Dient Literatur zur Selbstbestätigung?

vom 14.05.2012, 22:41 Uhr

In der Einführungsvorlesung zur Erforschung der älteren deutschen Literatur (grob ab 750 n. Chr. bis 1600 n. Chr.) wurde behauptet, dass die Literatur ihren Stellenwert am Hofe innehatte, weil der Adel durch sie Selbstbestätigung erfuhr. Nun weiß ich nicht, welche Gründe dafür in der Regel angeführt werden, aber erstmal erscheint mir diese Behauptung doch recht zweifelhaft. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich für mich persönlich keine oder kaum Selbstbestätigung aus der Literatur bezogen habe. Außerdem scheint mir generell ziemlich absurd, Selbstbestätigung aus der Literatur zu ziehen. Ich denke, da gibt es sinnvollere Wege wie zum Beispiel der Beruf. Wegen ihres fiktionalen Charakters kann sie nicht in erster Linie oder im Besonderen zum Zweck der Selbstbestätigung gelesen werden.

Oder wie seht ihr das? Wie könnte Literatur (gern auch aus heutiger Sicht) selbstbestätigend wirken? Denn wenn sie es nicht kann, gab es Literatur am ritterlichen Hof aus anderen Gründen, die erstmal gefunden werden müssen.

» DieBewusstheit » Beiträge: 66 » Talkpoints: 44,47 »



Ich kann mir das für den genannten historischen Zeitraum allerdings schon vorstellen, heute vielleicht weniger. Ich denke damals war Literatur kein allgemein zugängliches Gut und war den oberen 10000 vorbehalten, die überhaupt in der Lage waren, Literatur zu konsumieren, weil sie in der Lage waren zu lesen oder jemanden zu bezahlen, der lesen konnte. Diese Leute haben wiederum die Künstler gefördert und bezahlt, weshalb ein Schreiberling sicherlich auch so etwas wie ein Prestigeobjekt war. Außerdem wird sich dementsprechend die Literatur mit den "Problemen" und Belangen des Adels beschäftigt haben und weniger mit den Sorgen der kleinen Leute. Die waren wahrscheinlich froh, wenn man sie in Ruhe ließ und sie was zu kauen hatten.

Benutzeravatar

» Bellikowski » Beiträge: 7700 » Talkpoints: 16,89 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


So ganz kann ich es mir nicht vorstellen, wie seinerzeit die Selbstbestätigung durch Bücher kam. Im Grunde müsste der Schreiberling eines Werkes sein Werk auf die Menschen zugeschnitten haben und es dann eben auch so geschrieben haben, dass dort weder etwas kritisiert wurde noch generell etwas Negatives angeprangert würde. Da ich mich aber mit der Antike absolut nicht auskenne, ist diese These eher eine vage Vermutung, aber nicht zwingend passend.

Heute kann man seine Meinung zum Beispiel durch Bücher als Ratgeber selbst bestätigen lassen. Ob es nun um Krankheiten und deren Behandlungsmethoden geht oder auch ganz aktuell um Kindererziehung. Im Grunde kann man sich ja das herausnehmen, das Werk weiter empfehlen, was man ja selbst auch genauso sieht. Bei Romanen hingegen wüsste ich nicht, worin man sich selbst bestätigt sieht. Sicherlich kann man sich mit der einen oder anderen Figur identifizieren, aber letztendlich ist es meist Fiktion und nichts anderes.

Benutzeravatar

» *steph* » Beiträge: 18439 » Talkpoints: 38,79 » Auszeichnung für 18000 Beiträge



Also, man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass Literatur damals (zumindest bis ins Hochmittelalter) etwas für die "Oberen 10000" war. Schreiben konnten gelehrte Adlige (also nicht alle) und der Klerus, der allerdings bis hinunter zum Mönch, der vielleicht nicht unbedingt als den "Oberen 10000" zugehörig bezeichnet werden kann.

Zu Beginn war der Stoff deutscher Literatur ausschließlich höfisch ausgerichtet. Es ging um Begegnungen mit Königen, im Sangspruch wurde immer wieder aufgegriffen, welche Werte einen guten Herrscher ausmachen und häufig waren Ritter die Protagonisten in fiktionaler Literatur. Zu Beginn herrschten Heldenepik (Nibelungenlied) und Sangspruch vor. Sangsprüche waren kurze zwei- bis vierzeilige Reime, später auch Sprüche in mehreren Strophen, mit Reim und Rhythmus. Es wird vermutet, dass sie gesungen wurden (im Gegensatz zu Sprechsprüchen), aber Belege dafür haben wir heute, glaube ich, nicht mehr. Sie waren häufig moralisch wertend angelegt, wobei allerdings der Kern zumindest meistens darin bestand, dass es von Wert ist, großzügig gegenüber weisen Leuten zu sein, die einen über Werte belehren. Danach entwickelte der Epos sich zum höfischen Roman, während sich dem Sangspruch das Minnelied hinzugesellte. Minnelieder thematisierten in der Regel die Beziehung zwischen einer Dame von Hof und einem singenden Ritter. Höfisch Romane handelten von Rittern, die den Hof verließen, um diverse Abenteuer zu bestreiten. Vielleicht hilft das, um sich etwas mehr ins Thema einzufinden.

Warum denke ich jetzt, dass Selbstbestätigung keine primäre Funktion der Literatur war?
Viel Literatur war offensichtlich fiktiv und als solche stark idealisiert. Es ist zu bezweifeln, dass der Hof tatsächlich war, wie er im Roman dargestellt wurde, dafür waren die fiktiven Mitglieder einfach zu gut, zu hübsch, zu mutig. Natürlich war der Hof Schauplatz von Geschichten, die von einem höfischen Publikum gehört und gelesen wurden. Wieviele Filme spielen für uns heutiges Publikum in der heutigen Zeit? Die meisten. Aber ich denke nicht, dass irgendwer ins Kino geht, um sich zeigen zu lassen, wie toll wir leben. Ich denke, die Filme und Bücher, die wir lesen, unterscheiden sich so deutlich von unserem eigenen Leben, dass wir ihre Handlung nicht stark auf unser Leben beziehen. Und Bezug zur gesellschaftlichen Umwelt unseres Lebens rührt daher, dass man mit den Erfahrungen und Eindrücken des Publikums, der Rezipienten arbeiten muss, um etwas unterhaltsam zu erzählen.

» DieBewusstheit » Beiträge: 66 » Talkpoints: 44,47 »



Ich kenne mich mit Literaturgeschichte jetzt nicht wirklich gut aus und mir fällt auf Anhieb auch ehrlich gesagt kein einziges deutsches Buch ein, dass in dem von dir beschriebenen Zeitraum geschrieben worden ist. Wenn man aber davon ausgeht, dass das einfache Volk eher nicht lesen konnte und sich keine Bücher leisten konnte, dann liegt es nahe, dass Bücher zum großen Teil für adlige Leser geschrieben wurden. Wahrscheinlich wurden diese in den Büchern auch entsprechend gut dargestellt und fühlten sich dadurch dann eben in ihrer Rolle und ihrem Platz in der Gesellschaft bestätigt.

Ich denke, dass auch heute Literatur noch eine Art Selbstbestätigung darstellen kann, wobei es dabei allerdings nicht mehr unbedingt um den Inhalt geht. Es gibt ja so bestimmte Bücher, die "man" gelesen haben muss, wenn man als intellektuell, hip, cool oder was auch immer gelten will. Wenn ich also zum Beispiel ein Buch lese, dass gerade der absolute Geheimtipp ist und wenn ich dann das Selbstbild habe, dass ich ein Trendsetter bin, dann bestätige ich das mit meiner Buchauswahl ja.

Benutzeravatar

» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^