Wie degeneriert sind unsere Essgewohnheiten?

vom 13.07.2012, 12:45 Uhr

Wir haben kürzlich ein Wochenende in einem Wellness-Hotel verbracht, um ein wenig Erholung zu genießen (Nebeninformation: Dieses Wochenende wurde meinen Eltern von einer Tante zum gemeinsamen runden Geburtstag geschenkt und wir durften mitfahren). Dabei gab es auch zwei Mal ein fünfgängiges Abendessen á la carte. Als ich die Karte durchlas, realisierte ich plötzlich, dass das, was wir hier machten, eigentlich extrem lächerlich und beschämend ist. Ich bestellte schließlich irgendein Zeug, das möglichst wenig Meeresfrüchte und anderen unnötigen Schnick-Schnack enthielt. Was uns dann serviert wurde, bestätigte meine Meinung über unsere Gesellschaft nur noch: Kleinste Häppchen, die weder schmeckten, noch sättigend waren. Zwar sahen Orangenschaum, Lebermousse und Co optisch ganz gut aus, doch den Sinn dahinter verstand ich dennoch nicht. Diese zwei Abendessen waren im Preis inbegriffen, aber als ich später im Internet nach dem Restaurant suchte, stellte ich fest, dass das 5-Gänge-Menü stolze 70,00€ kostet, es gibt außerdem ein 7-Gänge-Menü um 106,00€. Warum bestellen Menschen so etwas? Man kann doch unmöglich behaupten, dass dieses Essen besser schmeckt als ganz normale Speisen.

Ist es eurer Meinung nach gesellschaftlich bedingt, dass wir uns tatsächlich einreden, dass solche Sachen besser schmecken würden? Ich persönlich halte es für total unnötig, solche Speisen zu bestellen. Kann man als Grund vielleicht angeben, dass wir uns damit vorgaukeln, gesellschaftlich höher zu stehen? Warum sonst wird ein Kind, welches sich lieber Pommes Frittes bestellt von seinen Eltern gleich schief angeschaut? Habt ihr euch auch schon einmal Gedanken darüber gemacht, dass es äußerst beschämend ist, dass wir uns nicht mit normalen Speisen zufrieden geben können, während über eine Milliarde Menschen Hunger leidet? Ich will jetzt nicht die Restaurantbetreiber kritisieren, denn es ist ja verständlich, dass man in ein Geschäft einsteigt, in dem man ein üppig dekoriertes Häppchen für 20,00€ verkaufen kann, wir Konsumenten sind es ja, die ein solches Geschäft erst ermöglichen.

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» mendacium. » Beiträge: 750 » Talkpoints: 17,61 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Also zunächst einmal würde ich schon unterscheiden, wie man das Essen betrachtet, denn es ist ein Unterschied ob jemand in einer Restaurant gehen möchte um sich den Bauch vollzuschlagen oder ob jemand in ein Restaurant gehen möchte, um eben auch Speisen auszuprobieren, die nicht nach dem gewöhnlichen Verfahren zubereitet und serviert werden, sondern es sich eben um Speisen handelt, die etwas erlesener und aufwendig in der Zubereitung sind, so dass man sie nicht alle Tage zu essen bekommt und das ganze eben auch teilweise aufwendig angerichtet ist. Es geht hier also nicht darum, satt zu werden sondern man geht zu einem solchen Menü, um es zu genießen, sich dabei zu unterhalten und etwas zu essen, was man in einer 0815-Kneipe nicht bekommt. Für jemanden der das einfache und unkomplizierte Essen liebt, ist das sicherlich nichts, dass stimmt.

Wenn ich ehrlich bin, dann frage mich ob man das als degenerierte Essensgewohnheiten bezeichnen kann. Ein kleiner Rundgang in einem gewöhnlichen Supermarkt zeigt uns, dass die Auswahl an zuckerhaltigen, gefärbten Süßgetränken mit künstlichen Aromen größer ist, als die Auswahl an Mineralwasser, dass die Bioecken in der Obst- und Gemüseabteilung merkwürdig durch ihre kleine Auswahl und die hohen Preise hervorstechen, als wäre es etwas exotisches und ungewöhnliches und dass man eigentlich kaum Speisen bekommen kann, die man nicht als Fertigprodukt bezeichnen könnte und die keinen Zucker enthalten. Wenn wir Pulver in ein Töpchen schütten um daraus dann mit ein bisschen Wasser ein Kartoffelpüree zu machen oder es mit Milch aufgießen um Pudding zu erhalten, wenn wir tief gefrorenes Obst und Gemüse auftauen und Fischstäbchen braten, dann ist das normal oder wie? Und Pommes ist gesund oder was?

Ich finde das unsere komplette Ernährung eh absolut katastrophal ist, das ist nicht nur extrem ungesund, wie man an unserer Gesellschaft, den verpickelten Gesichtern und breiten Hüften eh schon sehen kann, sondern auch noch umweltschädigend und absolut unnatürlich. Das einzige halbwegs normale, was ich an Ernährung gesehen habe, ist das was meine Großmutter kocht, die kaum Produkte aus dem Supermarkt verwendet, sondern eben eigenes Fleisch, Obst aus dem Garten und Gemüse vom Feld, aber hier schaut man auch schon skeptisch und erstaunt, wenn man selbst hergestellt Würste und Brotbelag sieht, mein Bruder beispielsweise isst lieber Produkte aus dem Supermarkt, weil hier alles so verarbeitet ist, dass man eben nicht sehen kann, was drin ist.

Ich selbst muss sagen, dass ich derartige Gourmetrestaurants mit meinem Freund im Urlaub auch schon besucht habe und wir fanden die seltene und erlesen Auswahl an Fisch, Meeresfrüchten und Käsesorten dort durchaus schmackhaft und haben diese Besuche oft auch genießen können. Besser kommt man sich damit nicht vor, aber man bekommt hier eben durchaus Speisen, die man sonst nicht überall essen kann und wenn man sich einen gemütlichen Abend machen möchte und sowas genießen kann, wieso denn nicht. Ein Kind würde ich hier vielleicht nicht zwangsläufig mitnehmen und ich finde auch nicht, dass unsere Essensgewohnheiten hierdurch noch degenerierter erscheinen, als sie ohnehin schon sind.

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


Die über eine Milliarde hungernden Menschen haben mit unseren Essgewohnheiten überhaupt nichts zu tun. Man stellt da zwar oft und leicht einen Zusammenhang her, es ist aber keiner vorhanden. Die Hungersnöte entstehen durch die politischen Zustände in den entsprechenden Ländern in Kombination mit Dürren, Überschwemmungen und Nachwirkungen von Kolonialzeiten.

Ich würde gerne einmal in ein Restaurant gehen, wo Sterneköche kochen. Man wird nur ein bekannter Koch, der seine Speisen teuer verkaufen kann, wenn man ein sehr ausgeprägtes Geschmacksempfinden hat, genauso wie man ein bekannter Musiker nur dann wird, wenn man ein ausgeprägtes musikalisches Talent hat. Das Geschmacksempfinden vieler Menschen ist schon so degeneriert, dass sie diese Geschmackskompositionen gar nicht als Kunstwerk erkennen. Ich schließe mich da nicht aus. Ich hatte allerdings auch noch nie die Chance zu testen, ob ich dieses Geschmackserlebnis genießen könnte.

Meine Nachbarin war einmal in einem Restaurant eines Sternekochs, den man auch vom Fernsehen her kennt, und war begeistert. Sie hatte das Essen auch geschenkt bekommen und ist bestimmt nicht dorthin gegangen, um anzugeben. Ich glaube nicht, dass die meisten Menschen in diese Restaurants gehen um anzugeben, sondern weil sie Gourmands sind und sich etwas Besonderes gönnen wollen, so wie sich andere Menschen einen Opernbesuch oder ein Konzert gönnen.

» anlupa » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Unter degenerierten Essgewohnheiten verstehe ich eher das Gegenteil von dem, was du beschreibst. Ich finde es normal, dass man sich ab und zu ein gutes und gerne auch etwas teureres Essen gönnt und sich dafür dann Zeit lässt und dieses Essen genießt. Das ist für mich eine Wertschätzung der Lebensmittel und auch eine Wertschätzung des Kochs.

Degenerierte Essgewohnheiten bedeuten für mich, dass man sich nach dem Motto Hauptsache viel und Hauptsache billig ernährt, zum Beispiel in solchen XXL Restaurants. Als degeneriert empfinde ich es auch, wenn Menschen nicht mal mehr die handwerklichen Grundkenntnisse haben um ein Gericht zuzubereiten, wenn sie ohne Fertigprodukte und Fixpülverchen in der Küche völlig aufgeschmissen wären.

Ob teure Lebensmittel nun tatsächlich besser schmecken oder nicht ist wie so oft Geschmackssache. Ich finde einfache Gerichte, die mit hochwertigen Zutaten gut zubereitet sind oft auch besser als irgendwelche abgehobenen fünf Sterne Kreationen. Allerdings musst du auch bedenken, dass man Geschmack erlernt. Man muss etwas an die zehn Mal probieren um überhaupt sagen zu können, ob es schmeckt oder nicht, da ist es eigentlich nicht weiter verwunderlich, wenn exklusive Speisen erst mal nicht so richtig schmecken. Außerdem sind viele Leute heute einfach total auf Geschmacksverstärker konditioniert, was zur Folge hat, dass ein Gericht mit rein natürlichen Zutaten schon mal fad schmecken kann.

Und auch, wenn die hungernden Menschen in dieser Welt bei solchen Themen immer wieder herhalten müssen - an deren Situation würde sich leider überhaupt nichts ändern, wenn ich mich jetzt nur noch von einer Tasse Reis pro Tag ernähren würde.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge



anlupa hat geschrieben:Die über eine Milliarde hungernden Menschen haben mit unseren Essgewohnheiten überhaupt nichts zu tun. Man stellt da zwar oft und leicht einen Zusammenhang her, es ist aber keiner vorhanden. Die Hungersnöte entstehen durch die politischen Zustände in den entsprechenden Ländern in Kombination mit Dürren, Überschwemmungen und Nachwirkungen von Kolonialzeiten.


Dem muss ich widersprechen. Man kann natürlich nicht direkt einen einzelnen Grund für die weltweite Armut und den daraus folgenden Hunger ziehen, doch sind für diverse Faktoren auch wir, bzw. unser System in der industrialisierten Welt verantwortlich. Es ist bekannt, dass die Nahrungsmittelindustrie trotz der stark wachsenden Weltbevölkerung dennoch schneller wächst als diese. Folglich müsste logischerweise die Anzahl der hungernden Menschen entsprechend geringer werden. Dass das nicht passiert ist der ungerechten Verteilung von Ressourcen und Geld zuzuschreiben. Natürlich kann man nicht sagen, dass wir, wenn wir aufwändiges Essen essen, den Menschen in der dritten Welt ihre Nahrung wegnehmen. Viel mehr handelt es sich dabei um eine Folge der unkontrollierten Entkolonialisierung. Durch eine fehlende gesunde Wirtschaft sind die Länder dazu gezwungen ihre regionalen Produkte in die erste Welt zu exportieren.

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» mendacium. » Beiträge: 750 » Talkpoints: 17,61 » Auszeichnung für 500 Beiträge


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