Plötzlicher Kindstod - Wie reagiert die Umwelt darauf?

vom 16.04.2012, 21:57 Uhr

Es gibt da so Themen, die man selten mit den Menschen im Umkreis direkt bespricht, weil sie unheimlich Tabubelastet sind. Neulich bin ich auf dem Friedhof gewesen und dort gibt es eine eigene Abteilung für Kinder. Es ist schon alleine wenn man nicht persönlich betroffen ist beklemmend genug, die kleinen Grabsteine zu sehen und die Wehklagen der Eltern zu lesen. Ich kenne auch eine Familie, von der ich prinzipiell weiß, dass eines ihrer Kinder kurz nach der Geburt urplötzlich und unerwartet im Schlaf verstorben ist. Aber ich würde mich nie trauen, dort mal zu fragen wie sie die Zeit da erlebt haben. Ich hätte da zu sehr Angst, alte Wunde aufzureißen. Ich weiß, es gibt nichts schrecklicheres, als ein Kind zu verlieren. Schlimm genug, wenn das Kind nach einer schweren Krankheit verstirbt. Aber so völlig unerwartet?

Mir ist auch klar, dass man den Schmerz vermutlich nicht in Worte fassen kann. Vielleicht gibt es ja hier jemanden, der sich vielleicht nach vielen Jahren stark genug fühlt, über das heikle, extrem traurige und unheimlich Tabu beladene Thema zu sprechen. Habt ihr Erfahrung damit erleiden müssen? Wie haben die Familienangehörigen und Bekannten auf diesen Todesfall reagiert? Hat man euch oder jemanden in eurem Bekanntenkreis dessen Baby plötzlich gestorben ist Vorwürfe gemacht? Ermittelt in so einem Fall die Polizei und wie fühlt man sich da? Woher holt man in so einer absoluten Grenzerfahrung die Kraft diese Zeit zu überstehen, wieder aufzustehen und nach vorne zu blicken und das Leben wieder in Angriff zu nehmen? Bekommt man da Hilfe nur von Therapeuten oder stand in den Fällen auch die Familie hinter den unglücklichen Eltern?

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» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge



Das Kind von einer guten Bekannten ist an plötzlichem Kindstod verstorben. Es ist beim Mittagsschlaf eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Außerdem haben gerade die Großeltern auf das Kind aufgepasst, die sich sehr große Vorwürfe gemacht haben. Die Eltern waren natürlich fertig mit sich und der Welt und auch wenn sie es nie ausgesprochen haben, so hat man manchmal doch gemerkt, dass sie den Großeltern doch Vorwürfe machten. Das konnte man merken, als das zweite Kind dann später auf die Welt kam und die Großeltern dann nicht mehr auf das Kind aufpassen durften.

Das Kind wurde obduziert, so wie es bei allen Kindern, die an plötzlichem Kindstod sterben gemacht wird. Denn es kann ja sein, dass das Kind wegen Erstickung, Gift oder sonst was verstorben ist. Leider gibt es ja sowas auch immer mal wieder. Erst, wenn das Kind durch einen Gerichtsmediziner frei gegeben wird, kann es dann beerdigt werden. Die Eltern können auch gegen diese Obduktion sein, aber dann wird diese gerichtlich angeordnet. Das ist dann auch ein schweres Los, welches die Eltern gezogen haben. Denn der Gedanke, dass ihr Kind aufgeschnitten wird und untersucht wird ist dann auch nicht gerade einfach.

Die Eltern waren dann auch in psychologischer Behandlung und auch in einer Selbsthilfegruppe für "verwaiste Eltern". Dort haben sie über die Geschehnisse sprechen können und Kraft tanken können. Besonders konnten sie auch verarbeiten, dass sie nicht zugegen waren, als ihr Kind verstorben ist. Es war eine sehr harte Zeit und wie die Mutter erzählte, waren in der Selbsthilfegruppe auch einige "verwaiste Eltern" wo die Ehe in die Brüche gegangen ist, weil sie sich gegenseitig Vorwürfe gemacht haben oder mit der Trauer nicht fertig wurden.

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge


Also die Mutter meines Freundes hat durch den Kindstod ein Kind verloren. Sie hat mit mir auch schon oft darüber geredet und obwohl es ja schon mehr als 18 Jahre her ist, erzählt sie immerwieder unter Tränen ihre Geschichte. Außerdem hatte sie auch eine Totgeburt gehabt, was ja auch sehr schlimm ist.

Und es war halt wirklich so gewesen, dass die Kripo kam und alles untersucht hat und die Eltern wie Verbrecher behandelt hat. Und die Frau hat mir gesagt, sie konnte denen gar keine richtige Antworten geben, weil sie ja so unter Schock stand. Die wollten das Baby auch obduzieren, aber der Vater und die Oma waren dagegen. Die Mutter konnte ja gar keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sie sagt auch heute noch immer zu mir, dass sie damit nicht klar kommt. Hinzu kommen dann noch die Leute aus dem Dorf, da hieß es dann, sie sei eine Mörderin, sie hätte das Kind umgebracht. Da leiden die Eltern eh schon schrecklich unter einem solchen Verlust und dann kommen die anderen Menschen mit ihren hirnlosen Gerüchten.

Sie erzählt immer, dass sie ins Zimmer kam um nach dem Baby zu sehen und hat gleich bemerkt, dass es nicht atmet. Hat ihn dann versucht aufzuwecken, aber das Baby hat sich nicht mehr bewegt. Und da ist für sie halt die ganze Welt zusammengestürzt. Und sie selbst hat auch immer die Schuld bei sich selbst gesucht. Heute noch sagt sie manchmal, vielleicht wär es nicht passiert, wenn ich dies oder das anders gemacht hätte. Vorher hatte sie ihm noch irgendwie verboten etwas zu essen, was er gerne mochte, weil er ja schon gegessen hatte und jetzt sagt sie auch immer, dass sie sich dafür hasst, dass sie ihm das verboten hatte.

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» Brini » Beiträge: 543 » Talkpoints: 3,73 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Also wenn ich neugierig wäre, dann würde ich die Familie schon fragen. Also nicht aufdringlich sondern einfach mal fragen ob sie ihre Geschichte erzählen möchte. Oft ist nämlich auch das hinten herum Gerede das schlimme. Und oft sind die Eltern froh die Geschichte von ihrem Kind zu erzählen weil es so irgendwie lebendig bleibt.

Ich habe zwar kein lebendiges Kind verloren, dafür schon zwei in der Schwangerschaft. Und für mich war es schlimm immer zu hören dass dies halt so ist und es ja noch kein Kind war. Mein Mann und ich reden auch heute, wo das ganze doch schon viele Jahre her ist, über unsere zwei Mäuse. Auch habe ich im Schlafzimmer zwei kleine Engel stehen die symbolisch für unsere zwei Kinder sind die nicht bei uns bleiben durften.

Bei einer anderen Bekannten ist der Sohn im Alter von sieben Monaten gestorben, allerdings an einer sehr schweren Krankheit. Von ihr weiß ich auch dass es einfach das Beste ist über das Kind zu sprechen. Man fühlt sich nicht gut nach dem Tod oder der Beerdigung und da ist es egal ob das Kind erwartet oder unerwartet durch den Kindstod stirbt. Es ist ein Teil gegangen den man für immer bei sich haben möchte. Und reden hilft hier sicher.

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» torka » Beiträge: 4376 » Talkpoints: 7,91 » Auszeichnung für 4000 Beiträge



Wir hatten einen solchen Fall vor einigen Jahren gleich zweimal, beide Male waren es Babys. Meine Tante bekam ein Kind und wir erfuhren nur um einige Ecken herum davon. Sie hat sich von der Familie mehr oder weniger isoliert, da sie einen Türken geheiratet hat und meine Großmutter war absolut dagegen, da wollte meine Tante dann anschließend auch mit der restlichen Familie nichts mehr am Hut haben. Wir haben dann aber mitbekommen, dass sie ein Kind bekommen hat und sich von ihrem Mann getrennt hat, sie hatte wieder ein wenig Kontakt zu ihrer Schwester. Soweit alles gut. Nach wenigen Wochen erreichte uns dann die Meldung, dass bei dem Kind wohl tatsächlich Krebs diagnostiziert wäre und wenige Tage danach, bevor wir überhaupt wussten, welcher Krebs und in welchem Ausmaß, war schon alles vorbei und das Kind war tot.

Es wurde dann auch beerdigt und ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich selten etwas so schreckliches erlebt habe, wie das. Ich war schon auf vielen Beerdigungen, Bekannte, mein Opa, meine Uroma, aber noch niemals auf der Beerdigung eines Kindes und das war schon sehr heftig, auch wenn ich das Kind lebend niemals kennenlernen durfte. Ich hatte allgemein auch das Gefühl, dass die Atmosphäre hier deutlich beklemmender und trauriger war, als sonst bei der Beerdigung eines älteren Menschen, der sein Leben eben doch gelebt hat. In Therapie kam meine Tante danach nicht, sie zog bei meiner Tante ein, erholte sich dort einige Monate und anschließend setze sie ihr Studium in Deutschland fort.

In einem anderen mir bekannten Fall geschah es, dass das Kind eines Bekannten Pärchens von uns wenige Tage nach der Geburt verstarb, ohne das man so wirklich wusste, weswegen. Die Ärzte spekulierten über mögliche Ursachen, aber so wirklich sicher war sich am Ende keiner und es half dem Paar natürlich auch nicht großartig weiter. Das Kind war wohl eine Frühgeburt und an sich voll lebensfähig, allerdings sei es wohl noch ein bisschen schwächlich gewesen, musste dennoch nicht in den Brutkasten. Meine Bekannten haben damals relativ schnell wieder den Eindruck gemacht, als dass sie sich erholt hätten, aber ich bin mir sicher, dass dies nur aus Rücksicht auf ihre anderen Kinder war, denn sie hatten noch eine dreijährige Tochter und einen sechsjährigen Sohn. Kinder können eben durchaus ein guter Ansporn sein und bei der Trauerbewältigung helfen.

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


Oftmals zieht sich das Umfeld zurück und distanziert sich sogar meist ein wenig. Wirklich mal nachfragen und das Gespräch über das verstorbene Kind suchen leider die wenigsten, dabei wäre gerade das oft so wichtig für die betroffenen Familien. Natürlich macht es Eltern traurig über das Geschehene und den Verlust ihres Kindes zu sprechen aber gleichzeitig ist es unheimlich "schön", zu wissen, dass sich andere für all das, was da gerade um einen herum geschieht interessieren. Nichts, aber auch wirklich nichts, ist schlimmer als wenn ein solch traumatisches Ereignis quasi totgeschwiegen wird. Und das wird es leider viel zu oft. Man glaubt, man schütze die Eltern indem man sie nicht erneut mit dieser traumatischen Situation konfrontiert aber in der Tat wollen viele Eltern reden, wollen Erklärungen haben oder versuchen eben jene zu finden. Auch gemeinsam mit jemand anderem weinen können, kann ungemein helfen und befreiend wirken. Nichts hilft mehr als eine helfende Hand und das Gefühl, dass da jemand ist, der ihren Schmerz und ihre Trauer verstehen und gemeinsam mit ihnen aushalten kann.

Stirbt ein Kind zuhause und aus unerklärlichen Gründen kommt, wie bei Erwachsenen übrigens auch, die Polizei und die Kripo um die Umstände zu beurteilen. In aller Regel muss das verstorbene Kind obduziert werden, allein das ist für die meisten Eltern eine unendlich schreckliche Vorstellung. Man hat permanent das Gefühl in den Augen anderer Schuld zu sien am Tod des eigenen Kindes und in einem solchen Moment unweigerlich in die Position des "Verdächtigen" gerückt zu werden ist kaum auszuhalten. Schließlich macht man sich ja bereits genug Vorwürfe. Wichtig ist auch hier eine vertraute Person an der Seite zu haben, oft helfen einem Hebammen oder ein Seelsorger ganz gut und einfühlsam durch diese schrecklichen Minuten und Stunden, auch wenn man sich dies in eben jenem Moment so garnicht vorstellen kann.

Das eigentlich Schreckliche ereilt die Eltern doch wirklich oft erst in den Wochen nach der Beisetzung des verstorbenen Kindes. Nämlich dann, wenn man aufgrund mangelnder Gespräche das Gefühl bekommt, das eigene Kind gerät in den Köpfen anderer bereits in Vergessenheit. Normalität ist gut und wichtig, ja. Über das Erlebte reden können aber auch.

» milknhoney » Beiträge: 370 » Talkpoints: 2,98 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Ich habe so etwas zum Glück noch nicht selbst erlebt, aber große Angst davor. Erst wenn man eigene Kinder hat, weiß man wie tief diese Liebe ist und wie groß die Angst vor einem Verlust. Gerade ist meine Kleine 5 Monate alt und die Angst vom plötzlichen Kindstod ist eigentlich immer da.

Ich habe mal gelesen, dass Eltern, die ein Kind wegen plötzlichen Kindstod verloren haben, wesentlich gefährdeter für Selbstmord, aber auch Herzinfarkte, tödliche Unfälle und Krebserkrankungen sind. Das zeigt ja eigentlich, dass die Eltern sehr leiden und eine psychologische Behandlung ein Muss ist.

Eine Bekannte hat ihr Kind am plötzlichen Kindstod verloren und erst als sie wieder schwanger wurde, kam wieder ein wenig Licht in ihr Leben. Es soll kein Ersatz sein, aber das neue Kind hilft ein wenig zu vergessen.

» Anjwin » Beiträge: 360 » Talkpoints: 0,89 » Auszeichnung für 100 Beiträge



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