Börse: Spekulation mit Lebensmitteln moralisch verwerflich?
Es wurde eben in den Nachrichten im Radio etwas gesagt, was mich doch zum Nachdenken brachte. Es ging um Lebensmittelknappheit allgemein und auch darum, dass der Weizenpreis wie im letzten Jahr schon wieder gestiegen ist. Der Weizenpreis ist letztes Jahr um 39 % gestiegen und dieses Jahr wohl um die 35 %. Durch den kühleren verregneten Sommer, der nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Ukraine und in Russland war, ist die Ernte wohl den Bach runter gegangen.
Es wurde dann gesagt, dass man an der Börse auf Lebensmittelknappheit setzten sollte, weil die "normalen" Finanzanlagen nicht mehr so ertragbar sind, wie vor einigen Jahren noch waren. Und die Alternative ist eben, dass man auf Lebenmittel setzt. Nachteil ist allerdings, dass, wenn dadurch viel Geld aufeinmal in diesen Markt fließen, dass dann auch ganz automatisch die Preise für Lebensmittel hoch gehen und gerade in den Grundnahrungsmitteln, die ja für jeden erträglich sein sollten steigt dann der Preis enorm.
Wenn ich das alles so richtig verstanden habe, stellt sich mir doch die Frage, wie man überhaupt an der Börse mit Lebensmitteln spekulieren kann. Sollten nicht gerade Grundnahrungsmittel da raus gehalten werden?
Hierbei geht es ganz klassisch um unsere lieben Spekulanten. Sprich ein Spekulant kauft (abstrakt dargestellt) einen Sack Weizen und verkauft ihn direkt weiter. Eigentlich sollte man diese Personengruppe nicht als Spekulanten bezeichnen sondern eher als Zwischenhändler. Natürlich will er mit seinem gekauften Sack Weizen auch ein bisschen Gewinn einfahren. Also kauft er ihn zum Beispiel für 10 Dollar und verkauft ihn zum Beispiel an eine Bäckerei für 15 Dollar. Den Reingewinn von 5 Dollar streicht der Händler ein.
Mit Moral hat das ganze aber eigentlich sehr wenig zu tun. Sondern schlicht und einfach mit Marktwirtschaft. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Wenn nun also durch schlechte Ernten das Angebot sinkt, weil weniger Weizen da ist, dann steigt auf der anderen Seite natürlich der Preis. Als Normalverbraucher kann man den Weizen an den Börsen auch nicht wirklich kaufen, wie man sich das vorstellt. Überall auf der Welt gibt es Lebensmittelbörsen, sprich eine Agrargesellschaft bietet an der Börse ihren Weizen an, irgendein Zwischenhändler kauft den Weizen und verkauft ihn weiter an Handelsketten beziehungsweise an manchmal auch direkt an große Bäckereien, wie zum Beispiel "Kamps" oder ähnliche.
Für die Bauern ist es der einfachste Weg den Weizen und Roggen schnell zu einem halbwegs vernünftigen Preis für sie zu verkaufen, wenn sie über Agrarhandelsgesellschaften ihre Ernte verkaufen. Der Prozess an und für sich ist nicht schlecht. Schlimm ist eigentlich nur, dass sich wieder Zwischenhändler um Zwischenhändler dazwischen hängen muss, und so der Preis natürlich mit jedem erfolgen Handel steigt.
Der Nachrichtenkommentar war auch nicht verwerflich, denn das was ich da raus höre ist nur, dass man sich direkt an die Aktien der Lebensmittelhersteller halten soll, da diese viel Potential bieten. Allerdings ist das Potential immer dann begrenzt, wenn so eine Empfehlung in den Nachrichten kommt. Denn der, der jetzt noch auf den fahrenden Zug aufspringen will, der verliert fast immer. Die Anleger und auch Spekulanten, die ihr Handwerk verstehen werden in dem Moment abspringen, wo diese Aktien nochmal richtig fahrt auf nehmen und so dafür sorgen, dass sich der Preis am Ende wieder reduziert. Das Nachsehen hat immer der Kleinanleger der nicht alles beobachten kann und nur auf Zurufe reagiert. Derjenige verliert wieder Geld.
Schlussendlich hat es nichts mit Moral zu tun, wie die Lebensmittel hier behandelt werden. Man sollte nur in der Regulierungswut, die mal wieder in Deutschland herrscht darüber nachdenken, ob man nicht einen Teil der Zwischenhändler raus regulieren kann, da diese den Preis nochmal deutlich teurer machen, als er so durch die schlechten Ernten schon geworden ist.
Ich muss martin22 da deutlich und entschieden widersprechen. Diamante bestätigt, was ich schon in einem anderen Thread vermutet und angedeutet, aber noch nicht ausgesprochen habe, nämlich das die aktuellen Preiserhöhungen nicht ganz in Ordnung sind. Natürlich sind die schlechten Ernten ein Grund für Verknappung, aber unmittelbar nach der Ernte solle in Industrieländern der Weizen eigentlich noch in Hülle und Fülle vorhanden sein und der Preis deshalb eigentlich erst nach Monaten nach der Missernte steigen.
Für mich betrachtet martin22 das ganze zu sehr auf Deutschland zentriert und blendet dabei aus, dass Deutschland trotz wachsender Armut immer noch ein recht reiches Land ist. Sicher werden die Verteuerung hier einige merken und den Gürtel ein wenig enger schnallen müssen. Aber noch ist die Situation für uns hier nicht bedrohlich.
Betrachtet man aber die Situation in anderen Ländern, dann kann das Urteil über die moralische Komponente solcher Spekulationen eigentlich nur so ausfallen, dass solcher Börsenhandel grob unmoralisch ist. Nehmen wir mal ein ärmeres Land, in dem Weizen aber trotzdem zu den Grundnahrungsmitteln zählt. Mir fällt da zum Beispiel Marokko ein. (Sollte das nicht das beste Beispiel für so ein Land sein, dann tauscht es im Geiste einfach aus, es geht mir hier ums Prinzip und nicht in erster Linie um ein konkretes Land.) Dort isst man zum Beispiel viel Couscous und auch Weißbrot was beides aus Weizen hergestellt wird. In einem Land wie diesem, wo schon viele um das nackte Überleben kämpfen ist das ein lebensbedrohlicher Faktor, wenn ein wichtiges Grundnahrungsmittel so künstlich verteuert wird. Natürlich kann man sagen, dann sollen die einfach auf solche Lebensmittel verzichten und beispielsweise mehr Hirse essen. Letztlich wird aber auch das scheitern, denn wenn die Nachfrage nach Alternativlebensmitteln in so einem Land steigt, werden auch diese sich verteuern.
Vielleicht irre ich mich auch, aber Marokko hat beispielsweise kein Sozialsystem in der Art, wie wir das kennen. Die Leute können da auch nicht wie bei uns einfach so zur Tafel gehen und sich mit subventionierten Lebensmitteln eindecken. Fakt ist, dass dadurch dann Menschen in lebensbedrohliche Lagen geraten und das nur dafür, weil einige Spekulanten gedankenlos solchen Aufrufen folgen und in Nahrungsmittel investieren. Die einen räumen damit mehr Kohle ab als bei anderen Anlagen, die anderen Zahlen mit ihrem Leben und ihrer Gesundheit für die Steigerung des Wohlstands bereits wohlhabender. Ich sehe einfach kein Argument dafür, was daran moralisch integer sein soll.
Auch für die, die nicht dem christlichen Glauben nachhängen, kann ich trotzdem mal die Bibel als Lektüre nahelegen. Auch wenn man nicht daran glaubt, dass sie von Gott kommt, kann man zumindest davon ausgehen, dass in diesem Buch die Menschen damals ihr Verständnis von Recht und Moral aufgeschrieben haben. In der Bibel schon steht, dass Wuchertreiben sündig, also unmoralisch ist. Wenn man eine Ware weit über dem angemessenen Preis verkauft oder dafür sorgt, dass das geschieht, dann treibt man Wucher. Für mich ist auch als gläubiger Mensch mein Urteil dadurch untermauert.
Ehrlich gesagt verstehe ich das Problem dabei nicht, denn in gewisser Weise wird doch schon lange an der Börse mit Lebensmitteln indirekt spekuliert. Beispielsweise die Mehrheit der Firmen und Konzerne die Lebensmittel produzieren sind nun einmal börsennotiert, denn sie sind in der Regel Aktiengesellschaften. Was soll denn daran nun bedenklich sein?
Mit dem Begriff oder besser gesagt mit dem Zustand der Kappheit wird doch an der Börse ständig spekuliert. Es ist doch eigentlich auch sogar ein Prinzip an der Börse das bei Knappheit (große Nachfrage aber wenig vorhanden) nun einmal verkauft wird. Ob nun Lebensmittel oder andere Erzeugnisse ist doch eigentlich dabei völlig egal.
Es geht hier nicht darum, dass die Lebensmittel hier wirklich real verkauft werden. Das ist ein wenig schwer zu erklären. Früher hat man an der Lebensmittelbörse wirklich in Lebensmittelpreise spekuliert und diese dann zum Beispiel als Großhändler erworben und dann verarbeitet oder verkauft.
Heute kann man einfach rein spekulativ in alles Mögliche investieren. Das geht mit Rohstoffen wie Öl, oder mit Gold und eben auch mit Lebensmitteln. Man handelt da total virtuell an der Börse und spekuliert nur auf die Kursentwicklung der Lebensmittel. Man beabsichtigt nicht die Lebensmittel zu kaufen. Man bekommt das Lebensmittel auch nie zu Gesicht. Man kauft eben nur am Computer Aktien, die man dann gewinnbringend weiter verkauft, wenn der Lebensmittelpreis steigt. Und während die echte und materielle Ernte endlich ist, kann man unendlich viele Aktien für ein Nahrungsmittel auf den Markt werfen und so den Preis nach Belieben steigen lassen. De Facto passiert eigentlich gar nichts, trotzdem steigt der Preis.
Au weia. Mancher sieht das aber sehr unkritisch. Das Problem ist, dass die Preise, die sich am Rohstoffmarkt bilden, eben immer weniger das Resultat von Angebot und Nachfrage, sondern Resultat von Spekulationen sind. Inzwischen sind Investmentbanken in großem Stil in den physischen Handel mit Rohstoffen eingestiegen. D. h. Banken halten Tanker, Läger und Kraftwerke und haben direkten Zugriff auf den Rohstoff und damit letztlich auch auf den Preis.
Die Bank verdient dann zum einen mit dem Verkauf von Derivaten an Industrie- und Privatkunden (Termingeschäfte zum Schutz vor Preisschwankungen), hat aber auch physischen Zugriff auf die Ware. Durch das Zurückhalten oder auf den Markt werfen von Ware kann eine Bank dann genau die eigentlich unerwünschten Preisschwankungen verstärken (wogegen sie ihre Kunden ja eigentlich "versichert"). Je größer die Schwankung, desto teurer die "Versicherung".
Gerade im Derivategeschäft werden unglaubliche Summen bewegt, die zigfach größer sind, als das dahinter stehende physische Produkt. Es sind Investmentbanken, Versicherungskonzerne, Pensionsfonds und Hedgefonds, die dort ihr Wesen treiben. Und das zum großen Teil auch noch vollkommen unkontrolliert von gesetzlichen Bestimmungen (in Deutschland u. a. dank Steinbrück und Asmussen).
Es ist inzwischen soviel Geld auf dem Markt, das nach Anlage sucht, dass eben viele auf diesen Rohstoffzug aufgesprungen sind. Einfaches Beispiel: Früher hat ein Bauer seine Ernte schon vor der Saison zu einem festen Preis verkauft. So eine Art Versicherung für ihn, denn es drohen ja immer Wetterkapriolen u. ä. An sich eine gute Sache. Jetzt kommt aber ein Spekulant, kauft diesen Kontrakt, geht also eine Wette ein, dass er das Zeug am Ende teurer verkauft bekommt, bzw. der Weizenpreis bei Ernte höher liegt. Wenn jetzt genug von diesen Investoren kommen, halten die praktisch ganze Jahresernten in den Händen und ziehen dadurch die Preise kurzfristig nach oben.
Oder es läuft so: Es wird mit einer guten Ernte gerechnet, aller rechnen also mit fallenden Preisen. Heute kann man ja auch mit Leerverkäufen Geld machen. Also haben bei solchen Aussichten alle Leerverkäufe abgeschlossen. D. h. sie haben sich Weizen geliehen und das Geliehene verkauft, mit der Absicht die zukünftig gute Ernte billig aufzukaufen um das Geliehene dann zurück zu geben. Wenn dann eine verheerende Dürre dazwischenkommt, eventuell noch ein Exportverbot in Produktionsländern, dann geht der Herdentrieb und die Zockerei los. In Panik wird gekauft, was das Zeug hält und die Preise schießen hoch, obwohl eigentlich genug Läger bestehen, die so einen Ernteausfall ausgleichen können. Weil die Bauern/Händler auch nicht doof sind, lassen die dann sogar ihre Läger zu, weil sie selber an der Spekulation mit verdienen. Sie verdienen so sogar mehr, als mit dem Verkauf der Ernte.
karlchen66 hat geschrieben:Ehrlich gesagt verstehe ich das Problem dabei nicht, denn in gewisser Weise wird doch schon lange an der Börse mit Lebensmitteln indirekt spekuliert.
Nur weil eine Sache schon lange erlaubt ist, heißt das noch lange nicht, dass sie moralisch ist. Ein Beispiel: Schon viel länger als diese Art des Handels erlaubt ist, rüsten sich die Staaten mit Atombomben auf. Trotzdem käme aber keiner auf die Idee, Atombomben als eine gute Sache oder als etwas normales und harmloses zu sehen.
Nur bei Atombomben ist der Fall sehr klar erfassbar und ein moralisches Urteil leicht zu fällen. Wer aber überblickt schon so in allen Einzelheiten, was genau an unseren Börsen so abläuft? Das dürfte inzwischen eine Minderheit sein. Deshalb finde ich den Beitrag von Richtlinie2 so toll, weil sie mit einfachen Worten erklärt, wie der moderne Handel an der Börse mit Rohstoffen funktioniert. Ich möchte da mal auf ihre letzten Sätze Bezug nehmen, dass die am Handel beteiligten dann bei Missernten lieber aus Profitgründen nicht ihren Lagerbestand verkaufen. Das dreht dann natürlich an der Preisspirale, wenn die Ware eh schon knapp ist und noch obendrein künstlich verknappt wird. Da stellt sich mir immer die Frage, ob so ein Handel noch demokratisch ist, wenn er Minderheiten nützt.
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