Urteil vom Frankfurter Landgericht

vom 05.08.2011, 06:17 Uhr

Deutschland hat mal wieder ein Gerichtsurteil worüber die Presse sich sehr aufregt. Der Kindesmörder Gäfgen hat jetzt eine Entschädigung von 3000 Euro zugesprochen bekommen. Bei seiner Verhaftung wurde er auf Anweisung vom Vize-Polizeipräsident Wolfgang Daschner gefoltert. Die Folter war notwendig laut Daschner da die Zeit für die Rettung des kleinen Jakob eng wurde. Gäfgen hatte jetzt 10000 Euro Entschädigung gefordert und vom Richter 3000 Zugesprochen bekommen. Findet ihr diese Entscheidung richtig?

Ich persönlich finde diese Entscheidung richtig. Auch wenn Gäfgen ein Entführer und Mörder ist hat niemand bei der Polizei gegen geltende Gesetzte oder die Menschenrechte zu verstoßen. Das androhen von Körperlichen Schmerzen und Folter ist in meinen Augen das letzte und man muss sich fast schämen für seinen Rechtsstaat. Wie kann ein Vize-Polizeipräsident seinen Mitarbeitern die Anweisungen geben einen Gefangenen zu Foltern? Daschner müsste sich meiner Meinung nach dafür ebenfalls vor Gericht verantworten und von seinem Amt zurück treten.

Ich will die Taten von Herrn Gäfgen nicht gut heißen, er gehört für immer ins Gefängnis, aber gefoltert zu werden hat niemand verdient, egal was die Person getan hat.

» dieschatten » Beiträge: 86 » Talkpoints: 1,33 »



dieschatten hat geschrieben:Deutschland hat mal wieder ein Gerichtsurteil worüber die Presse sich sehr aufregt.

Wenn man die Bild-Zeitung bei "Presse" vielleicht herausnimmt, dann kommentiert die "Presse" das Urteil vielleicht. Aber "Aufregung" kann ich keine erkennen. Weder in dem Fall noch bei anderen Urteilen, welche verkündet werden. Zumal es ja auch nicht eine Einheitsmeinung der "Presse" gibt. Dafür sorgt ja dann schon auch der pluralistische Grundgedanke hinter der freien Presse und Berichterstattung.

dieschatten hat geschrieben:Der Kindesmörder Gäfgen hat jetzt eine Entschädigung von 3000 Euro zugesprochen bekommen. Bei seiner Verhaftung wurde er auf Anweisung vom Vize-Polizeipräsident Wolfgang Daschner gefoltert.

Das klingt zwar einleuchtend, stimmt aber natürlich nicht. 3000 Euro für eine nachgewiesene, in der Bundesrepublik Deutschland durch Polizeibeamte vollstreckte Folter wäre dann auch zu wenig an "Entschädigung". Es ist die Folter nachdrücklich angedroht worden! Aber das macht die Sache natürlich nicht besser.

dieschatten hat geschrieben:Die Folter war notwendig laut Daschner

Letztlich war dann auch die Inquisition "notwendig". Derjenige, der Gewalt ausübt oder ausüben lässt, hat immer gute Gründe und sieht sich nie in der Rolle des Täters. Aber nur weil z.B. ein Vater bereit wäre, drei fremde Kinder zu opfern, um das Leben seines eigenen Kindes zu retten, wäre das Handeln einwandfrei.

dieschatten hat geschrieben:Dda die Zeit für die Rettung des kleinen Jakob eng wurde.

Um ein Unrecht zu verhindern, geht man also dazu über, selbst Unrecht zu verüben? Das gehört zwar zur klassischen Vorgehensweise, wenn man sein tun rechtfertigen will. Ändert aber nichts an der Tatsache, dass man sich damit nicht besser stellt, als der eigentliche Täter!

dieschatten hat geschrieben:Gäfgen hatte jetzt 10000 Euro Entschädigung gefordert und vom Richter 3000 Zugesprochen bekommen. Findet ihr diese Entscheidung richtig?

Wie viel gefordert wird, kann man ja selbst entscheiden. Ob das von dem Täter geforderte Geld dann letztlich gerechtfertigt gewesen ist oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen. Allerdings kann ich mir den Horror schon vorstellen, den man auch erlebt, wenn man völlig schutzlos der Staatsmacht ausgeliefert ist und massiv bedroht wird. Keine Öffentlichkeit und kein Rechtsbeistand sind da anwesend - obgleich man von seinen theoretischen Rechten weiß.

dieschatten hat geschrieben:Ich persönlich finde diese Entscheidung richtig.

Wie geschrieben - ich maße mir kein Urteil an. Dafür hat ja das Gericht seine Arbeit getan. Letztlich ist es noch mal ein unmissverständliches Zeichen, dass die Menschenrechte auch für Straftäter gelten. Ganz gleich, wie verbrecherisch und furchtbar die verübten Taten auch waren.

dieschatten hat geschrieben:Auch wenn Gäfgen ein Entführer und Mörder ist hat niemand bei der Polizei gegen geltende Gesetzte oder die Menschenrechte zu verstoßen. Das androhen von Körperlichen Schmerzen und Folter ist in meinen Augen das letzte und man muss sich fast schämen für seinen Rechtsstaat.

Es war ja nicht der Rechtsstaat, sondern einzelnen Akteure. Und die sind bereits bestraft worden, wenn auch eher milde. Und "das Letzte" war das sicher noch nicht. Die denkbare Durchführung der Folter würde noch mal eine neue Qualität in den Fall bringen.

dieschatten hat geschrieben:Wie kann ein Vize-Polizeipräsident seinen Mitarbeitern die Anweisungen geben einen Gefangenen zu Foltern?

Dazu könnte man hinterfragen, ob hier nicht auch doch persönliche Verbindungen zur Familie des Opfers bestanden. Es kann auch sein, dass er schlicht vom Erfolgsdruck überfordert war. Niemand kann die Motivation jetzt im nachhinein richtig einschätzen. Es ist ja sogar möglich, dass hier wirklich "edle" Motive im Fordergrund standen, diese aber in dem Fall falsch waren.

dieschatten hat geschrieben:Daschner müsste sich meiner Meinung nach dafür ebenfalls vor Gericht verantworten und von seinem Amt zurück treten.

Dir ist aber schon klar, dass zum einen von dem Posten Personen nicht nur zurücktreten sondern auch entfernt werden können? Und auch, dass das juristische Nachspiel eben bereits genau zu einer Abstrafung der beteiligten Personen geführt hat? Schließlich ist nicht nur der Schuld, der Folter hat androhen lassen, sondern auch der (oder die), welche dann diese Anordnung wider besseres Wissen durchgeführt haben und dem Gefangenen gegenüber entsprechend aufgetreten sind.

dieschatten hat geschrieben:Ich will die Taten von Herrn Gäfgen nicht gut heißen,

Das kann und muss in dem Zusammenhang auch niemand!

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


Wenn du hier schon von einem solchen Fall berichtest, dann solltest du das auch genau tun und dich ein bisschen besser informieren.

Bei seiner Verhaftung wurde er auf Anweisung vom Vize-Polizeipräsident Wolfgang Daschner gefoltert.


Falsch, die Folter wurde lediglich angedroht. Das ist zwar auch nicht erlaubt, aber doch noch ein riesiger Unterschied zur tatsächlichen Ausübung von Folter.

Daschner müsste sich meiner Meinung nach dafür ebenfalls vor Gericht verantworten und von seinem Amt zurück treten.


Daschner wurde bereits im Jahr 2004 für sein Vorgehen verurteilt, ebenso wie ein Mitangeklagter. Beide haben eine Geldstrafe bekommen. Disziplinarrechtliche Konsequenzen gab es für Daschner nicht, das Disziplinarverfahren wurde eingestellt, aber er wurde versetzt und hat einen anderen Posten bekommen. Inzwischen ist er im Ruhestand.

» SuperGrobi » Beiträge: 3876 » Talkpoints: 3,22 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Vollkommen richtig: Gäfgen erhält die Entschädigung, weil ihm Folter angedroht wurde und nicht, weil er sie erhalten hatte. Nur wegen dieser Drohung hat er die Polizei vermutlich zur Leiche des Jungen gebracht. Mir persönlich steht es jetzt nicht zu darüber zu urteilen, ob ihm die Entschädigung zusteht oder nicht, dass hat ja das Gericht schon getan. Sicherlich will man damit auch ein Zeichen setzen, dass auch die Polizei nicht so mit einem Häftling umgehen kann und wenn sie es doch tut, dann hat das Konsequenzen.

Wenn man der Presse glauben schenken darf - und damit habe ich ein Problem - dann fühlte Gäfgen sich auch seelisch gefoltert durch diese Androhungen. Man habe ihn angeblich sehr unter Druck gesetzt. Seelische Folter ist sicherlich auch eine Art der Folter und sicherlich auch nicht minder zu bewerten. Allerdings wissen eben nur alle Beteiligten, was da nun wahr dran ist und was nicht. Fakt ist, Gäfgen ist trotz allem ein menschliches Wesen und man kann trotzdem nicht Selbstjustiz walten lassen.

Fraglich finde ich nur eins: wie hätte man die Sache wohl beurteilt, wenn der Junge nur aufgrund dessen lebend gefunden worden wäre? Wäre es die Sache denn dann Wert gewesen? Ich persönlich möchte behaupten, dass das Urteil dann unter Umständen etwas anders ausgesehen hätte. Nein, ich finde es nicht gut, wenn man einem Menschen Folter androht, aber wäre der Junge noch am Leben gewesen, hätte man die Polizisten vielleicht als Helden gefeuert, WEIL sie genau das getan haben. Jetzt verurteilt man sie dafür und spricht einem Kindermörder Geld zu, weil sie das Leben des Jungen retten wollten.

Wobei Gäfgen, würde der Junge noch leben, auch kein Mörder gewesen wäre, sondern "nur" ein Entführer. Wer weiß, wie man damit dann wieder umgegangen wäre.

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» winny2311 » Beiträge: 15159 » Talkpoints: 4,91 » Auszeichnung für 15000 Beiträge



Auch wenn ihm noch keine Körperlichen Schmerzen oder ähnliches angetan wurden, würde ich alleine die Androhung als Folter ansehen. Wie würde sich einer von euch fühlen wenn er auf dem Polizei Revier sitzt und da mehrere Polizisten auf einen einreden, dir Schläge androhen oder schlimmeres? Gut die Hälfte die in der Presse steht ist gelogen oder überzogen, aber trotzdem finde ich so ein Verhalten der Polizei einfach nur schlimm. Das die Taten nicht entschuldbar sind die er begangen hat steht denke ich außer Frage, aber trotzdem sollte die Polizei als ausübende Staatsmacht ihre Regeln und Kompetenzen nicht überschreiten.

» dieschatten » Beiträge: 86 » Talkpoints: 1,33 »


Ich kenne mich nicht tief gehend genug mit Rechtsprechung aus, um das Gerichtsurteil zu überprüfen. Wenn du also fragst, ob ich diese Entscheidung richtig finde, dann antworte ich dir darauf auf moralischer Ebene.

Und da sehe ich die Sache zweischneidig. Ich finde es vollkommen richtig, dass Polizeipräsident Daschner Konsequenzen für seine Folter-Androhung tragen musste und auch eine Entschädigungszahlung kann ich mir als angebracht vorstellen - ich sage nur vorstellen, da ich nicht weiß, ob Gäfgen tatsächlich seelische Qualen leiden musste. Wahrscheinlich aber schon, sonst hätte er eher nicht unter der Gewaltandrohung ausgesagt. Rechtsstaatlische Prinzipien gelten eben für alle Bürger.

Gleichzeitig verurteile ich das Handeln des Polizeipräsidenten ethisch aber nicht völlig. Er drohte Gewalt an, um ein Leben zu retten. Dass das nicht mehr möglich war, wusste er ja nicht. Selbstverständlich muss er dafür bestraft werden, aus prinzipiellen Gründen. Eine Regel zu brechen und die Strafe dafür zu tragen, um etwas wichtigeres zu bewirken, finde ich aber nicht grundsätzlich schlecht. (Ob Daschner nun tatsächlich so opferbereit im Bewusstsein der Konsequenzen für ihn selbst handelte oder ob er einer Bestrafung entkommen wollte, weiß ich natürlich nicht.)

» Decmag » Beiträge: 14 » Talkpoints: 5,90 »


Decmag hat geschrieben:Er drohte Gewalt an, um ein Leben zu retten.

Wenn du dann hier glaubst, dass das androhen oder auch später das anwenden von Gewalt in so einem Fall "ethisch" zu rechtfertigen wäre, musst du aber auch Fragen, wieso bzw. ab wann es richtig ist, ein Leben zu gefährden bzw. zu beenden um ein anderes zu retten. Das würde einer Bewertung entsprechen, einer Einordnung nach Lebenswert und Nicht-Lebenswert. Ist allein das nicht schon "ethisch" zu verwerfen?

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Das ist es, @derpunkt, ich will auch nicht sagen, dass man solche Einordnungen vornehmen sollte oder auch nur das Leben des Täters über das Leben des Opfers stellen sollte. Die Abwägung im betreffenden Fall war aber nicht "Leben-gegen-Leben", sondern so etwas wie "Leben-gegen-Unversehrtheit". Und dieses Recht auf Unversehrtheit hat der Täter ja auch! Das will ich gar nicht gering schätzen! Ich versuche nur, die Motivation des Polizeipräsidenten mal aus einer möglichst wohlwollenden Perspektive zu betrachten. Auf keinen Fall würde ich wollen, dass sein Handeln legalisiert würde, es MUSS bestraft werden. Seine Entscheidung darf meines Erachtens sozusagen nicht verallgemeinert oder institutionalisiert werden, wenn eine Einzelperson sie trifft, will ich sie trotzdem nicht völlig moralisch verurteilen.

» Decmag » Beiträge: 14 » Talkpoints: 5,90 »


Rein rechtlich ist die Entscheidung korrekt. Das Problem ist nur, dass die Bevölkerung dieses Urteil als ungerecht empfindet, was nachvollziehbar ist. Das Urteil wurde unter anderem damit begründet, dass die Würde des Täters verletzt worden ist, als ihm Folter angedroht wurde. Aus diesem Grund wurde ihm ein Schmerzensgeld zugesprochen. Die Frage ist nur, hat der Täter nicht vielleicht in dem Moment, wo ihm Folter gedroht wurde seine Würde verwirkt? Er hat schließlich auch die Würde des Opfers missachtet, indem er ihn umbrachte. Die Tötung eines Menschen ist die größtmöglichste Verletzung der Menschenwürde, die möglich ist.

Ich bin der Meinung, dass Gäfgen seine Würde verwirkt hat und daher nicht zusätzlich noch Schmerzensgeld erhalten sollte. Das Bundesverfassungsgericht hat beim Urteil bezüglich des Gesetzes zum Abschuss von Passagiermaschinen geurteilt, dass ein Abschuss von Passagiermaschinen gegen die Würde der Passagiere verstoßen würde und daher verfassungswidrig sei. Der Abschuss von entführten Maschinen in denen sich lediglich die Entführer befinden hingegen ist rechtmäßig, da die Entführer ihre Würde verwirkt haben als sie die Maschine als Waffe gegen Menschen am Boden pervertierten. Ich denke der Fall ist hier vergleichbar und Gäfgen hat mit der Ermordung seine Würde verwirkt.

» willung » Beiträge: 7 » Talkpoints: 5,07 »


@willung
Hier bin ich mir nicht sicher, was du konkret verwechselt oder durcheinander gebracht hast. Aber mit der Würde des Menschen hätte es nichts zu tun. Diese sog. Würde des Menschen ist tatsächlich unantastbar, was für jedes Gericht der Bundesrepublik so lange gilt, solange der entsprechende Grundsatz im Grundgesetz (hier sogar im Artikel 1, Absatz 1) nicht geändert wird. Sollte es jemals möglich sein, dass ein Mensch diese Würde auf Beschluss von Dritten verliert, wäre die Unantastbarkeit nicht mehr gegen!

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


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