Das Schicksal fremder Menschen

vom 29.10.2011, 20:45 Uhr

Ich würde dich auf keinen Fall als gefühlskalt bezeichnen, nur weil dich dieses "Schicksal" nicht berührt hat. Im Fernsehen, vor allem in solchen Sendungen, wird doch alles hochgeschaukelt und schlimmer dargestellt, als es eigentlich ist. Und wenn wir immer mit allen Mitleid hätten, würden wir doch alle mit einem Gesicht wie sieben Tage Regenwetter rumlaufen. Schlimme Schicksale gibt es doch überall. Aber jeder hat sein eigenes Päckchen zu tragen und wo kämen wir hin, wenn wir uns übermäßig Gedanken um das Schicksal Fremder machen würden?

Ich selber habe eher selten Mitleid mit anderen Menschen. Nicht einmal bei Freunden und Bekannten kenne ich immer Mitleid. Als ein Junge aus meiner Schule vor einiger Zeit an Leukämie gestorben war, hat mich das sehr berührt und ich musste richtig weinen, obwohl ich ihn nicht einmal persönlich gekannt hatte. Aus irgendeinem Grund ist mir das sehr nahe gegangen, obwohl ich sonst nicht der emotionalste Mensch bin. Aber das ist auch schon das einzige Beispiel, an das ich mich erinnern kann, wo ich Mitleid mit einem quasi Fremden bzw. seiner Familie hatte. Ansonsten hat mich auch das Schicksal einer sehr guten Freundin richtig berührt: Ihre Mutter ist an Krebs gestorben, als sie sechs war, ihre beiden Tanten haben Selbstmord begangen und ihr Vater hat auch gerade eine Therapie hinter sich. Und sie selber leidet an einer seltenen Lungenkrankheit und wird früher oder später eine Transplantation brauchen. Da frage ich mich, wieso einem so guten Menschen so viel Böses auf einmal widerfahren kann.

Abgesehen von den beiden Beispielen empfinde ich eher selten Mitleid, auch weil ich denke, dass die meisten Menschen kein Mitleid haben wollen.

» Cappuccino » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Ich habe das Supertalent nicht gesehen und kann daher zu dem was dort gezeigt wurde, nicht viel sagen. Es gibt sicherlich viele Kandidaten dort, die ein schweres Schicksal hatten und noch haben. Was mich daran einfach stört ist die Tatsache, dass die Fernsehsender genau diese Schicksale herauspicken und noch mehr dazu machen. Diese Sender sind ihrem Publikum verpflichtet und sorgen dafür, dass ordentlich auf die Tränendrüsen gedrückt wird. Je mehr, desto besser. Ein Tränenstrom, der die Wangen herunterläuft ist besser, als eine einzelne Träne, die man sich mit dem Taschentuch wegputzt. Diese Erzählungen berühren auch mich. Doch ich versuche abzuwägen, was echt ist und was dazu gemacht wurde. Jedes einzelne Schicksal der Kandidaten wird groß herausgestellt, auch wenn es den Kandidaten oft nicht recht ist. Das Publikum wird so animiert, für diese Menschen zu stimmen, auch wenn andere besser sein sollten. Dazu muss dann noch eine Geschichte erfunden werden.

Ich habe Mitleid und kann das auch nicht so einfach abstellen. Nur hält sich das in Grenzen. Wo ich helfen kann und es gewünscht wird, tue ich es. Aber irgendwo geht es nicht weiter – es gibt Grenzen – die man nicht überschreiten sollte in eigenem Interesse. Aber wenn ich hier in einem Beitrag lese, dass Blindheit nicht zum heulen ist, wünsche ich der Beitragserstellerin diesen Zustand mal für vier Wochen oder wenigstens eine Woche auszuprobieren, damit sie ihre Worte überdenken kann. Mich berührt solch ein Schicksal sehr. Die Betroffenen müssen sich damit abfinden, weil sie keine andere Möglichkeit haben, aber muss man deshalb so etwas schreiben? Das zeugt wirklich von großem Egoismus und Desinteresse an anderen Menschen nach dem Motto: Was interessiert mich das Leid anderer Menschen, Hauptsache mir geht es gut.

Ich bin wahrscheinlich jemand, der zu viel Mitleid mit anderen Menschen hat. Aber deshalb würde ich dich, Diamante, nicht als gefühlskalt bezeichnen. Es ist so, dass man sich nicht mit jedem fremden Menschen befassen kann. Emotional kann keiner das alles verkraften. Es gibt einfach zu viel Leid und Elend, da stumpft man auch gegen Fremde ab. Das ist verständlich. Aber es gibt auch genug Menschen, die mit ihrem schlimmen Schicksal prahlen und dadurch Mitleid erhaschen wollen. Dagegen bin ich allerdings immun.

@benutzer 7, die Arie des koreanischen Supertalent-Kandidaten hat auch mich mitgenommen. Ich bin erstaunt, wie man so schön und einfühlend singen kann vor einem großen Publikum, ohne Gesangsschule. Danke für den Hinweis.

» Cid » Beiträge: 20027 » Talkpoints: -1,03 » Auszeichnung für 20000 Beiträge


Ich schätze, dass dieses Verhalten ganz normal ist. Ich denke auch nicht, dass jeder vor dem Fernseher bei DSDS geweint hat. Bei diesen Sendungen wird gerne auf die theatralische Tränendrüse gedrückt - und die Leute im Publikum bekommen hier halt die volle Breitseite zu spüren. Sie müssen sich dieser Person nähern. Manche können sich dann noch abschotten, andere wiederum verfallen der Medien-Trickkiste. Aus psychiologischer Sicht könnte ich mir vorstellen, dass man, wenn man direkt in der Masse sitzt und die Person auch noch so im Rampenlicht gestellt wird, sich mit dieser auseinandersetzt und diese somit auch keine völlig Fremde mehr ist. Daher fangen dann, so ist jedenfalls meine Meinung, viele Menschen an zu weinen. Sie werden ja in gewisser Hinsicht gezwungen, sich mit diesem Menschen auseinander zu setzen.

Das hat man vor dem Fernseher halt nicht und daher würde ich Dich in der Situation auch nicht als Gefühlslos bezeichnen. Du hast nur eine gesunde Distanzierung aufgebaut. Und das ich auch völlig normal. Jeder geht damit halt anders um, aber sobald Du in Deinem Freundes- oder auch Bekanntenkreis Gefühle zeigen und Hilfe anbieten kannst, ist das doch auch schon in Ordnung. Wenn ich mich für jeden Menschen und jedes Schicksal "interessieren" würde, dann würde ich mich wahrscheinlich selbst aufgeben. Man muss hier leider auch abschalten können. Was bei uns in der Gesellschaft nur leider etwas zu krass exerziert wird. Ein wenig mehr Mitgefühl könnten manche schon mal zeigen.

Aber die Leute, die da im Publikum weinen, sind nicht die Leute, die mit anpacken und helfen. Das machen dann wiederum die emotional Stabilen. Die Leute, die nicht bei jedem Schicksals-Schlag weinen. Meine Meinung mag hart klingen, aber ich habe das halt schon des Öfteren so erlebt. Daher würde ich bei Dir sagen, Du hast ein gesundes Selbstwertgefühl und setzt Deine Energie im richtigen Moment ein!

» Humpen2020 » Beiträge: 356 » Talkpoints: 0,63 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich finde es sehr verständlich, dass du nicht direkt mitleidest, wenn du ein scheinbar tragisches Schicksal in einer Fernsehsendung siehst, bei der vermutlich ohnehin fast alles getürkt ist. Solche Geschichten werden doch für das Fernsehen besonders aufgebauscht und es würde mich auch nicht wundern, wenn dieses ganze Krankheitsbild komplett frei erfunden wäre, um noch ein paar sentimentale Seelchen vor den Fernseher zu locken und ihnen Sympathie und Mitleid für den vom Schicksal schwer gebeutelten Menschen zu entlocken. Ich schaue mir solche Sendungen nun überhaupt nicht an, allerdings würde ich, wenn ich mir so etwas ansehen würde, sicher auch kein Mitleid mit den dargestellten Personen haben.

Grundsätzlich bin ich nicht der Typ, der mit anderen Leuten mitleidet oder wegen des Schicksals anderer Personen selbst weint. Ich bin allerdings insgesamt kein großer Menschenfreund und somit ist mein Mitleid Menschen gegenüber doch recht gering. Schicksale von Tieren berühren mich hingegen sehr, gerade wenn sie von den Menschen ausgebeutet und gefoltert werden (zum Beispiel in Laboren, in der Viehzucht oder auch im Zirkus). Dagegen sind die Probleme der (meisten) Menschen in Deutschland wirklich lächerlich. Natürlich wäre es schlimm für mich, selbst ein schweres Leben zu haben und wenn ich blind wäre, wäre mir mein Leben aus jetziger Sicht auch nichts mehr wert. Da wäre ich lieber taub oder gehbehindert. Ich würde aber selbst kein Mitleid wollen und ich denke auch, dass man selbst nicht immer mit anderen mitleiden kann und sollte. Wenn ich jemanden sehe, der ein schweres Schicksal hat, zum Beispiel weil er wirklich sehr krank und noch dazu arm ist und in einem menschenverachtenden System lebt, bin ich einfach nur froh, dass ich in Mitteleuropa lebe, gesund bin und eine Krankenversicherung sowie einen gefüllten Kühlschrank habe. Gerade hier in Europa werden auch oft Probleme als schweres Schicksal angesehen, die in anderen Teilen der Welt gar nicht erwähnt werden.

Wenn es jemandem in meinem direkten Umfeld sehr schlecht geht, bin ich gerne für denjenigen da. Allerdings leide ich auch dann nicht mit der Person, selbst dann nicht, wenn es mir tatsächlich Leid tut, dass es demjenigen schlecht geht. Ich weine auch nicht mit, davon hätte der andere ja auch nichts. Ich suche lieber mit demjenigen gemeinsam nach echten Lösungen oder stehe ihm einfach bei. Von einem zusätzlichen weinenden Menschen haben beide nichts. Ich habe auch überhaupt nicht das Bedürfnis, dann zu weinen. Allerdings sage ich es den Leuten auch, wenn sie gnadenlos übertreiben. Eine gescheiterte Beziehung, einen Todesfall, den Verlust des Arbeitsplatzes oder ein kaputtes Auto muss man auch mal überwinden und sich nach einer Lösung umsehen anstatt in der Vergangenheit zu hängen und dieser hinterherzuheulen.

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» Cologneboy2009 » Beiträge: 14210 » Talkpoints: -1,06 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Ich muss auch zugeben, dass ich eigentlich nicht viel Mitleid für fremde Menschen haben. Dabei ist es recht uninteressant, ob es sich um Menschen in einem TV-Format handelt oder im Bekanntenkreis. Ich habe eigene Dinge im Leben zu regeln, sodass ich nicht für jeden mein Mitleid aussprechen kann. Zudem gibt es oftmals auch Schicksalsschläge auf der Welt, die weit aus schlimmer sind, nur damit ging z.B niemand ins TV.

Wenn es sich natürlich um meine Freundin, meine Frau oder Verwandte handelt, habe ich schon ein Mitleidsgefühl, jedoch kann auch hier die Grenze vorhanden sein. Ich bin nicht so besonders darauf fixiert Menschen mit Mitleid zu zuschütten, weil ich einfach denke, das Mitleid keinem Menschen weiterhilft.

» paddelfisch » Beiträge: 655 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Bei mir kommt es irgendwie doch darauf an, um wen es sich handelt. Wenn es so ist, dass mir Kunden in der Apotheke, auch wenn ich sie nicht oder kaum kenne, ihre Geschichte oder von ihren Schicksalsschlägen berichten, dann bekomme ich schon Mitleid. Auch wenn ich dann nicht helfen kann, so kann ich wenigstens zuhören und den Menschen geht es auch danach schon etwas besser. Bei solchen Szenen im Fernsehen empfinde ich allerdings auch absolut kein Mitleid. Ob das nun daran liegt, dass die Leute, die die Geschichte erzählen, nicht direkt vor mir stehen, kann ich nicht sagen.

Aber es wird auch daran liegen, dass ich solche Geschichten im Fernsehen einfach nicht glaube. Gerade bei solchen Sendungen, wie oben beschrieben, geht es ja darum, von der Jury gute Bewertungen zu erhalten. Dann werden solche Geschichten sicher auch schon mal ausgepackt, um einen Mitleidsbonus zu erhalten. Es scheint ja auch zu funktionieren, wenn in der Jury schon die Tränen flossen. So etwas regt mich eher auf, dass jemand nicht mit fairen Mitteln gewinnen kann, als dass ich bei solchen Geschichten Mitleid empfinden würde.

» Barbara Ann » Beiträge: 28945 » Talkpoints: 58,57 » Auszeichnung für 28000 Beiträge


Ich denke schon, dass das irgendwo auch eine Schutzfunktion ist, jedenfalls nichts, wofür du dich rechtfertigen musst, glaube ich. Ich kann darüber auch nicht wirklich urteilen, ist ja nun jedem selbst überlassen, wie er mit solchen Dingen umgeht.

Ich persönlich finde die Geschichten schon traurig, aber ich weiß auch, dass RTL ja grundsätzlich nach solchen Geschichten fahndet, um noch mehr Aufmerksamkeit zu erlangen. Ich meine, den Leuten mag es wirklich schlecht gehen und das ist schlimm, aber RTL nutzt sie als Mittel zum Zweck, das kann ich nicht für gut heißen.

Momentan gehts mir gerade in meinem Berufsleben so, dass ich merke, dass ich zu viel teilnehme am Schicksal anderer. Ich arbeite zur Zeit auf der Onkologie und die ganze Station liegt voller mir unbekannter Menschen, die alle wie die Fliegen wegsterben, einer nach dem anderen. Es ist wie in der Geisterbahn, sowas hab ich mir bislang nicht vorstellen können.

Da liegt eine Frau, die war vor drei Wochen fit und jetzt kam ich wieder und auf einmal heißt es, sie wird demnächst sterben. Sie hat auf einmal den ganzen Bauch voller Wasser, sieht aus wie hochschwanger, sie ist gelb-grau, sie erbricht Stuhl. Und dabei dachte sie, sie würde wieder gesund werden. Sie hat mich noch gefragt, ob sie Leim mit ins Krankenhaus bringen könne. Vor drei Wochen hätte man das auch nicht erahnen können, dass das so schnell gehen wird. Sie hat die Ärztin noch gebeten, die Chemos nicht auf die Wochenenden zu legen und nun kam es zu keiner einzigen Chemo. Das ging so bergab.

Ja was soll ich sagen, ich habe keine Ahnung, wer die Frau eigentlich ist, was sie macht, was sie arbeitet, wie sie lebt, wie alt ihre Kinder sind, was sie denkt, was für ein Mensch sie außerhalb des Krankenhauses ist, aber mich nimmt das ungeheuer mit. Ich könnte mich dazusetzen und heulen und nie mehr aufhören.

Es wäre gut, wenn ich abschalten könnte und mich das alles nicht treffen würde, aber auf dieser Station geht das für mich nicht. Es liegt ein Schicksal neben dem anderen und jeder ist mal an der Reihe mit Sterben, lange dauerts bei keinem mehr, keiner wird die Station nochmal gesund verlassen, auch wenn er darauf hofft. Und alle zusammen sind sie völlig fremde Menschen, aber mir tut das weh, als wenn sie alle meine Familie wären.

» Mandragora » Beiträge: 1763 » Talkpoints: 0,49 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Da mein Mann und ich so gut wie kein TV schauen, bekomme ich solche Sendungen zum Glück erst gar nicht mit. Alle wichtigen Nachrichten bekomme ich tagsüber aus dem Radio mit, was bei mir dauernd eingeschaltet ist. Und sicher kommen da auch Nachrichten über Schicksalsschläge mir völlig unbekannter Personen. Aber da man sie nur hört und nicht sehen kann, kommen sie eben nicht immer so theatralisch und gespielt rüber, wie das im Fernsehen der Fall ist.

Ich nehme Anteil an den Schicksalen meiner Freunde, Bekannte und Verwandten, gar keine Frage. Aber fremde Schicksale berühren mich meist nicht so sehr, dass ich weinen müsste oder denk: oh nein, wie schrecklich. Sicher, man hört sich das an, denkt vielleicht auch "Zum Glück bin ich nicht betroffen". Aber dass es mich so sehr beschäftigt, dass ich nicht mehr schlafen kann oder den ganzen Tag an nichts anderes denken könnte, kann ich nicht behaupten. Da hätte ich auch viel zu tun, wenn ich mich dauernd um die Schicksale fremder Menschen kümmern wollte. Wo ich doch selbst auch genug Probleme zu bewältigen habe.

So war ich selbst letztes Jahr beinahe ein halbes Jahr krank und habe dann auf Reha einige Menschen kennengelernt, die noch kranker waren, als ich. Und ja, an deren Schicksal habe ich teilgenommen, weil es ja dann nach einer Weile keine fremden mehr waren und außerdem hatten wir einen gemeinsamen Nenner - unsere Krankheit. Da lernt man sich von einer anderen Seite kennen, und manche Probleme rücken einfach dann nach hinten. Da interessiert man sich doch mehr für seine Krankheit, als für die Zipperlein mancher B-Prominenten im Fernsehen.

Ich sage nicht, dass ich durch meine Krankheit damals abgestumpft bin, aber ich weiß einfach, dass mein Schicksal, oder dass meiner Freunde um Längen das von wirklich Fremden überwiegt. Was interessiert mich, wenn im Fernsehen lang und breit von Prominenten (oder welchen, die es werden wollen) mit Krankheiten oder ähnliches berichtet wird. Mit denen habe ich nie etwas zu tun. Da sind mir die Menschen in meinem direkten Umfeld lieber. Da kann ich helfen, zuhören oder einfach nur da sein, wenn man gebraucht wird. Und ich kann sicher sein, dass es nicht nur gespielt ist, um irgendwas zu gewinnen oder Quoten zu erzielen. Auch wird das Schicksal dann nicht in der Mittagspause bei der Bild-Zeitung breit getreten oder ausgeschlachtet, und Profit damit erzielt.

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» P-P » Beiträge: 3246 » Talkpoints: 1,58 » Auszeichnung für 3000 Beiträge


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