jemand nach Wochen oder Monaten noch trauert und gerade weil man das weiß, verbirgt man doch meistens die eigenen Gefühle vor anderen.

Selbst wenn man sich auch eine Zeit lang bemitleidet, dann muss das ja nichts Schlimmes sein. Viele jammern viel mehr als dass sie sich eigentlich schlecht fühlen, d.h. auch dem Jammernden selbst geht es doch meistens gar nicht so furchtbar schlimm. Aber so ein bisschen Selbstmitleid ist manchmal gut, um sich auszuheulen oder mal das eigene Leid zu klagen.

Zudem würde ich sagen, dass es durchaus Dinge geben kann, an denen man eine gewisse Schuld trägt, aber trotzdem fehlt manchmal irgendwie die Kraft, auch etwas zu ändern. Das fängt ja schon da an, wo man über all die unerledigten Aufgaben jammert, die noch zu erledigen sind und sich aber trotzdem nicht aufraffen kann, mal fleißig alles abzuarbeiten. Genauso ist es in vielen anderen Bereichen. Menschen sind keine Maschinen, die bei Feststellung eines Mangels dann automatisch zur Beseitigung des Fehlers schreiten. Es gibt eben auch Gründe, warum Dinge nicht gemacht werden, die zu einer Besserung der Situation beitragen könnten.

Man muss eben nur bedenken, dass andere meistens diese Klagen nicht so gerne hören. Wenn man zu sehr klagt, dann kann es sein, dass Freunde davon genervt sind und sich abwenden. Also empfiehlt es sich schon, so schade es auch ist, bei längerer Traurigkeit lieber entweder alles mit sich auszumachen oder einem Seelsorger oder Therapeuten für Gespräche zu nutzen, anstatt dem eigenen Bekanntenkreis immer wieder das Gleiche vorzujammern. Sonst hat man schnell keine Freunde mehr.

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