Deutungshoheit im Angesicht von Krisen
Was geht mir das auf den Keks. Immer wenn irgendwo ein Auto brennt oder irgendwelche Verwirrten mit Feuer spielen, scheint das in vielen einen Reflex auszulösen; Das waren die Linken, das waren Linksextremisten, das ist linker Terror. Und prompt tauchen dann wieder irgendwelche Terrorexperten im Fernsehen auf.
V. a. seitdem BinLaden&Co. irgendwie Geschichte sind und ohnehin keiner mehr an den Sinn dieser Kriege, Friedensmissionen, humanitären Einsätze, Brunnenbauaktion u. ä. in Irak und Afghanistan glaubt, mangelt es ein wenig an öffentlicher Angst und Feindbildern. Obwohl, so ganz stimmt das nicht. Weltweit hat sich im Verlauf von Finanzkrisen Kritik am herrschenden System, am Kapitalismus, an der zunehmenden Ungleichheit, an den herrschenden 1% erhoben, die sich langsam zu formieren scheint. Sogar in Deutschland hat es immerhin eine linke Partei wenigstens bis zur Wahrnehmungsgrenze geschafft (um sich gleich wieder selbst zu zerlegen) und eine Piratenpartei macht sich auf, ungewisses Terrain zu erobern. Da weiß man noch nicht so, wie man die einordnen soll. Zudem hat die Spezies des Wutbürgers das schwarz, rot, goldene Licht unserer Welt entdeckt. Und dann sind da noch die "Revolutionen", die sich im Mittleren Osten und Nordafrika abspielen. Die Reichen, die Mächtigen, das Kapital, das scheinen plötzlich die Feindbilder zu werden. Was ich mit diesem wilden Gebräu andeuten will: Falls es einer noch nicht bemerkt hat, es brodelt und das im Großen und im Kleinen. Die Zeichen drehen sich überall ein wenig in Richtung Sturm.
Zurück nach Kleinkleckersdorf. Erinnern wir uns die Brandanschläge auf Autos in Berlin. Die gibt es seit Jahren. Und auch dieses Jahr fiel ganz besonders auf, wie schnell wieder die Deutungshoheit übernommen wurde. Es seien die Linken, nein Linksextremen. Aber woher wissen die das? Der Statistik nach ist es fast jeder 2. Brand, der der linken Gewalt zugeordnet wird. Näher nachgefragt kam dann raus, dass man eigentlich kaum was wisse, weil es selten Bekennerschreiben gäbe. Wenn ein verärgerter Hartz IV Kunde aus Wut ein Auto anzündet, dann ordnet man das linker Gewalt zu. Selbst wenn ein 5er BMW brennt muss das doch linke Gewalt sein. Weil grundsätzlich der Staatsschutz die Fälle in Berlin bearbeitet, zählt man alles erstmal auf diese Weise, außer man kann das ausdrücklich ausschließen. Kein Wunder, dass die Zahlen linker Gewalt dann so hoch sind.
Jetzt gibt es Anschläge auf die Bahn in Berlin und ein äußerst obskures Bekennerschreiben. Eine linksextreme terroristische Gruppe habe sich bekannt. Dabei wird die Nummer sogar in linken Kreisen mehr als belächelt. Was die linksextremen Terroristen da bemängeln, wird im Grunde für miefiges, bürgerliches Gejammer gehalten. Aber auch hier: Sofort wurde die Deutungshoheit übernommen: Linksextremer Terror. Sogar die RAF wurde aus dem Archiv bemüht.
Zurück in die weite Welt: Noch ein Fall von Deutungshoheit spielt sich gerade in der Beziehung USA-Iran ab. Obwohl man auch nach Wochen so gut wie nichts wirklich weiß, hat man uns ein filmreifes Szenario als Wahrheit verkauft, was ein wenig an die Geschichte mit den Massenvernichtungswaffen oder die Brutkastenlüge im Irak erinnert. Da werden klar definierte Feindbilder präsentiert und zum Abschuss freigegeben. Die Muster ähneln sich. Alles immer frei nach dem Motto: Irgendwas bleibt immer hängen.
Und noch etwas fällt immer wieder mal auf. Kaum erhebt sich konkreter bürgerlicher Protest (Staatstrojaner, Occupywallstreet) und die mediale Aufmerksamkeit wendet sich diesen Themen zu: Zack! Schon gibt es Brandanschläge, Linksextreme, Terrorwarnungen. Das Muster: Deutungshoheit wird übernommen, die mediale Aufmerksamkeit wird abgelenkt, ganz egal wie abstrus die Geschichten sind.
Man sollte sich also nicht so einfach mit denn schnell präsentierten Feindbildern und Stammtischparolen zufrieden geben. Wen hatten wir nicht alles in den letzten 10 Jahren? Rentner, Hartz-IV Empfänger, den Islam, die Achse des Bösen, die Linken, die Griechen, den Iran. Und dabei muss man sich nur mal fragen, wem das alles sehr nützlich war? Junge, Junge, was für eine Zeit. Man sollte nicht in Verschwörungstheorien verfallen, aber immer schön kritisch bleiben. Vor allem dann, wenn welche besonders laut schreien: Haltet den Dieb!
Eine wirkliche Deutungshoheit gibt es ja eigentlich nicht. Zwar werden Sachverhalte gerne von der Politik dargestellt. Aber die vierte Macht im Staate sollte hier dem Volk helfen, diese Sachverhalte eben aus verschiedenen Perspektiven zu sehen, so dass sich eben jeder im Volk sein eigenes Bild machen kann. Wenn tatsächlich den fraglichen Sachverhalten auf den Grund gegangen wird, könnte das schon klappen und entlarvend wirken. Leider ist das aber nur Theorie. Und selbst wenn dann mit Hilfe der Öffentlichkeit dreisteste Lügen enttarnt werden, hat das eigentlich nie entscheidende Konsequenzen zur Folge. Ein Abtritt Guttenbergs zähle ich nicht unbedingt zu einem Erfolg. Schließlich hat sich so niemand die Mühe gemacht, eine Erfolgsbilanz des beliebtesten deutschen Politikers aufzustellen. Aber das ist ein anderes Thema.
Bei den Anschlägen in Berlin ist man sich ja überall schnell einig geworden, dass es die Linken gewesen sein müssen. Es ist ja auch sogar schon von Linksextremismus, ja sogar schon von Linksterrorismus die Rede. Dazu hätte es ja noch nicht einmal ein Bekennerschreiben gebraucht. Und im Falle der brennenden Autos gab es so ein Bekennerschreiben auch gar nicht. Es wird dann völlig verkannt, dass es in der echten linken Szene durchaus echte Debatten über die Legitimität solcher Taten gibt. Und das auch darüber diskutiert wird, dass die Urheber hier in den Fällen schlicht Spinner gewesen sein könnten. Ohne Rückhalt in der sog. (extremen) Linken und ohne echten linken Bezug!
Leider, und davon bin ich überzeugt, finden diese Taten ganz sicher ihren Niederschlag in den Polizeistatistiken und in Verfassungsschutzbericht. Und zwar genau als das, als was sie im Moment bezeichnet werden: linksextreme Gewalttaten! Und bei der Menge der Taten explodiert die Zahl der linksextrem motivierten Gewalt in der Bundesrepublik so extrem, dass man meinen könnte, kurz vor einer Revolution zu stehen.
Wenn hingegen eine Gruppe (oder gerne auch nur einer) von gewaltbereiten und polizeibekannten und sich rechtsextrem bekennenden Skinheads ein treffen von Rechtsextremisten (sei es ein Konzert oder nur ein Kneipengang oder eine private Party) verlassen und dann im Anschluss einen Ausländer (oder jemanden, den sie dafür halten) verprügeln, ist das eigentlich immer ein normales Gewaltdelikt. Rechtsextremismus spielt in so eine Fall keine Rolle. Es wird höchstens Bezug auf den Alkoholkonsum der Täter genommen. Ebenso ist jede Schmiererei mit linken Parolen eine Straftat aus dem linksextremen Spektrum (linke Gewalt, Sachbeschädigung), wohingegen das Schmieren von Rechtsextremen Parolen auch wieder nur als Sachbeschädigung gewertet werden.
Diese Hoheit der ersten Deutung haben nun mal die Behörden und hier vermute ich eben eine entsprechende Grundeinstellung. Und weil sich diese reproduziert, ändert sich einfach nicht viel über die Zeit! Schließlich wird in den jeweiligen Behörden und Institutionen niemand in eine Führungsposition gebracht, der sich signifikant von der aktuellen Leitung unterscheidet. Daran hat weder ein Otto Schily (Ex-Linker und RAF Anwalt) noch ein Joschka Fischer (Ex-Autonomer Steinewerfer) was ändern können - eigentlich haben sie sogar eher noch das getan, was sich ein Herold einst erdacht hatte.
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