Kindesmissbrauch - Nach 30 Jahren an die Öffentlichkeit?

vom 25.03.2012, 19:13 Uhr

Ich habe neulich eine alte Zeitung beim Friseur liegen sehen und da wurde gerade von den Kindesmissbrauchsfällen in der katholischen Kirche berichtet. Darüber wurde ja in den Medien ständig berichtet. Ich habe mich damals schon gefragt, warum nach teilweise 30 Jahren so etwas erst an die Öffentlichkeit kommt. Warum haben die Opfer nicht schon eher was gesagt und warum nach so langer Zeit? Sicher kann man das nur verstehen, wenn man selber Opfer ist, denke ich. Aber dennoch macht man sich ja auch Gedanken.

In dem Bericht, den ich gelesen habe wurde auch davon geschrieben, dass die Opfer vielleicht gar keine Opfer sind, sondern sie nur mal in der Öffentlichkeit stehen wollen. Es wurde gemutmaßt, dass die Opfer nicht die Wahrheit sagen und dass die vermeintlichen Täter keine Täter sind, sondern die mutmaßlichen Opfer diese nur in Misskredit bringen wollen. Anders konnte der Reporter sich sicher nicht erklären, dass man erst nach so langer Zeit an die Öffentlichkeit geht.

Wie erklärt ihr euch das, dass manche Opfer erst nach so langen Jahren an die Öffentlichkeit gehen und dann dennoch detailgemäß erzählen können, was geschehen ist, obwohl sie es ja anscheinend all die Jahre verdrängt haben.

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge



Verdrängen bedeutet ja nicht, dass die Opfer von Missbrauch es vergessen haben. Sie haben einfach nur versucht sich auf ihr jetziges, evtl. schöneres Leben zu konzentrieren und nach Vorne zu sehen. Diese Thema wird aber in der letzten Zeit schon immer öfter in der Öffentlichkeit behandelt und die Täter werden auch nach vielen Jahren zur Rechenschaft gezogen. Wenn auch nicht strafrechtlich, aber schon von z.B. der Kirche und der Öffentlichkeit. Vielleicht weckt das in den Opfern die Erinnerungen. Und durch die wiederholte Berichterstattung gewinnen sie evtl. Mut sich auch endlich Gerechtigkeit zu verschaffen. Ich kann mir auch vorstellen, dass es auch nach so vielen Jahren befreiend ist sich endlich auch damit auseinander zu setzten. Vielleicht ist es sogar etwas einfach, wenn man schon etwas Abstand gewonnen hat.

» Naffi » Beiträge: 948 » Talkpoints: -1,22 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Ich denke nicht, dass die Opfer unbedingt alles verdrängt haben. Aber wie sah die Welt denn vor 30 Jahren aus? Wie viele Eltern haben ihren Kindern geglaubt, wenn sie erzählten, der Pfarrer oder ein anderer kirchlicher Angestellter/ Mitarbeiter habe sich an ihnen vergangen? Zu einer Zeit als gerade die katholische Kirche noch als unzweifelhaft da stand.

Ich weiß nicht, wie christlich du aufgewachsen bist. Meine Mutter war nicht sonderlich religiös. Mein Vater ist mit seinem Glauben nie wirklich offen umgegangen. Aber meine Großeltern waren alle sehr gläubig und die Geschwister meiner Eltern zum Großteil auch. Wenn ich vor 30 Jahren meinen Eltern erzählt hätte, der Pfarrer oder ein anderer aus der Kirchengemeinde hätte sich an mir vergangen, mir hätte keiner geglaubt. Meine Großeltern hätten wahrscheinlich getobt. Selbst meine Mutter hätte eher gesagt, ich würde mir das einbilden. Und auch wenn meine Mutter meinem Bruder immer mehr geglaubt hat- auch er hätte mit so Sachen nicht kommen brauchen, ihm wäre nicht geglaubt worden. Weil so was machen Geistliche einfach nicht. Das wäre damals die Antwort gewesen.

Wenn ich ein Missbrauchsopfer aus der Zeit wäre um die es geht und ich hätte damals versucht zu reden und mir hätte niemand geglaubt, wäre das sicherlich sehr schwer gewesen. Aber gerade das nun alles an die Öffentlichkeit kommt, macht anderen Opfern Mut. Zeigt anderen Opfern, dass sie sich das nicht nur eingebildet haben. Zeigt anderen Opfern, dass sie nicht die Einzigen waren. Zeigt anderen Opfern, dass man auch darum kämpfen kann, was Unrechtdes zu vergelten. Es zeigt anderen Opfern auch, dass es doch Menschen gibt, die einem glauben.

Ein wirkliches Verdrängen ist das in den Fällen sicherlich auch nicht immer. Eher ein arrangieren mit dem was vorgefallen ist. Eben weil einem keiner zugehört hat. Oder eben auch, weil man dem damals machtlos gegenüber stand. Denn selbst wenn die Eltern einem geglaubt haben, wie viele Eltern haben damals ihre Kenntnisse über die Vorfälle öffentlich gemacht? Wie viel Eltern hatten einfach Angst oder wie vielen Eltern war damals klar, dass ihre Beschwerden eh nichts bringen, weil man ihnen nicht glauben wird? Einige Eltern haben damals ihre Kinder nach Kenntnisnahme solcher Vorwürfe eben von den betreffenden Schulen oder den entsprechenden Gruppen genommen. Aber die Gründe sind mit Sicherheit in den seltensten Fällen öffentlich genannt worden.

Sicherlich waren damals schon vielen betroffenen Familien klar, dass das nicht wirklich richtig ist. Missbrauch wurde aber generell fast immer grundsätzlich tot geschwiegen. Oder man war einfach generell machtlos. Wäre hätte sich damals getraut gegen die katholische Kirche vor zu gehen? Heute sieht das ein wenig anders aus. Man geht mit Missbrauch anders um. Die katholische Kirche hat heute generell einen anderen Stand als damals. Und man sieht nicht mehr generell Menschen bestimmte Berufsgruppen als unfehlbar (und heilig) an.

Missbrauch hat meistens Einfluss auf den Lebensweg und die Entwicklung. Auch wenn man es den Betroffenen nicht unbedingt immer anmerkt. Hätten deine Eltern dir als Kind geglaubt, wenn du von Missbrauch durch eine angesehene Person berichtet hättest? Von Missbrauch durch jemand, gegen dem man nicht wirklich ankam? Wenn sie dir geglaubt hätten, meinst du, deine Eltern hätten was unternommen? Wenn ja, wie weit wären sie damit damals gekommen? Würdest du dann nicht eventuell die Chance einer Auseinandersetzung heute nutzen wollen? Auch wenn es schon fast 30 Jahre her ist?

» LittleSister » Beiträge: 10426 » Talkpoints: -11,85 » Auszeichnung für 10000 Beiträge



Little Sister hat sehr detailliert beschrieben, warum die Opfer von Missbrauch mit ihrer schlimmen Erfahrung vor 30 Jahren nicht an die Öffentlichkeit gehen konnten. Wenn du dir vor Augen führst, was diese damaligen Kinder erleben mussten, dürfte dir auch klar sein, das ein Kind und später der Erwachsene froh ist, gewisse schreckliche Dinge aus dem Gedächtnis vorübergehend zu verbannen und nicht darüber sprechen zu müssen. Verbannen heiß aber nicht vergessen.

Was sie erlebten, können sie nicht vergessen, auch nicht nach 30 Jahren und deshalb haben sie auch noch jede furchtbare Einzelheit gespeichert. Der Beruf des Reporters ist es, alles in Frage zu stellen. Aber ich finde es schon stark, diese Menschen so hinzustellen, als sagten sie nicht die Wahrheit. Nebenbei können die detaillierten Angaben auch überprüft werden.

» Cid » Beiträge: 20027 » Talkpoints: -1,03 » Auszeichnung für 20000 Beiträge



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