Habt ihr Erfahrungen mit der Telefonseelsorge?

vom 16.07.2012, 23:26 Uhr

Ich glaube, jeder von euch kennt die Telefonseelsorge, zumindestens wird der Name allen bekannt sein. Menschen in Not- und Krisensituationen können telefonisch anonym mit einem geschulten Berater verbunden werden, über ihre Probleme und Sorgen reden und man bekommt Vorschläge zur Problemlösung. Es gibt eine katholische und evangelische Telefonseelsorge und eine nur für Kinder- und Jugendliche, die sogenannte "Nummer gegen Kummer". Ich selbst habe mir eben die offiziellen Webseiten angeschaut und frage mich, ob jemand schon Erfahrungen mit diesem Service hat und ob er euch wirklich geholfen hat.

Ich stelle es mir eigentlich sehr angenehm vor, mit einer fremden und neutralen Person anonym über meine Probleme zu reden, denn dort wäre man ja nicht vorbelastet und es herrscht eine emotionale Distanz. Bestimmt ist diese Telefonnummer auch eine gute Alternative für Menschen, die sich aus irgendwelchen Gründen nicht (mehr) ihren Freunden anvertrauen können oder wollen. Bei meinen Internetrecherchen habe ich auch Beiträge gelesen, bei denen Menschen sehr enttäuscht waren und die verschiedenen Berater als unprofessionell oder inkompetent bezeichnet haben. Erwähnt wurde auch, dass es viele Scherzanrufe gibt, da würde ich echt verstehen, wenn die ehrenamtlichen Arbeiter frustriert sind und anfangen misstrauischer zu werden. In meinen Augen ist es eine Frechheit, dass man ein Ehrenamt so missbraucht.

Ich hatte die Idee, dass ich einer Freundin die Telefonseelsorge empfehle. Ihr Verhalten ist manchmal ziemlich schwierig, da sie Borderlinerin ist. Ich gebe mir wirklich große Mühe mit ihr, aber letztendlich bin ich auch nicht vierundzwanzig Stunden am Tag erreichbar. Sie war schon in Therapie, trotzdem glaube ich, dass ihr so ein Gespräch eventuell helfen könnte, da sie öfters mal vom Gefühl der chronischen Leere geplagt wird und sich sogar recht oft alleine fühlt und dann einfach jemanden zum Reden braucht. Sie ist zwar eine ziemlich umgängliche Person, aber sie hat öfters mal Stimmungsschwankungen und manchmal ist man auch mit seinem Latein am Ende. Mein Problem ist jedoch, dass ich ihr nichts empfehlen möchte, was eigentlich überhaupt nicht hilft. Wenn sie auf Desinteresse am anderen Ende der Leitung stoßen würde, wäre sie mit Sicherheit eingeschüchtert und verunsichert.

Ich könnte natürlich auch selbst anrufen und mir ein eigenes Bild machen, allerdings habe ich im Moment kein Problem und wüsste auch nicht, worüber ich mich mit einem Seelsorger unterhalten könnte. Ich vermute, dass die meisten Berater nicht gut oder begeistert auf Anrufe für andere Personen reagieren, weil sie den Betroffenen nicht direkt und persönlich fragen stellen können und die Person auch nicht einschätzen können. Auf der anderen Seite möchte ich auch nicht unnötig die Leitung blockieren für Menschen, die wirklich am verzweifeln sind.

Was haltet ihr von der Telefonseelsorge und habt ihr selbst schon ein Gespräch zu einem Berater geführt? Wenn ja, hat es euch geholfen und habt ihr nochmal angerufen? Vielleicht habt ihr sogar negative Erfahrungen mit der Telefonseelsorge - welche? Wie kann man reagieren, wenn man mit dem Service unzufrieden ist? Würdet ihr euren Freunden diese kostenlose Telefonnummer empfehlen? Glaubt ihr, dass ich die Telefonseelsorge nur wegen meiner Freundin anrufen sollte?

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» soulofsorrow » Beiträge: 9232 » Talkpoints: 24,53 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Es sollte jedem bewusst sein, dass bei der Telefonseelsorge keine Menschen am Telefon sitzen, die eine beruflich umfangreiche Ausbildung im Bereich Psychologie haben. Die Telefonseelsorger machen das in der Regel alle ehrenamtlich. Sie bekommen dafür kein Geld und können auch keine wirklichen professionellen Ratschläge geben.

Generell ist es mit Sicherheit kein Problem, wenn du da anrufst und dich kundig machst. Warum auch nicht? Aber du solltest bedenken, die Telefonseelsorge ist 24 Stunden am Tag, 7 Tage in der Woche zu erreichen. Und das jeden Tag. Und da gibt es nicht nur eine Leitung, sondern mehrere. Sprich man landet nicht immer beim selben Ansprechpartner. In der Regel werden die Anrufe eben an die freien Leitungen weiter geschaltet. Welchen Nutzen hat es also, wenn du mit dem Telefonseelsorger zufrieden bist und deine Freundin jemand ganz anderem am Apparat hat?

Bevor man dort anruft, sollte man sich im Endeffekt auch darüber im klaren sein, was man erwartet. Wirkliche Hilfe können die nicht wirklich bieten. Und ich meine das noch nicht mal negativ. Theoretisch könnten sie die Anrufer an die nächste Psychiatrie verweisen. Oder sie können überregionale Angebote empfehlen. Wenn man den Wohnort preis gibt, dann eventuell auch ortsbezogene Anlaufstellen nennen. Wobei das eher Zufall ist, da die Telefonseelsorge überregional arbeitet. Ist eher Zufall, wenn man jemand erwischt, der die Gegend kennt.

Ich selbst habe auch Borderline. Ich sage aber gleich, man kann Borderliner selten vergleichen. Klar gibt es Parallelen, aber im Endeffekt ist jeder Borderliner anders. Professionelle Hilfe ist gerade Nachts oder am Wochenende nur schwer zu bekommen. In der Regel bleibt die Psychiatrie, in die man in der Regel nicht einfach mal nur zum Quatschen gehen kann. Quatschen im Sinne von, es wird einem mit einem Gespräch geholfen.

Ich selbst rufe "öfters" mal bei der Telefonseelsorge an. Ich weiß nicht, wann ich da das erste Mal angerufen habe. Ist schon länger her. Im Endeffekt war mir aber bewusst, wirkliche Hilfe werden sie mir keine bieten können. Mir war es wichtig geschützt zu sein. Die ersten Gespräche setzten sich für mich zum Teil damit zusammen, dass ich immer wieder nachfragte, ob ich anonym bleibe. Was mir auch mehrfach zugesichert wurde. Wie weit ich dem glauben kann, weiß ich nicht wirklich, aber mir reicht die Zusicherung. Ansonsten gebe ich generell weder Namen noch Wohnort preis. Wobei zumindest der Wohnort kein Problem wäre, da ich eh Rufnummernübertragung habe.

Meine Erkrankung nenne ich am Anfang nie. In der Regel verlaufen Gespräche mit mir aber meistens so, dass ich gefragt werde. Dann stehe ich auch dazu. Allerdings habe ich noch nie erlebt, dass man mich abgewertet hat. Also wirklich negative Reaktionen kamen nie. Keine Schubladen- was ich als sehr angenehm empfinde.

Ich sage denen meistens, dass ich jemand zum Reden brauche. Die meisten sind so gut geschult oder erfahren im Umgang, dass sie an sich nachfragen. Sprich man muss das Gespräch im Vorfeld nicht wirklich vorbereiten. Klar ist aber auch, mit jemand der nur schweigt, kann man nicht wirklich sprechen. Mir hilft das zuhören. Mir hilft es auch, wenn mir jemand einen anderen Blickwinkel nennt.

Oftmals erzählen mir die Telefonseelsorger auch, wie sie andere Telefonate mit Borderlinern empfunden haben. Eben das sie auch mit emotionalen Reaktionen rechnen oder auch erlebt haben, dass der Anrufer auflegt. Das scheint alles kein Problem zu sein. Es kommen aber generell keine Phrasen ala alle Borderliner sind so und so. Eher wird nach gefragt, man weiß das und das, wie weit ich da rein passe.

Ich habe bisher noch nie wirklich schlechte Erfahrungen gemacht. Klar bekommt man auch mal Sachen zu hören, die man an sich nicht hören mag. Mich stören die nicht wirklich oder es entwickelt sich halt eine Diskussion daraus. Einmal ist der Telefonseelsorger eingeschlafen, was ich erst nicht so toll fand. Allerdings wurde er auch wieder wach und wir hatten ein recht gutes Gespräch.

Zusammengefasst: Es sollte einem bewusst sein, therapeutische Hilfe können die nicht wirklich bieten. Sie können zu hören, eventuell andere Sichtweise zeigen. Allerdings habe ich bisher alle als sehr bemüht erlebt. Und auch relativ offen. Sprich die sagen mir auch klar, dass sie mir an sich nicht wirklich helfen können. Da es mir aber generell nur ums Reden geht, ist das für mich in Ordnung. Wobei ich am Anfang auch unsicher war und sich das ein wenig geändert hat.

Klar sollte auch sein, man ist nicht der Einzige, der Hilfe sucht. Sprich die Gesprächszeit ist auch begrenzt. Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass die Telefonseelsorger tagsüber nach etwa maximal 30 Minuten das Gespräch beenden wollen. Wobei man nie einfach aus der Leitung geschmissen wird. Mir wurde auch schon das Angebot gemacht, man müsse nun das Gespräch beenden, aber ich kann ruhig später noch mal anrufen.

Nachts sind weniger Plätze belegt und da darf man öfters mal mit dem Anrufbeantworter telefonieren. Darauf sollte man sich aber generell einstellen, da es eine ehrenamtliche Leistung ist. Allerdings haben die Nachts wohl auch mehr Gesprächszeit. Kommt drauf an, wer am anderen Ende der Leitung ist.

Ich halte den Dienst für sinnvoll und für mich hilfreich. Man sollte sich aber, wie bereits gesagt, klar sein, es ist im Endeffekt nur jemand der zuhört. Mehr in der Regel nicht. Mit brisanten Themen sollte man sich, auch wenn der Anruf anonym ist, trotzdem zurück halten. Ist zumindest meine Meinung. Auflegen kann man trotzdem jederzeit.

» LittleSister » Beiträge: 10426 » Talkpoints: -11,85 » Auszeichnung für 10000 Beiträge


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