Was ist eine flexible Grundschule?

vom 02.11.2011, 13:10 Uhr

Vor den Herbstferien war ein Elternabend in der Grundschule der Enkel meiner Freundin. Die Tochter musste arbeiten und konnte nicht dort hin gehen. Sie hat dann in den Ferien eine Mutter gefragt, was bei dem Elternabend denn besprochen wurde. Es war irgendein Mann vom Schulamt da und hat irgendeinen Vortrag über flexible Grundschulen gehalten. Obwohl die Mutter da war, konnte sie aber der Tochter meiner Freundin nicht konkret sagen, was der Mann mit einer flexiblen Grundschule gemeint hat. Nach den Ferien wird sie dann mit der Lehrerin sprechen. Sie ist aber dennoch schon neugierig, was es überhaupt ist. Kennt jemand von euch die flexible Grundschule?

Benutzeravatar

» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge



Bei uns nennt man das Ganze "flexible Schuleingangsphase", gemeint ist aber das Gleiche wie mit "flexible Grundschule". Im Klartext heißt das: Die neu eingeschulten Grundschüler werden nicht mehr in der ersten Klasse separiert, sondern es erfolgt eine jahrgangsübergreifende Altersmischung mit den Schülern der zweiten Klasse. Beide Altersstufen werden in so genannten Stammgruppen meist gemeinsam von zwei Lehrern gleichzeitig unterrichtet. Die Kleinen sollen dabei von den Großen lernen. Frontalunterricht gibt es so gut wie gar nicht mehr, es wird in der Regel nach Wochenplänen und -Bausteinen gearbeitet, die die Kinder von Anfang an selbsttätig abarbeiten sollen.

Den Grundschülern wird es - je nach Lerngeschwindigkeit und Leistung - ermöglicht, die Schuleingangsphase (also erste und zweite Klasse) flexibel in einem, zwei oder drei Schuljahren zu durchlaufen, bevor sie in die dritte Klasse kommen. Ziel dieses Modellprojektes ist es dabei, den immer größer werdenden Unterschied im Vorwissen, welchen die Grundschüler mitbringen, auszugleichen.

Das mag sich in der Theorie ganz toll anhören. In der Praxis kommt es darauf an, unter welchen Bedingungen die Flex organisiert werden soll. Dort wo die räumlichen und personellen Kapazitäten überbeansprucht werden, sodass mehr als 20 Kinder pro Stammgruppe unterrichtet werden sollen, gehen die leistungsschwächeren Schüler m.E. noch eher unter, als im herkömmlichen Schulsystem.

» Doreen82 » Beiträge: 316 » Talkpoints: 7,93 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Doreen82 hat es ja schon erklärt, das es quasi eine Mischung der Schüler der ersten und zweiten Klasse ist und das ein Kind bis zu drei Schuljahren Zeit hat das Wissen dieser beiden Klassen zu erlangen. Das Ganze ist zum Beispiel seit dem Schuljahr 2009/2010 in Thüringen in jeder Grundschule Pflicht. In Sachsen wurde es vor über zehn Jahren mal an einigen Grundschulen getestet und schnell wieder verworfen.

Auch wenn es in der Theorie sehr toll klingt, ist es aus meiner Sicht in der Praxis absoluter Unsinn. Meine Kinder und eben auch ich, haben in einem Schuljahr beide Schulformen kennengelernt und wir waren froh darüber, das man in Sachsen die Klassen so unterrichtet, wie sie zusammengehören. Einzig beim Schwimmunterricht und beim Sport werden Klassen zusammengelegt.

Was mich und eben auch meine Töchter an dieser flexiblen Form gestört hat, war halt das sich die Schulanfänger oftmals von den größeren beim Lernen eher gestört als unterstützt fühlten. Dazu wurde für Deutsch und Mathematik die Gruppe wieder nach den entsprechenden Altersklassen getrennt, so das gerade die Kleinen in drei verschiedenen Lerngruppen ihren Schulalltag meistern mussten.

Es klingt zwar sehr toll, wenn einem vorher in bunten Farben beschrieben wird, das diese Schulform für die Entwicklung von Selbstbewusstsein und Teamfähigkeit sind. Aber dem ist nicht so. Klar klingt es auch gut, wenn es heißt, das man dadurch quasi ein Sitzenbleiben vermeidet. Aber Kinder bekommen doch genau mit, wenn ein Kind nun für die beiden Schulklassen drei Jahre benötigt und Hänseleien bleiben da nicht aus.

Und ich konnte bei meinem Kinder beobachten, das ihr Selbstbewusstsein erst bei der alten Schulform gewachsen ist. Wenn sie quasi mit ihrer Klasse unter sich waren und auch dort gegenseitig geholfen wurde. Denn so etwas kann man eben auch innerhalb einer Klasse fördern.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



Das mit der Altersmischung ist richtig, man muss das aber gründlich von den Dorfschulen von früher unterscheiden. Vorausgesetzt, das Flex-Konzept wird gut umgesetzt, profitieren die Kinder davon, dass es ganz offensichtlich von den Erwachsenen gewollt ist, dass in einer Lerngruppe verschiedene Niveaus vorhanden sind. Natürlich wissen die Kinder, dass es Kinder in der Klasse gibt, die besser sind und welche die schlechter sind. Das will auch keiner verhindern. Aber das Individuelle wird in solchen Klassen zum Prinzip und zum Normal erhoben. Bei den traditionellen Klassensystemen wissen die Kinder ganz genau, dass alle am Ende einer Klasse auf einem Stand sein müssen. Wenn einige Kinder dem nicht entsprechen können, dann ist das für diese noch schmerzhafter, als in der Flex-Klasse. Die traurige Realität in deutschen Klassenzimmern ist eben, dass zur Einschulung teils Kinder in die Schule kommen, die schon fließend lesen und bis 100 rechnen können und teils Kinder, die noch nie eine Schere oder einen Stift benutzt haben. Die traditionellen Klassen sind längst nicht mehr homogen, das ist inzwischen leider nur noch eine Illusion.

Die traditionellen Klassen und die Flex-Klassen sind, was den Erwerb von Schulwissen und nackten Fakten bei den Kindern angeht ebenbürtig. Das haben neueste wissenschaftliche Untersuchungen zumindest für Berlin ergeben. Allerdings sind die Flex-Klassen laut diesen Untersuchungen weit besser, was das Erlernen von Sozialverhalten angeht. Wer weiß, was heutzutage so auf Schulhöfen abgeht, der kann so etwas eigentlich nur begrüßen, wenn die Kinder lernen, menschlich miteinander umzugehen.

Natürlich steht und fällt das alles mit der Umsetzung. In den ursprünglichen Modellprojekten waren auch die Klassen klein und pro Flex-Klasse war auch immer wieder ein Sonderpädagoge mit im Unterricht anwesend. So ist gewährleistet, dass gerade die schwächeren Schüler besondere Förderung erhalten. Natürlich wird so etwas bei knappen Kassen schnell mal eingespart, was sehr schade ist. Ich muss hier auch meinen Vorrednern widersprechen. Im Konzept ist es so angelegt, dass gerade die schwächeren Schüler besonders viel Rückhalt und Förderung erleben. Deshalb ist es für Eltern, die ein eher lernschwaches Kind haben, eine gute Sache das Kind in eine Flex-Klasse einzuschulen.

Auch ganz normalen Kinder kommt das zu Gute, dass in solchen Klassen auf Leistungsunterschiede individuell eingegangen wird und verschiedene Aufgabenschwierigkeiten angeboten werden. Es ist selten so, dass Kinder in allen Fächern gleich gut sind. Da die Lehrkraft sowieso Angebote mit verschiedenen Anforderungsniveaus erstellt wir jedem Kind dann das zugeteilt, was sein Bedarf ist. So ist bei einer guten Lehrkraft sichergestellt, dass sich kein Kind in keinem Fachgebiet langweilt oder überfordert fühlt. So weit die Theorie. Natürlich kann man auch in so einer Klasse eine Lehrerin erwischen mit der die Chemie nicht stimmt oder die nicht so kompetent ist. Aber dieses Risiko trägt man auch, wenn man das Kind in eine traditionelle Klasse einschult.

Auf jeden Fall läuft in solchen Klassen vieles anders ab, als in unserer Schulzeit. Die Mutter sollte auf jeden Fall möglichst alle Elternabende wahrnehmen und engen Kontakt zur Lehrkraft halten. Falls es mit den neuen Methoden Unklarheiten gibt, ist es immer besser wenn man einmal zu viel nachfragt, als wenn man gut gemeint und aus Versehen gegen das Konzept der Lehrerin arbeitet, weil man nicht eingeweiht ist. Es ist auf jeden Fall gut, wenn die Mutter ein klärendes Gespräch mit der Lehrerin sucht, damit sie alles versteht und ihrem Kind gut helfen kann.

Benutzeravatar

» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge



@trüffelsucher Ich will ja deine schöne Theorie oder lieber Illusion (?) nicht kaputt machen. Aber ich habe beide Schulformen bei meinen Kindern erlebt. Und was vorher so toll den Eltern schmackhaft gemacht wurde, kam absolut nicht in der Praxis vor. Alle Kinder einer Altersstufe und Lerngruppe erhielten die selben Aufgaben. Teilweise als Teamarbeit zu zwei Kindern, aber mehr war da auch nicht.

So etwas kann, wenn der Lehrer halbwegs engagiert ist, auch in einer herkömmlichen Klasse umgesetzt werden. Dazu sind die Lernpläne nicht mehr so starr wie vor 20 Jahren, sondern es stehen quasi nur Lernziele, welche erreicht werden müssen. Und zumindest gibt es hier an den Grundschulen Förderunterricht, wo eben dann die Kinder noch eine Schulstunde Mathematik und Deutsch extra zu Verfügung haben, um Wissen zu erlangen.

Dazu wird zumindest in Sachsen auch integrativer Unterricht angeboten, wo eben zeitweise der Intergrationslehrer sich um die Schüler während des Unterrichtes kümmert, welche da eindeutig Unterstützung benötigen. Und wie es auf deutschen Schulhöfen zugeht, liegt nicht an der Unterrichtsform, sondern wie wichtig den Lehrern auch das Vermitteln von sozialen Kompetenzen ist.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


@ Punktedieb:
Ich habe ja nie angezweifelt, dass es unmotivierte oder inkompetente oder unwillige Lehrer gibt. Das Problem ist aber ein Problem, das alle Schulformen und sogar alle Berufe betrifft. Ein begnadeter Lehrer schafft es auch mit eigentlich drögem Frontalunterricht wie zu Omas Zeiten dass die Schüler begeistert an seinen Lippen hängen. Ein Lehrer mit schlechter Performance macht setzt auch noch das innovativste Konzept so mies um, dass es für die Tonne ist. Und ganz abgesehen davon, wenn du lange genug nachdenkst werden Dir sicher auch einige Lehrer aus deiner eigenen Schulzeit einfallen die gut unterrichtet haben und dann auch einige, die nach dem traditionellen Konzept so schlecht unterrichtet haben, dass man sich jedes Mal auf das Ende der Stunde gefreut hat, oder?

Vergleiche es mal mit etwas außerschulischem, mit einem alltäglichen Beispiel wird das vielleicht klarer. Eine Dauerwelle bei einem unmotivierten oder unfähigen Frisör verwandelt selbst eine Frau mit Modelqualität augenblicklich in einen hässlichen Handfeger. Trotzdem kann man daraus nicht schließen, dass Dauerwellen prinzipiell hässlich sind. Eine meisterhafte Dauerwelle von Udo Walz wird nämlich aus jeder durchschnittlichen Frau eine Schönheit machen. Es tut mir für Dich und deine Kinder Leid, dass ihr leider ausgerechnet so ein Negativbeispiel erleben musstet. Trotzdem befürworte ich dieses Konzept, wenn es gut umgesetzt ist, weil ich weiß, dass es klappen kann. Aber in einem gebe ich Dir recht: Man kann auch ohne Flex-Klassen guten Unterricht machen und soziales Lernen ist nicht zwangsläufig daran gebunden.

Ich hatte das Glück, schon gut umgesetzte Flex-Konzepte in Modellschulen live erleben zu dürfen. Es geht also auch in der Praxis anders, wenn die Schule und die Lehrer das können und wollen. Es liegt also nicht am Modell. Deshalb kann es durchaus sein, dass der Unterricht an der Flex-Schule von Diamantes Bekannter handwerklich solide umgesetzt ist.

Benutzeravatar

» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge


Wie du schon gesagt hast, trüffelsucher, alles steht und fällt mit der Umsetzung. Nur leider sind die "normalen" Schulen oft nicht gut genug gerüstet, um mit den innovativen Konzepten und Erfolgen der Modellschulen mithalten zu können. Das liegt kaum daran, dass die Lehrer entsetzlich unmotiviert wären und sich gegen neue Ideen sperren würden, sondern vielmehr daran, dass sie im Vergleich zu den Schülerzahlen unterbesetzt sind und auch die räumlichen Kapazitäten selten ausreichen.

Du hast geschrieben, dass zur Sicherung individueller Förderungen in den Modellschulen Sonderpädagogen mit im Unterricht eingesetzt wurden. Hier in unserer Region werden dafür so gut wie keine Sonderpädagogen eingestellt. Stattdessen werden verstärkt Hort-Erzieherinnen als Doppelbesetzung in den Unterricht geschickt. Natürlich müssen auch sie sich allein schon aufgrund ihres Erziehungsauftrages, der Hausaufgabenbetreuung etc. mit den neuen Unterrichtsformen auseinander setzen. Aber sie werden nicht in die Unterrichtsplanung mit einbezogen, geschweige denn, dass sie entsprechend dem sonderpädagogischen Förderbedarf einiger Schüler zusätzliche Schulungen erhalten. Sie können oft kaum mehr tun, als sich auf einen Schüler mit Lernschwierigkeiten zu konzentrieren und ihn im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu unterstützen. Fällt dann noch der eigentliche Lehrer krankheitsbedingt aus, gibt es höchst selten eine vertretende Fachkraft, sondern der Hort-Erzieherin obliegen Aufsicht und nicht selten die Fortsetzung des begonnenen Unterrichts - und das nicht nur in Nebenfächern, sondern auch in Deutsch oder Mathematik. Das ist doch wohl kaum im Sinne des Flex-Modells, oder?

Hier in unserer ländlichen, aber verhältnismäßig kinderreichen Region sind die meisten Schulen zwei- oder dreizügig. Dabei sind Stammgruppen-Stärken mit bis zu 28 Kindern Alltag. Ich kenne auch Schulen, in denen die Stammgruppen aus bis zu 32 Schülern bestehen. Mit nur einem Fachlehrer und ggf. einem Erzieher können bei solchen Gruppengrößen kaum offene Lernkonzepte realisiert werden. Die Klassenräume, in denen die Schüler in der Regel unterrichtet werden, sind meistens zu klein, es gibt nur selten Ausweichmöglichkeiten. Gerade offene Konzepte verlangen aber nach mehr Platz (Stichworte wie Buchstaben, Wörter und Zahlenräume ganzheitlich und mit allen Sinnen erfassen), als der Frontalunterricht, bei dem die Schüler nur ihre Hefte heraus nehmen und den Anweisungen des Lehrers folgen müssen.

So enden die vorgesehenen freien Lernformen aufgrund der genannten Umstände nicht selten in heillosem Durcheinander, bei dem es dem Lehrer schwer fällt, den Überblick darüber zu behalten, wie sich die Lernstände des Einzelnen entwickeln. Gerade deswegen sage ich, dass lernschwache Schüler in diesem System noch mehr untergehen, als im herkömmlichen. Dort wo die Schwächeren von den etwas Leistungsstärkeren lernen sollen und die Größeren die Kleinen beim Lernen unterstützen sollen, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Sind diese nicht vorhanden, mögen Theorie und Modellversuche im geschützten Raum sich toll anhören, aber die Umsetzung im Alltag muss auf Dauer scheitern.

Ich gehöre nun wirklich nicht zu denen, die sich neuen pädagogischen Konzepten und Ideen gegenüber sperren, im Gegenteil. Die Schuld dafür, dass ein so innovatives Konzept wie die flexible Schuleingangsphase von Eltern wie Pädagogen oft negativ beurteilt wird, liegt einzig bei den Ländern, die zwar gern Neues in ihren staatlichen Schulen einführen, aber nicht in der Lage sind, die für die Umsetzung notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Unsere Kinder sollten aber keine Versuchskaninchen dafür sein, wie man mit möglichst wenig Geld möglichst viele neuartige Lernkonzepte realisieren kann. Wenn man ihnen auf alternativen Wegen das Lernen vermitteln will, muss nun einmal der Rahmen stimmen. Denn nicht umsonst plädieren zahlreiche Schulen trotz einiger Erfolgserlebnisse in Sachen Stoffvermittlung für die Abschaffung der Flex und die erneute Hinwendung zu herkömmlichen Unterrichtskonzepten.

» Doreen82 » Beiträge: 316 » Talkpoints: 7,93 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich beklage das auch schon lange, dass die Bildung gerade an den Grundschulen in Deutschland extrem durch Einsparungen kastriert wird. Was die Folgen angeht, stimme ich Dir, Doreen82 zu. So ein Totsparen ist natürlich auch nicht im Sinn des Flexmodells, da es in keinem Sinn kompatibel zu gutem Unterricht ist.

In einem muss ich Dir aber widersprechen: Heutzutage ist unter den finanziellen Bedingungen auch kaum traditioneller Unterricht gut umzusetzen. Mit Kindern von heute einen guten Frontalunterricht durchzuführen, wenn die Klasse 32 Schüler aufweist, das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Natürlich kann ich die 32 mit entsprechendem Drill vielleicht noch ruhig halten. Aber eine gezielte Individuelle Förderung und Forderung von 32 Kindern gleichzeitig ist so auch nicht möglich.

Mit 32 Kindern oder gar noch mehr Kindern in einer Klasse eine vernünftige Arbeitsathmosphäre herzustellen ist heute sehr schwer, da schon in der Grundschule oft bei den Kindern der nötige Respekt vor dem Lehrer und der Arbeitswille fehlt. Zudem sind, wie schon erwähnt, die Leistungsvoraussetzungen der Kinder so unterschiedlich, dass zwangsläufig immer nur ein kleiner Teil der Schülerschaft vom Lehrvortrag optimal angesprochen wird. Mit so einer großen Klasse im Gleichschritt zu lernen, das ging vielleicht mal zu DDR-Zeiten, wo fast alle Kinder seit der Kinderkrippe die gleichen Bildungsangebote in gleicher Qualität genossen haben und ähnliche Voraussetzungen hatte. Heute ist auch das Illusion.

Ich finde aber auch, dass unsere Kinder keine Versuchskaninchen dafür sein sollten, wie man im 21. Jahrhundert nach dem PISA-Schock aus finanziellen Gründen jegliche Innovation aus den Klassenräumen verbannt und lustig so weiter macht, wie es sich nicht bewährt hat, nur weil das Tradition ist. Von daher finde ich es schade, dass die Eltern sich häufig gegen Innovationen verwehren statt für ihre Kinder das einzufordern, was ihnen zusteht: Genügend eingestellte Lehrer, so dass solche Krankenstände gar nicht zum Problem werden und eine ausreichende Ausstattung mit Räumlichkeiten und Lehrmaterialien und Personal um eine gute Zukunft zu sichern. Aber nach dem PISA-Schock ist bekanntlich vor dem PISA - Schock.

Benutzeravatar

» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge


trüffelsucher hat geschrieben:Ich hatte das Glück, schon gut umgesetzte Flex-Konzepte in Modellschulen live erleben zu dürfen. Es geht also auch in der Praxis anders, wenn die Schule und die Lehrer das können und wollen. Es liegt also nicht am Modell. Deshalb kann es durchaus sein, dass der Unterricht an der Flex-Schule von Diamantes Bekannter handwerklich solide umgesetzt ist.


Und genau da liegt der Unterschied. Eine Modellschule wird es ganz anders umsetzen, als es dann wirklich in der normalen Praxis läuft. Das hat auch weniger mit nicht genügend motivierten Lehrern zu tun, sondern einfach, weil zu wenig Lehrer vorhanden sind.

Du schreibst selbst, das in Flex-Klassen zwei Lehrer sind. Mag bei der Erprobung an Modellschulen so sein. In der Praxis sieht das ganz anders aus und es ist nur ein Lehrer in der Lerngruppe drin. Egal, ob es gerade die Gruppe ist, wo nur eine Altersklasse unterrichtet wird oder ob es die gemischten Altersklassen sind.

Was ich dabei als das größte Problem erlebt habe, ist der geringe Kontakt zum Klassenlehrer. Teilweise haben ihn meine Kinder nur in der Hofpause gesehen, wenn er gerade Aufsicht hatte. Zu wem sollen die Kinder also ein entsprechendes Vertrauensverhältnis aufbauen, wenn sie kaum ihren Klassenlehrer zu Gesicht bekommen?

Ich kann mich noch gut erinnern, wie uns das vor dem Schulbeginn alles schön geredet wurde. Wie toll doch dieses Konzept wäre, weil es eben die Kinder individueller fördern würde. Und es ist rein gar nichts davon eingetreten. Und da ich noch heute Kontakt mit einer Mutter habe, dessen Sohn mit meinen Töchtern eingeschult wurde, sehe ich die Unterschiede ganz klar und bleibe bei der Überzeugung, das diese Flex-Klassen nicht das Nonplusultra sind und andere Bundesländer, trotz altem Schulsystem, wesentlich bessere Leistungen bringen. Auch in der von dir erwähnten Pisa-Studie.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


trüffelsucher hat geschrieben:In einem muss ich Dir aber widersprechen: Heutzutage ist unter den finanziellen Bedingungen auch kaum traditioneller Unterricht gut umzusetzen. Mit Kindern von heute einen guten Frontalunterricht durchzuführen, wenn die Klasse 32 Schüler aufweist, das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Natürlich kann ich die 32 mit entsprechendem Drill vielleicht noch ruhig halten. Aber eine gezielte Individuelle Förderung und Forderung von 32 Kindern gleichzeitig ist so auch nicht möglich.


Da stimme ich mit dir überein. Ich wollte in meinem vorherigen Post auch nur sagen, dass dezentrale Unterrichtsformen bessere räumliche Kapazitäten brauchen. Vielleicht erkläre ich das besser an einem Beispiel. Bei uns ist es gängig, so genannte "Laufdiktate" durchzuführen. Hierzu werden in einiger Entfernung zum Sitzplatz der Schüler kurze Texte an eine Wand im Raum gepinnt. Die Schüler müssen aufstehen, sich Wortgruppen einprägen und versuchen, diese möglichst fehlerfrei zu Papier bringen. Wenn die Schüler aufstehen und sich durch den Raum bewegen sollen, muss doch dafür auch der entsprechende Platz vorhanden sein. Anders ist es, wenn der Lehrer nach dem Frontalprinzip einen Text diktiert, während die Schüler stur auf ihren Plätzen sitzen bleiben müssen. Insofern, dass den Schülern bei frontal ausgerichteten Methoden kaum Bewegungsfreiräume eingeräumt werden müssen, ist dieser Unterricht theoretisch auch unter mangelhaften räumlichen Bedingungen möglich. Gut ist solcher Unterricht in einer vollgestopften Klasse deswegen noch lange nicht, egal wie man es dreht und wendet. Vielleicht habe ich mich hinsichtlich dessen in meinem vorherigen Text auch undeutlich ausgedrückt.

Der Grundidee, den divergierenden Lernständen der Schüler zum Zeitpunkt der Einschulung gerecht zu werden, stehe ich wirklich positiv gegenüber. Es scheint ja kaum noch Schüler zu geben, die man in den Bereich des "guten Mittelmaßes" einstufen könnte. Entweder sie bringen von zu Hause aus Voraussetzungen mit, die die Anforderungen an einen Erstklässler weit übertreffen, oder aber sie bleiben weit dahinter zurück. Dass hier Möglichkeiten geschaffen werden müssen, die Schüler auf ein ähnliches Niveau zu bringen, haben ja selbst die Länder begriffen.

Wo aber die kleineren Schulen geschlossen werden und dadurch das Einzugsgebiet der größeren Schulen massiv vergrößert wird, kann ja gar nicht der nötige Raum und der entsprechende Personalaufwand gegeben sein, um das Ganze vernünftig umzusetzen. Solange hier kein Umdenken stattfindet, werden unsere Kinder leider weiter unter dem Prädikat "Versuchskaninchen" laufen und kaum mehr lernen, als vor der Einführung der flexiblen Schuleingangphase.

» Doreen82 » Beiträge: 316 » Talkpoints: 7,93 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^