Ist ein Coming Out notwendig oder längst überholt?

vom 02.09.2011, 10:05 Uhr

Ich möchte heute mal wieder das Thema der Bi- und Homosexualität ansprechen. In der heutigen Gesellschaft, in der wir leben, gehört die gleichgeschlechtliche Liebe schon fast zum Alltagsleben. Prominente Stars und Sternchen outen sich, in Musikvideos sind sich küssende Frauen die Zuschauermagneten und fast jeder hat mindestens eine/n Homosexuelle/n im Bekannten- oder Freundeskreis.

Auch ich weiß schon immer, dass ich Frauen gegenüber keinesfalls abgeneigt bin. Die ersten ernsthaften Anbandlungsversuche gab es für mich allerdings erst innerhalb des letzten halben Jahres nach meinem Umzug vom Dorf in die Großstadt. Zuvor war ich immer mit Männern zusammen, meine Eltern zum Beispiel wissen also nicht, dass auch Frauen durchaus meinem Beuteschema entsprechen.

Die Frage, mit der ich mich nun beschäftige, ist die des Coming Outs. Ein großer Begriff, der eigentlich meint, in die Öffentlichkeit oder zumindest in die Familie hinein zu schreien: "Ich stehe auf Frauen!". Ich glaube nicht, dass meine Eltern damit ein Problem haben würden, das möchte ich hier auch gar nicht zur Debatte stellen. Die Frage ist: Ist ein Coming Out in der heutigen Zeit überhaupt noch notwendig oder längst überholt?

Wenn Homo- oder Bisexualität zum Alltagsleben gehört, warum soll man sich dann noch so in den Mittelpunkt stellen und aller Welt von seiner Neigung erzählen? Ein Heterosexueller würde wahrscheinlich nicht auf die Idee kommen, zu seinen Eltern zu gehen, um ihnen zu beichten, er sei heterosexuell. Warum also sollte man das im Falle der gleichgeschlechtlichen Liebe tun, wenn man doch möchte, dass sie als normaler Teil der Gesellschaft akzeptiert wird? Warum sich dann noch durch ein Coming Out so hervorheben?

Was meint ihr dazu? Ist ein Coming Out überholt? Ich habe zumindest für mich selbst beschlossen, meinen Eltern nicht zu "gestehen", ich sei bisexuell. Wenn ich eine so ernste Beziehung zu einer Frau habe, dass es Zeit wird, sie meinen Eltern vorzustellen, dann werde ich das ohne großes Vorgeplänkel tun. Alles andere wäre doch paradox - die meisten Homosexuellen kämpfen dafür und schreien Parolen, dass gleichgeschlechtliche Liebe als Teil der Gesellschaft akzeptiert werden soll. Andererseits schießt man sich doch durch ein Coming Out selber ins Abseits, indem man meint, die Homo- oder Bisexualität sei etwas, das man outen müsste. Außerdem würde doch auch niemand zu seinen Eltern gehen und sagen "Übrigens, meine Lieblingssexstellung ist *bitte einsetzen*". Warum also die Sexualität unnötig so betonen?

Benutzeravatar

» koeniglich » Beiträge: 370 » Talkpoints: 0,50 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich finde nicht, dass es unbedingt eines großartigen Comming Outs bedarf. Wie du schon richtig gesagt hast, ist in der heutigen Gesellschaft die gleichgeschlechtliche Liebe nahezu alltäglich, warum sollte man sich dann noch in den Mittelpunkt drängen wollen? Wenn man sich unbedingt in den Mittelpunkt drängen will, dann ist ein Comming Out mit Sicherheit eine gute Möglichkeit dazu, aber ich glaube eben nicht, dass es noch unbedingt notwendig ist.

Du sagst, dass du sonst immer mit Männern zusammen bist, dann würde ich, wenn du mit einer Frau zusammen bist und diese deinen Eltern vorstellst, vielleicht vorher mal kurz bescheid geben, man weiß ja nie so genau, wie andere Leute darauf reagieren. Ich würde das aber einfach so machen, dass es eine Tatsache ist, über die nicht diskutiert werden brauch, die nur also solche akzeptiert wird. Das sollte man meiner Meinung nach vorher vielleicht machen, weil es ja doch immer noch so ist (besonders bei älteren Menschen) dass das Gesellschaftsbild bei einer Partnerschaft Männlein und Weiblein vorsieht.

Ich habe jetzt nicht "normalerweise" in dem Satz vorher geschrieben, weil das suggerieren würde, dass alles, was nicht dem Gesellschaftsbild einer Partnerschaft a la Männlein Weiblein entspricht unnormal wäre. Das ist aber nicht so, zunehmend finden gleichgeschlechtliche Partnerschaften weitere Verbreitung und Akzeptanz. Alles andere muss man nicht erzählen und grenzt für mich an "in den Mittelpunkt stellen". Das den Eltern erzählen betrachte ich aber nicht als Comming Out, sondern rein informativ.

Benutzeravatar

» Tassadar » Beiträge: 1245 » Talkpoints: -1,26 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Ich stehe auch hinter der Ansicht, dass die sexuelle Neigung nicht zu sehr thematisiert werden muss. Wie du schon sagtest, man möchte den Status der Normalität erlangen, dann bitteschön geht damit auch normal um. Ein heterosexueller Mensch outet sich ja auch nicht als solcher, es sei denn, er wird vom gleichen Geschlecht umworben und stellt seinen Satus klar. Allerdings wäre auch das nicht notwendig, wenn ich kein Interesse habe so bekunde ich das und dann ist es auch egal aus welchen Gründen. Auch ist die gleichgeschlechtliche Lebensform nicht ausschlaggebend für eine Anstellung, einen Mietvertrag oder den Kauf eines Autos.

Früher mag das sicherlich ein ganz großes Thema gewesen sein, gerade zu der Zeit wo auch in Deutschland und Europa gleichgeschlechtliche Lebensweisen zum Abschaum des menschlichen Verhaltens zählten. Dieses Ansicht ist aber, rechtlich und überwiegend auch gesellschaftlich gesehen, veraltet. Natürlich gibt es vereinzelt Regionen wo man, zumindest gesellschaftlich, noch nicht die absolute Gelassenheit der gleichgeschlechtlichen Liebe gegenüber erlangt hat aber im großen und ganzen hat man, zumindest und überwiegend in der westlichen Welt der Bevölkerung, die Freiheit seine Liebe zu leben.

» Vancouver » Beiträge: 266 » Talkpoints: 1,02 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich würde Coming-out anders definieren als du. Eben nicht als "Herausschreien", sondern eher als einen Prozess zu seinen Neigungen zu stehen und das nicht geheimzuhalten. In diese Richtung geht auch der Einleitungssatz von Wikipedia:

Coming-out [...] bezeichnet zumeist den individuellen Prozess, sich seiner eigenen gleichgeschlechtlichen, oder seine von geschlechtlichen Identität oder Geschlechterrolle abweichenden Empfindungen bewusst zu werden, dies gegebenenfalls dem näheren sozialen Umfeld mitzuteilen.


Mein Verständnis von Coming-out ist, dass du gegenüber anderen Leuten zu deiner Homosexualität stehst, also nicht vorgibst auf Männer zu stehen. Das impliziert ja nicht, dass du auf deine Eltern / Freunde / Bekannten zugehst und es ihnen auf die Nase bindest, sondern wenn jemand nachfragt, du sagst: "Ich habe eine Freundin" statt "Ich bin Single" oder "Ich habe einen Freund". Daher finde ich das Coming-out auch nicht überholt und das wird es meiner Ansicht auch nie sein. Es sei denn es ist irgendwann so weit, dass Homosexualität absolut nichts Besonderes mehr ist, so wie es den meisten heterosexuellen Paaren wahrscheinlich egal sein wird, ob sie einen Sohn oder eine Tochter bekommen werden (von "Präferenzen" mal abgesehen). Dann stellen die Kinder ihren gleichgeschlechtigen Partner beim Abendessen mit den Etern vor, als wäre es kein gleichgeschlechtiger Partner. Aber das denke ich wird in absehbarer Zeit nicht passieren.

Benutzeravatar

» Pyrgo » Beiträge: 253 » Talkpoints: 0,10 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich denke nicht, dass ein Coming-Out überholt wird. Ein Coming-Out sollte auf jeden Fall gemacht werden, denn nicht jeder Außenstehende ist sich der anderen Sexualität bewusst. Ich denke es ist wichtig, dass man sich outet. Heute wird allerdings anders mit der Sexualität umgegangen als früher, man ist heute einfach viel offener als früher und akzeptiert, wenn jemand das gleiche Geschlecht bevorzugt. Früher wurde man von der Familie verstoßen, heute ist das nicht mehr so.

» Jenna87w » Beiträge: 2149 » Talkpoints: 0,47 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


Ich sehe das auch so: kommt darauf an, was man unter "Coming out" versteht. Geht es darum, dass ein Mensch einfach zu dem stehen kann, was und wie er ist? Dann ist das für mich absolut in Ordnung und bei Weitem nicht überholt. Ob es dafür ein besonderes Wort wie "Coming out" braucht ist eine andere Sache. Was ich aber sogar unangenehm finde ist, dass heutzutage so viele Promis ihre sexuellen Vorlieben in die Öffentlichkeit tragen müssen, mir erscheint das weniger ehrlich als eher für Schlagzeilen gedacht.

Mich interessiert doch nicht im Geringsten, ob irgendeine Sängerin oder ein Schauspieler mit Männlein oder Weiblein ins Bett geht. Öffentlich knutschende Paare, bei denen man Angst haben muss, dass sie sich gleich die Kleider vom Leib reißen und bei denen man gar nicht mehr weiß, wo man hinschauen soll haben mich schon immer peinlich berührt, egal ob es sich dabei um Homosexuelle oder Heterosexuelle handeln. Vielleicht bin ich da ein bisschen altmodisch, aber ich denke, das Intimleben sollte auch intim bleiben und nicht jedem unter die Nase gehalten werden.

Offen zu einer Sache, Vorliebe, Veranlagung zu stehen ist gut, aber es geht doch auch nicht jeden etwas an, wo, wie, wann und mit wem ich Sex habe. Von daher bin ich der Meinung, dass insgesamt in unserer Gesellschaft viel zu unsensibel mit der Privatsphäre umgegangen wird, was aber nicht speziell für Homosexuelle und das "Coming Out" gilt.

» kerry3 » Beiträge: 892 » Talkpoints: 18,22 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Na klar. Klebe dir doch einen Aufkleber auf die Stirn, auf dem steht: Ja, ich stehe auch auf Frauen! Gähn! Ich habe ohnehin nie begriffen, wie so ein "Coming Out" eigentlich praktisch aussieht. Schreibt man da Einladungen an alle Verwandten, Freunde und Bekannten, feiert eine Party und greift dann zum Mikrofon? Wie peinlich ist das denn? Mache ich demnächst auch mal. Nächste Woche steht ein 50. Geburtstag eines Freundes an. Auf die Bühne und dann: "Hey Leute, ich hatte 4 Wochen kein Sex!" Betretenes Schweigen, denn keiner will das wissen.

Mal ernsthaft: Für mich ist das ein alter Hut. Homo- und Bisexualität sind doch heutzutage weitestgehend zur Selbstverständlichkeit geworden. Ungewöhnlich, weil relativ selten, aber doch normal. Natürlich kann man die Eltern, die man vielleicht nur alle paar Wochen mal sieht, in einem persönlichen Gespräch "vorwarnen": "Hey, es mag euch wundern, aber irgendwie ist es passiert, ich habe jetzt eine Freundin, also quasi als Beziehung. Wollte es nur sagen, damit ihr kein dummes Gesicht macht! Ist halt so - cool oder?" Freunde bekommen das ohnehin mit und für den Rest spricht es sich rum.

Und ganz ehrlich, ich möchte auch nicht mit dem "Mist" von anderen belästigt werden. Wenn da nun jemand, den ich vorher nur mit Frau als Partnerin kannte, mit einem Mann auftaucht, dann checke ich das schon selber, ohne dass mir einer sein sog. "sexuelle Orientierung" offenlegt. Dann würde ich höchstens sagen: "Hey, ihr? Wow, cool! Hab ich schon immer geahnt. Bierchen?" Dann ist es halt so. Wenn es funktioniert, soll jeder so glücklich werden, wie es passt. Fazit: Coming outs halte ich für absolut outdated.

Benutzeravatar

» Richtlinie2 » Beiträge: 1872 » Talkpoints: -0,63 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Warum muss man etwas, was eigentlich für jeden normal sein sollte, an die "große Glocke" hängen? Wenn meine Tochter eine Frau lieben würde, dann würde ich das spätestens dann merken, wenn sie mir diese Frau vorstellt. Wenn jemand aus meinem Bekannten oder Verwandtenkreis plötzlich mit einem gleichgeschlechtlichen Partner ankommt, dann sehe ich das und muss es nicht vorher von demjenigen erfahren.

Homosexualität ist für mich etwas ganz normales. Ich gehe ja auch nicht hin und sage jeden, den ich kennenlerne und mit dem ich ins Gespräch komme, dass ich heterosexuell bin. Ich habe schon früher nicht verstanden, wie ein Mensch seine sexuelle Gesinnung breit treten muss und sich "outen" muss. Das ist meines Erachtens schon immer Quatsch gewesen.

Ich finde es schade, dass heutzutage immer noch ein Unterschied gemacht wird und sich homosexuelle Menschen "outen" sollen. Warum "outen" sich denn heterosexuelle Menschen nicht. Dann brauchen sich die Homosexuellen nicht zu "outen". Denn alles, was sich nicht outet ist dann anders?? Ich finde es so ein Blödsinn, dass man heutzutage immer noch von "outen" spricht.

Benutzeravatar

» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge


Jenna87w hat geschrieben:Ich denke nicht, dass ein Coming-Out überholt wird. Ein Coming-Out sollte auf jeden Fall gemacht werden, denn nicht jeder Außenstehende ist sich der anderen Sexualität bewusst.

Die Frage, die sich mir hier stellt, ist, warum man sich der Sexualität eines anderen überhaupt bewusst sein muss, wie du das ausdrückst. Wenn ich mit jemandem keine Beziehung habe und keine Beziehung will und wenn die andere Person das gleiche für mich empfindet ist es doch völlig egal mit wem derjenige ins Bett geht oder nicht. Von Heterosexuellen erwartet doch auch keiner, dass sie sich hinstellen und erklären, dass sie Heterosexuell sind.

Im Bezug auf die Frage - wenn ich an deiner Stelle wäre, würde das Thema für mich wahrscheinlich erst akut werden, wenn ich in eine feste Partnerschaft hätte. Denn in einer Partnerschaft kommt ja normalerweise irgendwann der Punkt, wo man den Partner oder die Partnerin gerne mit der Familie bekannt machen würde. Aber wenn du momentan nichts festes hast wäre das für mich auch irgendwie so, als würde ich meinen Eltern beim Tee eröffnen, dass ich auf Bondage stehe oder gerne Oralsex praktiziere und das fände ich auch reichlich unpassend.

Benutzeravatar

» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


Ein richtiges "Coming Out" im klassischen Sinne halte ich doch irgendwie für überholt. Welche sexuelle Neigung du nun hast, ist doch letztendlich nicht so wichtig und ich finde auch, dass man das nicht immer an die große Glocke hängen muss. Ein Heterosexueller verkündet doch auch nicht lautstark, dass er Heterosexuell ist. So besonders is Bi oder eben Homosexualität meiner Meinung nach nicht mehr, dass man da so einen großen Wirbel darum machen muss.

Wenn man auf das Thema Beziehung und Partnerschaft zu sprechen kommt, sei es nun im Freundeskreis oder in der Familie, dann würde ich das schon sagen. Aber eben erwähnen, wie jedes andere normale Thema und da kein großes Aufsehen machen.

» Wunschkonzert » Beiträge: 7184 » Talkpoints: 42,56 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^