Perfektionismus ausleben oder therapieren?

vom 29.05.2012, 11:33 Uhr

Es gibt Menschen, die sehr perfekt sind und auch sein wollen. Viele bezeichnen so einen Perfektionismus als krankhaft und andere neiden den Menschen so ein Perfektionismus.

Ich kenne einen jungen Mann, der sehr perfekt in seinem Handeln ist und er auch nicht eher Ruhe gibt, als bis alles wirklich perfekt ist. Die Mutter ist sehr stolz auf ihren Jungen, der in diesem Jahr wohl ein perfektes Abi hinlegen wird. Er ist einfach wirklich in allem perfekt. Sein Zimmer ist perfekt und was er anfängt ist auf jeden Fall im Perfektionismus nicht zu übertreffen. Ansonsten ist es ein ganz normaler junger Mann, der mit Freunden unterwegs ist und auf den man sich verlassen kann.

Sein Vater allerdings meint, dass er zu perfekt ist und das schon krankhaft wäre. Sowas sollte man therapieren lassen ist seine Meinung. Wenn man den Jungen sieht, dann denkt man nicht, dass er perfekter ist als andere oder eben anders ist. Er macht auch Unsinn, wenn er mit seinen Freunden unterwegs ist und hat eine Freundin. Aber die ist nicht so perfekt wie er und da gibt es schon mal Reibereien, weil sie doch viel rumliegen lässt.

Denkt ihr, dass man im allgemeinen, (also nicht unbedingt durch mein Beispiel,) Perfektionismus ausleben sollte oder therapieren sollte? Ist Perfektionismus überhaupt eine therapierbare Krankheit? Ist es überhaupt eine Krankheit?

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge



Meine 16-jährige Nichte neigt ebenfalls zum Perfektionismus und ich kann darin noch nichts krankhaftes entdecken, auch wenn ich mir das ganze schon öfter besorgt angesehen habe. Natürlich ergeben sich durch eine solche Charaktereigenschaft gewisse Vor- und Nachteile. In diesem Fall bedeutet es einfach viel Arbeit. Solange derjenige dabei aber nicht zu Schaden kommt, sehe ich darin kein Problem. Im Gegenzug hat man einen recht erfolgreichen Werdegang und Ordnung im Leben.

Besorgniserregend finde ich eher den zwanghaften Perfektionismus, der nicht nur Erfolg in der Schule oder ein aufgeräumtes Zimmer betrifft. Wenn jemand anfängt jeden Tag das Mobiliar auf den Millimeter genau an die Richtige Stelle zu dirigieren, alle 10 Minuten seine Hände wäscht oder gewisse Dinge eben nicht tun kann, da sie mit "unperfekten" nicht klar kommen, wird es auf jedenfall auffällig. Auch das Ausmaß der Reaktion, sollte mal etwas nicht perfekt werden, ist für mich da entscheidend.

Meine Nichte beispielsweise ist zunächst zwar depremiert, sollte sie tatsächlich mal eine Eins minus in der Schule erhalten oder ein von ihr gemaltes Bild, fällt einfach nicht so wie gewünscht aus, aber sie fängt sich sehr schnell wieder und der Ehrgeiz es nächstes Mal einfach besser zu machen, erwacht. Mit Sicherheit ist ein solches Leben auch nicht einfach, sondern harte Arbeit, aber warum sollte man es gleich therapieren müssen?

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» Pikalina » Beiträge: 790 » Talkpoints: 6,08 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Ich persönlich würde mich auch als Perfektionist bezeichnen. Ich sehe diese Eigenschaft aber als Merkmal des Charakters und keineswegs als Krankheit an. Bei mir muss aber auch nicht immer alles perfekt sein, wobei ich doch immer bemüht bin, etwas so gut zu machen, wie es die Umstände eben erlauben. Wenn es um Referate, Plakate und sonstige größere Arbeiten für die Schule geht, bin ich jedoch sehr pingelig und dann muss auch alles stimmen. Ein Beispiel: Wir sollen in Englisch ein Werbe-Plakat, welches so auch in der Stadt hängen könnte, für ein erfundenes Produkt gestalten. Als mein Freund den Hintergrund gestaltet hatte, war dieser etwas ungenau und ich „musste“ es später umgestalten, sodass alles pixelgenau gepasst hat.

Da ich Perfektionismus ja nicht wirklich als eine Krankheit ansehe, halte ich auch eine Behandlung für eher sinnlos. Ich finde, dass man einen Charakter nicht auf Teufel komm raus umbiegen sollte. Man muss einen Menschen eben so akzeptieren, wie er ist. Das gilt auch für den Menschen selber. Hier kommt jedoch der Knackpunkt: Wenn ein Perfektionist sich selbst nicht als perfekt empfindet, kann dies für den Menschen sehr unangenehm sein. Manchmal lassen gewisse Umstände es auch schlichtweg nicht zu, dass etwas perfekt werden kann. Mit dieser Tatsache umzugehen, ist für viele Perfektionisten nicht immer einfach, das kenne ich von mir auch. Ob eine deswegen nun eine Behandlung gerechtfertigt ist? Ich weiß es nicht. Ich würde jedoch behaupten, dass man einfach lernen muss, damit zu leben.

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» Synchro » Beiträge: 1641 » Talkpoints: 0,13 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Ich finde nicht, dass man Perfektionismus an sich therapieren müsse. Perfektionismus ist eine normale Charaktereigenschaft, die recht viele Leute besitzen. Ich zum Beispiel bin vor allem im sportlichen Bereich sehr perfektionismus und muss immer alles geben, damit ich zufrieden bin. Auch das sehen viele als Übertreibung, für mich ist es allerdings normal.

Perfektionismus kann allerdings zu vielen psychischen Störungen führen, die dann therapiert werden müssen. Perfektionismus kann beispielsweise zu Essstörungen führen, da man auch den perfekten Körper haben möchte. Und je nach dem, welches Idealbild man verfolgt, kann das sehr schnell in eine Essstörung führen, die dann auch vom Perfektionismus geprägt ist und therapiert werden muss. Auch viele Zwangsstörungen entstehen aus Perfektionismus heraus, diese sollten auch therapiert werden.

» Max1250 » Beiträge: 827 » Talkpoints: 27,57 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Wieso therapieren? Eine Therapie würde ich allgemein nur anraten, wenn der Betroffene oder sein Sozialleben darunter leidet. Und das scheint ja ganz offensichtlich nicht der Fall zu sein, wenn er eine Freundin, einen gesunden Freundeskreis und hervorragende berufliche Aussichten (Einserabi) hat. Also bei dem jungen Mann scheint doch offenbar alles bestens zu laufen. Die Bezeichnung als "krankhaft" klingt für mich ehrlich gesagt eher nach unterschwelligem Neid... :lol: Ich halte es aber nicht für falsch, hohe Ansprüche an sich selbst zu haben, im Gegenteil.

Es GIBT natürlich krankhaften Perfektionismus im Sinne einer Zwangsstörung. Da bekämen die betroffenen Personen zum Beispiel Schreikrämpfe, wenn die Schuhe nicht exakt rechtwinklig zur Wand (sondern "nur" in einem Winkel von 89°) stehen oder das Gegenüber keine perfekt gebügelten Socken trägt. Aber eine entsprechende Störung würde das Sozialleben zwangsläufig ganz erheblich einschränken.

» arril » Beiträge: 739 » Talkpoints: 10,78 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Wie kommst du darauf, dass Perfektionismus eine Krankheit sein könnte? Das sehe ich nicht so. Wenn sich allerdings ein Perfektionist selbst zu hohe Ziele setzt und diese nicht erreicht und sich damit überfordert fühlt oder krank dadurch werden könnte, dann sollte er sich in eine Psychische Behandlung begeben. Ein Perfektionist muss mit Mißerfolgen umgehen können, sonst wird er krank. Er macht lieber alles selbst, um sicher zu gehen, dass alles perfekt ist.

Perfektionismus, wenn er übertrieben wird, ist therapierbar, aber keine therapierbare Krankheit. Das ist ein Unterschied. Er kann allerdings auch Krankheiten erzeugen wie zum Beispiel starke Kopfschmerzen und Bauchschmerzen. Perfekte Menschen sind mir lieber als oberflächliche. In vielen Berufen gehört der Perfektionismus einfach dazu, sonst könnte es zur Katastrophe kommen. Man denke nur einmal an eine komplizierte Operation. Oder an das Zusammenbauen eines Motorrades. Vergisst man eine wichtige Schraube, kann es ebenfalls zur Katastrophe kommen.

» Cid » Beiträge: 20027 » Talkpoints: -1,03 » Auszeichnung für 20000 Beiträge


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